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E-Book

Träume beginnen zu leben

Große Christen des 20. Jahrhunderts

AutorChristian Feldmann
VerlagTopos
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783836750011
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Wer hat nicht schon einmal von ihnen gehört: Mutter Teresa, die sich um die Sterbenden auf den Straßen Kalkuttas kümmerte; Oscar Romero und Martin Luther King, die erschossen wurden, weil sie für die Gerechtigkeit eintraten; Dietrich Bonhoeffer und Maximilian Kolbe, die mitten im Naziterror zu Blutzeugen der Menschlichkeit wurden; Pierre Teilhard de Chardin, der den Glauben mit den Naturwissenschaften versöhnte ... Christian Feldmann stellt uns diese faszinierenden Menschen in kurzen Lebensbeschreibungen vor und zeigt: Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit bekommt das Christentum durch Menschen, die das Evangelium leben.

Christian Feldmann, geb. 1950, Dipl.-Theol., lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Regensburg. Seine zahlreichen Bücher, vor allem Lebensbeschreibungen, sind Bestseller geworden.

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Leseprobe

Der Todesschuss am Altar


Oscar Arnulfo Romero,
Erzbischof von San Salvador


„Das Engagement an der Seite der Armen

bringt immer

Gefahren mit sich.

Deswegen werden diejenigen,

die laut sagen,

was Gott in unserer Gesellschaft missfällt,

getötet.“

An einem drückend heißen Junitag wird der Unterricht in einem Gymnasium in San Salvador plötzlich von Maschinengewehrsalven gestört: Dreihundert Soldaten stürmen die benachbarte Zentralamerikanische Universität, dringen auf der Suche nach jungen Guerilleros auch in den Schulhof ein, zerschießen die Fenster im ersten Stock. Oben haben sich noch ein paar Schüler versteckt, voller Angst vor dem Gebrüll und dem Gewehrfeuer im Hof.

„Rauskommen, mit erhobenen Händen!“ schreit ein Soldat. Ein Junge stolpert die Treppe herunter, etwa 15 Jahre alt, die Hände mit seinen Schulheften über dem Kopf. „Wir sind alle Christen“, ruft er dem Uniformierten mit erstaunlich fester Stimme zu. „Töten Sie uns nicht! Wir sind alle Söhne Gottes, Herr Polizist …“

Da dreht der Soldat durch. Er legt seine MP an, zielt und schießt. Blut spritzt aus der rechten Schulter des Jungen. Er torkelt, stürzt auf das Pflaster des Schulhofs.

„Bitte töten Sie uns nicht“, fleht der Junge in panischer Angst. Aus zwei Meter Entfernung schießt der Soldat erneut. „Mama, Ma … ma“, keucht der Sterbende. Eine neue Salve, diesmal ins Genick. Der Junge ist tot. Sein Blut fließt auf den Schulhof.

Warum sie den Schüler erschossen hätten, will ein Journalist von den Soldaten wissen. Die zynische Antwort: „Na, das macht einen Guerillero weniger!“

Für eine Verbindung zu Terroristen gab es indes keinen Hinweis. Der Junge hatte keine Waffe bei sich, nur seine Schulhefte. Vierzehn Tage später wurden ein Redakteur und ein Fotograf, die in ihrer Zeitung über die Todesschüsse berichtet hatten, verhaftet, gefoltert und ermordet.

Terror ist damals der Alltag in El Salvador, dem kleinsten und am dichtesten besiedelten Land Mittelamerikas, nicht größer als Hessen, beherrscht von Ungerechtigkeit, bedrängt von Gewalt, regiert vom Tod. Zwei Prozent der Bevölkerung, die reichen Kaffeefarmer-Familien der Llach, De Sola, Dueñas, Garcia Priesto, Quiñonez und wie sie alle heißen, kontrollieren zwei Drittel des Bodens.

Die meisten Menschen verdienen nicht mal 300 Dollar im Jahr. Jeder Dritte stirbt an Unterernährung, nur jeder Fünfte hat während des ganzen Jahres Arbeit. Auf dem Land leben die verelendeten Nachkommen der stolzen Mayas zu fünft oder sechst in einem einzigen armseligen Raum; sechs von zehn Kindern, die dort geboren werden, sterben.

Voller Hoffnung strömen ihre überlebenden Geschwister in die Hauptstadt San Salvador, um hier bloß die Bevölkerung der Tugurios, der Slums, noch mehr anschwellen zu lassen. Sie bauen sich Hütten aus Lehm oder Pappe, mit Plastiksäcken und ausgedienten Autoreifen überdacht. Wasserleitungen gibt es keine, aber die Ratten gedeihen prächtig in diesen Wohnbezirken, die stinkenden Müllhalden gleichen.

Diktatoren und Juntas haben in dem aus vielen Wunden blutenden Land mit dem schönen Namen El Salvador („Der Erlöser“) in rascher Folge einander abgelöst, ohne dass sich an den tatsächlichen Machtverhältnissen viel geändert hätte. Schon im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wehrten sich die von ihren kleinen Ländereien vertriebenen Bauern in erbitterten Aufständen gegen die Übergriffe der Großgrundbesitzer. Bei den einzigen freien Wahlen im Jahr 1931 kam der reformfreudige Kaffeefarmer Araujo an die Macht – um bereits ein Jahr später von den Militärs gestürzt zu werden. Erneut stand das Volk gegen seine Unterdrücker auf. Mindestens zweitausend Bauern kamen im Bürgerkrieg um, zehnmal so viele wurden danach bei willkürlichen Massenexekutionen getötet.

Seither wechseln zwar die Familienclans im Präsidentenpalais von San Salvador, aber nicht die dort getriebene Politik im Interesse der schmalen Schicht von Besitzenden – auf dem Rücken der großen Masse des Volkes, der Landproletarier und der Slumbewohner in den Städten. Der Krieg zwischen Junta und Guerilleros, der von Militär, Polizei und Rollkommandos der Großgrundbesitzer ausgeübte Terror und die Gegengewalt der bewaffneten Volksorganisationen forderten allein in den drei Jahren zwischen 1980 und 1982 schätzungsweise 35.500 Menschenleben.

Gegen die Opposition im Untergrund, der vor allem Gewerkschafter, Landarbeiter und Studenten angehören, führen paramilitärische Mordbanden wie der von Offizieren geführte, 80.000 Mann starke ORDEN (Organización Democratica Nacional) oder die Union der Weißen Krieger einen erbarmungslosen Kampf. Bei ihren „Säuberungsaktionen“ wird gefoltert und gemetzelt. Augenzeugen berichten von Männern, denen man Zunge und Hoden ausriss, von Schwangeren, denen die Leibesfrucht aus dem Bauch geschnitten und den Hunden zum Fraß vorgeworfen wurde.

In dieser Situation hat sich die salvadorianische katholische Kirche – einst ein verlässlicher Partner der Generäle und Plantagenbesitzer – entschlossen auf die Seite des unterdrückten Volkes gestellt. Christliche Basisgemeinden denken gemeinsam über das Evangelium nach und konfrontieren die Botschaft Jesu mit der alltäglichen Ungerechtigkeit. Sie organisieren Volksapotheken und Bildungsprogramme, verteilen Lebensmittel, schulen Erste-Hilfe-Gruppen für die Versorgung der Bürgerkriegsopfer. Die christliche Landarbeitergewerkschaft hat mehr als 80.000 Mitglieder.

Aber die Kirche zahlt einen teuren Preis für ihr Engagement: Priester, Katecheten, Nonnen, die sich für die Rechte der kleinen Leute einsetzen und einen Christus predigen, dem das soziale Elend nicht gleichgültig ist, werden als „Kommunisten“ verketzert, verfolgt, ausgewiesen, gefoltert, ermordet … „Tu was für dein Vaterland, töte einen Priester!“ forderten Flugblätter, die in der Hauptstadt San Salvador verteilt wurden – makabrer Kontrast zu der auf Hausmauern gesprühten Parole Cristo, Fuerza liberadora de America Latina: Christus, befreiende Kraft Lateinamerikas.

Dutzende von Geistlichen sind bereits umgebracht worden. 1976 explodierten in der Jesuitenuniversität von San Salvador Bomben, weil sich Professoren und Studenten gegen die Verleumdungskampagnen der reichen Landbesitzer – „Infiltration“ durch „Ausländer und Jesuiten“ – gewehrt hatten. Das Rezept für solche Propagandafeldzüge stammt vom amerikanischen Geheimdienst CIA, dessen Handlungsanweisungen die angesehene französische Zeitung Le Monde ein Jahr zuvor an die Öffentlichkeit gebracht hatte: „Es darf nur der progressive Flügel der Kirche bekämpft werden, nicht die Kirche als Institution oder die Bischöfe als Gruppe. […] Es muss andauernd wiederholt werden, dass dieser mit dem internationalen Kommunismus verbunden ist.“

So explosiv war die Lage in El Salvador, als 1977 ausgerechnet der realitätsferne, auf Harmonie bedachte Oscar Arnulfo Romero zum Erzbischof der Hauptstadt ernannt wurde. Ein ganz von der kirchlichen Verwaltungslaufbahn geprägter Mann, der als menschenscheuer Bücherwurm galt, war der neue Hirte einer Stadt, auf deren Straßen jeden Morgen Leichen mit Foltermalen gefunden wurden.

Ein melancholischer Kämpfer


Oscar Arnulfo Romero y Galdámez, 1917 in der Kleinstadt Ciudad Barrios an der Grenze zu Honduras geboren, war ein stilles, stets etwas kränkelndes Kind gewesen. Die leise Melancholie im Blick behielt er auch als Kirchenführer, sein feiner Humor versteckte sich hinter einem immer gegenwärtigen Ernst. Seine späten Predigten in der Kathedrale von San Salvador und am Mikrofon des katholischen Rundfunksenders YSAX mochten noch so kämpferisch und leidenschaftlich sein, der Erzbischof blieb immer ruhig, bremste seinen gerechten Zorn, protestierte lieber durch das sachliche Schildern von Unrecht und Terror als durch wütende Wortkaskaden.

Behütet wuchs er auf als Sohn eines Fernmeldeangestellten und seiner tiefgläubigen Frau. Der Rektor des Priesterseminars von San Salvador schickte den intelligenten Jungen zum Studium an die römische Gregoriana, wo man ihn als scharfen Denker schätzte. Mit 24 Jahren in Rom, am Herzen der Weltkirche, zum Priester geweiht, kehrte er als Dorfpfarrer von Anamorós in sein Heimatland zurück.

Die einzelnen Stufen der kirchlichen Karriereleiter waren schnell erklommen: Bischofssekretär, Seminarrektor, Generalsekretär der salvadorianischen Bischofskonferenz, Exekutivsekretär des Rates der Bischöfe von Mittelamerika und Panama, Weihbischof – zuständig...

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