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Mönche und Nonnen im Klosterkerker

Ein verdrängtes Kapitel Kirchengeschichte

AutorUlrich Lehner
VerlagTopos
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783836750141
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Was in den frommen Heiligenlegenden nicht vorkommt: Das 'gottgeweihte' Leben hatte seine Schattenseiten! In den Klöstern waren Missbrauch, Ausschweifungen, ja sogar Kapitalverbrechen durchaus keine Seltenheit. Doch wie ging man damit um? Wenig bekannt ist, dass viele Ordensgemeinschaften ein ausgeklügeltes System von Strafkatalogen, Verfahrensregeln und teilweise drakonischen Maßnahmen entwickelten, um moralische Vergehen zu ahnden. Zum Repertoire gehörten Kerkerhaft und zuweilen auch Folter. Ulrich Lehner arbeitet dieses dunkle Kapitel der Kirchengeschichte sachkundig auf.

Ulrich L. Lehner, geb. 1976, Dr. theol. Ph.D., seit 2006 Professor für Kirchen- und Theologiegeschichte an der Marquette University in Milwaukee. Zu seinen Forschungsgebieten zählen Klostergeschichte, Askese und Mystik. Zahlreiche, auch preisgekrönte Veröffentlichungen.

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Leseprobe

I.  Einführung: Mythen, Missverständnisse und Legenden


Wo immer Menschen nach Heiligkeit streben, fallen sie auch in Sünde, denn der Weg zur Vollkommenheit ist lang und schwierig, und nicht jeder bewährt sich auf ihm. Es sollte uns daher nicht überraschen, sündhaftes Verhalten auch in Klöstern anzutreffen. Ein Kloster ist, wie der hl. Benedikt bemerkte, stets eine „Schule des Herrn“, und als solche ein nie abgeschlossener Prozess der Angleichung des eigenen Ich an den Herrn. Die Frage ist allerdings, warum Historiker daran interessiert sein sollten, wie Klöster mit schweren Sünden oder Vergehen umgingen.

Es gibt eine Reihe legitimer Antworten auf eine solche Frage. Zu allererst demonstrieren klösterliche Regeln über Kriminalprozesse und Bestrafung die verschlungene Geschichte der Entwicklung des modernen Strafrechts im Kontext des Kirchenrechts. Heutzutage sehen wir es als Selbstverständlichkeit an, dass ein Angeklagter das Recht auf einen Verteidiger hat, ohne zu bedenken, dass diese Praxis ihren Ursprung in den Inquisitionsprozessen des Kirchenrechts hatte und erst auf Umwegen ins moderne Recht übersetzt wurde.4 Andererseits beleuchtet die Geschichte der Klosterkerker auch einen völlig unbekannten Aspekt der Kirchengeschichte, nämlich die Folter von Ordensangehörigen, und zeigt neue Wege auf, Gewalt unter Personen zu untersuchen, die sich als Familienangehörige verstanden. Zweitens demonstriert eine Geschichte von Verbrechen und Bestrafung im Kloster das Bestreben kirchlicher Autoritäten, öffentliche Skandale unter allen Umständen zu vertuschen, auch wenn dies bedeutete, staatliche Autoritäten in die Irre zu führen oder gar staatliches Recht zu brechen. Diese aus dem Mittelalter stammende Tendenz, Skandale – und damit auch jede Transparenz – um jeden Preis zu verhindern, existierte auch in der Frühneuzeit weiter und wurde allem Anschein nach erst im 21. Jahrhundert aufgegeben. Drittens sind Klöster und Orden ein wesentlicher Bestandteil europäischer wie transatlantischer katholischer Kultur. Daher führt die Erforschung der klösterlichen Rechtskultur und -pflege auch zu einem besseren Verständnis für den Katholizismus nach dem Konzil von Trient (1545–1563). Insbesondere eröffnet sie die Möglichkeit, genauer zu analysieren, wie Orden den „heiligen Raum“ ihres Klosters verstanden, von dem sie straffällig gewordene Mitglieder ausschlossen. Das Augenmerk auf Vergehen und Verbrechen in den Orden zu richten hilft dem Historiker auch, ein lebensnahes Bild der Klosterkultur zu erhalten. Ein Einblick in die dunkle Seite der Klosterwelt erinnert an die alltäglichen Probleme, die im Kontext der evangelischen Räte von Keuschheit, Armut und Gehorsam entstehen, und ermöglicht eine überzeugendere, realitätsnahe Analyse frühneuzeitlichen Klosterlebens.5 Viertens: Besonders im achtzehnten Jahrhundert wurde die juristische Souveränität der Klöster durch staatliche Autoritäten hinterfragt oder sogar rundweg bestritten. Klösterliche Kriminalprozesse und Klosterkerker sind daher ein Brennpunkt in der Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche, und neues Wissen über sie bereichert konsequenterweise auch unser Bild von Staat und Kirche im „Langen Achtzehnten Jahrhundert“. Fünftens: Klösterliches Kriminalrecht ermöglicht es Historikern, eine vergessene Gender-Perspektive genauer unter die Lupe zu nehmen: Gab es Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Orden im Hinblick auf Vergehen und ihre Bestrafung? Gab es körperliche Strafen auch in Frauenklöstern? Zu guter Letzt ist eine Geschichte der Klosterkerker und des Klosterstrafrechts notwendig, um die vielen Legenden und Gerüchte, die vor allem antiklerikaler und antikatholischer Literatur entstammen, zu korrigieren.

Es bleibt die Frage, warum Klosterkerker selbst unter Fachhistorikern so gut wie unbekannt sind. Trotz der Tatsache, dass selbst der berühmte Karmelitenheilige und Kirchenlehrer Johannes vom Kreuz (1542–1591) einmal ein ganzes Jahr im klostereigenen Kerker schmachtete (1577/78)6, ist der carcer oder das ergastulum als Verwahrungsort für Mönche und Nonnen7 aus dem Bewusstsein verschwunden. Selbst Standardwerke zur Geschichte des Katholizismus erwähnen Klosterkerker nur nebenbei und vermeiden die Frage, wie Klöster (und Bistümer) mit Priestern und Ordensleuten umgingen, die wegen ihrer Vergehen gegen Ordensregeln, Kirchenrecht oder biblische Normen als „geächtet“ oder als „Kriminelle“ angesehen wurden. Dies ist umso erstaunlicher, da schwere Vergehen einen Kriminalprozess erforderten, der je nach Ordensgemeinschaft genau geregelt war.8

Es ist das Ziel dieses Buches zu demonstrieren, dass Klosterkerker und klösterliche Kriminalprozesse einen komplexen Teil des Klosterlebens ausmachten und dessen Dynamik zwischen Reformation und Aufklärung beeinflussten, sowie den Leser zu neuen Forschungsfeldern hinzuführen, welche diese Erkenntnisse eröffnen. Der Fokus dieser Studie liegt auf Zentraleuropa, besonders auf den deutschsprachigen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, obwohl auch Vergleiche zu anderen europäischen Kulturgebieten gezogen werden. Die Geschichte dieser Gefängnisse erlaubt uns eine neue, erfrischende Perspektive darauf, wie Orden ihren „heiligen Raum“ vom Profanen abgrenzten. Wenn Mönche oder Nonnen inhaftiert wurden, betrachteten sie die Autoritäten des Ordens nicht mehr als Teil des „heiligen Raumes“ der Klausur und daher nicht mehr als Mitglieder ihrer Kommunität. Während kleinere Vergehen nicht die Verbindung zur Kommunität zerstörten, wurde ein Fluchtversuch aus dem Kloster als schweres Vergehen angesehen, das im Wiederholungsfalle zu ewiger Einkerkerung führen konnte. Ordensleute, welche zu lebenslanger Haft verurteilt waren, wurden von Prioren, wie zumindest ein Fall belegt, ermahnt, ihr Schicksal als irdisches Fegefeuer und daher als letzte Chance auf ihre Erlösung im Jenseits anzunehmen. Die Geschichte der Klosterkerker zeigt zudem, dass es kaum einen Unterschied gab zwischen der Bestrafung einer Sünde, einem Verbrechen, und der Übertretung kircheninterner Gesetze. Eine solche Unterscheidung war anscheinend weniger wichtig als der Schutz einer makellosen, heiligen Klausur. Anders als mittelalterliche Stadtgefängnisse war der Klosterkerker unzugänglich für Nicht-Ordensmitglieder.

Auf der Grundlage archivalischer und gedruckter Quellen werde ich versuchen aufzuzeigen, wie man sich das Leben in einer klösterlichen Kerkerzelle vorzustellen hat, welchen körperlichen Züchtigungen man unter Umständen unterworfen war, aber auch wie man zu allererst überhaupt zu Kerkerhaft verurteilt werden konnte.

Klostergefängnisse waren keine freistehenden und vom Rest der Klausur abgeschnittenen Gebäude, sondern meistens Kellerzellen oder speziell ausgewiesene und verschließbare Räume auf höheren Etagen. Nicht einmal die bahnbrechende Arbeit Michel Foucaults (1926–1984), Überwachen und Strafen (1975), die behauptet, dass Gefängnisse als Justizvollzugsinstitutionen erst um 1800 aufkamen, und feststellt, dass frühneuzeitliche Inkarzerierung nur für Bettler, Vaganten und Schuldner vorgesehen war, erwähnt die klösterliche Einrichtung. Auch Pieter Spierenburgs Studie, The Prison Experience (1991), welche einige von Foucaults zentralen Thesen relativierte9, kennt keine Klosterkerker, obwohl sein Argument, säkulare Gefängnisse seien in den Niederlanden und Deutschland bereits im siebzehnten Jahrhundert nachweisbar, durch die Klöster eine nachhaltige Bestätigung erfahren hätte.10

Es gibt also zahlreiche Hinweise auf Klostergefängnisse in Archivalien und gedruckten Quellen. Warum wurden sie von Historikern konsequent ignoriert?11 Ein Grund ist wohl darin zu suchen, dass Historiker zu vorsichtig waren und den Gerüchten der anti-klösterlichen Literatur der Aufklärung12 über dunkle Verliese in Klöstern, mönchische Tyrannei und religiösen Fanatismus nicht einen Deut historische Wahrheit beimaßen. Bei genauerer Untersuchung hätte aber ein durchaus wahrer Kern dieser Erzählungen eruiert werden können. Ein Beispiel ist die Denunziation des Frauenklosters von Reutberg im Jahr 1769 bei der kurbayerischen Regierung: Besorgte Bürger meinten in der Hysterie der Klosterkerkeraufhebungsgesetze, eine arme Nonne schmachte dort in einem unmenschlichen Verlies seit Jahrzehnten vor sich hin. Eine Untersuchung ergab, dass keine einzige Nonne eingekerkert war, dass aber etwa 17 Jahre zuvor eine geistig verwirrte Nonne in der Tat „an die Kette gelegt“ worden und bald darauf verstorben war.13

Ein anderer Grund liegt sicher darin, dass die frühneuzeitliche Kirchen- und Klostergeschichte bis vor einigen Jahrzehnten fast ausschließlich von Kirchenhistorikern behandelt wurde, welche entweder die Existenz von kirchlichen Gefängnissen verschwiegen, kleinredeten oder apologetisch uminterpretierten.14 Die Vorstellung, dass ein Mönch einen anderen folterte, war gerade für Ordenshistoriker ein unerträglicher...

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