Kapitel 1: Voraussetzungen zur Sicherung sportlicher Spitzenleistungen
Das Hochleistungstraining zielt auf sportliche Spitzenleistungen bei den jährlichen internationalen Höhepunkten wie Europameisterschaften (EM), Weltmeisterschaften (WM) und Olympische Spiele (OS) ab. Durch die besondere Stellung Olympischer Spiele in der Öffentlichkeit und die Tatsache, dass sie nur alle vier Jahre stattfinden, sind olympische Medaillen bzw. der Olympiasieg das „Größte“, was ein Sportler in seiner Karriere erreichen kann. Olympiasieger im Mittel- und Langstreckenlauf gehören wegen der beträchtlichen Konkurrenz in der Welt, aber auch wegen ihrer Wettkampfpräsenz, zu den durch die Bevölkerung und die Medien mit am höchsten geschätzten Sportlern weltweit und das ein Leben lang!
Unter professionellen Bedingungen ist die Vorbereitung solcher Erfolge nur möglich, wenn der Sportler das erforderliche Talent, die entsprechende Motivation und die notwendigen Rahmenbedingungen für das Hochleistungstraining hat. Aus Abb. 1 „Voraussetzungen zur Erreichung sportlicher Höchstleistungen“, sind die aus Sicht der Trainerpraxis notwendigen Bedingungen abzulesen, die im Endeffekt zu sportlichen Spitzenleistungen führen können. Dabei spielen die Faktoren „Talent + Arbeit + Organisation + Belastbarkeit“ die größte Rolle. Das heißt, dass Hochbegabte, die nicht zur notwendigen Trainingsbelastung bereit sind, ständig verletzt sind (Bindegewebsschwächen) und in ihren Voraussetzungen (besonders in der Belastbarkeit) im Kinder- und Jugend-Aufbautraining nicht systematisch aufgebaut wurden, nur selten die Weltspitze erreichen.
Wenn am Tag x alle vier Jahre z.B. bei den Olympischen Spielen – vielleicht um 16.30 Uhr – das Finale stattfindet und der Sportler Sieger sein oder zu den Besten der Welt gehören will, muss er zu diesem Zeitpunkt eine der Weltspitze entsprechende, bis dahin höchste Leistungsfähigkeit (persönliche Bestleistung), seine höchste sportliche Form erreichen und auch zur optimalen „Leistungsabgabe“ (Leistungs-/Kampfbereitschaft) bereit und fähig sein!
Sportler mit solchen Fähigkeiten und Zielen und ihre Trainer denken in „Olympiazyklen“. Das bedeutet, dass in den vier Jahren zwischen zwei Olympischen Spielen alles diesem Ziel untergeordnet und der Leistungsaufbau so vorgenommen wird, dass im Olympiajahr die höchste Belastung realisiert werden kann. Die dazwischen liegenden sportlichen Aufgaben – Europameisterschaften und Weltmeisterschaften – sind im Sinne von „Zwischenzielen“ ebenfalls gewissenhaft vor-, aber auch nachzubereiten, damit alle Erfahrungen letztendlich in die Olympiavorbereitung eingebracht werden können. Trotzdem hat für die Weltbesten das Olympiajahr immer eine besondere Bedeutung.
Streben Sie nach einer Verallgemeinerung von Bestlösungen
Das heißt, das absolvierte Training, das zu persönlichen Bestleistungen oder zu sehr guten Leistungen, zu Medaillengewinnen führte – Erfahrungen bilden die Grundlage für die immer wieder zu präzisierende, jährliche, konkrete Trainingsplanung. Dabei sollten Sie für Ihren Sportler herausfinden, welche Leistungsausprägung innerhalb der letzten 10-14 Tage sowie der letzten 3-4 Tage zu solchen Leistungen führte. In der Trainingspraxis zeigt sich, dass erfolgreiche Trainingskonzepte, auf immer höherem Niveau wiederholt, auch immer wieder zu guten Leistungen führen!
Dies setzt voraus, dass vor allem die Vorbereitung persönlicher Bestleistungen auf der Grundlage gewissenhafter Protokollierung analysiert wird und als Grundlage für das weitere trainingsmethodische Vorgehen verallgemeinert gilt. Die Orientierung auf die Weltspitze ist von den gültigen Weltrekorden (bei Einschränkungen von WR aus der „Anabolikaära“ ), bei Berücksichtigung abzusehender Entwicklungstrends, abzuleiten, weil man davon ausgehen muss, dass immer zum Zeitpunkt Olympischer Spiele Sportler über eine Leistungsfähigkeit verfügen, die, bei entsprechenden Wettkampfbedingungen und Rennverläufen, einen neuen Weltrekord zulassen würde! In der nachfolgenden Übersicht macht die Stellung der deutschen Lauf-/Gehrekorde im Vergleich zu den bestehenden Weltrekorden deutlich, dass der Abstand zur Weltspitze in allen Disziplinen relativ groß ist. Betrachtet man die Breite in den aktuellen deutschen Bestenlisten (z.B. die Leistungen der ersten 10), wird die Vernachlässigung der Arbeit im Nachwuchsleistungssport im letzten Jahrzehnt deutlich. Hoffnung macht die Tatsache, dass in den 1980er-Jahren von den deutschen Trainern und Athleten in Ost und West viel bessere Leistungen als derzeit erarbeitet wurden, das trainingsmethodische Wissen also vorhanden sein müsste. Neben zu verändernden Rahmenbedingungen ist wohl in erster Linie ein nationales Bekenntnis zur Leistung und Elite Voraussetzung für eine internationale Konkurrenzfähigkeit unserer Läufer und Geher.
Tab. 1: Weltrekorde (Stand: 7/2013) im Vergleich zu deutschen Rekorden
1:40,91 min/1:43,65 min | 800 m | 1:53,28 min/1:55,26 min |
3:26,00 min/3:31,58 min | 1.500 m | 3:50,46 min/3:57,71 min |
12:37,35 min/12:54,70 min | 5.000 m | 14:11,15 min/14:42,03 min |
7:53,63 min/8:09,48 min | 3.000-m-Hindernis | 8:58,81 min/9:18,54 min |
26:17,53 min/27:21,53 min | 10.000 m | 29:31,78 min/31:03,62 min |
2:03:38 h/2:08:47 h | Marathon | 2:15:25 h/2:19:19 h |
Aufgrund der weiter gestiegenen Kommerzialisierung im Hochleistungssport und der stürmischen Entwicklung in den Laufdisziplinen, besonders in den afrikanischen und asiatischen Ländern, wurden auch in den letzten Jahren neue Weltrekorde aufgestellt, hat die Leistungsdichte in allen Laufdisziplinen weiter zugenommen. Eine solche Entwicklung im Spitzenbereich der Weltelite lässt den Schluss zu, dass in den nächsten Jahren in den Ausdauerdisziplinen in Spitze und Breite noch keine Stagnation eintreten wird, zumal die IAAF bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch kein weltweit sicheres und wirksames Doping- bzw. Trainingskontrollsystem durchgesetzt hat. Damit ist z. Zt. ein fairer, gleichberechtigter Wettbewerb auf der Weltbühne nicht gegeben. Gelingt dies eines Tages, ist zunächst mit einer Abflachung weiterer Leistungsfortschritte zu rechnen. Außergewöhnliche Talente werden aber bei optimaler Vorbereitung in früher Zukunft noch weiterhin für neue Weltrekorde sorgen.
Aus Analysen und den in der nachfolgenden Tabelle vorgegebenen Prognoseleistungen sollten Läufer/Geher und Trainer ihre Aufgaben und Ziele für die nächsten Jahre ableiten und überlegen, wie sie das Tempo ihrer eigenen Leistungsentwicklung erhöhen können. Bei ihrer Planung muss aber berücksichtigt werden, dass sich auch die Gegner im vergleichbaren Zeitraum in der Regel mindestens genauso schnell weiterentwickeln.
Die wichtigsten Voraussetzungen zur Erhöhung des Entwicklungstempos im Laufen und Gehen sind die notwendige Zeit für das Hochleistungstraining, kompetente, qualifizierte Trainer, eine möglichst optimale Nutzung des Höhentrainings sowie eine offensive sportwissenschaftliche Begleitung des Trainingsprozesses durch entsprechende Teams (Sportmedizin, Physiotherapie, Psychologie, Ernährungswissenschaftler).
Der bisherige Entwicklungsstand lässt die Prognose zu, dass eine Zugehörigkeit zur Weltspitze (als Voraussetzung zu einer erfolgreichen Teilnahme an WM/OS Finale Platz 1-8) in den nächsten Jahren folgende Leistungsfähigkeiten in den Lauf-/Gehdisziplinen voraussetzt.
Tab. 2: Leistungsvoraussetzungen in den Lauf-/Gehdisziplinen
800 m | 7,76 m/s | 1:43,0 min | 6,86 m/s | 1:56,5 min |
1.500 m | 7,12 m/s | 3:30,5 min | 6,33 m/s | 3:57,0 min |
5.000 m | 6,49 m/s | 12:50 min | 5,71 m/s | 14:35 min |
10.000 m | 6,21 m/s | 26:50 min | 5,48 m/s | 30:25 min |
3.000-m-Hi. | 6,25 m/s | 8:00 min | 5,47 m/s | 9:05 min |
Marathon | 5,58 m/s | 2:06:00 h | 4,95 m/s | 2:22:00 h |
20 km Gehen | 4,26 m/s | 1:18:20 h | 3,83 m/s | 1:27:00 h |