DER DUALE SPIEGEL
Die Realität tritt uns in zwei Formen entgegen: einer physischen, die wir anfassen können, und einer metaphysischen, die jenseits unserer Wahrnehmung liegt. Beide Formen existieren gleichzeitig, sie durchdringen und ergänzen einander. Der Dualismus scheint eine inhärente Eigenschaft unserer Welt zu sein. Zu vielen Dingen gibt es einen Gegenpol.
Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einem Spiegel. Sie selbst sind ein real existierendes physisches Objekt. Ihre Reflexion, die keinerlei materielle Substanz hat, scheint metaphysisch zu sein, doch gleichzeitig ist sie ebenso real wie Ihre eigene Gestalt.
Die ganze Welt können wir uns als einen riesigen dualen Spiegel vorstellen, auf dessen einer Seite das physische Universum liegt, während sich zur anderen Seite der metaphysische Variantenraum erstreckt. Im Unterschied zur Situation mit einem gewöhnlichen Spiegel stellt die materielle Welt die Reflexion dar, der Gottes Absicht und Gedanken Form verleihen; auch alle Lebewesen sind seine Verkörperungen.
Der Variantenraum ist eine Art Matrix, ein Strickmuster, nach dem sich der “Zuschnitt”, das “Nähen” und auch die “Mode” richtet – kurzum, die Bewegung der gesamten stofflichen Welt. Dort ist die Information über alles gespeichert, was in der materiellen Welt geschehen wird und auch wie. Die Menge der potenziellen Möglichkeiten ist unendlich. Eine Variante ist ein Sektor des Raumes, in dem Drehbücher und Bühnenbilder gespeichert sind, also die Vorgaben für die Bewegung der Materie. Mit anderen Worten, der Sektor legt fest, was im einzelnen Fall zu geschehen hat und wie die Entwicklung der Ereignisse vonstattengeht.
Auf diese Weise teilt der Spiegel die Welt in zwei Hälften: Realität und Schein. Alles, was in der Materie Form angenommen hat, befindet sich auf der realen Hälfte und verhält sich entsprechend den Naturgesetzen. Die Wissenschaft und auch die herkömmliche Weltanschauung befassen sich nur damit, was in der “Wirklichkeit” geschieht. Üblicherweise versteht man all das unter “Wirklichkeit”, was sich wahrnehmen und direkt beeinflussen lässt.
Wenn wir die metaphysische Seite der Realität ablehnen und nur die materielle Welt in Betracht ziehen, werden wir gezwungenermaßen die Handlungen aller Lebewesen, einschließlich der der Menschen, auf die primitive Bewegung im Rahmen der inneren Absicht reduzieren. Bekanntlich versucht man mithilfe der inneren Absicht, durch direkte Einwirkung auf die Umwelt seine Ziele zu erreichen. Um etwas zu erreichen, muss man bestimmte Schritte unternehmen, drängeln, die Ellenbogen gebrauchen und eine konkrete Arbeit verrichten.
In der Tat reagiert die materielle Welt augenblicklich auf direkte Einflussnahme, und so entsteht die Illusion, wir könnten nur auf diese Weise zu greifbaren Ergebnissen kommen. Eigentlich jedoch wird so der Umfang der erreichbaren Ziele stark eingeschränkt. Man kann nur mit tatsächlich Vorhandenem rechnen. Alles hängt ab von finanziellen Mitteln, an denen es gewöhnlich mangelt, und von guten Gelegenheiten, die auch eher rar sind.
In dieser Welt ist letztlich alles von Rivalität und Konkurrenzdenken durchdrungen. Zu viele wollen das Gleiche erlangen. Und im Rahmen der inneren Absicht wird es natürlich nicht für alle reichen. Woher sollten dafür auf einmal die notwendigen Bedingungen und Umstände kommen? Ja woher wohl – eben aus dem Variantenraum!
Auf jener Seite des Spiegels gibt es alles im Überfluss, noch dazu ohne jede Konkurrenz. Es ist nicht wie in einem Warenladen, wo man direkt etwas einkauft; vielmehr kann man eine Bestellung aufgeben, als würde man aus einem Katalog auswählen, und das hat seinen eigenen Reiz. Früher oder später wird die Bestellung geliefert, und man braucht nicht einmal dafür zu bezahlen. Man muss nur bestimmte Bedingungen erfüllen, die aber nicht schwer einzuhalten sind. Ist das alles jetzt etwa ein Märchen?
Mitnichten! Es ist völlig real. Die Energie unserer Gedanken geht nicht spurlos verloren, sie kann einen Sektor des Variantenraums zur Manifestierung bringen, je nach den Parametern der gedanklichen Ausstrahlung. Es scheint nur so, als wäre alles, was in dieser Welt vorhanden ist, eine Folge der Wechselwirkung materieller Objekte. Eine nicht minder wichtige Rolle spielen Prozesse, die auf der feinstofflichen Ebene ablaufen, wenn virtuell existierende Varianten in der Realität Gestalt annehmen. Die Kausalzusammenhänge der feinstofflichen Vorgänge sind längst nicht immer erkennbar, und doch bilden sie gut die Hälfte der gesamten Realität.
Die Materialisierung von Sektoren des Variantenraums findet in der Regel unabhängig vom Willen ab, da der Mensch seine Gedanken nicht zielgerichtet anwendet – ganz zu schweigen von weniger entwickelten Wesen. Wie in Band 1 dieser Serie beschrieben, beeinflussen die Gedanken die Wirklichkeit in erster Linie dadurch, dass sich die schlimmsten Erwartungen realisieren.
Wer im Alltag des Lebens angekommen ist, schleppt sich an leeren Regalen vorbei und streckt dabei die Hand nach einer Ware aus, an der ein Schild hängt mit der Aufschrift “verkauft”. Zu erhalten sind nur minderwertige Produkte, und das zu gesalzenen Preisen. Doch statt einfach in den Katalog zu schauen und eine Bestellung aufzugeben, macht sich der Mensch mit seinem ziellosen Suchen nur selbst verrückt, stellt sich in langen Warteschlangen an, versucht sich mit aller Kraft einen Weg durch die Menge zu bahnen und beginnt mit Verkäufern und anderen Kunden zu streiten. Doch was er will, bekommt er trotzdem nicht, und seine Probleme nehmen nur zu.
Diese freudlose Realität bildet sich vor allem im Bewusstsein des Menschen, und von dort geht sie allmählich in die Wirklichkeit über. Jedes Lebewesen erschafft durch seine Handlungen und auch durch seine Gedanken seine eigene Weltschicht. Diese Schichten überlagern sich, und so trägt jedes einzelne Lebewesen zur Bildung der Realität bei.
Jede Weltschicht ist durch ihre eigene Zusammenstellung von Bedingungen und Umständen charakterisiert, aus denen sich die Lebensweise des Individuums ergibt (im Folgenden soll nur von Menschen die Rede sein). Die Lebensbedingungen können ganz unterschiedlich sein: günstig oder weniger günstig, komfortabel oder karg, friedlich oder aggressiv. Natürlich spielt auch die Umgebung, in die man hineingeboren wurde, eine Rolle. Doch später entwickelt sich das Leben hauptsächlich danach, wie man zu sich selbst steht und sich anderen und der Umgebung gegenüber verhält. In vieler Hinsicht sind die Veränderungen in der Lebensweise durch die eigene Weltanschauung bestimmt. Manifestieren wird sich jener Sektor des Variantenraums, dessen Drehbuch und Bühnenbilder der gedanklichen Ausrichtung und der Gesinnung des Menschen entsprechen.
Auf diese Weise sind an der Bildung der Weltschicht zwei Faktoren beteiligt: zum einen der Spiegel, die innere Absicht, und zum anderen die äußere Absicht. Durch seine konkreten Handlungen übt der Mensch einen Einfluss auf die Objekte der materiellen Welt aus, und mit seinen Gedanken verwirklicht er das, was es zurzeit noch nicht für ihn gibt.
Wer davon überzeugt ist, dass das Beste in dieser Welt schon verkauft ist, dem bleiben in der Tat nur leere Regale. Wenn er glaubt, er müsse für gute Ware lange anstehen und viel bezahlen, so geschieht dies auch. Wer voller Pessimismus und Zweifel ist, der bekommt genau diese Erwartungen bestätigt. Und wer sich auf eine unfreundliche Umgebung einstellt, dessen Vorahnungen werden sich ebenfalls erfüllen. Dabei braucht man sich nur von dem unschuldigen Gedanken leiten zu lassen, dass die Welt einem das Allerbeste zu bieten hat, und schon wird sich diese Sicht irgendwie bewahrheiten.
Ein Sonderling, der keine Ahnung hat, wie schwer es sein kann, etwas zu bekommen, führt sich am Ladentisch eines Tages so auf, als wäre die Ware eigens für ihn bestellt worden. Und siehe da: Als erster Kunde bekommt er alles umsonst! Hinter ihm steht schon eine lange Schlange von Leuten, die die Realität viel düsterer sehen. Für den Einfaltspinsel hingegen läuft alles wie von selbst.
Das Leben ist ein Spiel, in dem die Welt ihren Bewohnern ständig ein und dasselbe Rätsel aufgibt: “Rate mal, wie ich bin.” Und jeder antwortet gemäß seiner Vorstellungen: “Du bist aggressiv” oder “du bist gemütlich”. Oder “lustig, finster, freundlich, feindlich, glücklich, unglücklich”.
Das Interessante dabei ist: Bei diesem Quiz gewinnt jeder! Die Welt spielt mit und zeigt sich jedem in dem Gewand, das er bestellt hat. Und wenn der erfolgreiche Sonderling eines Tages auf die “Realität des Lebens” trifft, wird sich seine Einstellung zur Welt und damit auch seine Realität selbst verändern. Sie wird den “Einsichtigen” ans Ende der Warteschlange befördern.
So also formt der Mensch, kraft seiner Gedanken, die Schicht seiner Welt. Dieser Vorgang lässt sich mit einer Reihe von Prinzipien erklären. Wir wollen hier das erste Spiegelprinzip formulieren:...