Wie kein anderes Land beherrscht Burma das Kunststück, entweder staubig zu sein oder schlammig. Manchmal sogar beides gleichzeitig. Völlig unvermittelt wechselt das Erdreich zwischen den beiden Aggregatzuständen, unabhängig von Regen- oder Trockenzeit, Norden oder Süden, Stadt oder Land. Es ist die Wiedergeburt von Staub aus Schlamm aus Staub, ein Samsara des Schmutzes. Denn bei Kontakt mit Wasser verwandelt sich der Staub augenblicklich in einen zähen Schlamm, der zudem eine stark rot färbende Eigenschaft besitzt.
Anhand der Farbe deiner Schuhe und Füße kann man erkennen, ob du in Burma gewesen bist.
»When you’re in Rome, do as the romans do«, sagt das Sprichwort, und die Burmesen tragen zu jeder Gelegenheit Latschen, selbst zum Galadinner. Als Europäer jedoch fühlt man sich damit manchmal nackt. Oder du hast Angst, dir die Zehen zu stoßen, nicht ganz unberechtigt in einem Land voller Schlaglöcher und offener Abwasserkanäle, in die du schnell achtlos hineinstolperst. Und im Winter ist es kalt. Im Norden Burmas gehen die Temperaturen bis auf den Gefrierpunkt zurück. Kein Klima für Flipflops.
Unsere Reise in den Norden Burmas, um dort einen Dampfer zurück nach Mandalay zu besteigen, wird die letzte sein für ein Paar marineblaue Prada-Slipper, das mir über fünf Jahre gute Dienste geleistet hat, sich aber inzwischen in einem fortgeschrittenen Zustand der Auflösung befindet. Mandalay, Ausgangs- und Zielpunkt unserer Reise, ist eine der staubigsten Städte der Welt, eine absolut tödliche Umgebung für Schuhe, zumal für solche aus Wildleder … aber erst einmal soll es in die Berge gehen.
Vom Flughafen fahren wir mit dem Sammeltaxi, einem alten, weißen Toyota, direkt auf das Shan-Plateau. Das ehemalige Maymyo (benannt nach dem englischen Colonel May und dem burmesischen Wort Myo für Stadt) und heutige Pyin Oo Lwin war dank der europäisch anmutenden Temperaturen zu Kolonialzeiten die beliebteste Sommerfrische der Briten. Im Sommer gedeihen hier Erdbeeren und Äpfel, im Winter ist es frisch, aber sonnig.
Nur ein paar Kilometer nach dem Flughafen schraubt sich der Wagen die Berge hinauf, Mandalay versinkt in Dunst und Staub, während die Temperaturen stetig fallen. Pyin Oo Lwin liegt tausend Meter über dem Meeresspiegel. Zahlreiche Bauten im kolonialen Stil, wie das berühmte und heute als Hotel genutzte »Candacraig« oder der »Craddock Court«, erinnern an die Vergangenheit der Stadt. Damals wurde sie »Hill Station« genannt, da sie am Beginn der Burma Road liegt, einer strategisch wichtigen Nachschubstraße im Zweiten Weltkrieg, die Burma mit der südchinesischen Provinz Yunnan verband. Inzwischen rasen hier mit Baumstämmen beladene Tieflader Richtung China, und jedes Überqueren der Straße wird zum Glücksspiel.
Noch heute leben hier zahlreiche Nachfahren von indischen Militärangehörigen und nepalesischen Gurkhas, die ähnliche Probleme mit der Staatsbürgerschaft haben wie die muslimische Volksgruppe Rohingya im Rhakine-Staat. Ihre charakteristische Zuverlässigkeit, die schon die Briten zu schätzen wussten, macht die Nepalis übrigens zu beliebten Arbeitskräften in der Gastronomie im benachbarten Thailand. Ein amerikanischer Gastronom in Bangkok verriet mir letztens, er gebe ihnen heimlich mehr Geld als den Thais, weil sie allein die ganze Arbeit erledigten.
Die Nacht im Hotel ist eisig, ich kann meinen Atem sehen, doch die Tage sind sonnig, die Luft am Morgen herrlich klar. Neben mehreren Lagen von Steppdecken hat man uns ein tönernes Stövchen mit glühenden Kohlen ins Zimmer gestellt, das am Morgen ausgebrannt ist. Ich habe eine Daunenjacke dabei, aber insgeheim bedauere ich schon jetzt, dass ich keine Socken mitgenommen habe. Aber wer trägt schon Slipper mit Socken? Da muss ich jetzt durch. Das Personal, bekleidet mit Longyis – den traditionellen Wickelröcken –, dicken Jacken, Pudelmützen und Handschuhen mit abgeschnittenen Fingern, serviert das typisch burmesische Frühstück für Ausländer: zwei ölige Spiegeleier, einen seltsam süßlichen Toastersatz, Streichfett und undefinierbare Konfitüre, die sich keiner Frucht zuordnen lässt. Die üblichen Bananen überlasse ich meinen Mitreisenden. Ich konnte Bananen und ihre schleimige Konsistenz noch nie leiden.
Wer morgens Fisch-Nudel-Suppe mag, sollte sich lieber das burmesische Frühstück, eine Mohinga, servieren lassen. Wenn man nicht gerade in Luxushotels unterwegs ist, ist die immer die bessere Wahl.
Ruckelnd über den Abgrund
Die berühmte Gokteik-Eisenbahnbrücke ist ein waghalsiges Konstruktionswunder. Und eine Bahnfahrt eine Prêt-à-porter-Show der burmesischen Art.
Unbedingt wollen wir die Brücke überqueren, die jahrzehntelang für Ausländer gesperrt war und auf der – weil es als ein strategisches Bauwerk galt – Fotoverbot herrschte. Der 1900 fertiggestellte Viadukt, einst die zweithöchste Brücke der Welt, ist siebenhundert Meter lang und hat mehr als hundert Jahre fast ohne Wartung überstanden. Eine neue Brücke, welche die Regierung vor ein paar Jahren durch das Tal bauen ließ, wurde prompt in der ersten Regenzeit weggeschwemmt, ihre Überreste lassen sich bei der Fahrt über die alte Brücke von oben bewundern.
Interessant in Burma ist die Prozedur des Fahrkartenkaufs. Als Ausländer benötigt man dafür einen Reisepass, dessen Nummer penibel in allerlei Listen und Bücher übertragen wird. Wie früher das ganze Land, so erinnert heute zumindest noch die Bürokratie an eine tropische DDR. Zugfahren selbst ist unschlagbar billig und ein umfassendes Erlebnis, besonders in der zweiten Klasse, die dem Wort »Holzklasse« seine ganz reale Bedeutung zurückgibt. Hier sitzen die Einheimischen, gern im Schneidersitz, auf den Bänken, mit Taschen aller Art voller Waren für ihre Dörfer.
Noch vor der Abfahrt und an jedem Halt drängen Männer und Frauen, die riesige Tabletts auf dem Kopf balancieren, durch die Gänge, um diverse Snacks zu verkaufen. Die kleinen Wachteleier, abgepackt in Plastiktüten, sind wirklich lecker, man bekommt sie überall. Dabei habe ich in Burma noch nie eine Wachtel gesehen. Irgendwo muss es riesige, geheime Wachtelfarmen geben.
Der Zug bietet ausgiebig Gelegenheit, die burmesische Wintermode zu studieren, die einen ganz eigenen Chic besitzt, der rein gar nichts mit unseren westlichen Stilvorstellungen zu tun hat. Burmesinnen sind Meisterinnen im Mustermix, und auch der Farbgeschmack ist ein völlig anderer, gern werden matte Pastellfarben der Fünfzigerjahre mit traditionellen Mustern kombiniert. Zum Longyi tragen sie gern mehrere Lagen Oberbekleidung, eine Mütze in Comic-Tierform und ein farblich passend gekleidetes Kind im Arm. Dazu Trachtenteile der entsprechenden Bergvölker, denen die Trägerinnen angehören, und individuelle Muster im Gesicht, die mit Thanaka-Paste gemalt werden. Handtuchartige karierte Stoffe mit Fransen werden manchmal noch zum Turban um den Kopf geschlungen – alles in allem ein Ethno-Asia-meets-Comic-Look, der auch in westlichen Großstädten gut funktionieren könnte. Nach etwa zwei Stunden ruckeliger Fahrt – die Waggons des Zuges sind ein Geschenk aus Nordkorea, das bis vor nicht allzu langer Zeit das einzige Land war, das freundschaftliche Beziehungen zu Burma pflegte –, kriecht und ächzt der Zug in einer lang gezogenen Linkskurve auf den Viadukt zu, und der Blick wird frei auf die Schlucht.
Bevor er sie überquert, stoppt der Zug ein paar Minuten, als ob er Luft holen müsste. Dann fährt er wieder weiter, nicht schneller als im Schritttempo.
Man will der altersschwachen Konstruktion nicht zu viel zumuten, und tatsächlich: Die Brücke ist einspurig und so schmal, dass man aus dem Fenster direkt in einen dreihundert Meter tiefen Abgrund schaut.
Ich muss daran denken, dass ein Einheimischer mir einmal erzählte, dass die Brücke alle fünf Jahre von Dorfbewohnern gestrichen wird, die dafür zehn Dollar pro Tag bekommen. Ein gut bezahlter und gesuchter Job hier.
An der Station nach dem Gokteik steigen wir wieder aus, aber auf den Zug zurück wollen wir nicht warten. Taxis gibt es nicht, Busse auch nicht, doch ein freundlicher Bahnwärter bringt uns einen nach dem anderen mit dem Moped an die Hauptstraße und hält einen Pick-up für uns an. Nach fast vier Stunden über Serpentinen und Staubstraßen sind wir zurück in Pyin Oo Lwin und genehmigen uns in dem netten »Golden Triangle«-Café an der Hauptstraße einen erstaunlich guten Cappuccino und ein Stück Torte.
Für eine Handvoll Kyat
Buddha ist uns wohlgesonnen: Wir dürfen nach Bhamo fliegen. Aktuell kein Sperrgebiet, wollen wir hier unseren Dampfer nach Mandalay besteigen.
Tatsächlich lässt sich Burma bestens bereisen, obwohl es auf den ersten Blick kein Verkehrsmittel gibt – solange man kein Problem damit hat, mal auf einem Pick-up oder Ochsenkarren mitzufahren. Und solange es nicht wichtig ist, einen Tag früher oder später irgendwo anzukommen. Irgendeine Art der Fortbewegung lässt sich immer finden für eine Handvoll Kyat, wenn du dich ein bisschen entschleunigst. Nur bei Flügen sollte man sich nicht auf den Zufall verlassen. Mein letzter Versuch, den Ayeyarwady mit dem Boot hinunterzufahren, war schlicht daran gescheitert, dass ich keine zwei Wochen auf einen Inlandflug warten konnte, der mich in die Stadt Bhamo im nördlichen Kachin-Staat hätte bringen sollen.
Außerdem waren die Informationen damals widersprüchlich, ob Ausländer überhaupt mit dem lokalen Boot weiterfahren durften oder ob man Myitkyina und Bhamo...