Einleitung
Haben Sie schon einmal ganz friedlich an einer Bahnsteigkante gestanden und plötzlich, aus heiterem Himmel gedacht: „Ich könnte runterspringen und sterben!“? Oder ist Ihnen der Gedanke durch den Kopf geschossen: „Hey, ich könnte diesen Typen da auf die Gleise schubsen!“?
90 Prozent aller Befragten würden mit Ja antworten.
Aber uns brennen noch weitere einschlägige Fragen unter den Nägeln. Befürchten Sie, dass Ihre Gedanken Sie dazu verleiten könnten, etwas Schreckliches zu tun? Oder werden Sie von dem Gedanken geplagt, dass Sie ohne es zu merken bereits etwas Schlimmes getan haben? Oder glauben Sie, dass es etwas zu bedeuten hat, wenn Sie auf solche Gedanken kommen? Oder bringt ein Gedanke Sie schier um den Verstand, weil Sie ihn einfach nicht aus Ihrem Kopf herauskriegen? Oder graut Ihnen davor, dass diese bizarren, abstoßenden oder brutalen Szenen, die sich immer und immer wieder in Ihrer Vorstellung abspielen, ein Zeichen dafür sein könnten, dass Sie total verkorkst sind und sich deswegen schämen müssten? Hoffen und beten Sie, diese Gedanken mögen niemals mehr wiederkehren? Aber sie kehren wieder und hören nicht auf, Sie zu bedrängen. Sie haben sich in Ihren Kopf hineingebohrt und stecken fest.
Diese schrecklichen, nervigen und beängstigenden Gedanken, die sich Ihnen aufzwingen, haben einen Namen: belastende aufdringliche Gedanken bzw. Zwangsgedanken (intrusive Gedanken in der Fachsprache). Wer hat sie? Ganz normale, anständige Menschen. Wenn Sie von beunruhigenden Gedanken gequält werden – die Sie nicht haben wollen und die Sie niemandem erzählen können –, dann lesen Sie dieses Buch: Es könnte Ihr Leben verändern.
Unsere erste Botschaft lautet: Sie sind nicht allein. Millionen andere erleben dasselbe. Nette Leute denken fiese Dinge. Herzensguten Menschen kommen die brutalsten Ideen. Menschen, die ganz und gar nicht verrückt sind, haben völlig verrückte Einfälle. Sie alle haben wiederkehrende Gedanken, die sich nicht abstellen lassen.
Über den Daumen gepeilt, gibt es allein in den USA mehr als sechs Millionen Menschen, die mindestens einmal im Leben von belastenden aufdringlichen Gedanken tyrannisiert werden. Das Schweigen, die Angst, die Schamgefühle darum verstärken das Leid und führen in die Vereinsamung, denn viele gutherzige Menschen wissen nicht, dass es noch viele andere gibt, denen es genauso geht, und schleppen ihre Last allein mit sich herum.
Unsere zweite Botschaft lautet: Sie sind ausgesprochen mutig. Sie hatten den Mut, dieses Buch zu kaufen, in die Hand zu nehmen und bis hierhin zu lesen. Weil Sie glauben, dass Ihre störenden Gedanken etwas zu bedeuten haben und gefährlich sein könnten, setzen Sie alles daran, sie aus Ihrem Kopf zu vertreiben. Bestimmt haben Sie schon alles Mögliche in dieser Richtung unternommen.
Im Zuge Ihrer Anstrengungen sind Sie wahrscheinlich auf eine sehr frustrierende und wichtige Wahrheit gestoßen: Gedanken verdrängen zu wollen funktioniert bei Ihnen nicht. Das funktioniert bei niemandem.
Daher lautet einer unserer Grundsätze: Wenn Sie weiterhin immer dasselbe tun, bekommen Sie immer dasselbe (Forsythe & Eifert 2007). Umgekehrt heißt das: Probieren Sie etwas anderes aus, dann werden Sie auch etwas erreichen. Der Fehler liegt nicht bei Ihnen, sondern an Ihrer Methode, dies möchten wir als Erstes klarstellen. An dieser Stelle setzt unser Buch an. Was die Not unserer Meinung nach erheblich lindert, ist die Einsicht, dass man nicht allein ist, das Benennen der Gedanken beim Namen sowie ein angst- und schamfreier Umgang damit. Darüber hinaus werden wir Sie auf den aktuellen Wissensstand bezüglich belastender aufdringlicher Gedanken bringen und Ihnen erzählen, welche verschiedenen Arten es davon gibt, wodurch sie genährt werden und welche Methoden am besten helfen, wenn man sich das Leben nicht von diesen Endlosschleifen vermiesen lassen will.
Gut zu wissen: Der Fehler liegt nicht bei Ihnen, sondern an der Art, wie Sie mit Ihren Gedanken umgehen..
Das Folgende ist eine ganze typische Rückmeldung, wie wir sie des Öfteren von Menschen erhalten, nachdem sie über belastende aufdringliche Gedanken aufgeklärt wurden:
„Seit mehr als elf Jahren habe ich eine Angststörung und die meiste Zeit auch intrusive Gedanken. Meine Therapeutinnen kennen sich damit nicht gut aus, und Sie wissen ja, wie mühsam es ist, wenn man versucht, mit anderen darüber zu sprechen.
Ihr Artikel über aufdringliche Gedanken hat mir neue Hoffnung gegeben, vor allem deshalb, weil Sie klarstellen, dass Gewalt oder Sex häufig eine Rolle spielen. Ich dachte, ich wäre geisteskrank und verkorkst – einfach inakzeptabel. Es beim Namen genannt und so klar und deutlich beschrieben zu sehen ist die reinste Offenbarung und bestärkt mich darin, mir Hilfe zu holen.“
Allerdings kommt man bei belastenden aufdringlichen Gedanken gar nicht so einfach an Hilfe. Gespräche mit teilnahmsvollen, aber verständnislosen Freunden oder Familienangehörigen führen meist nicht weiter, sondern verschlimmern die Situation eher noch. Wer es wagt, offen darüber zu sprechen, erhält meist keine adäquate Reaktion. Und von allein verschwindet das Problem leider nicht. Deshalb braucht man ein Selbsthilfebuch, das sich ausschließlich diesem Thema widmet.
Eventuell haben Sie schon mit einem Therapeuten über Ihre belastenden aufdringlichen Gedanken gesprochen oder haben sogar schon eine Diagnose, bei der Intrusionen zum Krankheitsbild gehören. Doch nicht alle Therapeuten wissen, was in diesem Fall zu tun ist. Oder vielleicht haben Sie Hemmungen, darüber zu sprechen. Wenn Sie bisher nichts gefunden haben, was hilft, dann ist dieses Buch genau richtig für Sie. Sie lernen ein praktisches und wirksames Programm kennen, das Ihnen zeigt, wie Sie leben können, ohne dass Ihnen vor Ihren eigenen Gedanken graut und Sie sich davon entmutigen und quälen lassen.
Wie Sie für sich das Beste aus diesem Buch herausholen
Denken Sie daran: Wissen ist Macht. Je mehr Sie über belastende aufdringliche Gedanken wissen, desto weniger werden Sie darunter leiden. Ganz sicher haben Sie den größten Nutzen von diesem Buch, wenn Sie es der Reihe nach, von Anfang bis Ende durchlesen. Da Sie es wahrscheinlich kaum abwarten können und sich unverzüglich an die Arbeit machen wollen, erklären wir von den ersten Seiten an, wie Sie sich von Ihren „Tyrannen“ befreien können, und fahren dann nach und nach fort damit. Betrachten Sie also die Anfangskapitel dieses Buchs als die ersten Schritte auf dem Weg zur Genesung. Es kann sogar sein, dass das schon ausreicht und Sie nichts weiter brauchen.
Kapitel 1 ist vollgepackt mit Fakten über belastende aufdringliche Gedanken inklusive den neuesten Informationen zu diesem Thema. In Kapitel 2 werden die verschiedenen Arten dieser störenden Gedanken ausführlich beschrieben. Kapitel 3 entlarvt die Ammenmärchen, die das Problem noch verstärken, und Kapitel 4 gibt Antworten auf häufig gestellte Fragen. In Kapitel 5 erfahren Sie, wie es kommt, dass bestimmte, zunächst flüchtige Einfälle sich dauerhaft als belastende aufdringliche Gedanken im Kopf einquartieren und welche Rolle Ihr Gehirn dabei spielt. Warum Ihre Anstrengungen erfolglos bleiben und viele der traditionellen Angstmanagementtechniken sogar kontraproduktiv sein können, erklären wir in Kapitel 6. Gute Erklärungen wirken therapeutisch!
Gut zu wissen: Je genauer man über belastende aufdringliche Gedanken informiert ist, desto weniger leidet man darunter..
In Kapitel 7, 8 und 9 erhalten Sie präzise Vorschläge, wie Sie Ihre Glaubenssätze und Einstellungen verändern können und wie Sie Körper, Geist und Seele dahin bringen, anders zu reagieren. Im Großen und Ganzen bauen die Informationen der einzelnen Kapitel aufeinander auf, damit Sie Ihre Kenntnisse bewusst und systematisch anwenden können. Nur so werden Sie die Schmerzen, die Verunsicherung, die Frustration und den Schrecken, die Ihre aufdringlichen Gedanken Ihnen bereiten, überwinden.
Manchmal reicht auch das beste Selbsthilfeprogramm nicht aus. Daher offenbaren wir Ihnen in Kapitel 10, wann es an der Zeit ist, sich professionelle Hilfe zu holen. Und im Einklang mit unserer Auffassung, dass wir uns und unsere Gedanken häufig zu ernst nehmen, haben wir uns in heiterer Manier erlaubt, im Anhang ein bombensicheres Rezept für fest haftende Gedanken vorzustellen.
Wird der Prozess leicht sein? Wahrscheinlich nicht, denn Sie müssen sich viele kontraproduktive Denkmuster wieder abgewöhnen und aufhören, Ihre störenden Gedanken zu unterdrücken und automatisch emotional darauf zu reagieren. Dafür erlernen Sie neue, konstruktivere Formen, wie Sie mit diesen trügerischen Tyrannen in Ihrem Kopf umgehen können. Und da diese neuen Verhaltensweisen zuerst gar nicht so selbstverständlich sind, müssen Sie sie trainieren. Wir werden Ihnen jedoch ganz genau erklären, wie das geht und wie Sie Ihre emotionalen Reaktionen umlernen können. Lernt man tanzen, indem man sich die Bewegungen in Büchern anschaut? Wohl kaum. Daher möchten wir Sie nun auf Ihre innere Tanzfläche bitten und Sie einladen, Schritt für Schritt herauszufinden, wo Sie danebentreten.
Wird der Prozess mühevoll sein? Wahrscheinlich. Aber welche Alternative haben Sie? Wie hoch ist Ihre Lebensqualität in diesem Moment? Wenn Sie tatsächlich begriffen haben, dass Ihre derzeitigen Ansichten über diese Gedanken und deren Bedeutung nicht von der Faktenlage gestützt werden, dann ist es leichter, als Sie vielleicht...