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E-Book

Über allem der Berg

AutorHelma Schimke
VerlagBERGWELTEN
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl264 Seiten
ISBN9783711250018
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Ein Leben für die Berge Helma Schimke, Alpinistin, Architektin und Mutter dreier Kinder, erzählt in »Über allem der Berg« von aufsehenerregenden Touren und spannenden Anekdoten ihrer Erlebnisse am Berg aus den Pioniertagen des Alpinismus. Im Zentrum dieses spannenden Buches aber steht eine private Tragödie, die zugleich Alpingeschichte schreiben sollte: der Bergtod ihres Mannes Konrad Schimke in der Watzmann-Ostwand. Jener Unfall im März 1961 hat ihr Leben geprägt und zu heftigen Diskussionen und sogar Anfeindungen gefu?hrt: Denn Helma Schimke ließ sich auch als Witwe und alleinerziehende Mutter das Bergsteigen nicht nehmen. Warum die Berge auch in den folgenden Jahren wesentlicher Teil ihres Lebens blieben, und wie sie den Verlust der Liebe ihres Lebens verarbeitet hat, erzählt Helma Schimke in aufrichtiger, persönlicher und stilistisch einzigartiger Weise in diesem Buch. Vor allem ihre lebensbejahende Persönlichkeit und die Fähigkeit, in allem das Schöne zu sehen, machen die Lektu?re zu einem beeindruckenden und beru?hrenden Erlebnis. Am 7. April 2018 ist mit Helma Schimke, eine der bedeutendsten Pionierinnen des österreichischen Frauenalpinismus, im Alter von 92 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Jetzt liegt »Über allem der Berg« aus dem Jahr 1964 in einer Neuauflage vor. Das Vor- und Nachwort wurde von Helmas langjähriger Wegbegleiterin, der Filmautorin Annette Mäser gestaltet.

Helma Schimke, geboren 1928 in Seekirchen/Salzburg, studierte in Wien bei Clemens Holzmeister Architektur. Seit den 1950er-Jahren gelangen ihr mit ihren Kletterpartnern - u. a. Hermann Buhl und Sepp Forcher - zahlreiche schwere Bergtouren bis zum sechsten Grad. Sie zählte zu den weltweit besten Bergsteigerinnen und veröffentlichte mehrere Bu?cher. Die freiberufliche Architektin verstarb im Fru?hjahr 2018. Annette Mäser ist Regisseurin und Filmemacherin.

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Leseprobe

TRAUMBERGE


Freitag, 17. März 1961: Abendnachrichten mit Wetterbericht. Dann die Nummer 062552/2495.

»Bartholomä.«

»Bei Ihnen nächtigt heute Dr. Schimke aus Salzburg. Kann ich ihn bitte sprechen?«

»Moment …«

»Hallo, Helma?«

»Ja, Servus! Du wolltest mich doch anrufen!«

»Schon. Wir haben nur gerade noch Nachrichten gehört. Morgen geht’s endgültig los.«

»Fein. Ich drück die Daumen.«

»Der Wetterbericht ist tadellos. Der Schnee bei der Eiskapelle ist fester als das letzte Mal.«

»Habt ihr vorgespurt?«

»Ja … übrigens, wir sind zu dritt morgen.«

»Wieso?«

»Ein junger Deutscher ist da.«

»Geht ihr als Dreierseilschaft?«

»Ja.«

»Wirklich? Ihr kennt euch doch nicht!«

»Er wollte die Wand im Alleingang machen. Der weiß schon, was gespielt wird. Auch im Kaiser kennt er einiges, Totenkirchl-West und so. Außerdem ist der Bursch jung und sehr sympathisch.«

»Na fein. Dann macht es gut. Grüß den Gerhard.«

»Dank schön und pfiat di.«

Der Hörer liegt wieder in der Gabel.

Vor einer Woche um dieselbe Stunde hatte Konrad mich angerufen, um mir vor dem Einstieg in die große Wand noch zu sagen, es sei alles »okay«. Auch damals hatte er mit Gerhard Jungwirth, dem achtundzwanzigjährigen Diplom-Kaufmann, bis zur Eiskapelle vorgespurt, aber tags darauf etwa hundert Meter über dem Einstieg kehrtgemacht. Mittags waren sie wieder in die Stube gestolpert. Der riesengroße Schneerosenstrauß, den sie mir mitgebracht hatten, war zerzaust. In wirrem Durcheinander schauten neben Blüten auch Stängel, Ästchen und Wurzeln nach oben.

»’s Wetter wär ja gut gewesen, aber die Schneeverhältnisse …«

Konrad hatte die Fäustlinge missmutig in die Sitzecke geworfen. Gerhard, beherrscht und bedächtig wie immer, an den Brillen hantierend: »Na ja, gar so schlecht war der Schnee auch wieder nicht.«

»Aber verteufelt warm ist es gewesen.«

»Das schon.«

Beim Essen einigte man sich. Am nächsten Tag, es war ein Sonntag, wollten sie eine »Kontrolltour« unternehmen und sich über Schneelagen, Schneehöhen, Schneearten und Wächtenbildungen nochmals genau informieren.

»Wie wär’s mit der Kleinen Reib, Konrad? Wenn wir ein gutes Glas mitnehmen?«

»Wenn’s neblig ist, nützt das beste Glas nix.«

»Und wenn’s schön ist?«

»Dann könnte man ja gleich das Hocheck machen. Da sieht man hinein in die Wand, kann sich die Wächten anschauen und den Schnee beurteilen …«

Bierschaum hatte dann schließlich den letzten Groll der Alpensöhne erstickt, und bei gemeinsamem, gemächlichem Brillenputzen und wechselweisem Gähnen war das Watzmann-Hocheck bald beschlossene Sache gewesen.

Die Fensterscheiben spiegelten den Sonnenuntergang, als der klapprige VW des Gefährten wie glücklich erschrocken davonzuckelte. Wir hatten das originelle Vehikel – es war noch ein »Reichsjahrgang« – mit List und Schiebetechnik ermuntert.

Was war weiter geschehen?

In knapp viereinhalb Stunden hatten dann der große, breite Blonde und der kleinere, schmale Dunkle einander bei Sonntagshimmelblau von Hammerstiel und der Schappachholz-stube aus auf den Gipfel des Hochecks gejagt. Selten einmütig das abendliche Urteil: so gut wie keine Wächten, fester, zuverlässiger Firn auch in den oberen Regionen. Also nächstes Wochenende auf alle Fälle. Wir waren für diesen Zeitpunkt zwar mit von G. verabredet. Doch wenn das Wetter wirklich schön bleiben sollte, würde er wohl entschuldigen.

Wieder Wartezeit und viel Arbeit. Tägliche Wetterberichte. Dienstagabend war noch einmal »letzte« Lagebesprechung gewesen.

»Helma will auch diesmal nicht mit.«

»Endgültig?«

»Wir haben schon genug gehächelt deswegen.«

»Nur weil du nicht trainieren konntest?«

»Ich spiel keinen Hemmschuh.«

»Aber du hast dich doch am meisten drauf gefreut.«

»Nicht das erste Mal umsonst.«

»Geh, sei nicht fad …« und: »Wenn du wieder in Form bist, gehen wir noch einmal mit dir in die Ost. Heuer liegt der Schnee noch lang!«

Als wollte er fragen, ob das ein Trost für mich sei, hatte mich Gerhard mit Steuerprüferblick über die Brillenränder hinweg gemessen und einen winzigen Notizkalender gezückt: »Wo gäb’s da noch einen günstigen Termin?«

Es wird wieder ein unruhiger Abend mit dem unerschöpflichen Thema Watzmann-Ostwand. Betrachtungen, genussvolle, Pedantisches über Routen, Bandbreiten, Hangneigungen, Schneehöhen, Ausquerungsmöglichkeiten ins Watzmannkar. Eventuelles über einen Direktdurchstieg vom Dritten auf das Vierte, auf das Fünfte Band, über den Pfeiler weg, der aus einer riesigen Felsbirne emporwächst und sich oben an den Wächtenrand lehnt; Begehung des Dritten Bandes bis zur Biwakschachtel und Ausstieg durch die Gipfelschlucht bei unsicherem Wetter; Rückzugsmöglichkeiten. Fragen der Ausrüstung für Freibiwaks im Wettersturz: Daunenjacken, Perlonsäcke, Abseilschlingen, Eishaken, Primuskocher. Ersatzbenzin, Taschenlampe … Erwägen, verwerfen, vorschlagen, abraten, bedenken. Ein aufgeregtes Palawer wie vor einem Polterabend. Dann jener Donnerstagnachmittagsanruf.

»Sitzung, Gitsch. Kann nicht zum Essen kommen.«

»Alsdann, Servus, Chef. Wird’s Mitternacht?«

»Nein, bestimmt nicht. Morgen, du weißt. Apropos morgen: Könntest du mir den Rucksack packen?«

Natürlich konnte ich das. Doch zuerst, wie alle Tage, das Kinderabendbad: Schenkelchen in Seifenschaum, Rüschenhemdchen, Kullertränen, Geschrei und das »Müde-bin-ick-geh-zurr-Ru«, dann dreimal ein Fläschchen.

Halb sieben, Atempause. Das Telefon.

»Könntest du mich abholen, Gitsch?«

»Ja, und?«

»Fahrn wir doch gschwind auf den Gaisberg!«

»Es ist halb sieben! Die Sitzung – um halb acht …«

»Sei ein Bursch!«

Sterne im Blauschwarzen, die Watzmannsilhouette im letzten Schimmer des rotvioletten Kulissenhimmels. Wühlender Nachtwind über dem kurzhalmigen Wiesenboden und in den zausigen Fichtenästen. Wieder der langgewohnte Tiefblick auf die irrlichternde Stadt. Kleiner Rundgang zur Hütte mit der Holzterrasse, zum Fernsehturm und zum Parkplatz. Im Süden, kaum gegliedert, verschwommen, der dunkle, breite Rücken des Tennengebirges, etwas rechts davon der Hohe Göll.

Ich fühle, wie Konrad diese Stunde da heroben braucht, um zwischen Akten, Dienst im Richtertalar und einer Winter-durchsteigung der Watzmann-Ostwand einen Augenblick zu sich selber zu finden.

Ich schlage den Mantelkragen hoch. Die Nachtarbeiten und eine verschleppte Grippe hatten mir während der letzten Wochen zugesetzt.

»Ob das Rippenfell …?«

»Patscherl. Schlaf dich richtig aus morgen, und am Samstag fährst zum Forstrat. Machts eine kleine Eingehtour, die wird dir guttun.«

Ein Klaps auf meine Schulter und, wie gewohnt, ein zuversichtlicher Stups am Ellenbogen. Er schiebt mich neben sich durch das niedrige Gesträuch, hüpft bubenhaft über das verfallene Mauerwerk des einstigen Gaisberghotels und führt gelenkige Gleichgewichtsübungen auf runden Wackelsteinen vor: »Granit ist das keiner!«

Ein Weitsprung. »Schade, dass du nicht mit dabei bist. Uns freut’s allein nicht recht.«

»Ihr ergänzt euch doch so gut. Gerhard ist ruhig, überlegend …«

»Ich vielleicht nicht?«

»Konrad!«

Eine Locke fällt ihm in die Stirn. Die schmal umrandeten Gläser, der mächtige Nasenrücken, das ausladende Kinn mit der Mittelkerbe stechen unternehmend ins Dunkel. Dann die gewohnte Handbewegung: Vom Hinterkopf her gleiten die gespreizten Finger durch den zerzausten Haarschopf vor zur Stirne, verhalten über der Nasenwurzel, zeichnen einen unbestimmten Bogen über Wangen und Ohren, kreisen langsam um den Haarwirbel am Scheitel, dann fällt der Arm wie abwinkend nach unten: »Aber im Karakorum bist’ dann dabei!« Wieder...

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