Es ist total schwierig,
wenn die Kinder in der Pubertät sind.
Ein Stiefvater
Wenn ich das
vorher gewusst hätte.
Eine Stiefmutter
Die erste Patchworkphase: Der Aufstand
Katharina ist 9 und 10 Jahre alt. Sie ist eine gute Schülerin in einer Grundschule und bereitet sich darauf vor, auf das Gymnasium zu gehen.
Wolfgang: Offene Opposition
Inzwischen waren sechs Wochen vergangen, ich war bereits im Besitz der Schlüssel und wartete auf Mutter und Tochter in ihrer Wohnung. Sie waren auf der Suche nach einem neuen Schrank. Ich schaute währenddessen fern und als die beiden reinkamen, schaltete ich den Fernseher aus. Mir war nicht klar, dass ich damit auch die Aufnahmefunktion ausschaltete, sodass Katharina eine wichtige Sendung verpasste. Entsprechend patzig war die Begrüßung. „Wer hat den Fernseher ausgemacht?“, fragte mich Katharina und schaute mich frech an. „Ich nicht“, antwortete ich reflexartig. Schon bei meiner Mutter ging ich spontan in eine Abwehrhaltung, wenn sie wissen wollte, ob ich an der Marmelade genascht oder den Kanten des Brotes abgebissen hätte.
Das war der Beginn unserer fast täglichen Konflikte, denn Katharina ging bald in eine sehr offene Opposition mir gegenüber. Trotzdem ergab es sich zwangsläufig, dass ich mich immer häufiger in der Wohnung aufhielt. Ich lebte zwar in einer großen Altbau-Wohnung, aber Susanne war selten bei mir, weil sie sich um Katharina kümmern musste. Aus meinen gelegentlichen Besuchen wurde daher bald ein Daueraufenthalt. Ich zog dort zwar nicht ein und hatte nur eine Reisetasche deponiert. Und manchmal schlief ich auch bei mir. Deshalb blieb meine Wohnung wichtig für mich, aber Susanne und Katharina wurden zu meiner täglichen Heimat.
Für mich war dies ein ganz ungewohntes Erlebnis. Bisher hatte ich immer Mi-Sa-So-Beziehungen. (Wir trafen uns also am Mittwoch, Samstag und Sonntag). Doch hier wurde ich zum Familienmitglied. Und dies Familienmodell war für mich so faszinierend, dass alles andere zurücktrat: Ich schrieb weniger Bücher, war zufriedener, schlief besser und war glücklicher. Ich hatte meine Familienwelt gefunden und dazu gehörte auch Katharina. Zuversichtlich ging ich davon aus, dass sich ihr Verhalten bald ändern würde.
Doch Katharina fand diese Entwicklung überhaupt nicht komisch und unsere Beziehung wurde eher schwieriger. Nach sieben Wochen sagte sie mir recht unverblümt: „Nimm es nicht persönlich, aber ich finde, du störst.“ Sie drückte sich immer sehr klar aus und meinte häufiger: „Hier ist einer zu viel und das bist du.“ Die Tochter fand es vor allem unmöglich, dass ich nun bei allen Anschaffungen mitentscheiden sollte. Die Bilder an der Wand, die Stühle am Esstisch und die Lampen suchten meine Partnerin und ich zusammen aus. Katharina fühlte sich entmachtet und dementsprechend kühl war ihr Umgangston.
Katharina: Wie der Tag für den Ziehvater versüßt werden kann
Ich fand es merkwürdig, dass Wolfgang immer häufiger da war. Er hatte doch eine eigene, große Wohnung. Und vor allem: Er dachte, er sei gleichberechtigt und könnte hier auch bestimmen. Das war ein Irrtum und ich hatte einen Plan, um ihn wegzuekeln. Das war ganz einfach.
Mein 7-Punkte-Plan gegen Wolfgang
- Besitze die Fernbedienung und technische Geräte, die nur einmal im Haushalt vorhanden sind und gib sie nicht heraus, wenn du darum gebeten wirst.
- Blockiere stets das Bad am Morgen.
- Zeige ihm immer, wie peinlich er ist.
- Sprich über die tolle Zeit, als es ihn noch nicht gab und man noch eine richtige Familie mit den leiblichen Eltern war.
- Lobe ihn niemals.
- Gib nur deinen richtigen Familienmitgliedern herzliche Umarmungen.
- Gib nicht nach, du bist die Nummer EINS im Haus.
Wolfgang: Der Familienausflug
Katharina konnte ein kleines Ekel sein. Häufig hatte ich den Eindruck, dass ihr ein ganzes Arsenal an Gemeinheiten zur Verfügung stand. Aber ich wollte nicht ungerecht sein. Manchmal schaute sie mich auch sehr nett an oder war ich einfach naiv? Jedenfalls war ich mit fast 50 Jahren endlich bereit, mich um ein Kind zu kümmern. Meine Bücher verkauften sich gut, ich hielt Vorträge und trat im Fernsehen auf. Ich hatte meine Rolle im Leben gefunden, war ruhiger geworden und wollte mich nun in dieser Familie engagieren. Ich machte also immer das Frühstück und kochte jeden Tag und hatte das Gefühl: Wir sind eine Familie. Und zu einer Familie gehören auch gemeinsame Ausflüge.
Also fuhren wir – Susanne, Katharina, ihre Freundin und ich - eines Tages in den Filmpark Babelsberg. Ich hatte schon vorher verkündet, ich würde alle einladen und empfand mich wie ein spendabler Familienvater. Wir fuhren also mit der Bahn nach Babelsberg und liefen zum Filmpark. Genauer gesagt: Katharina und ihre Freundin liefen drei Meter vor uns, wir eilten hinterher.
In Babelsberg angekommen, unterhielt ich mich lange mit der besten Freundin von Katharina. Sie war eher schüchtern und brav. So müsste Katharina sein, dachte ich in diesem Moment. Diese Freundin entsprach jenen Familienwerten, die ich kannte. Sie war höflich, stellte Fragen, sagte bitte und danke. Sie war so ziemlich das Gegenteil von Katharina. Diese Freundin hätte ich gern adoptiert.
Aber man muss das Leben so nehmen wie es ist. Ich musste daher mit Katharina klarkommen, die jetzt ihre erste Erkundungstour absolviert hatte. Es gab in Babelsberg vieles zu sehen und ich wurde abkommandiert, um mich an einem U-Boot anzustellen. Bald war ich ganz vorn, doch von ‚meiner‘ Familie war weit und breit nichts zu sehen. Also ließ ich etliche vor und befand mich wieder in der Mitte. Just in diesem Moment kam Katharina und sagte kurz und knapp: „Warum bist du noch nicht vorn? Noch nicht einmal das kannst du.“ Das ließ ich nicht auf mir sitzen und erwiderte, bei ihr hätte ja wohl jede Erziehung versagt.
In den nächsten Stunden verhielt sich Katharina etwas vorsichtiger, ihre Mutter schaute verstimmt, ich war verspannt, mein Rücken signalisierte, dass ich Erholung brauchte. Dieser Familienausflug war also eher eine Bruchlandung.
Katharina: Babelsberg
Unser erster richtiger gemeinsamer Ausflug sollte zum Filmpark Babelsberg führen. Zum Glück durfte ich eine Freundin mitnehmen. Irgendwie wusste ich nicht so richtig, ob ich mich freuen oder Wolfgang mir vor meiner Freundin peinlich sein sollte. Nun gut, sie kannte Wolfgang bereits, so schlimm würde es sicher nicht werden. Aber schon bei der Hinfahrt war ich total von ihm genervt. Er stellte meiner Freundin viele Fragen – typisch Therapeut halt. Ich dachte mir nur, mein Gott, kann er das nicht einmal lassen? „Julia, sag doch mal, wie ist denn die Beziehung zwischen dir und deinen Geschwistern?“ Nun frag doch nicht so Wolfgang, dachte ich mir. Die Julia möchte dir bestimmt nicht von ihrer Familie und ihren privaten Problemen erzählen, das machen wir Mädchen untereinander. Das teilen wir aber nicht mit einem Opa.
Endlich in Babelsberg angekommen, wollte ich mich sofort in die ersten Vergnügungen stürzen. Es zeigte sich bald, dass es überall lange Warteschlangen gab. Wir stellten uns an. Nach einer Weile schlug ich vor, dass meine Freundin, ich und meine Mama ein Eis kaufen könnten. Wolfgang konnte doch hier die ‚Stellung halten‘, wozu sollte er denn etwas Leckeres bekommen?
Ich platzierte ihn genau an seinem Punkt in der Warteschlage, damit nichts schief ging. Mit meiner besten Freundin und meiner Mama machte ich mich auf, ein Eis zu kaufen. Als wir zurückkamen war Wolfgang in der Schlange nach hinten gerückt und nicht nach vorn. Das konnte doch nicht wahr sein! Dieser Typ stellt immer merkwürdige Fragen und macht sich wichtig, aber er kann sich noch nicht einmal vernünftig in einer Schlange anstellen.
Das konnte doch jedes Kind. Er aber nicht. Dazu war er unfähig. Das sagte ich ihm auch, es platzte förmlich aus mir raus: „Du bist ja zu überhaupt nichts zu gebrauchen“, sagte ich zu Wolfgang. Daraufhin wurde er richtig wütend und meckerte mich laut an. Ich zuckte zusammen. So kannte ich ihn gar nicht. Wolfgang meckerte mich an – das war noch nie vorgekommen. Ich war entsetzt. Er meckerte mich vor meiner Freundin an. Meine Mama schaute betrübt auf den Boden. Die Stimmung war auf dem Tiefpunkt und unser erster Ausflug gescheitert.
Wolfgang: Ein typischer Tag mit Katharina
Nach dem missglückten Familienausflug fuhr ich zu mir nach Hause. Ich war einigermaßen bedient. Aber am nächsten Tag war ich wieder da. Ich war inzwischen ein Familienmitglied mit zahlreichen Pflichten. Ich ging einkaufen, kochte, machte das Frühstück und bereits nach einigen Wochen passte ich mich an den Tageslauf der beiden ‚Damen‘ an.
Früher war ich ein typischer Nachtmensch. Ich saß gern am Schreibtisch und arbeitete, wenn alle anderen schliefen. Das war für mich geschenkte Zeit und ich war ungestört. Meist kam ich erst um 3:00 Uhr ins Bett, entsprechend spät stand ich auf. Aber das geht nun nicht mehr.
Um 7:00 Uhr gibt es das gemeinsame Frühstück und ab 6:30 Uhr ist das Bad durch Katharina...