Schritt 1
Entdecken Sie Ihr Warum und richten Sie es positiv aus
Kapitel 1
Die erste Prämisse
Der siegreiche Krieger gewinnt erst, bevor er in den Krieg zieht. Der besiegte Krieger zieht erst in den Krieg und versucht dann zu gewinnen.
Sun Tzu
Einen Monat, bevor ich die Prüfung für den Schwarzen Gürtel in Seido Karate ablegte, reiste ich für die abschließende Vorbereitung ins Zen Mountain-Kloster in Woodstock im Staat New York, wo sich das Seido-Team mehrmals im Jahr versammelte. Wir übten die körperlichen Aspekte des Karate und die geistigen Aspekte des Zen, sodass Yin und Yang einander ergänzten: In einer Morgen- und einer Nachmittagssitzung folgten jeweils auf zwei Stunden Meditation zwei Stunden Karate-Training.
Am ersten Vormittag nahm ich auf der niedrigen Bank Platz, die unsere Knie entlasten und uns eine gerade Haltung des Rückens erleichtern sollte, und sah mich um. Die meisten Schüler in dem Kloster, das so großzügig war, uns seine Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, waren Mönche. Wenn Sie sich vorstellen können, wie ein professioneller Meditierender aussieht, wissen Sie, wie die Leute in dem Raum aussahen. Ich fühlte mich wie ein Eindringling und fragte mich, ob sie fühlen konnten, dass ein Scharlatan anwesend war. Nachdem ich etwa zehn Minuten versucht hatte, mich auf meine Atmung zu konzentrieren und jeden Atemzug zu zählen, war ich vollkommen erschöpft. Mein Rücken schmerzte furchtbar. Warum setzte mir diese Übung derart zu? Wo war der wonnevolle Friede, den ich erwartet hatte? Ich wäre nie darauf gekommen, dass es so mühsam und schmerzhaft sein könnte, nichts zu tun.
Streng dich an, sagte ich mir: Konzentriere dich auf den Punkt vor deinen Augen. Ich hatte gerade bis zwei gezählt, da wurde mir klar, dass ich an das Frühstück dachte. Also noch mal von vorn. Beim nächsten Versuch schaffte ich es bis drei, wobei ich jedoch eine unbestimmte Vorstellung im Hinterkopf hatte: Ich dachte an eine junge Frau, die ich am vergangenen Wochenende kennengelernt hatte. Ich musste mir eingestehen, dass dies nicht als Meditation gelten konnte. Also fing ich wieder von vorn an.
Diese Erfahrung öffnete mir die Augen – und es war nicht mein drittes Auge, das sich öffnete. Ich hielt es nicht einmal zehn Minuten aus, ohne dass mein Verstand wie ein Affe, der gierig nach einer Banane greift, in eine andere Richtung davonlief. Ich nannte es »«Konzentrationslager«, weil wir angewiesen worden waren, uns auf das Zählen zu konzentrieren, und ich kam mir vor wie in einer geistigen Gefängniszelle. »Sitzt einfach und zählt eure Atemzüge«, erklärte uns der leitende Mönch Daido. »Wenn der Geist zu wandern beginnt, bringt ihn dazu, sich wieder auf den Atem zu konzentrieren. Macht euch keine Vorwürfe, das Leben ist zu kurz.« Sonderbarerweise hatte sich das Leben noch nie länger angefühlt … Ich war daran gewöhnt, dass die Dinge einfach waren, und konnte nicht anders, als mir Vorwürfe dafür zu machen, dass ich so schlecht in etwas war, das ich mir so einfach vorgestellt hatte wie das Ausstrecken in einer Hängematte.
Nach einer Weile bemerkte ich trotz meines mangelnden Geschicks eine überraschende Veränderung. Ich hatte zwar weiterhin den Eindruck, bei der Meditation zu versagen, aber je länger ich es versuchte, desto besser fühlte ich mich. Vielleicht war für diese Art der inneren Arbeit ja keine so aggressive Zielfixierung nötig wie beim Sporttraining oder im westlichen Denken im Allgemeinen. Vielleicht gab es hier gar kein Ziel. Schließlich wurde mir klar, dass die Meditation ihren Zweck erfüllte, selbst wenn ich nicht in der Lage war, dazusitzen und in die Stille einzutauchen. Ich kehrte in einen anderen Teil meiner Vergangenheit zurück: Die Stille im Meditationsraum unterschied sich nicht allzu sehr von der Stille der Natur, die ich in meiner Jugend genossen hatte. Das war eine gleichermaßen einfache und bedeutsame Erkenntnis.
Die wichtigste Lehre, die ich aus meiner Reise in die Zen-Meditation zog und die ich mit Ihnen teilen möchte, war folgende: Ich konnte Kontrolle über meinen Geist erlangen, indem ich beharrlich übte, einen Zustand wirklicher, vollkommener geistiger Stille zu erreichen. Nur wenn man diesen Ort der Stille findet, kann man seinen Geist in Aktion beobachten. Wenn das klappt, kann man beginnen, die eigene Identität von »den Gedanken« zu trennen und jenen Teil des eigenen Wesens kennenzulernen, der die Gedanken beobachtet. In diesem Raum zwischen dem Gedanken und dem Beobachter – dem Zeugen – liegt der Zauber. Fehlt dieser Raum, sind alle Bemühungen um Konzentration, Selbstvertrauen, Kreativität und Spiritualität zum Scheitern verurteilt.
Auch Sie müssen lernen, das geistige Training ohne Zielfixierung anzugehen. Seien Sie geduldig und erwarten Sie das Unerwartete.
Im Lauf meiner zwanzigjährigen Karriere als SEAL versuchte ich, die Saat zu hegen, die Kaicho Nakamura in den Jahren meiner Karate-Ausbildung in New York ausgebracht hatte. Ich bemerkte, dass mein Geist bei langen Wanderungen und betäubend langen Tauchgängen in denselben meditativen Zustand versank, den ich auf der Meditationsbank im Zen-Kloster kennengelernt hatte. Die Stunden glitten dahin, während mein Bewusstsein von Ruhe und Vertrauen erfüllt war. Kam es zu einer Krise, versuchte ich nicht, sie intellektuell zu begreifen oder augenblicklich eine Lösung für das Problem zu finden, sondern ich lernte, meinen Weg durch die Krise zu erspüren. Ich stellte fest, dass Grübelei und übermäßige Analyse eine lähmende Wirkung hatten und für Verletzungen und Todesfälle verantwortlich waren. Ich entschloss mich, nicht zu viel zu denken, sondern meiner Intuition zu vertrauen und gegenwärtig zu sein, anstatt mich unentwegt um rationale Erklärungen zu bemühen. Im Laufe der Zeit wurde mir bewusst, was in mir und um mich herum geschah. Diese auf die Gegenwart bezogene Geisteshaltung erlaubte es mir, meinen Verstand noch besser zu kontrollieren und meiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Diese Erfahrungen steigerten mein Interesse am Training der inneren Fähigkeiten weiter. Ich fragte mich:
- • Wie kann ich meine Intuition vertiefen?
- • Kann ich lernen, diesen kostbaren fließenden Zustand zu aktivieren, wann immer ich will?
- • Kann ich die Zeit absichtlich verlangsamen und mitten in einer Krise Ruhe finden?
- • Wie hängen tiefe Atmung, innere Visualisierung, eine positive Einstellung und wirksame Planung zusammen?
- • Welche Wirkung haben diese Werkzeuge auf die Verwirklichung der langfristigen Ziele im Gegensatz zu punktuellen Leistungen?
- • Wie kann ich meine Kreativität entwickeln?
- • Welche Grenzen sind meiner Leistungsfähigkeit als Mensch gesetzt?
Im Jahr 2006 wurde ich von der Kriegsmarine beauftragt, alle SEAL-Kandidaten zu trainieren und zu beraten (dieses Engagement gab den Anstoß zur Gründung meines dritten Unternehmens US Tactical). Ich entwickelte ein integriertes Trainingsprogramm und bot es der Öffentlichkeit an. Dieses Programm wurde zum Versuchslabor, in dem die hier beschriebenen Prinzipien entwickelt wurden. Dort entstand die Taktik, auf der die Erste Prämisse beruht.
Siegen im Kopf
Die SEALs sind deswegen eine Eliteeinheit, weil sie in der Lage sind, ihren Geist zu disziplinieren und im Inneren zu gewinnen, bevor sie in den Kampf ziehen. Das bezeichne ich als die Erste Prämisse. Wir müssen uns erst in den Bauch dieser Bestie begeben, um herauszufinden, wie wir die Kontrolle über unseren Geist erlangen können. Sie haben nicht die Zeit, in ein Kloster zu gehen oder zwanzig Jahre bei den SEALs zu verbringen (es sei denn natürlich, das ist Ihr Ziel!). Viele von Ihnen werden zum ersten Mal aufgefordert, sich so mit dem Geist auseinanderzusetzen, wie ich es hier beschreibe. Aber bleiben Sie bei der Stange. Vertrauen Sie mir: Meine Lösungen funktionieren. Wenn Sie erst einmal die Grundlage für die geistige Kontrolle geschaffen haben, können Sie sich den »praktischen« Konzepten zuwenden, die ich in den folgenden Kapiteln beschreiben werde.
Wo sollen wir aber beginnen, wenn sich unser Geist wie ein außer Kontrolle geratener Güterzug verhält? Die meisten Menschen halten stille Meditation für ein unerreichbares Ziel. Wir haben die besten Absichten und lassen uns auf einen Versuch ein, müssen jedoch rasch einsehen, dass wir unsere willkürlichen, unsteten Gedanken nicht unter Kontrolle bringen können. Der Versuch, den Geist zur Ruhe zu bringen, indem man einfach dasitzt und versucht, an nichts zu denken, führt leicht zu Frustration und Versagen. Als Jugendlicher probierte ich gemeinsam mit meinem Vater einige Tage lang Transzendentale Meditation aus. Ich ließ mich in einem gemütlichen Sessel nieder und versuchte mit aller Kraft, mich auf das Mantra zu konzentrieren. Aber mein Geist gab sein Bestes, um allen meinen Bemühungen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Nach wenigen Sekunden begann er, wie ein Schulmädchen über alles und jedes zu quatschen: Was gibt es zum Abendessen? Muss den Rasen mähen. Hätte ich das besser nicht zu Sally gesagt. Mann, habe ich viele Hausaufgaben. Und warum zum Teufel mache ich das hier überhaupt? Das ist doch Mist. … Ich habe viel zu tun. … Das war’s!
Der einzige Trost war, dass sich mein Vater ebenfalls wie ein Versager fühlte. Wir gaben beide auf. Erst später bei Nakamura begriff ich, dass wir Menschen darauf geeicht sind, uns mit unseren Gedanken zu identifizieren. Das ist das...