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E-Book

Understatement

Vom Vergnügen, unterschätzt zu werden

AutorMatthias Nöllke
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783451809200
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Karriere- und Glücksratgeber lassen keinen Zweifel: Wer es zu etwas bringen will, muss möglichst dick auftragen. 'Eigenlob stimmt!' heißt der Schlachtruf. Dem setzt Matthias Nöllke entgegen: Wer auf Rücksicht, Taktgefühl und Versöhnlichkeit sich selbst und anderen gegenüber setzt, dem sind nicht nur mehr Sympathien sicher, der kann auch im richtigen Moment punkten. Denn Understatement setzt voraus, eine hohe Meinung von sich zu haben. Dieses Buch lehrt die edle Kunst des Understatements, die einzig angemessene Art, entspannt mit Stil und Würde durchs Leben zu gehen - privat und beruflich.

Dr. Matthias Nöllke ist erfolgreicher Autor von Management und Kommunkations-Büchern, mit 'Aus die Maus. Ungewöhnliche Todesanzeigen' landete er einen Bestseller. Er hält viele Vorträge, schreibt Hörfunksendundungen und ist ein gefragter Keynote Speaker.

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Leseprobe

2.
Die Kunst der vornehmen Zurückhaltung


Was ist das überhaupt, Understatement? Zunächst einmal bezeichnet der Begriff nichts weiter als bloße Untertreibung. Diese Bedeutung finden Sie auch im Englisch-Wörterbuch. Wenn wir einen Sachverhalt weniger dramatisch darstellen, als er ist, dann betreiben wir bereits Understatement. »Es sitzen schon ein paar Leute im Publikum«, eine solche Äußerung geht als Understatement durch. Unter drei Voraussetzungen. Erstens: Es sitzen weit mehr als nur »ein paar Leute« im Publikum. Im Idealfall ist der Saal brechend voll. Zweitens: Unsere Zuhörer wissen oder ahnen zumindest, dass da nicht nur vereinzelte Plätze besetzt sind. Mit Understatement wollen wir sie nicht täuschen oder Fehlinformationen verbreiten. Und drittens: Die Angelegenheit, um die es geht, hat mit uns selbst zu tun. Wir untertreiben fast immer in eigener Sache. Egal, ob es sich um erfreuliche oder weniger erfreuliche Dinge handelt.

Uns ist beispielsweise ein Unglück widerfahren oder wir haben richtig Pech gehabt. Wir könnten Zuspruch und Trost gebrauchen. Doch anstatt die Vorkommnisse in allen Einzelheiten auszubreiten und uns bedauern zu lassen, geben wir unseren Zuhörern zu verstehen: Alles halb so schlimm. Es hätte uns viel schwerer treffen können. Wir verlieren nicht viele Worte darüber. Uns ist ein kleines Malheur passiert. Nichts weiter.

Der klassische Anlass für Understatement ergibt sich jedoch, wenn uns etwas sehr gut gelungen ist. Wenn wir Erfolg haben, herausragende Leistungen erbringen und sich die ganze Welt um uns reißt. Das geschieht vielleicht nicht oft. Aber wenn dieser Fall eintritt, dann gibt es keine bessere Gelegenheit für eine gepflegte Untertreibung.

Warum sollten wir so handeln? Dahinter stecken mehrere Motive: Das erste hat mit Höflichkeit zu tun. Wir wollen uns nicht aufdrängen. Wir nehmen uns zurück. Wir möchten, dass sich unser Gesprächspartner wohlfühlt. Die erste Voraussetzung dafür ist, dass wir mit ihm auf Augenhöhe sprechen. Und ihm nicht zu verstehen geben: »Ich bin besser, größer, wichtiger als du.« Das gilt auch, wenn ein Missgeschick ausgewalzt wird oder sich jemand beklagt, wie übel ihm das Schicksal mitgespielt hat. Vielleicht kennen Sie solche Mitmenschen und ihre unendlichen Leidensgeschichten. Besonders angenehme Gesprächspartner sind das nicht. Denn sie stellen sich selbst in den Mittelpunkt und zeigen wenig Interesse daran, was wir erlebt haben.

Mit Understatement spielen wir den Ball zurück in das Feld unserer Zuhörer. Es bleibt ihnen überlassen, ob sie weiter nachfragen, unsere Äußerung kommentieren oder das Thema auf sich beruhen lassen. Letzteres ist zwar nicht besonders höflich, aber unser Gegenüber kann das tun, ohne uns vor den Kopf zu stoßen. Keine große Sache, jetzt reden wir eben über etwas anderes. Auch gut.

Damit sind wir beim zweiten Aspekt: Understatement setzt darauf, dass die anderen unsere Untertreibung nicht wörtlich nehmen, sondern sie durchschauen. Oder zumindest durchschauen könnten. Understatement ist keine Irreführung, sagt der Philosoph Kendall Walton. Understatement möchte verstanden werden. Vielleicht nicht von jedem, aber von denen, die wissen, worauf es ankommt. Die souverän und kompetent urteilen. Das ist nämlich der besondere Clou bei der Sache: Understatement verbindet denjenigen, der es zeigt, mit demjenigen, der es begreift. Wenn Sie erkennen, dass Ihr Gegenüber seine Leistung, seine Bedeutung, seinen Wert herunterspielt, so wertet das nicht nur den anderen auf, sondern auch Sie selbst. Sie sind jemand, der Leistung, Bedeutung und Wert des anderen beurteilen kann. Sie schauen nicht auf die Inszenierung, sondern auf die Substanz. Macht jemand nur viel Wind, ist er ein Blender oder verdient eine Leistung besondere Anerkennung, auch und gerade wenn jemand bescheiden und unauffällig auftritt? Ihnen entgeht das nicht.

Und das führt uns zum dritten Aspekt: Understatement ist ein Zeichen von Unabhängigkeit. Sie sind nicht darauf angewiesen, Beifall und Bestnoten einzusammeln. Sie kennen Ihren Wert und müssen sich den nicht immer wieder bestätigen lassen. Sie freuen sich, wenn Sie Lob und Anerkennung bekommen. Aber an Ihrem Auftreten ändert das nichts. Sie bilden sich Ihr eigenes Urteil. Und das können Sie ganz für sich behalten, wenn Sie das möchten. Understatement ist die wirksamste und rücksichtsvollste Art, Selbstbewusstsein zu zeigen.

Wer hingegen Macht demonstriert, seine herausragende Stellung vorführt, wer sich mit Statussymbolen schmückt, der zeigt vor allem eins: dass er genau das nötig hat. Würde diese Inszenierung wegfallen, wäre dieser Mensch weit weniger beeindruckend. Seine Wirkung verdankt sich diesen Showeffekten. Er muss uns etwas vorspielen, damit wir auf ihn hereinfallen. Wer uns seine Qualitäten unter die Nase reibt, hat Sorge, dass wir sie ansonsten nicht bemerken würden.

»Sogar unter den Menschen sind die Riesen meistens die eigentlichen Zwerge.« – Baltasar Gracián: Hand-Orakel und Kunst der Weltklugheit.

Sich selbst klein machen


Werfen wir einen Blick in die Kulturgeschichte und gehen wir zurück zu den Wurzeln. Wo kommt Understatement eigentlich her? Welche Traditionen spielen eine Rolle und helfen uns, Understatement besser zu verstehen?

Bereits bei den Jägern und Sammlern, in den Anfängen der Menschheitsgeschichte, begegnet uns eine Form von Understatement. Das haben Sie vielleicht nicht erwartet. Galt in den alten Zeiten nicht das Recht des Stärkeren? Hatte nicht der das Sagen, der am kräftigsten zulangen konnte? Dieses Bild haben die Anthropologen längst korrigiert. Natürlich hat vor zwanzigtausend Jahren niemand dabeigesessen und eine Videokamera mitlaufen lassen, aber es gab noch im 20. Jahrhundert eine ganze Reihe von ursprünglichen Jäger-und-Sammler-Gesellschaften, quer über den Globus verteilt. Die nahmen die Wissenschaftler genauer unter die Lupe und stellten einige überraschende Gemeinsamkeiten fest. Daraus rekonstruierten sie, wie unsere Urahnen vermutlich gelebt haben. Demnach gab es nicht den einen Chef, der das Sagen hatte, sondern jeder konnte Einfluss nehmen. Dann durfte er eines jedoch nicht tun: Sonderrechte für sich beanspruchen. Nicht dass er sonst verprügelt worden wäre, es war schlimmer: Die anderen machten sich über ihn lustig. Wer mitreden wollte, war gut beraten, Understatement zu zeigen. Es gibt eine vielzitierte Feldstudie des Anthropologen Richard Lee über die !Kung-Buschmänner. Darin schildert er, wie einzelne Stammesmitglieder von der Jagd zurückkehren. Sie werden gefragt, was sie an Beute erlegt haben. Wer halbwegs clever ist, der untertreibt und stellt seinen Jagderfolg bescheidener dar, als er ist. Sonst wird er von den anderen nicht etwa als Held gefeiert, sondern als Angeber verspottet. Solche Tendenzen haben die Forscher in vielen Jäger-und-Sammler-Gesellschaften beobachtet und sie nehmen an: So wird es auch bei unseren Vorfahren gewesen sein.

Im antiken Griechenland begegnet uns das Understatement an zwei sehr unterschiedlichen Orten: Im Theater und unter den Meisterdenkern. In der griechischen Komödie traten immer wieder die gleichen Charaktere auf, um die Leute zum Lachen zu bringen. Zu den vier »Grundtypen« gehörte der sogenannte »Eiron«. Eine Person, die ihre wahren Fähigkeiten verbirgt, die sich kleinmacht und untertreibt. Hauptsächlich tut sie das, um ihren Gegenspieler, den »Alazon« (was so viel heißt wie »Angeber«, »Aufschneider« oder »Betrüger«) aufs Kreuz zu legen. Was ihr eigentlich immer gelingt. Und weil es dem »Eiron« nicht darum geht, persönliche Vorteile für sich herauszuschlagen, hält ihn der Philosoph Aristoteles auch für den »feineren« Charakter als den prahlerischen »Alazon«. Nun ja, da liegt die Messlatte auch nicht besonders hoch.

Ganz anders bei unserem nächsten Kronzeugen. Ein Meisterdenker, ja der »Meister aller Meister«, wie er auch genannt wurde, weil sein Einfluss auf die abendländische Geistesgeschichte so herausragend ist. Der Philosoph Sokrates, der als berühmtester »Eiron« gilt. Und warum? Weil er an die Leute herantrat, nicht um sie zu belehren, sondern um von ihnen etwas zu erfahren. Er gab sich unwissend und ließ sich alles Mögliche erklären, hakte nach, gab zu bedenken und sorgte schließlich dafür, dass seine Gesprächspartner ihre ursprüngliche Position aufgaben. Sokrates war regelmäßig auf dem Marktplatz von Athen anzutreffen und sprach im Prinzip mit jedem. Auch konnte jeder seinen Gesprächen zuhören. Seine Worte waren schlicht und alltäglich. Deshalb wurde er nicht immer ernst genommen. Wie kann ein Weiser von so banalen Dingen reden? Alkibiades, einer seiner Schüler, bemerkte dazu, dass »ein unverständiger Mensch über seine Reden spotten muss«, während derjenige, der Zugang zu ihnen findet, entdeckt, dass »sie inwendig Vernunft haben und ganz göttlich sind«.

Diese Methode nennt man auch die »sokratische Ironie«. Denn »Eiron« und »Ironie« gehören sprachgeschichtlich zur selben Familie. Und so ist es nicht überraschend, dass auch Understatement und Ironie sehr viel miteinander zu tun haben. Insbesondere in Form der Selbstironie, für die nicht jeder empfänglich ist.

Die Gottkönige kommen


Kaum waren die Menschen sesshaft geworden, gab es die ersten Abgrenzungsbestrebungen. Die Anführer waren keine gewöhnlichen Menschen mehr wie alle anderen, sie wurden denen, die ihnen folgen sollten, mehr und mehr entrückt. In den alten Hochkulturen wie Ägypten oder Babylon wurde der Herrscher zum Gottkönig erhoben. Abgeschirmt durch eine Kaste von Priestern und Beamten, idealisiert zur lebenden Statue. Ein...

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