Unser Körper ist ein Wunder. Ein Wunder aus Abermilliarden von Zellen. Jede einzelne dieser Zellen lebt und arbeitet friedlich an ihrem Platz im Organismus.
Und jede einzelne von ihnen ist bereits ein Wunder. Ein Kraftwerk der Natur mit eigenem Energiehaushalt, Fortbewegungsmöglichkeiten und winzigen Atmungsorganen. Wir wissen scheinbar alles über den Gang der menschlichen Evolution und die spiraligen Windungen der DNS, über Biologie und die feinstofflichen Vorgänge in der Leber, den Nieren oder dem Gehirn. In Wahrheit wissen wir nichts. Nichts von dem, was jeder Zelle das Leben verleiht und nichts von dem, was den wundervollen Zusammenschluss aller Zellen zu einem lebendigen Körper werden lässt. Es ist ein Wunder. Oder ein Geheimnis. Das Leben ist ein Geheimnis. Keine naturwissenschaftliche Forschung wird dieses Geheimnis des Lebens jemals ergründen, auch wenn die moderne Wissenschaft es lautstark prophezeit.
Ein Wunder lässt sich nicht mit Elektronenmikroskopen oder einer genetischen Entschlüsselung beweisen. Ein Wunder lässt sich nur in Demut und Dankbarkeit betrachten.
Ist nicht jeder Mensch dankbar, wenn sein Körper es schafft, ihn von einer schwierigen Krankheit genesen zu lassen? Sind nicht alle Eltern dankbar, wenn ein gesundes Kind das Licht der Welt erblickt? Empfinden wir nicht Demut, wenn wir dem Tod gegenüberstehen? Dem eigenen, dem eines Freundes oder dem eines Familienangehörigen.
Das Leben ist ein Geheimnis. Ein zerbrechliches Geheimnis. Alles Lebendige ist zerbrechlich. Wir wissen, dass wir sterben müssen und dass dieser Körper, der uns durch das Leben trägt, eines Tages nicht mehr sein wird. Unser Leben, das einzige, das wir kennen, ist dann vorbei. Verweht zu Asche und Staub. Etwa viertausend Wochen hat es nur gedauert. Eine kurze Zeit!
Aber das geheimnisvolle Wunder ist auch kraftvoll und stark. Das Leben setzt sich immer wieder durch. Aus Trümmern wachsen Blumen, neue Pläne werden geschmiedet, neue Kinder geboren und neue Hoffnung geschöpft.
Unser Körper ist ein Wunder. Und er ist unser bester Freund. Der einzige, der uns niemals verlassen wird. Der uns niemals verraten wird und niemals treulos ist. Er ist eines der kompliziertesten Wunderwerke der Evolution. Ein lebendiger Organismus, der gleichzeitig frühstücken, die Zeitung lesen und über den Traum der letzten Nacht nachdenken kann. Der laufen, tanzen oder ein Baby gebären kann, einen perfekten lebendigen Organismus.
Warum soll man diesem besten Freund nicht einmal für seine Dienste danken? Mit einem Gedicht, einem Gebet oder einem Lobgesang?
Ein Dank für den Körper? Wozu soll das gut sein? Wenn man krank wird, legt man sich ins Bett oder geht zum Arzt, schluckt ein paar Tabletten und wartet, bis man wieder gesund ist. Vielleicht schwört man auf die Naturheilkunde und nimmt lieber ein homöopathisches Kügelchen. Manchmal hilft aber beides nicht. Weder Kügelchen noch Tablette. Dann muss man operiert werden oder erhält eine Chemotherapie. Manche Krankheiten entwickeln sich auch chronisch. Oder sogar lebensbedrohlich. Da könnte man schon ein Gebet anstimmen. Aber nur so? Ohne Grund? Was ist denn ein Gebet anderes als Liebe und Aufmerksamkeit? Hinhören. Lauschen. Zuwendung. Sogar eine Blume reagiert auf persönliche Ansprache. Sie wächst besser und blüht schöner. Warum soll die Niere sich nicht freuen, wenn man sie endlich einmal lobt und ihr dankt. Sie wird mit einer besseren Durchblutung antworten. Das Herz wird vor Freude ein paar extrasystolische Kapriolen schlagen. Der Magen hat keinen Grund mehr, sauer zu sein. Und selbst der Nagel am großen Zeh wird vor Spaß ein dickes Loch in den Strumpf bohren.
Ein Lobgesang für Deinen Körper? Probiere es doch einfach aus. Wenn Du gesund bist, ist es eine Prophylaxe und dient nur der Freude. Wenn Du krank bist, ist es notwendig und kann sehr oft wiederholt werden. Du wirst spüren, daß Du Antwort erhälst. Mit der Zeit kannst Du lernen, Dich mit Deiner Lunge, der Leber oder der Schilddrüse, Deinen Knochen oder Deinen Blutkörperchen zu unterhalten.Es gibt Menschen, die haben auf diese Weise einen Krebs geheilt.
Dein Körper bist Du. Eine vollkommene Einheit zwischen Leib und Seele. Sprich mit Deinen Händen und Füßen. Sprich mit den inneren Organen. Sprich mit Deiner Wirbelsäule, die Dich durch Dein Leben trägt. Sprich mit Deinen Sinnesorganen, diesen Rezeptoren der Glückseligkeit, ohne die Du heimatlos, verloren und völlig orientierungslos durch ein fremdes Weltall taumeln würdest. Feiere Dein Atemsystem, Deine Drüsen, die Hormone, die in Dir herumspringen und auch die winzigen Mitbewohner auf und in Deinem Körper, ohne die Du nicht leben könntest. Feiere Dein Inneres und Dein Äußeres. Lehne nichts an Deinem Körper ab. Alles an Deinem Körper ist ein Wunder.
Und eines der faszinierendsten Wunder dieses Körpers ist, dass er sich ansprechen lässt, dass jeder in seinen eigenen Worten mit seinem Körper ins Gespräch kommen kann. Ihn fragen kann, was er braucht, was ihm fehlt, was ihn schmerzt und natürlich auch, was er mag und was ihn freut.
Das hört sich an wie ein Geheimnis. Aber es ist kein Geheimnis. Du sprichst Deinen Körper mit Liebe und Aufmerksamkeit an, den Körper im Ganzen oder einzelne Körperteile, und Dein Gehirn, die große graue Walnuß, schickt die liebevolle Botschaft einfach weiter. Mehr brauchst Du nicht zu tun.
Dieses Buch ist kein medizinisches Lehrbuch und es erhebt keinen Anspruch auf anatomische Vollständigkeit. Es ist nur eine Art Lied für das Leben und den lebendigen Körper, gesungen in Buchstaben.
Selbstverständlich springe ich morgens aus dem Bett
und denke nicht darüber nach,
welches Geschenk mir gegeben ist
Ich lebe
Ich kann mich bewegen, laufen springen und tanzen
Ich atme, esse und verdaue
Mein Herz schlägt zuverlässig
Das Adergeflecht meiner Blutgefäße
bringt frischen Sauerstoff an jeden Ort meines Körpers
Ich sehe, höre, rieche und schmecke
Meine Haut empfängt die Sanftheit eines
Frühsommermorgens
Ich lebe und liebe
Dich und Dich und mich
Ich kann fühlen spüren und wahrnehmen
begreifen verstehen und erkennen
Ich kann träumen bei Tag und in der Nacht
Mein Körper, mein Geist und meine Seele
sind eine harmonische Einheit und sie sagt: Ich bin
Ich lebe und darf für eine kurze Zeit teilhaben
an diesem Wunder des Lebens
Sollte ich nicht jeden Tag einen winzigen Moment,
nur einen einzigen winzigen Moment
dankbar sein für dieses Geschenk?
Beginnen wir mit dem kleinsten Baustein des Körpers, der Zelle. Unser Körper ist wie eine Stadt. Eine lebendige Großstadt mit Milliarden von Häusern und Gebäuden. Alle Häuser zusammen ergeben das Bild der Stadt. Die einzelnen Häuser entsprechen den einzelnen Zellen. Alle Zellen zusammen ergeben das Bild unseres Körpers.
In dieser Körper-Stadt ist alles vorhanden, was für ein gutes Leben notwendig ist. Ein Krankenhaus mit Rettungssanitätern, ein Pizza-Service, ein Klärwerk, Alarmanlagen, breite Prachtstraßen und verwinkelte Gässchen, Frischluftoasen, ein Sex-Shop und ein Bürgermeister.
Der Bürgermeister ist natürlich das Gehirn. Und so wie das Rathaus einer Stadt aus vielen Gebäuden und Nebengebäuden besteht, besteht auch unser Gehirn aus vielen Zellen. Diese Gehirnzellen haben alle gemeinsam nur eine Aufgabe, nämlich: Bürgermeister sein. Sie nehmen diese Aufgabe ausgesprochen ernst und lassen sich niemals von ihrer Arbeit ablenken. Keine Gehirnzelle beschließt, plötzlich Nierenzelle zu werden oder sich in der Gestalt eines Blutkörperchens als Rettungssanitäter zu betätigen. Vom Kopf bis zu den Zehen herrscht Ordnung in der Stadt.
Jede Zelle steht alleine und gleichzeitig in friedlichem Verbund mit seinen Nachbarzellen. Abermillionen von Darmzellen bilden gemeinsam den Darm. Alle sehen gleich aus, haben die gleiche Aufgabe und erfüllen den gleichen Zweck. Sie sind Teil des städtischen Klärwerks. Die Bronchial- und Lungenzellen sind die Frischluftoasen. Blutgefäße bilden die Straßen. Der Pizza-Service erstreckt sich von den Zähnen, über die Geschmacksknospen der Zunge, durch die Speiseröhre bis weit in den Magen hinein. Das Alarmsystem wird von den verzweigten Nervenzellen betrieben. Nur der Sex-Shop bildet eine Ausnahme. In seinem sichtbaren Warenangebot führt er die Zellen, die die Geschlechtsorgane bilden, doch unter der Ladentheke hat er etwas Besonders zu bieten. Im Unterschied zu allen anderen Körperzellen, haben Eizelle und Samenzelle nur einen halben Chromosomensatz. In dem spiralig gewundenen Kern der Erbsubstanz liegen nicht 46 wie üblich, sondern nur 23 dieser Informationsträger. Wenn väterliche und mütterliche Hälfte bei der Zeugung zusammenkommen, ergibt sich der vollständige Satz an Chromosomen.
Über das Geschlecht des werdenden Kindes, entscheidet immer der Vater. Trägt seine Samenzelle ein Y-Chromosom, wird es ein Sohn, bei einem X-Chromosom eine Tochter. Ob das Kind...