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E-Book

Unterwegs mit wilden Kerlen

Eine Frau erobert die Arktis

AutorBirgit Lutz
Verlagbtb
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783641072452
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Eine Frau geht an ihre Grenzen
Birgit Lutz nimmt uns mit in das Abenteuer ihres Lebens: mitten hinein in das ewige Eis. Sie erzählt vom Leben in engen Zelten, von russischen Eispiloten, brummigen Russen mit Herz und anderen wilden Kerlen, die ihr auf ihren außergewöhnlichen Reisen begegnet sind. Sie erzählt von ihrer Faszination und ihrem Eintauchen in den wundervollen Lebensraum Arktis. Und der Herausforderung vor der eigentlichen Expedition: Wie finde ich geeignete Trainingspartner, die nicht gleich schlapp machen, nach einem Vormittag Autoreifen ziehen den Berg hinauf. Was mache ich, wenn mir mitten in der Nacht im Trainingslager auf dem Gletscher ein Sturm das Zelt zerreißt, und was sage ich meiner Familie, wenn ich mich wieder einmal für Wochen verabschiede auf eine Reise ins weiße Nichts, die mitunter lebensgefährlich sein kann ...

Birgit Lutz, Jahrgang 1974, ist auf Skiern von der russischen Eisstation Barneo zum Nordpol marschiert und hat Grönland durchquert. Nach einer Reise zum Nordpol im August 2007 spezialisierte sich die Journalistin auf die Arktis. Als Expeditionsleiterin hält sie an Bord von Schiffen Vorträge über das gefährdete Ökosystem und ist auch an Land eine gefragte Vortragsrednerin. Für das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung arbeitet sie an einem Plastik- Projekt. Ihre unter anderem in der Süddeutschen Zeitung oder dem Magazin des Schweizer Tagesspiegels erschienenen Reportagen wurden mehrfach ausgezeichnet. Für »Heute gehen wir Wale fangen« verbrachte sie drei Monate in Ostgrönland. In ihrem neuen Buch »Nachruf auf die Arktis« rekapituliert sie eine Reise nach Spitzbergen und geht mit Experten den Ursachen und Folgen des Klimawandels auf den Grund. Birgit Lutz lebt am Schliersee.

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Leseprobe

Wie ich Poliarnitsa wurde

Es muss schnell gehen, sagt Victor. Erinnere dich! Wir machen es so wie im Winter, wenn wir Teams aufs Eis setzen, du darfst die Leute nicht weglaufen lassen.

Wir stehen in einem Helikopter. Passagiere um uns, dicht gedrängt. Dies ist ein Rettungsflug. Ohne Victor wären wir auf einer arktischen Insel eingeschlossen. Weil die Brandung zu hoch ist für unsere Schlauchboote, die uns zu unserem Schiff bringen sollten. Victor, gerade auf einem anderen Schiff unterwegs, hilft mit dem Hubschrauber aus. Der nicht mehr viel Treibstoff hat. Sie werden uns an einem Küstenstreifen rauswerfen, an dem die Wellen niedriger sind. Unsere Schlauchboote werden hinterherfahren und uns von dort abholen. Der Helikopter berührt den Boden. Los, sagt Victor. Ich springe hinaus. Wir helfen den Passagieren die Stufen hinunter. Sie müssen sich niederkauern, direkt am Helikopter, Rücken zum Hubschrauber. Hier ist der Abwind am geringsten. Alle draußen. Ein kurzer Blick. Victor hebt die Hand, Daumen nach oben. Mit den Lippen formt er: Molodez! Was hier so viel heißt wie: Gut gemacht! Der Heli steigt auf, weg sind sie. Der Herzschlag kann wieder langsamer werden. Das ist der arktische Sommer.

Der Bär ging durch das Tor. Im Wortsinn. Wenn Bären etwas wollen, finden sie einen Weg. Bob Windsor steht vor den Trümmern. Wie in einem Comic hat ein Eisbär einfach den direktesten Weg genommen. Hinein in die Recyclingstation des Krankenhauses, durch das Metallrolltor hindurch. Bob ist der Chef der Eisbärenpolizei von Churchill, an der kanadischen Hudson Bay. Er kratzt sich am Kopf. Ich glaube, ich weiß, welcher Bär das war, sagt er. Der ist schon eine Weile hier unterwegs. Es wird Zeit, dass wir ihn fangen. Bob nimmt mich mit hinaus zum Eisbärgefängnis. Hinein darf ich nicht, die Bären darin sollen keine Menschen sehen, sollen sich nicht an sie gewöhnen. Es ist nicht ihre Schuld, dass sie in dem Gefängnis sind. Die Bären waren vorher hier, an der Hudson Bay. Die Menschen haben den Fehler gemacht, eine Siedlung mitten in den Wanderweg der Bären zu bauen. Nun ist es Bobs Job, Bären und Menschen voreinander zu schützen. Deswegen stellen er und seine Wachen Eisbärfallen auf. Patrouillieren rund um den Ort. Und fast alle Einwohner tragen Waffen. Durch die Blechwand des Gefängnisses dringt ein Scharren nach draußen. Ein leises Schnauben. Seit es die Bärenpolizei gibt, müssen nur noch sehr selten Bären erschossen werden. Der letzte für einen Menschen tödliche Eisbärangriff in Churchill war 1983. Darauf sind die Männer stolz. Bob hängt einen Riesenlappen Fleisch in eine Metallröhre, eine Lebendfalle. Das ist der arktische Herbst.

Es ist dunkel. Die Schwärze frisst an der funzeligen Lampe, 50 Meter entfernt. Keine Sterne, kein Mond. November in Spitzbergen. Dort drüben: das Toilettenhäuschen. Hinter mir: eine Hütte, aus der ein Duft nach Grillfleisch dringt. Zehn Kilometer außerhalb von Longyearbyen. Wenn ich ein Eisbär wäre … Also renne ich. Durch den tiefen Schnee. Am Toilettenhäuschen angekommen, klopft das Herz wie verrückt. Auf dem Rückweg das gleiche Spiel. An der Hütte drehe ich mich um. Langsam, ganz langsam kriecht ein schwaches grünes Licht über den Himmel. Polarlicht. Schnell geht der Atem, kleine Dampfwölkchen steigen auf, der grünliche Schimmer wandert über den Himmel, im Dunkeln, ganz allein, für mich. Das ist der arktische Winter.

Das Eis singt. Wenn die Ski darübergleiten, spricht es. Es sagt, ob es dick oder dünn ist, alt oder jung. Man muss nichts sehen. Der Klang erklärt den Untergrund. Das Singen des Eises, an Tagen mit wenig Wind ist das die Melodie des Polarfahrens. Der Himmel, so hell. Die Welt, gemalt in zwei Farben, weiß und blau. Der Schlitten bleibt hängen, zwischen zwei Eisblöcken. Die Seile spannen sich, der Hüftgurt drückt auf die Knochen, die Skistöcke bohren sich ins Eis. Druck, mehr Druck, noch mehr Druck. Nachgeben. Ausatmen. Schwung holen. Die Jungs rufen, los, los, gleich hast du ihn! Mit Gewalt in die Seile stürzen. Knirschen. Druck auf die Arme, in die Schlaufen. Ein Schrei muss raus, so viel Druck. Der Schlitten kommt. Endlich. Das hundertste Hindernis überwunden. Ich falle nach vorn in den Schnee. Das mit der Kräftedosierung habe ich immer noch nicht raus. Die Jungs stützen sich auf ihre Skistöcke und lachen schallend, ich lache. So viel Leben in den Adern. Das ist der arktische Frühling.

In Momenten wie diesen liegt die Antwort. Manchmal fragen mich Menschen, warum ich immer wieder dorthin muss. Ob es nicht langsam langweilig wird oder zu anstrengend, immer dieses Eis, immer diese Kälte. Und wie das überhaupt alles so gekommen ist. Es liegt an Augenblicken wie diesen. Seit ich zum ersten Mal dort oben war, muss ich immer wieder los. Das Leben dort ist so völlig anders. Diese Erlebnisse, sie machen süchtig – wenn man einmal angefangen hat damit, kann man nicht mehr aufhören.

Eis ist niemals langweilig. Manche Menschen sagen, irgendetwas ist hier oben. Eine Kraft, eine Energie. Das klingt esoterisch. Aber ich steige in Spitzbergen aus dem Flugzeug und bin wach, voller Leben, ganz anders am Leben als in München. Es ist, als würde etwas in mir angeknipst. Klingt das verrückt?

Wo ich dann hingehe, da sind nicht viele Menschen, und Frauen noch weniger. Es ist kalt, es ist ungemütlich, es ist mitunter lebensgefährlich. Es ist wunderschön. Es ist eine raue Umgebung, und meistens begegne ich dort nur Männern. Ich nächtige gemeinsam mit fünf Russen in einem Zelt in einer Eisstation. Starte mit vier Männern zu einer Expedition zum Nordpol. Fliege stundenlang im Hubschraubercockpit über das Eis. Fünf Jahre bin ich nun so in der hohen Arktis unterwegs, auf Schiffen, mit Skiern, in Frachtflugzeugen und Hubschraubern.

Kurioserweise sind die meisten Männer, je rauer die Umgebung wird, umso höflicher. Die wildesten Kerle sind oft die zurückhaltendsten. Vielleicht, weil die schon erlebt haben, wie zäh Frauen sein können. Vielleicht, weil sie einfach mehr in sich ruhen, souveräner sind. Jemand, der Jahre seines Lebens durchs Eis marschiert ist, braucht vielleicht keine Sprüche mehr, um seine Männlichkeit zu beweisen.

Warum fährst du da schon wieder hin, werde ich oft gefragt. Es geht darum, immer unterwegs zu sein, es geht ums Draußensein, ums Frohsein. Es ist so viel mehr als nur das Eis, das einen immer wieder hinaufzieht. Diese eisige, wundervolle Wüste ist angefüllt mit so vielen Dingen, wenn man es einmal in sie hinein geschafft hat. Die Vorbereitungen für diese Reisen beginnen meistens Monate vorher. Wenn ich als Journalistin unterwegs bin, ist die Vorbereitung am einfachsten. Wenn ich aber als Mitglied des Expeditionsteams an Bord eines Eisbrechers unterwegs bin, beginnt alles damit, rund um den Globus mit den Kollegen abzusprechen, wer welche Vorträge halten wird. Dann wühlt man sich durch tausende neue Fotos, die man aus der letzten Saison mitgebracht hat, liest noch einmal in den alten Abenteuergeschichten, erweitert die Vorträge, die man schon vorbereitet hat, bewegt sich tagelang im Geiste dort oben. Und freut sich. Die Ski-Expeditionen beginnen noch früher: mit hartem Training. Mit dem monatelangen Feilen an der Ausrüstung. Mit dem Abwiegen des Essens. Die Freude wächst, und auch der Respekt. Der aufgeregte Schauder, wenn man daran denkt, wo man bald sein wird. Und es wächst vor allem das Gefühl, in einem Netz aus Freunden eingewoben zu sein, die um die ganze Welt verstreut sind und trotzdem gerade mit dem Gleichen beschäftigt sind. Die das Gleiche wollen. Losziehen. Hinauf. Dorthin, wo die Sonne nie untergeht.

Und wenn ich dann, nach so langem Kreisen der Gedanken um einen Ort, nach so vielem Lesen der alten Geschichten von Abenteurern, Entdeckern und Pionieren, irgendwann tatsächlich dort stehe, dort, wo kaum jemand hinkommt, an einem Ort, der bisher nur in alten Büchern existiert hat – dann könnte ich hüpfen und tanzen und weinen, alles gleichzeitig. So ging es mir, als ich zum ersten Mal am Kap Norwegen stand, wo Fridtjof Nansen 1895 überwinterte. Es ist, als würde man eine Zeitreise machen, als würde man, wie in der »Unendlichen Geschichte«, hineintauchen in ein aufregendes Buch. In eine Welt, die es eigentlich gar nicht gibt und die man jetzt geschenkt bekommen hat. Und ich konnte nicht glauben, dass ich wirklich dort war.

Wer im arktischen Eis immer nur die kalte Wüste sieht, dem wird sich diese Welt nie öffnen. Für alle anderen wird die Kargheit der arktischen Landschaft bei Weitem wettgemacht, durch all die Geschichten, die der Mensch schon in sie hineingeschrieben hat. Und durch die tapferen, zähen Lebewesen, egal ob Tiere oder Pflanzen, die sich an diese harte Welt angepasst haben. In einem saftigen, vor Leben strotzenden Dschungel sehen wir die kleinen Blüten nicht mehr, die winzigen Einzelheiten, wir werden überflutet mit Eindrücken, Gerüchen, alle Sinne haben zu tun und werden darüber stumpf. Die Eislandschaft hat den gegenteiligen Effekt. Unsere Sinne werden geschärft, Kleinigkeiten werden groß, die kleinsten Blümchen auf einem Platz, den das Eis freigelassen hat, werden bewundert, bejubelt, mit größter Dankbarkeit begrüßt. Man wird still, von Frieden und Freude erfüllt. Eingehüllt in Daunen fühlt man sich klein, so klein, gegenüber einer zarten Blume, die schutzlos diesen Gewalten trotzt. Der Mensch, begreift man, ist das schwächste aller Lebewesen.

Eines hat auf meinen Reisen immer das andere gegeben, auf jeder ist wieder etwas Neues entstanden. Du hast das, was man braucht, hier oben, sagt Victor einmal zu mir, auf der Brücke eines Eisbrechers, auf der ich seit Stunden stehe und mit dem Fernglas das Eis nach Bären absuche. Die Arktis, sie hat...

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