Liebe um jeden Preis? –
Meine Schubladengeschichte
Im Juni 1995 bemerkte ich zum ersten Mal bewusst, dass ich in einer der Schubladen steckte. Das war drei Tage vor meiner geplanten standesamtlichen Hochzeit. Ich saß bei meinem HNO-Arzt, der mir eine schwere Nebenhöhlenentzündung diagnostizierte, die die Einnahme von Antibiotika nötig machte. Als ich den Arzt fragte, ob ich denn in drei Tagen wieder fit sei, da ich vorhabe zu heiraten, konfrontierte er mich mit zwei einfachen Fragen. Er fragte mich, ob ich schon einmal von einer Braut gehört habe, die ihre Hochzeit wegen Krankheit absagt hätte. Und er fragte mich, wovon ich denn tatsächlich die Nase voll hätte. Mit einem Schlag fühlte ich eine absolute Schwere. Alles, was ich bis zu diesem Zeitpunkt unbewusst verdrängt hatte, brach über mich herein. Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich die letzten zwei Jahre eine Beziehung geführt hatte, in der ich mich total angepasst, untergeordnet und daher auch verloren hatte. Mein damaliger Lebensgefährte hatte das nicht einmal von mir verlangt. Ich habe von Beginn unserer Beziehung an ausschließlich seine beruflichen Träume unterstützt und seine bzw. unsere gemeinsamen Unternehmen mit auf- und ausgebaut. Meine eigenen Visionen spielten für mich keine Rolle. Klar, ich habe in dieser Zeit unglaublich viel gelernt, und einige der Tätigkeiten, zum Beispiel die PR-Arbeit, machten mir auch wirklich Spaß. Ich selbst kam allerdings in keiner dieser Tätigkeiten vor. Ich war superjung, und das Einzige, was ich mir damals unbewusst total wünschte, war, geheiratet, geliebt und beschützt zu werden. Auf dem Stuhl meines HNO-Arztes erkannte ich schlagartig, was ich alles unbewusst bereit gewesen war, zu opfern. Ja, ich spürte, dass ich mich komplett übergangen hatte. Meine eigenen Wünsche und Träume hatte ich in der hintersten Ecke meines Bewusstseins eingemottet und verstauben lassen. Ich hatte versucht, damit meinen ungestillten Hunger danach zu stillen, geliebt zu werden, nicht mehr allein sein zu müssen, es wert zu sein, geheiratet zu werden. Ich war nämlich damals lange Zeit der Meinung, dass ich nur einen Wert habe, wenn ich verheiratet sei. Wow! Was für eine Ansammlung an Bullshitstorys! Genau diese Bullshitstorys (»Ich muss mich anpassen, um geliebt zu werden«, »Ich muss meine Träume hintenanstellen, um geheiratet zu werden«) hatten mich in die totale Selbstaufgabe und in letzter Instanz auch in die Krankheit geführt, denn innerlicher Dauerstress ist für das Immunsystem Gift.
Nachdem mir im gleichen Moment klar wurde, dass ich das alles definitiv NICHT musste, traf ich eine Entscheidung, die mir unerwartet leichtfiel und die sich auch leicht anfühlte: Ich sprach mit meinem damaligen Partner, und wir beschlossen, die Hochzeit abzusagen. Das wiederum war weiß Gott kein leichter Schritt. Niemand um uns herum konnte unsere Entscheidung nachvollziehen. Alle hätten sich gewünscht, dass wir unser Glück und unsere Liebe durch die Hochzeit legitimierten. Es war alles andere als easy, die Gespräche mit der Familie und den Freunden zu führen, all die Geschenke, die uns schon erreicht hatten, zurückzusenden, dem Standesamt abzusagen – eben all diese Schritte zu tätigen. Aber die Freiheit, die mich danach durchflutete, das absolut geniale Gefühl, über mich selbst bestimmen zu können, war all das wert. Dieses unglaublich erhebende und mich mit Glück durchflutende Gefühl war der absolute Hammer! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie vielen Menschen ich in den letzten Jahren begegnet bin und diese Geschichte erzählt habe. Immer wieder höre ich dann von Leuten, denen Ähnliches kurz vor ihrer Hochzeit widerfahren ist, die die Hochzeit dennoch durchgezogen und sich meistens kurze Zeit nach der Hochzeit oder noch im ersten Ehejahr wieder getrennt haben. Nach der abgesagten Hochzeit blieben wir noch ein paar Monate zusammen, und ich orientierte mich beruflich wie auch persönlich neu. Ich machte mich auf, meinen ureigenen Weg zu finden und zu gehen. Das war der Moment, an dem die bewusstere Suche nach dem, was mich erfüllt, begann.
Heute habe ich bereits vielen Menschen helfen dürfen, sich von ihren Bullshitstorys zu befreien. Meine Historie – und glaube mir, das Beispiel mit der Hochzeit war nur eins von unendlich vielen – hat mir geholfen, eine wichtige Fähigkeit zu entfalten: Ich konnte dadurch den Blick entwickeln, der nötig ist, um die Bullshitstorys immer wieder aufs Neue bei mir und anderen zu enttarnen. Wenn du noch unsicher bist, wie du deine Bullshitstorys finden kannst, gibt es einen eindeutigen Indikator: die Schwere.
Bullshitstorys finden
Wenn ein Satz in deinem Kopf auftaucht, stelle ihn auf die Empfindungsprobe. Wie fühlst du dich, wenn du dir diesen Satz noch einmal sagst? Erfreut und leicht? Oder schwer? Bleischwer? Wie erschlagen? Ratlos …
Die Schwere ist ein hervorragender Indikator für eine Bullshitstory.
Daher nun die folgenden Fragen an dich:
Lebst du derzeit in einer Liebesbeziehung? Wenn nein, denke bitte an deine letzte Liebesbeziehung.
Glaubst du, gewisse Dinge tun zu müssen, um geliebt zu werden? Wenn ja, was sind das für Dinge, die du tust?
Werden diese Dinge wirklich (von einem anderen Menschen) von dir verlangt, oder tust du das, weil du glaubst, das tun zu müssen, weil das deine unbewussten Bullshitstorys sind?
Fühlt sich das, was du tust, schwer an?
Bewerte auf einer Skala von 1–10 (wenn 1 der niedrigste Wert und 10 der höchste Wert ist), wie sehr dich deine Beziehung anstrengt.
Was macht es mit dir, wenn du einen ganz wichtigen Teil von dir mit Nichtachtung strafst? Wenn du diesem Teil keine Anerkennung zollst bzw. diesem Teil deines Selbst nicht den Raum gibst, den es benötigt, um sich zu entfalten? Was passiert, wenn du dauernd, immer mal wieder oder auch nur in bestimmten Kontexten eine Rolle spielst? Wenn du eben nicht authentisch du selbst bist? Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen und der Arbeit mit meinen Klienten weiß ich, dass dich ein solches Verhalten aus dem Gleichgewicht bringen und total erschöpfen kann. Auf Dauer macht ein solcher Habitus unglücklich und sogar krank, denn er hält dich Lichtjahre entfernt von deinem Erfüllungsort gefangen – in besagter Schublade der Unzufriedenheit. Dort eingesperrt hast du keine Möglichkeit, deine Intuition richtig zu spüren, ihr Raum zu geben bzw. entsprechend deiner Intuition zu handeln.
Was ist Intuition?
Manche nennen es Intuition, andere die Stimme des Herzens. Egal wie ich Intuition definiere; für mich ist wichtig, was sie zu tun vermag: Meine Intuition sagt mir, was für mich richtig und stimmig ist. Sie verbindet mich mit meinen, und nur meinen, tiefsten Gefühlen, und wenn ich mich mit ihr verbinde, sorgt sie dafür, dass ich diese Gefühle leben und meinen ureigenen Weg gehen darf.
Je mehr ich nach der intuitiven Wahrnehmung handle, je mehr ich fühle, was für mich wahr ist, desto mehr kann ich diesen wunderbaren Schlüssel nutzen, um noch viel mehr Intuition zuzulassen und mich mehr und mehr auf sie verlassen zu können.
Wie oft hast du schon zu dir gesagt: »Dumm gelaufen, aber das hatte ich schon im Gefühl!« Wie oft hast du gewusst, dass du in die falsche Richtung marschierst, und aus Vernunftgründen eine andere Entscheidung gefällt? Damit warst du dir gegenüber nicht freundlich. Deiner Intuition mehr und mehr zu vertrauen – ich betone das immer wieder, weil es immens wichtig ist – bedeutet auch, entsprechend deiner Intuition zu handeln. Denn nur wenn diese größte magische Gabe, die in jedem von uns angelegt ist, wertgeschätzt wird und sich durch entsprechende Handlungen entfalten kann, gelingt es, aus dem Gefängnis der Unzufriedenheit – das übrigens gerne auch als »Komfortzone« bezeichnet wird – auszubrechen.
Komfortzonen sind nichts anderes als Schubladen, die dich gefangen halten.
Dieser Ausbruch ist total erfüllend und heilsam. ABER: Dafür darfst du noch viel mehr ins »TUN« kommen.
Bullshitstorys – Das Prinzip von Zustimmung und Ablehnung
Jetzt weißt du bereits, dass es sogenannte Schubladen gibt, in denen du feststeckst, und du hast erfahren, dass dich verschiedene, negative Glaubenssätze, die Bullshitstorys, in diesen Schubladen anketten. Die Bullshitstorys hast du dir irgendwann von irgendwem meist unbewusst angeeignet bzw. übernommen. Du glaubst, dass das, was du empfindest, deine eigene Erfahrung, deine eigenen Gedanken, deine eigenen Gefühle, deine eigenen Ängste sind. Steigen wir nun noch ein wenig tiefer in die Komplexität der Bullshitstorys ein, denn sie sorgen nicht nur dafür, dass du glaubst, etwas Bestimmtes tun oder sein zu müssen, sie bringen dich auch dazu, dich zu beschweren, Seiten von dir nicht zu zeigen oder nicht das Richtige für dich zu tun.
Dieses Prinzip bezeichne ich das »Prinzip von Zustimmung und Ablehnung«. Das bedeutet, dass es zum einen Bullshitstorys in dir gibt, die dafür sorgen, dass du dich anpasst, und zum anderen welche, die dich in Opposition gehen lassen:
Beispiele für Bullshitstorys der Zustimmung:
Ich muss mich so verhalten/das tun, um geliebt zu werden.
Ich muss mich so verhalten/das tun, um anerkannt zu werden.
Ich muss mich so verhalten/das tun, um akzeptiert zu werden.
Ich muss mich so verhalten/das tun, um respektiert zu werden.
Ich muss mich so verhalten/das tun, um gemocht zu...