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Vaterlos

Wie die Abwesenheit des Vaters das Leben der Tochter prägt - Verstehen und bewältigen -

AutorDenna Babul, Karin Luise
VerlagMosaik bei Goldmann
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783641111854
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Als wichtigster Mann im Leben eines Mädchens steht der Vater für Sicherheit und Stabilität. Fehlt der Vater - aus welchen Gründen auch immer -, so hat das enorme Folgen bis ins Erwachsenenalter. Denna D. Babul und Dr. Karin Luise verdeutlichen, was abwesende Väter für das Leben der Töchter bedeuten und wie dieser Verlust alle folgenden Beziehungen prägt. Mit großem Einfühlungsvermögen und fachlicher Kompetenz helfen die Autorinnen dabei, die Abwesenheit des Vaters zu verarbeiten und so ein selbstbestimmtes und glückliches Leben zu führen.

Denna D. Babul ist staatlich geprüfte Krankenschwester, Coach, Referentin und Autorin sowie eine der Gründerinnen der gemeinnützigen Organisation »The Fatherless Daughter Project«. Da sie selbst ohne Vater aufwuchs, ist es ihr ein besonderes Anliegen, anderen Frauen ohne Vater Gemeinschaft und Unterstützung zu bieten. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Atlanta.

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Leseprobe

Einleitung

Dieses Buch bedeutet uns sehr viel. Wir denken, dass es auch Ihnen viel bedeuten kann. Wir haben erlebt, was Sie erlebt haben. Wir wollen Ihnen dabei helfen, besser zu verstehen, wie sich der Verlust Ihres Vaters auf Ihr Leben auswirkt und wie diese Wunde heilen kann. Wir brennen darauf, unser Wissen mit Frauen zu teilen, eben weil wir diese persönliche Erfahrung haben und weil wir uns mit diesem Thema auch beruflich beschäftigten. Wir möchten, dass Frauen besser verstehen, warum sie handeln und fühlen, wie sie es tun – weil sie vaterlos sind.

Bei der Recherche zu diesem Buch wurde uns klar, dass wir noch mehr brauchen, um Frauen dabei zu helfen, sich in den Geschichten anderer wiederzuerkennen. Deshalb arbeiten wir an einem dreißigminütigen Dokumentarfilm, The Fatherless Daughter Project, voll intimer und fesselnder Interviews mit einer Gruppe ganz unterschiedlicher vaterloser Frauen, die zeigen, wie belastbar und wie erfolgreich diese Frauen in ihrem Leben sind.

Neben dem Dokumentarfilm wollten wir dieses Buch schreiben, um unsere Geschichten zu erzählen, die Geschichten der Frauen, die ihren Vater verloren, und vor allem auch über die erfolgreichen Strategien, mit diesem Verlust umzugehen, zu überleben und trotz dieses Verlustes im Leben zurechtzukommen und erfolgreich zu sein. Jede Frau hat ihre eigene, einzigartige Geschichte, doch vaterlose Töchter haben auch viel gemeinsam.

Karins Vaterverluste waren die Folge von Scheidung, Adoption und Zerrüttung. Dennas Verluste waren die Folge von Scheidung und Tod.

Karins Geschichte

Während der Arbeit an diesem Buch sprachen Denna und ich immer wieder über unsere eigenen Geschichten. Weil wir beide bereit waren, unser Leben unter die Lupe zu nehmen, kam es zu diesen überraschenden, lebensverändernden Momenten. Während der ersten großen Überarbeitung wurde mir klar, dass ich mit meinem Vater reden musste – meinem biologischen Vater. Er ist nicht der Vater, der mich aufzog, aber der Vater, dem ich mein Leben verdanke und der allmählich immer größeren Raum in meinem Alltag einnahm. Im Lauf der Jahre waren wir uns nähergekommen und sahen uns immer regelmäßiger. Er wurde ein wunderbarer Opa für meine drei Kinder. Obwohl meine Kinder ihren Opa haben, spürte ich diese Leere. Wir hatten nie darüber gesprochen, was diese Jahre, in denen er abwesend war, mit mir gemacht hatten. Und damit hatte ich immer noch zu kämpfen.

An einem sonnigen Junimorgen kam Vater wieder zu seinem üblichen Freitagsbesuch vorbei. Er wusste, dass ich an einem Buch über vaterlose Töchter arbeitete, aber wir hatten nie länger darüber gesprochen. Wir hatten über viele Dinge gesprochen; nur einfach nie über uns. Ich hatte dieses heikle Thema wohl vermieden, da ich wusste, wie schwierig ein Gespräch darüber sein würde.

Seine Abwesenheit während meiner Kindheit hatte verschiedene Ursachen; eine davon war, dass er mich meinem »neuen Vater« zur Adoption überlassen hatte. Die Geschichten meines Vaters und meiner Mutter widersprachen einander, was mich verwirrte. Ich verstand das Ganze nicht und hatte mich so lange von ihm verlassen gefühlt. Dass ich 20 Jahre später keinen Kontakt mehr zu meinem Adoptivvater hatte, machte alles nur noch bitterer. Trotzdem wollte ich meinen biologischen Vater keinesfalls durch meine Sicht der Dinge verschrecken und ihm so Anlass geben, mich erneut zu verlassen. Obwohl ich auf den idealen Augenblick für DAS GESPRÄCH wartete, ahnte ich nicht, dass es an diesem Vormittag stattfinden würde.

Er überrumpelte mich, als die Kinder zum Spielen das Zimmer verließen und Ruhe einkehrte. Langsam ging er um den Frühstückstisch und legte die Hand auf die geschwungene Rückenlehne eines Stuhls. Er wollte mir etwas sagen, was ihm schon lange am Herzen lag, das war mir sofort klar. »Karin, ich hab mir online deine Forschungsstudie zu den vaterlosen Töchtern angesehen.« Kopfschüttelnd verzog er das Gesicht und fixierte die weiße Tischdecke. Mir klopfte das Herz, ich blieb an der Küchentheke stehen und wartete. Das war DAS GESPRÄCH.

»Begreifst du dich als vaterlos? Ich meine, ich bin dein Vater und ich bin hier.« Einen Augenblick lang standen wir absolut regungslos, die Frage hing in der Luft, er sah mich an, ich suchte nach einem Sicherheitsnetz. Oje, was soll ich sagen? Ich bin nicht dazu bereit … Das kann ich nicht machen … Ich habe Angst, das zu sagen, was ich sagen möchte. Mein Herz schlug so heftig, dass ich fürchtete, ohnmächtig zu werden. Ich holte tief Luft. Ich musste meine jahrzehntealte Unsicherheit überwinden und sprechen. Was war dieser aufrichtige, ehrliche erste Satz? Ich sagte mir: »Du weißt es, Karin. Du musst es nur aussprechen.« Ich musste die Angst überwinden, die sich schon zu lange in mir breitmachte. Ich fasste mich und blickte ihm in die Augen.

»Papa, zuerst möchte ich sagen, wie froh ich bin, dass du jetzt hier bist. Ich will das auf keinen Fall verlieren. Ich bin so dankbar, dass du zu unserem Leben gehörst und dass meine Kinder ihren Opa haben.« Ich hielt inne. Würde dieser neue Mut tief in mir mich weitertragen? »Aber, Papa, als kleines Mädchen habe ich meinen Vater verloren. Du hast mich zur Adoption freigegeben. Du hast zugelassen, dass ein anderer Mann mich aufzieht, und nun ist auch der Kontakt zwischen ihm und mir abgerissen. Du hast keine Ahnung, was ich durchgemacht habe. Ich hatte so lange keinen Kontakt zu dir. Es gibt so viel, worüber wir nie gesprochen haben. Ich habe schlimme Zeiten hinter mir, es ging mir über Jahre schlecht.« Ich machte eine Pause, da ich spürte, dass er dazu etwas sagen wollte.

»Meinst du, es war nur für dich schlimm?«, warf er ein. »Hast du eine Vorstellung, wie schwer es für mich war?«

Ich spürte wieder, wie mein Blut in Wallung geriet, als er statt von mir von sich sprach. Heute wollte ich über mich reden. »Ja, ich weiß, es war schwer für dich, Papa, und das tut mir leid. Das tut mir alles leid. Aber es ist passiert. Es ist mir passiert. Ich war ein kleines Mädchen. Ich war die Tochter, und du warst der Vater. Du warst der Erwachsene. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich war ein Kind

Er fuhr fort, seine Wahrheit zu erzählen. Er wollte, dass ich erfuhr, wie sehr er sich gewünscht hatte, Teil meines Lebens zu sein, aber er habe das Gefühl gehabt, keine Wahl zu haben. Diese Geschichte hatte ich schon oft gehört, und ich wollte mich nicht noch einmal mit den Details auseinandersetzen. Ich wollte selbst Gehör finden.

Ich hatte das Bedürfnis, meinem Vater von den verlorenen Jahren zu erzählen, der Depression und den negativen Folgen, die mein ganzes Leben überschatteten. Ich erzählte ihm vom Ritzen, den Tränen und den Traumata, die ich nur selten beim Namen nenne. Als ich weinte, wirkte er bestürzt. Mir war klar, dass meine Geschichte ihn verwirrte, aber um keinen Preis wollte ich zulassen, dass er das Thema wechselte, um nicht hören zu müssen, was ich sagen wollte. Ich wollte das hier loswerden. Jetzt. Ich holte tief Luft und sagte etwas, was ich noch nie gesagt hatte.

»Papa, bitte hör auf, das Thema zu wechseln. Ich muss über das hier reden – über mich – und du musst zuhören. Ich brauch dich hier, ich brauch es, dass du mir zuhörst. Ich muss dir das sagen. Du hast mich nicht beschützt. Du bist nicht gekommen, um die Bösen zu vertreiben, auch dann nicht, als ich versucht habe, dir zu sagen, was läuft. Ich hätte dich gebraucht, damit du für mich eintrittst. Ich hätte irgendjemanden gebraucht, der für mich eintritt. Sogar jetzt stehen wir hier, und ich weine und erzähl dir das alles, und du weichst mir aus.« Überrascht von meiner Offenheit verharrte er regungslos. Aber er hörte zu. Und dann setzte ich alles auf eine Karte und bat ihn um genau das, was ich brauchte.

»Papa«, ich zitterte, »ich … möchte, dass du zu mir sagst: ›Es tut mir leid. Es tut mir leid, dass ich nicht da war. Es tut mir leid, dass das passierte.‹ Und dann musst du mich in die Arme nehmen.« Ich wartete.

Während ich meine Tränen wegwischte, machte mein Vater etwas anderes. Er stand wie ich schweigend da. Er schloss die Augen. Dann trat er zu mir und umarmte mich. Er blieb im Zimmer, jetzt, und bei mir. Dann flüsterte er mir ins Ohr: »Karin, es tut mir leid, dass ich nicht da war.« Und mit diesen zehn Worten bekam ich das Geschenk, auf das ich 40 Jahre gewartet hatte. Wahrgenommen werden. Eine Entschuldigung. Eine Umarmung. Als wir uns in den Armen lagen, spürte ich, wie sich die klaffende Lücke zwischen uns zu schließen begann.

Dennas Geschichte

Ich verlor meinen Vater zweimal. Zum ersten Mal, als ich drei war und meine Eltern sich scheiden ließen. Das zweite Mal, als ich 13 war und er ermordet wurde. Erst 2008, da war ich 37, hatte ich einen entscheidenden Durchbruch und konnte meine Geschichte – mein Leben – benutzen, um anderen vaterlosen Frauen zu helfen.

Erst nachdem ich mich hatte scheiden lassen und in einen anderen Staat zog, um ein neues Leben anzufangen, spürte ich, wie mein altes Leben mein neues Leben beeinflusste. Meine Angst, verlassen zu werden, kam wieder hoch, da ich alle hinter mir gelassen hatte, die ich kannte und liebte. Meine neue Beziehung lief nicht gut. Ich klammerte mich daran, um mich nicht mit meiner Vergangenheit auseinandersetzen zu müssen. Nachdem wir zum dritten Mal und endgültig Schluss gemacht...

Blick ins Buch

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