1.
Mit einer für ihn seltenen Ungeduld wartete Theodor Fontane in seiner Berliner Wohnung auf die Heimkehr von Tochter Martha. Sie war nach Rostock gereist, um ihre Herzensfreundin Lise Witte zu besuchen – die beiden jungen Damen waren seit Kinderzeiten ein Herz und eine Seele. Kein Zweifel, als Vater gönnte er ihr die wohlverdienten Ferien, aber schließlich sollte sie in wenigen Tagen ihre erste Stelle antreten! Daß sie davon nichts schrieb, war besorgniserregend.
Einen Vorwurf konnte man Mete allerdings nicht machen. Sie hatte das Königliche Lehrerinnenseminar mit Fleiß und Ausdauer zwei Jahre lang besucht und mit gutem Abschluß beendet. Eine Debatte über die Berufswahl hatte es freilich nie gegeben, warum auch, eine andere Tätigkeit kam ohnehin nicht in Frage. Für Mädchen gab es eben kein Gymnasium, kein Abitur und erst recht kein Studium. Doch er war überzeugt: Martha würde eine vorzügliche Lehrerin abgeben. Auch er war schließlich lange genug als Hauslehrer tätig gewesen, hatte den Wangenheim-Töchtern Deutsch und Geographie beigebracht und sich damit ein schönes Zubrot verdient.
Fontane war ungemein stolz auf seine kluge Tochter. Sie war erst achtzehn, und schon winkten berufliche Aussichten. Martha würde bei Familie Stockhausen, zu der er und seine Frau Emilie seit geraumer Zeit freundschaftliche Kontakte pflegten, als Erzieherin die Kinder betreuen. Zwar hatte er auch seine Vorbehalte – geschäftsmäßige Beziehungen unter Freunden hatte er noch nie gemocht. Was, wenn Mete sich dort auf Dauer nicht wohl fühlte? Seine Zweifel galten nicht der Person von Frau Stockhausen, die seit ihrem Einzug in Berlin zu Emilies engster Vertrauten geworden war, nein, der Hausherr war es, dessen arrogantes Wesen ihn störte, so daß er sich fragte, wie Mete im täglichen Zusammensein mit diesem eitlen Pfau zurechtkommen würde. Doch zu seiner Verwunderung schienen sich die beiden Mütter – Emilie Fontane und Clara Stockhausen – darüber keine Sorgen zu machen. Emilie empfand es sogar als besonderen Vorzug, ihre Tochter einem so hochgestellten Familienkreis anzuvertrauen. Das Ehepaar Stockhausen gebot durch sein kultiviertes Haus und den vornehmen gesellschaftlichen Rahmen über eine Welt, zu der die nicht eben verwöhnte Martha sonst kaum Zutritt erhalten würde.
Eine solche Welt konnte der Vater ihr bei allem guten Willen nicht bieten. Theodor Fontane war ein begnadeter Dichter, was er vor allem durch seine Balladen bewiesen hatte, die schon jetzt in den Schulbüchern zu finden waren. Doch große Erfolge oder gar ein bedeutendes Vermögen hatte er damit nicht erwerben können, im Gegenteil, lange hatten er und Emilie mit zwei kleinen Söhnen am Rande des Existenzminimums leben müssen. Inzwischen waren zwei weitere Kinder hinzugekommen, und er hatte eine Menge veröffentlicht: die Wanderungen durch die Mark Brandenburg, historische Aufsätze, den Bericht über seine französische Gefangenschaft und den Krieg mit Frankreich 1870/1871. Doch erst ein einziges größeres Werk war bisher erschienen, und auch das nur in Fortsetzungen: der Roman Vor dem Sturm. Großen Ruhm hatte er zu seiner Enttäuschung auch mit diesem historisch angelegten Roman nicht erlangt. Dabei war für einen Dichter nichts so wichtig wie Popularität und Erfolg. Als »freier Schriftsteller« ohne feste Anstellung ernährte er seine sechsköpfige Familie ausschließlich durch sein Schreiben – Reichtümer würde er damit wohl kaum anhäufen können. Es war seine tapfere Ehefrau, die diesen Zustand seit Jahren ertrug. Man konnte ihr die Vorwürfe, Tränen und Unkenrufe nicht übelnehmen, wenn auch Zutrauen und Geduld für seine Arbeit zweifellos hilfreicher gewesen wären.
2.
Zum Glück gab es Mete. Die einzige Tochter, getauft auf die Namen Martha Elisabeth, war bei Frühlingsanfang am 21. März 1860 in Berlin zur Welt gekommen. Was für eine Freude: nach fünf Söhnen, von denen zwei am Leben geblieben waren, endlich eine Tochter! Ihre Geburt hatte noch in der Tempelhofer Straße stattgefunden, wo die Familie ein Haus »trockengewohnt« und der dreijährige Theo durch Staub und Schimmel eine Krankheit bekommen hatte. Bei der Geburt seines Ältesten hatte Fontane sich als frischgebackener Vater präsentiert. Doch »frischgebacken« war er keineswegs, sondern bereits Vater zweier unehelicher Kinder, die einem Verhältnis aus der Zeit entstammten, als er seine geliebte Emilie aus Geldmangel nicht heiraten konnte. Damals hatte der Zwanzigjährige dem Freund Bernhard von Lepel geklagt: »Meine Kinder fressen mir die Haare vom Kopf, eh die Welt weiß, daß ich überhaupt welche habe.« Fünf volle Jahre hatte die Verlobungszeit gedauert, bis er endlich am 16. Oktober 1850 die aparte Emilie Rouanet-Kummer zum Altar führen konnte. Dreizehn Monate später, im November 1851, war sein ältester Sohn zur Welt gekommen, George Fontane, den er sehr liebte. Die drei Buben, die ihm folgen – 1852 Rudolph, 1853 Peter Paul, 1855 Ulrich –, waren alle noch im Säuglingsalter dahingerafft worden. Nur Theo, der 1856 zur Welt kam, blieb am Leben. »Meine Jungen gedeihen«, meldete Emilie damals ihrer Stiefmutter Bertha Kummer, als George und Theo gesund heranwuchsen, aber sie sei doch froh, »daß sich ihnen kein Schwesterchen zugesellt hat«. Der Vater war anderer Meinung. Längst hatte er sich ein Mädchen gewünscht – nun war es da! Es herrschte jedoch in pekuniärer Hinsicht ein solcher Mangel, daß Emilie ihrer Mutter bekennen mußte, sie besitze »weder Windel noch Hemdchen noch sonstwas«.1 Sie waren arm. Fontane machte sogar vor der Geburt den absonderlichen Vorschlag, das angekündigte Kind »zu anderen Leuten zu tun«.
Dazu kam es zum Glück nicht, und die Kleine gedieh prächtig. Vier Jahre nach Martha gesellte sich 1864 ein viertes Kind hinzu, der Sohn Friedrich, genannt Friedel. Liebling des Vaters aber war und blieb die Tochter. »Mäte« war der Name, den sie sich selbst gab, daraus war bald Mete entstanden. Mit ihrem wachen Blick aus großen Augen und ihrer rührend schmalen Gestalt war sie eine Augenweide, überdies in jeder Hinsicht ganz sein Kind, zumal als sie die ersten Sätze plapperte. Sie wuchs ihm so ans Herz, daß er sie schon vermißte, als Emilie mit der Zweijährigen zu ihrer Jugendfreundin Johanna Treutler aufs Land fuhr. »Küsse meinen Liebling, die wilde Range (schreibe mir auch immer von ihr)«, verlangte er. (30. 6. 1862)
Der Kommerzienrat und erfolgreiche Zuckerfabrikant Georg Friedrich Treutler und seine Frau Johanna, die ein Schloß bei Liegnitz bewohnten, boten Mutter und Tochter Jahr für Jahr ein angenehmes Feriendomizil. Emilie hielt sich regelmäßig viele Wochen bei Treutlers auf, und so war es nicht verwunderlich, daß auch Martha den Aufenthalt auf dem Gutsgelände der Enge einer Berliner Stadtwohnung vorzog. Sie war als Kind schwer zu bändigen, ohne Schläge wurde die Mutter mit ihren Unarten nicht fertig – und Unarten hielten Emilies Nerven nicht aus. Die Prügel mit der Rute blieben Martha in unguter Erinnerung; später hatte sie das Gefühl, von der Mutter nicht gemocht zu sein. Die Zuneigung des Vaters aber spürte sie von Anfang an. Henriette von Merckel, die gute Freundin des Hauses, fand sie wild und unberechenbar »wie Quecksilber«; Fontane nannte sie einen »Springhasen«. Immerhin: für ihre erste photographische Aufnahme in einem Berliner Atelier stand die Sechsjährige mit Buch und Puppe unbeweglich auf einem Stuhl, und in Abwesenheit der Mutter machte sie sich schön für einen Kindergeburtstag, »ganz in Weiß mit breiter roter Schärpe, halb Prinzessin, halb Köchin«, wobei Fontane lachend meinte, sie werde die Prinzessin wohl vorziehen. (2. 11. 1868)2
Da die Zukunft einer Tochter ungewisser war als die eines Sohnes, fassten die Eltern den Plan, Martha nach London in die Obhut ihrer Patin Martha Merington zu geben. Es sei »ein wohlüberlebter und wohlgereifter Entschluß«, versicherte Fontane seiner alten Freundin Mathilde von Rohr. »Da wir unsren Kindern sonst...