Hinweise für die Leserin/den Leser
In diesem Werk werden wissenschaftliche Erkenntnisse zur Entstehung von Sportverletzungen auf der Basis (sport-)psychologischer Theorien und Konzepte sowie empirischer Daten präsentiert und diskutiert. Aufgrund der Komplexität der Thematik war es zunächst notwendig, weitreichende theoretische Grundlagen zu erarbeiten und in einem um soziologische Konzepte erweiterten Modell zu integrieren, das einer empirischen Prüfung dienlich ist. Im Rahmen der empirischen Studien wurde eine Fülle von Daten gesammelt, statistisch verarbeitet und den wissenschaftlichen Standards gemäß aufbereitet.
Folgende Hinweise möchte ich im Vorfeld den Leserinnen und Lesern mit auf den Weg geben:
• Die Arbeit ist geschlechtergerecht in Anlehnung an die Vorschläge des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen der Universität Klagenfurt (2000), die von der Universität Salzburg empfohlen werden, formuliert.
• Ein schneller Überblick informiert über wesentliche Themen und Erkenntnisse der Arbeit; sie ist in Form einer Zusammenfassung vorangestellt (S. 10 ff.).
• Statistische Kennwerte werden in der gebotenen Ausführlichkeit berichtet. Es sei darauf hingewiesen, dass für post-hoc-Vergleiche der Übersichtlichkeit halber lediglich p-Werte angegeben werden. Bei inferenzstatistischen Hypothesenprüfungen, die komplexerer Natur sind, werden zum Teil ausführlichere Statistiken berichtet, z. B. in Form von Angaben zu Quadratsummen und mittleren Quadraten im Rahmen varianzanalytischer Modelle. Dies geschieht vor allem dann, wenn eine genauere Verteilung der Treatment-und Fehlervarianzen für die Interpretation der Ergebnisse wichtige Zusatzinformationen enthält, z. B. wenn kovarianzanalytische Prüfungen vorgenommen werden.
• Die Anwendung inferenzstatistischer Verfahren wurde durch Prüfung der Voraussetzungen (z. B. Normalverteilung, Homogenität der Varianzen) abgesichert. Aufgrund der Fülle von Prüfstatistiken wurde auf eine detaillierte Darstellung verzichtet. Falls eine gravierende Verletzung der Voraussetzungen für ein Verfahren zu verzeichnen war, wurde dies im Text vermerkt, diskutiert und ggf. ergänzend ein parameterfreies Alternativverfahren angewendet.
• Die Messinstrumente werden aufgrund ihres Umfangs als Supplement zusammengestellt. Sie können bei der Autorin angefragt werden.
Überblick und Zusammenfassung der Arbeit
Im Folgenden soll eine kurze Zusammenschau der einzelnen Kapitel einen komprimierten Überblick bieten. Sie verdichtet Untersuchungsanliegen, theoretische und methodische Zugangsweisen sowie wesentliche Erkenntnisse der einzelnen Studienabschnitte.
Problemfeld Sportverletzung
Sportverletzungen sind akute, makrotraumatische Einwirkungen auf den Organismus, die eine unmittelbare Schädigung des Körpers nach sich ziehen und nach betroffener Körperregion/Gewebestruktur bzw. Schweregrad klassifiziert werden können.
Die einheitliche und damit vergleichbare Erfassung von Sportverletzungen ist aufgrund der unterschiedlichen Zugänge und Fragestellungen schwierig und bislang nicht gelöst. Eine Kombination verschiedener objektiver und subjektiver Angaben zu Anzahl von Verletzungsereignissen, Schweregrad der Verletzung sowie situative Unfallbedingungen wird als zielführend erachtet.
Prävalenz- und Inzidenzangaben verdeutlichen die gesellschaftliche Relevanz von Verletzungsereignissen im Sport. Die Gesamtbelastung des Gesundheitssystems in Österreich wird auf über 500 Mio Euro beziffert.
Die Entstehung von Sportverletzungen wird als multikausales Bedingungsgefüge diskutiert. Psychische Determinanten werden seit drei Jahrzehnten als Verletzungsursachen untersucht.
Zwei wesentliche theoretische Zugänge werden in der sportpsychologischen Verletzungsforschung gewählt: Die handlungspsychologische Perspektive nimmt das Unfallgeschehen als Resultat von Handlungsfehlern in den Blick, die stress-theoretische Perspektive erklärt das Entstehen von Verletzungsereignissen als Folge eines ungünstigen Zusammenwirkens von Persönlichkeitsmerkmalen, Stressoren und Bewältigungsressourcen.
Forschungsdesiderate
In den psychologischen Modellen zur Entstehung von Sportverletzungen werden einige Parameter nicht oder nur unzureichend berücksichtigt.
Seitens der Personmerkmale sind in diesem Zusammenhang Aspekte der Leistungsmotivation zu nennen. Vor allem die Anstrengungs-oder Verausgabungsbereitschaft wurden bislang in Sportverletzungsmodellen vernachlässigt. Sie sollen im vorliegenden Forschungsprogramm stärker eingebunden werden.
Gleiches gilt für die Berücksichtigung sozialer Bezugsnormen von Leistungsmotivation und Leistungshandeln. Inwieweit die wahrgenommene und/oder erwünschte Anerkennung anderer Personen für die gezeigte Verausgabungsbereitschaft im Zusammenhang mit Verletzungsereignissen im Sport stehen, ist bislang nicht untersucht und soll entsprechend Berücksichtigung finden.
Die Zusammenführung leistungsmotivationaler Komponenten und psychosozialer Aspekte in ein theoretisch fundiertes Modell wird angestrebt.
Die Entwicklung und Prüfung geeigneter Messinstrumente ist wesentlicher Bestandteil der Arbeit.
Die empirische Prüfung des Zusammenhangs zwischen psychosozialen Aspekten und der Entstehung von Sportverletzungen erfolgt in prä-post Designs mit längsschnittlichem Charakter.
Verausgabungsbereitschaft als Prädiktor für Sportverletzungen – Studie 1
Verschiedene Konzepte der Verausgabungsbereitschaft wurden vorgestellt und miteinander hinsichtlich ihrer wesentlichen Charakteristika verglichen. Es dominieren Ansätze, die Erleben und Verhalten der Person im Sinne von Persönlichkeitsmerkmalen thematisieren.
Das Effort-Reward-Imbalance-Modell setzt die individuelle Verausgabungsbereitschaft einer Person in Bezug zu der dafür erwünschten bzw. erhaltenen sozialen Anerkennung. Auch werden gesundheitliche Risiken, die mit exzessiver Verausgabungsbereitschaft (Overcommitment) und einer Gratifikationskrise einhergehen, aufgezeigt, die einen schlüssigen Transfer auf den Kontext Sport und Sportverletzungen nahe legen.
Die Entwicklung der SVBS (Skala zur Verausgabungsbereitschaft im Sport) hatte zum Ziel, in einem klaren Bezug zur Verletzungsthematik im Sport sowohl die (exzessive) Verausgabungsbereitschaft als Verhaltensdimensionen, als auch die dafür wahrgenommene und erwünschte soziale Anerkennung von verschiedenen Personengruppen als soziale Bezugsdimensionen zu messen.
In Studie 1 wurde die psychometrische Prüfung der Skalen sowie ihres Erklärungswertes für Sportverletzungen an einer 665 Athlet/inn/en umfassenden Stichprobe vorgenommen, die einen breiten Querschnitt im Hinblick auf Wettkampfhäufigkeit, sportliches Niveau, Trainingsumfeld und –alter darstellt.
Analysen von Kontextvariablen zeigen, dass exzessive Verausgabungsbereitschaft stärker bei Männern, bei Personen auf hohem Leistungsniveau sowie mit hoher Wettkampfdichte und bei Mannschaftssportler/innen ausgeprägt ist. Insgesamt ziehen die Athlet/inn/en eine positive Bilanz, was das Verhältnis von wahrgenommener zu erwünschter sozialer Anerkennung für ihre Verausgabungsbereitschaft anbelangt – aber eine negative Bilanz, was dieses Verhältnis bezogen auf die exzessive Verausgabungsbereitschaft betrifft (es wird deutlich mehr Anerkennung für exzessives Verausgaben erwünscht als wahrgenommen wird). Letzteres ist besonders ausgeprägt bei Athlet/inn/en auf höchstem internationalen Wettkampfniveau und bei Frauen.
Der Erklärungswert der Dimensionen der Verausgabungsbereitschaft für die Entstehung von Sportverletzungen wurde retrospektiv und prospektiv mittels Regressionsanalysen geprüft, wobei differenzierte Analysen für beide Geschlechter und unterschiedliche Trainingsumfelder unter Kontrolle weiterer sportspezifischer Kontextvariablen vorgenommen wurden. Als Kriterium wurden subjektive Selbstauskünfte zu den Verletzungsereignissen herangezogen.
Die Befunde zeigen generell eine zu vernachlässigende Bedeutung der beiden Verhaltensdimensionen Einsatzwillen und exzessive Verausgabungsbereitschaft in der Erklärung von Verletzungsereignissen. Einen starken Erklärungswert für die Verletzungsvergangenheit weist die wahrgenommene Anerkennung der exzessiven Verausgabungsbereitschaft auf.
Die Prognose von Verletzungsereignissen gelingt am besten durch die persönliche Verletzungsvergangenheit. Bei Frauen und Personen, die alleine trainieren, hat jedoch auch der Wunsch nach sozialer Anerkennung für exzessive Verausgabungsbereitschaft einen zusätzlichen prädiktiven Wert.
Die Berücksichtigung der sozialen Wertschätzung für die Verausgabungsbereitschaft scheint einen substantiellen Beitrag zur Erklärung von Sportverletzungen liefern zu können. Eine Vertiefung der Forschungstätigkeit zu dieser Thematik ist demnach zielführend.
Aus methodischer Sicht scheint eine Modifizierung der Skalen angebracht. Die Formulierung der Items sollte weniger stark auf Mannschaftssportarten ausgelegt sein, sondern auch Individualsportler...