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E-Book

Verfahrensentwicklung

AutorG. Herbert Vogel
VerlagWiley-VCH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl444 Seiten
ISBN9783527660742
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis205,99 EUR
Von der Ideenfindung zur chemischen Produktionsanlage ist es ein weiter Weg. Kaum etwas ist so komplex wie die Herstellung chemischer Produkte.
Die verschiedensten Aspekte - auch solche, die in der Ausbildung von Naturwissenschaftlern vielleicht nur am Rande oder gar nicht berücksichtigt werden wie etwa Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen, die Patent- und Lizenzsituation, Anforderungen an den Standort, Entsorgungsprobleme - werden dargestellt.
Das Buch eignet sich für den Berufsanfänger ebenso wie für den Praktiker im Betrieb. Es ist eine gemeinsame Grundlage für Ingenieure und Chemiker und sollte als Nachschlagewerk auf keinem Schreibtisch fehlen.
Der Autor beschränkt sich nicht auf Verweise auf weiterführende Literatur: viele Fakten werden wiederholt und in Zusammenhang zum Thema gebracht, Formeln kurz abgeleitet, so dass sich der Gang in die Bibliothek und der Griff zu weiteren Büchern häufig erübrigt. Es hilft Mitarbeitern in Forschung und Entwicklung ebenso wie Betriebsleitern, Fehler zu vermeiden und vermittelt die nötige Sicherheit.

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Leseprobe

2


Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile


Die Gesamtanlage ist, ähnlich wie ein Lebewesen, mehr als die Summe der einzelnen Bestandteile (hier Units genannt, dort Organe geheißen) [GVC VDI 1997]. Eine gut funktionierende Chemieanlage erfordert das harmonische Zusammenspiel aller Anlagenteile [Sapre 1995]. In Abb. 2-1 sind die wichtigsten Bestandteile einer Chemieanlage wiedergegeben. Da heute mehr als 85% aller technisch durchgeführten Synthesen einen Katalysator benötigen [Romanow 1999], kann man sagen, dass der Katalysator der eigentliche Kern der Anlage ist [Misono 1999]. Die Entwicklung der chemischen Industrie wird im überwiegenden Maße durch die Entwicklung und Einführung neuer katalytischer Verfahren bestimmt. Im Jahre 1995 lag der Handelswert aller Katalysatoren weltweit bei ca. 8,6 Milliarden US-$ (Polymerisation 36%, Chemikalienherstellung 26%, Mineralölverarbeitung 22%, Emissionsbegrenzung 16%) [Quadbeck 1997, Felcht 2001, Senkan 2001].

Abb. 2-1 Prinzipieller Aufbau einer Chemieanlage. Um die eigentliche Produktionsanlage mit der Eduktvorbereitung, dem Reaktor und der Aufarbeitung des Reaktionsaustrages ranken sich eine Reihe weiterer Hilfseinrichtungen, ohne die ein Betrieb nicht möglich ist.

Die chemische Reaktion, die sich am aktiven Zentrum des Katalysators abspielt, bestimmt das Design des Reaktors, der sich darum aufbaut [Bartholomew 1994]. Der Reaktor wiederum bestimmt die Eduktvorbereitung (Zerkleinern, Lösen, Mischen, Filtrieren, Sieben u. a.) und die Produktaufarbeitung (Rektifikation, Extraktion, Kristallisation, Filtration, Trocknung u. a.). Aus deren Struktur folgt wiederum die benötigte Infrastruktur, wie Entsorgung, Tanklager, Energieanschlüsse, Sicherheitseinrichtungen usw. Planungsfehler aufgrund falscher Vorgaben wirken sich aufgrund der in Abb. 2-2 angedeuteten Pyramidenstruktur unterschiedlich stark aus.

Verhält sich der Katalysator im Betrieb nur geringfügig anders als in der F&E-Vorgabe (z. B. Aktivität, Selektivität, Lebensdauer, mechanische Festigkeit), so hat das dramatische Auswirkungen auf die Gesamtanlage, bis hin zum Verschrotten. Werden Auslegefehler in der „Pyramide“ (Abb. 2-2) weiter oben gemacht, so können diese meist durch eine Nachrüstung von Apparaten behoben werden. Eine integrierte Verfahrensentwicklung, wie in Kap. 4 beschrieben, ist erst sinnvoll, wenn die Performance des Katalysator im wesentlichen festliegt. Aufgrund der geschilderten Bedeutung der Katalyse für die Verfahrensentwicklung muss der Verfahrensingenieur über genügende Sachkenntnisse auf diesem Gebiet verfügen, um den Stand der Katalysatorentwicklung sicher beurteilen zu können [Bisio 1997, Armor 1996]. Daher sollen im folgenden Kapitel die wichtigsten Grundlagen der Katalyse [Ertl 1997] näher beleuchtet werden.

Abb. 2-2 Pyramidenstruktur der Verfahrensentwicklung. Ohne die Basis eines funktionierenden Katalysators ergibt die weitere Verfahrensentwicklung keinen Sinn [Sapre 1995].

2.1 Katalysator


Ein Katalysator muss eine chemische Reaktion nicht nur beschleunigen (Aktivität), sondern auch die Richtung zum gewünschten Produkt weisen (Selektivität).

Johann W. Döbereiner (1780–1849) war es, der als erster die katalytische Wirkung des Edelmetalls Platin auf ein Wasserstoff/Sauerstoff-Gemisch entdeckte und wirtschaftlich nutzte (Döbereiner-Feuerzeug), ohne den Begriff der Katalyse zu kennen. Er sprach von „Berührungswirkung“ oder auch „Kontaktprozessen“. Erst 10 Jahre später war es Jakob J. Berzelius (1779–1848), der als erster den Begriff „Katalyse“ prägte und erklärte [Schwenk 2000]:

Die katalytische Kraft scheint eigentlich darin zu bestehen, daß bestimmte Körper durch ihre bloße Gegenwart die bei dieser Temperatur sonst nur schlummernden Verwandtschaften zu wecken vermögen…“. „Wir bekommen… begründeten Anlaß, zu vermuten, daß in den lebenden Pflanzen und Tieren Tausende von katalytischen Prozessen zwischen den Geweben und den Flüssigkeiten vor sich gehen.“

Nach der noch heute gültigen Definition von Wilhelm Ostwald (1853–1932) ist ein Katalysator jeder Stoff, der, ohne im Endprodukt einer chemischen Reaktion zu erscheinen, ihre Geschwindigkeit verändert [Ertl 1994, Fehlings 1999]. Dabei ist nicht gesagt, dass sich der Katalysator nicht irgendwie verändert. Mit der normalerweise erwünschten Erhöhung der Geschwindigkeit ist eine Erniedrigung der Aktivierungsenergie des geschwindigkeitsbestimmenden Schrittes verbunden (Abb. 2.1-1).

Abb. 2.1-1 Prinzip der Katalyse am Beispiel einer Umlagerung des Eduktes A in ein Produkt P mit Hilfe einer katalytisch aktiven Spezies K:
A + K → A – K
A – K → P – K
P – K → P + K.
ΔRH ist die Reaktionsenthalpie der Umsetzung und Ea die Aktivierungsenergie des unkatalysierten Prozesses.

Die Katalyse (ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Katalyse“ kaτaλvσιΣ (griechisch „katalyein“) = losbinden, auflösen) lässt sich in Teilgebiete wie die Homogen-, Heterogen-, Bio-, Foto- und Elektrokatalyse einteilen (Abb. 2.1-2 und Tab. 2.1-1).

Bei der Homogenkatalyse liegt der Katalysator in einer fluiden Phase gelöst vor (z. B. Säuren, Basen oder Übergangsmetallkomplexe). Ein Beispiel aus der chemischen Industrie ist die Hydroformylierungsreaktion, bei der Olefine an Cobalt- oder Rhodium- Carbonylkomplexen mit Synthesegas (CO/H2-Mischung) zu Aldehyden umgesetzt werden [Weissermel 1994]. Die ersten praktischen Anwendungen der Homogenkatalyse reichen bis in das 8. Jhd. zurück. Zu dieser Zeit wurden Mineralsauren als Katalysatoren verwendet, um Ether durch Dehydratisierung von Ethanol herzustellen [Thomas 1994].

Bei der Heterogenkatalyse liegt der Katalysator in fester Form vor, die Reaktion läuft an der Phasengrenzfläche Fluid/Festkörper ab. Das berühmte Döbereiner-Feuerzeug [Thomas 1994] war das erste Beispiel für die kommerzielle Nutzung der heterogenen Katalyse. Heute versucht man in der Forschung die Vorteile der beiden Typen zum Beispiel dadurch zu vereinigen, dass man die homogenen Katalysatorkomplexe auf einem festen Tragermaterial zu fixieren versucht (Katalysator-Immobilisierung).

Abb. 2.1-2 Klassifizierung der Katalyse in die drei wichtigsten Teilgebiete Heterogen-, Homogen- und Biokatalyse.

Von den in der Natur vorkommenden ca. 7000 Enzymen sind derzeit mehr als 3000 bekannt, die eine enorme Vielzahl an verschiedenen chemischen Reaktionen katalysieren. Von diesem durch die Natur zur Verfügung gestellten nahezu unerschöpflichen Potenzial werden derzeit nur rund 75 Enzyme industriell genutzt. Der Weltmarkt für industrielle Enzyme wird auf rund eine Milliarde US-$ geschätzt. Einem breiten Einsatz dieser Biokatalysatoren in chemischen Synthesen stehen jedoch häufig inhärente Nachteile entgegen: so ist eine hohe katalytische Aktivität konventioneller Enzym ein der Regel nur innerhalb enger Temperatur- und pH-Wert-Grenzen und in wässrigen Medien gegeben, weshalb eine wirtschaftliche Nutzung, erschwert durch große Reaktorvolumina, oft nicht aussichtsreich ist.

Tab. 2.1-1 Vor- und Nachteile der homogenen und der heterogenen Katalyse [Cavani 1997] (Ausnahmen bestätigen die Regel).

HomogenkatalyseHeterogenkatalyse
Vorteile
  • keine Stofftransporthemmung
  • hohe Selektivität
  • milde Reaktionsbedingungen (50…200 °C)
  • keine Katalysatorabtrennung
  • hohe Temperaturbeständigkeit
Nachteile
  • geringe Beständigkeit der Katalysatorkomplexe
  • Katalysatorabtrennung
  • Korrosionsprobleme
  • toxische Abwäasser nach Katalysatorrecycling
  • Produktkontamination mit dem Katalysator
  • Hohe Kosten bei Katalysatorverlusten (Edelmetallkomplexe)
  • geringere Selektivität
  • Temperaturbeherrschung bei stark exothermen Reaktionen
  • Stofftransportlimitierung
  • hohe mechanische Stabilität erforderlich
  • strenge Reaktionsbedingungen (> 250 °C)

Die Katalyse zählt zu den Schlüssel- bzw. Zukunftstechnologien [Felcht 2000, S. 97], gleichberechtigt z. B. mit Mikrosystem-, Bio- und Informationstechnologie [Martino 2000], wo Fortschritte unmittelbar eine große Innovationskette auslösen [Pasquon 1994, VCI 1995]1. Oft wird diese Tatsache von der (Öffentlichkeit nicht als so spektakulär empfunden. In der Vergangenheit sind viele Forschungsansätze aufgestellt worden [Schlögl 1998]. Die heutige Vorgehensweise unterscheidet sich bei der Entwicklung neuere Katalysatoren deutlich von der, die zu Zeiten von Carl Bosch...

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