„Wenn das psychotische Individuum glaubt, es sei Napoleon, wird es in einer Anstalt behandelt, wenn eine Nation vermeint, ihre Kriegstoten lebten im Sieg weiter, versucht es zu siegen, auch wenn sie dabei alles – auch sich selbst – zerstört.“[80]
Eines der wichtigsten Untersuchungsgebiete der Neuesten Geschichte behandelt die Zeit des Dritten Reiches und die Frage nach der Möglichkeit der Nationalsozialisten trotz all der Verbrechen, Fehlplanungen und Kriegsniederlagen bis zum Mai 1945 eine totalitäre Herrschaft in Deutschland auszuüben. Dabei stellt insbesondere das Feld der Propaganda einen wichtigen Beobachtungspunkt dar, weil diese nach Goebbels dazu dienen sollte die nationalsozialistische Macht „geistig zu unterbauen, und nicht nur den Staatsapparat, sondern das Volk insgesamt zu erobern.“[81] Die Frage, inwieweit dieser Anspruch in der 12-jährigen Dauer der nationalsozialistischen Diktatur umgesetzt werden konnte, lässt sich nicht einfach beantworten, da zu viele Faktoren dabei zu berücksichtigen und zu viele Gebiete zu beobachten sind.
Der Ausbruch und Verlauf des Zweiten Weltkrieges erhöht aufgrund des psychologischen und physischen Zusammenwachsens von Front und Heimat die Komplexität der Untersuchung. Ein Krieg fordert jede beteiligte Gesellschaft mit seinen extremen logistischen, seelischen und körperlichen Ansprüchen heraus. Der Zweite Weltkrieg in Europa zeichnet sich insbesondere durch seine totale Kriegsführung und die demzufolge vollständige Vereinnahmung der Bevölkerung aus.
Diese Untersuchung beschäftigt sich in dem Zusammenhang mit der Frage, in welcher Form sich die nationalsozialistische Propaganda mit dem Tod deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg auseinandersetzte. Anhand des Todes und des Umganges mit ihm lassen sich – so die Annahme des Autors dieser Arbeit – aufgrund der besonderen Stellung des Lebensende eines Menschen in der Gesellschaft In- und Exklusionsformen erkennen, welche die Staatsführung ihren Bürgern anbot. Gleichzeitig werden Verarbeitungsmechanismen deutlich, denen sich Personen bedienen, die sich in Extremsituationen bedienen.
Den nachfolgenden Ausführungen liegen vier unterschiedliche Forschungsfragen implizit zugrunde. In einem ersten Schritt soll untersucht werden, welche Ausgangspunkte der nationalsozialistischen Propaganda über den Tod zugrunde lagen. Dabei wird auf Erklärungsansätze zurückgegriffen, welche die Ideologie der Nationalsozialisten unter dem Blickwinkel religiöser Funktion sehen. Diesem Zugriff liegt die Annahme zugrunde, dass sich damit besser die Kontingenzbewältigung der Bevölkerung erfassen lässt, da sich diese auf Traditionen und Riten wie beispielsweise in der Kirche verlassen hatte. Daran schließt sich die Frage nach der Legitimierungsfunktion der Propaganda an, die den Tod von Soldaten im Zweiten Weltkrieg zu begründen suchte. Es soll dabei herausgefunden werden, ob die Propaganda ihrem Legitimierungsanspruch gerecht werden konnte und welche Faktoren dabei die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft beeinflussten. Aus diesem Vorhaben ergibt sich die letzte Forschungsfrage, welche sich mit der Reaktion der Führung des Dritten Reiches auf die sich verändernde Kriegslage auseinandersetzt.
Die nachfolgende Arbeit gliedert sich in vier unterschiedliche Abschnitte, die verschiedene Teilaspekte der Untersuchung zum Inhalt haben. Dabei bildet das nachfolgende zweite Kapitel die theoretische Grundlage für die Untersuchung ab und führt die Begründung der Relevanz des Themas fort. Die Konzentration auf den Nationalsozialismus mit dem Fokus auf Adolf Hitler als Erlöserfigur, hilft Verhaltensweisen und Einstellungen der Mitglieder der NSDAP und der Bevölkerung hinsichtlich des Todes zu verstehen. Die Darlegung der Gefahren, die vom Tod allgemein für eine Gesellschaft, insbesondere das Dritte Reich ausgehen, vertieft das Verständnis der Notwendigkeit für das Propagandaministerium sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen.
Diese Problematik lässt sich erst anhand des dritten Kapitels verstehen. In diesem werden die quantitativen und qualitativen Aspekte des Sterbens aus deutscher Sicht zwischen 1933 und 1945 verdeutlicht. Damit soll zum einen das maßlose Schlachten für eine Untersuchung strukturiert und somit zum anderen der Zugriff auf diese fremd erscheinende Thematik erleichtert werden.
Die daran anschließenden Kapitel stellen die eigentliche Untersuchung dar. Der erste dieser beiden Abschnitte versucht auf den generellen Umgang der Staatsführung und der Bevölkerung mit dem Thema Tod im Zweiten Weltkrieg einzugehen. Dazu werden in einem ersten Schritt die Begriffe, welche sinnstiftend durch das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda verwendet wurden, dargelegt. Dem folgt eine Untersuchung des rituellen Umgangs innerhalb des Nationalsozialismus mit dem Tod. Als dritter Blickwinkel wird dabei der Fokus auf die Todesanzeigen für Gefallene gerichtet, weil damit die Rezeption und Verarbeitung durch die Bürger im Dritten Reich mit ins Blickfeld geraten. Die Auswahl der Untersuchungsfelder stellt Repräsentanten verschiedener Zeitdimensionen dar. Todesanzeigen und Gedenkveranstaltungen sind kurzfristige, jährlich wiederkehrende Feste mittelfristige und der Bau von Denkmälern und Monumenten langfristige Achsen der Totenverehrung im Dritten Reich.
Das fünfte Kapitel widmet sich dem Umgang des RMVP mit der Niederlage bei Stalingrad. Diese Schlacht soll exemplarisch die bis dahin erarbeiteten Feststellungen erhärten und gleichzeitig als Sonderfall, den Umschwung der Stimmungslage in der Bevölkerung verdeutlichen. Mit diesem ging eine unumkehrbare Veränderung der Akzeptanz der nationalsozialistischen Todespropaganda hin zur Abwendung einher. Das letzte Kapitel dient der Zusammenfassung und Zuspitzung der ergründeten Einstellungen, Wechselwirkungen und Einflussfaktoren.
Die Forschungsliteratur, welche für diese Arbeit herangezogen wurde, stammt aus unterschiedlichsten Bereichen. Die Betrachtungsweise, den Nationalsozialismus als politische Religion zu sehen, erlebt in den letzten 15 bis 20 Jahren eine Renaissance. Differenziert werden kann dabei zwischen der Untersuchung einzelner wichtiger Nationalsozialisten und ihrem Glauben (u. a. Bärsch 1987, 1998), sowie der Betrachtung der Tradition nationalsozialistischer Rituale und deren Funktion innerhalb des Dritten Reiches (bspw. Vondung 1971, 1992, Behrenbeck 1996). Die Forschung ist in diesem Bereich soweit fortgeschritten, dass schon einzelne Ereignisse unter spezifischen, religiös gefärbten Propagandabegriffen wie dem des Opfers untersucht werden (z. B. Karow 1997). Nichtsdestotrotz sind die Akzeptanz des Ansatzes und die Festlegung auf wenige operative Begriffe noch immer nicht endgültig geschehen (Maier, Schäfer 1997). Dahingegen hat die Untersuchung von Schlagwörtern im Nationalsozialismus, wie Held oder Opfer beispielsweise, eine längere Tradition. Durch René Schillings Untersuchungen werden dabei aktuell die Ursprünge und Veränderungen des Heldenbegriffes im 19. und 20. Jahrhundert diskutiert. Ergänzt werden diese Ansätze durch die immer weiter fortschreitende historische Geschlechterforschung wie sie beispielsweise bei Ute Frevert anzutreffen sind.
Im Zuge der Debatte um die religiösen Aspekte totalitärer Diktaturen gerieten die Feiertage, Feste und Beerdigungen stärker in das Blickfeld der Historiker. In diesem Zusammenhang wird dabei immer mehr der Aspekt der rituellen Handlungen und dem damit einhergehenden symbolischen Zusammenwachsen der Volksgemeinschaft hervorgehoben (Kratzer 1998, Schellack 1990, Thamer 1994, Tietz 1997).[82] Dieselbe Beobachtung lässt sich auch zur Entwicklung der Untersuchung der Denkmäler feststellen (Lurz 1986, Kosseleck 1979, 2001, kunsthistorisch: Mai 1994). Diese Arbeit soll dazu dienen die Komponenten der Totenverehrung und Kontingenzbewältigung im Dritten Reich mehr zu verknüpfen. Die umfangreichste Arbeit hinsichtlich des Totenkults im Dritten Reich, „Der Kult um tote Helden“ von Sabine Behrenbeck, beschränkt sich auf den Heldentopos. Die hier vorliegende Untersuchung versucht die tatsächliche Entwicklung des Sterbens der deutschen Soldaten mit den Propagandaformen in Beziehung zu setzen und die Interdependenzen aufzudecken. Dabei sollen verschiedenste Aspekte des Totengedenkens integriert werden, um ein möglichst breit gefächertes Bild der Aktivitäten im Dritten Reich den Tod betreffend zu erhalten.
Die Meldungen aus dem Reich, aber auch die nähere Betrachtung von Gefallenenanzeigen erfüllen als Hauptquellen zwei Funktionen: Einerseits lässt sich an diesen erkennen, wie der von dem NS-Regime gewünschte Umgang mit dem Tod war, andererseits ist gleichzeitig das reale Verhalten lokaler NSDAP-Führer sowie der gewöhnlichen Bevölkerung sichtbar. Bei beiden Quellen muss eine gewisse Vorsicht bei der Interpretation an den Tag gelegt werden, da es sich dabei um Texte handelt, die stark durch die Ideologie des Nationalsozialismus gefärbt sind bzw. sein können. Die Tagebücher von Joseph Goebbels fanden in dieser Arbeit keinen Eingang, da sie einerseits zu umfangreich für das begrenzte Zeitkontingent waren und andererseits ohne endgültiges Registerband nicht systematisch hinsichtlich des Todes erschlossen werden konnten.
Im Zuge der Überlegungen über die Todessymbolik der nationalsozialistischen Propaganda, sollte an erster Stelle die Frage der propagierten heilsgeschichtlichen Bedeutung des NS angesprochen werden. Denn nur mit einem Verständnis des Ursprungs des Allmachtsanspruchs...