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Vernehmungscoaching für die anwaltliche Praxis

Ein Strafverteidiger erläutert die interdisziplinären Techniken

AutorBertil Jakobson
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl823 Seiten
ISBN9783656379515
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Fachbuch aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Jura - Sonstiges, , Sprache: Deutsch, Abstract: Gesprächs- und Vernehmungsführung, Menschen beeinflussen und manipulieren, nonverbal und emotional kommunizieren. Die Kommunikation zwischen Menschen ist ein hochkomplexer Vorgang, der nicht nur aus verbalen Botschaften besteht.Lautlose Signale wie Körperhaltung, Gestik oder Mimik und emotionale Reaktionen prägen ein Gespräch oft nachhaltiger, als das gesprochene Wort es alleine vermag. Aber selbst wenn Menschen ein und dasselbe Wort verwenden, ist nicht gewährleistet, dass beide das gleiche Verständnis von dem betreffenden Wort haben. Dolmetscher können Fragen in einem Gerichtsverfahren ungewollt verfremden, Suggestivfragen falsche Erinnerungen hervorrufen und Manipulationstechniken Gespräche völlig sabotieren. Täuschung, Lüge und Irrtum können falsche Gerichtsurteile verursachen. Mit dem vorliegenden Buch erläutert ein Strafverteidiger zahlreiche Möglichkeiten, wie man mit diesen Problemfeldern umgehen und gleichzeitig die eigenen Fähigkeiten in sämtlichen Gesprächs- und Vernehmungssituationen optimieren kann. Zu den Inhalten des Buches gehören u.a.: •Der Waffenfokus •Adaptive Reaktionen •Paralinguistische Warnsignale •Falsche Feedbacks •Der Othello-Fehler •Mikroexpressionen •Gruppenkonformität •Paraphrasierungstechniken •Veränderungsblindheit •Der Hofeffekt •Negative Tatsachen u.v.m. Bertil Jakobson, Jahrgang 1976, Fachanwalt für Straf- und Verkehrsrecht, beschäftigt sich seit Jahren mit den Möglichkeiten, Erkenntnisse verschiedener Wissenschaftszweige für die tägliche Gesprächs- und Vernehmungspraxis des Rechtsanwalts nutzbar zu machen. Mit dem vorliegenden Buch erfolgt die erste praxisnahe Darstellung dieses Arbeitsprozesses.

1976 geboren 1998-2004 Studium der Rechtswissenschaften an der Georg-August-Universität zu Göttingen 2004-2006 Rechtsreferendariat beim Landgericht Dortmund 2005 Fachanwaltsausbildung Strafrecht in Hagen 2006-2007 Weiterbildungsstudium Steuerstrafrecht in Hagen 2007-2009 angestellter Rechtsanwalt in Duisburg 2009 Fachanwaltsausbildung Verkehrsrecht in Hagen 2010 Fachanwalt für Straf- und Verkehrsrecht seit 2010 selbstständiger Rechtsanwalt in Moers

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Leseprobe

Prolog


 

El-Al


 

Am 4. Oktober 1992 ereignete sich einer der folgenschwersten Flugzeugabstürze der jüngeren europäischen Luftfahrtgeschichte.

 

Eine Boeing 747-285F der staatlichen israelischen Luftfahrtgesellschaft El-Al war auf dem Weg von New York nach Tel Aviv[1] über Amsterdam. El-Al-Flug 1862 stürzte kurz nach dem Start vom Amsterdamer Flughafen Schiphol in einen Wohnblock, nachdem zunächst ein Triebwerk abgerissen war und ein weiteres Triebwerk an der rechten Tragfläche beschädigt hatte. Die Piloten hatten  noch versucht, nach Schiphol zurückzukehren. Sie flogen eine Schleife und verringerten die Geschwindigkeit des Flugzeuges, um mit dem Landeanflug auf Schiphol zu beginnen.

 

Wegen der Beschädigungen an der rechten Tragfläche kam es zum Strömungsabriss, die Maschine kippte zur Seite und stürzte während des Landeanfluges ab.

 

Bei dem tragischen Unglück starben nicht nur die vier Besatzungsmitglieder, sondern auch 39 Bewohner des Wohnblocks. Über das Unglück wurde seinerzeit nicht nur in den niederländischen Medien, sondern auch im Ausland ausführlich berichtet. Nach dem Unglück blieb lange Zeit unklar, welche Ladung El-Al-Flug 1862 genau an Bord hatte.

 

Erst Jahre später wurde die Öffentlichkeit durch die Luftfahrtgesellschaft El-Al darüber informiert, dass die Maschine auch 240 kg der Chemikalie           Dimethyl-Methylphosphonat (DMMP) transportiert hatte.[2]

 

Diese Chemikalie kann u.a. als Ausgangsstoff für die Erzeugung des Nervengases Sarin benutzt werden.[3]

 

10 Monate nach dem Unglück untersuchte eine Gruppe niederländischer Psychologen, an was sich Angehörige ihrer Universität von dem Flugzeugabsturz des El-Al-Fluges 1862 noch erinnern konnten. Ihre Frage, „Haben Sie den Fernsehfilm gesehen, der zeigt, wie das Flugzeug in das Wohnhaus stürzt?“, bejahten zu diesem Zeitpunkt 55% der Befragten.[4]

 

In einer späteren Nachuntersuchung bejahten nun schon zwei Drittel der Teilnehmer die Frage und konnten sich auch an weitere Einzelheiten         erinnern - die Geschwindigkeit der Maschine beim Aufprall, der Anflugwinkel und ob das Flugzeug schon vor dem Aufprall brannte.[5]

 

Wie der berühmte Gedächtnisforscher Daniel Schacter zutreffend resümierte, waren diese Forschungsergebnisse insofern bemerkenswert, als es keinen Fernsehfilm gab, der den Augenblick des Flugzeugabsturzes zeigte.[6]

 

Offensichtlich hatten die niederländischen Forscher bei der Stellung ihrer Frage, „Haben Sie den Fernsehfilm gesehen, der zeigt, wie das Flugzeug in das Wohnhaus stürzt?",  genau bedacht, dass über das Unglück sehr intensiv im  Radio, Fernsehen und den Printmedien berichtet worden war:

 

Es handelte sich um eine Suggestivfrage, welche die Probanden der Untersuchung dazu veranlasste, Informationen von verschiedensten Quellen zu Pseudoerinnerungen an einen Film zu verdichten, den es in Wirklichkeit nie gegeben und den sie nie gesehen hatten.

 

Simonides


 

Cicero[7]  berichtet in seinem Werk De oratore, II über Simonides von Keos, der als Erfinder der sog. Mnemotechnik tradiert wird, nach Yates frei übersetzt[8]  sinngemäß folgendes:

 

„Simonides nahm an einem Festmahl des thessalischen Edlen Skopas teil. Simonides hielt zu Ehren seines Gastgebers ein lyrisches Gedicht, in welchem er auch die Dioskuren Castor und Pollux[9]  ruhmreich erwähnte.

 

Der eitle und sparsame Skopas teilte Simonides daraufhin mit, er werde ihm nur die Hälfte der für das Loblied vereinbarten Summe zahlen, die andere Hälfte könne er sich von den Zwillingsgöttern Castor und Pollux geben lassen.

 

Wenig später wurde Simonides von einem Diener die Nachricht überbracht, vor dem Haus, in dem das Festmahl stattfand, würden zwei junge Männer auf ihn warten. Simonides verließ das Festmahl, konnte aber die beiden jungen Männer nicht finden.

 

Während Simonides draußen verweilte, stürzte das schwere Steindach des Festsaals ein und begrub Skopas und die übrigen Gäste unter sich. Die Verwandten, die zur Unglücksstelle geeilt waren, konnten die Toten nicht zur Bestattung mitnehmen, da alle bis zur Unkenntlichkeit zermalmt waren.

 

Simonides aber verfügte über die Gabe, sich genau zu erinnern, welcher Gast wo im Festsaal gesessen hatte und konnten den Verwandten zeigen, welcher Toter jeweils zu ihnen gehörte.

 

Simonides war von den beiden unsichtbaren jungen Männern - Castor und   Pollux - angemessen für sein Loblied bezahlt worden; ihm wurde das Leben geschenkt, während Skopas und die übrigen Gäste sterben mussten.“

 

Die Geschichte von Simonides von Keos ist die erste kolportierte Erwähnung dieser Gedächtnistechnik. Simonides hatte sich – aus welchen Motiven ist der Geschichte meines Kenntnisstands nach nicht zu entnehmen  – genau eingeprägt, welcher Gast wo im Festsaal gesessen hatte.

 

Den Menschen der Antike standen keine Hilfsmittel zur Verfügung, Informationen zu sammeln, Wissen zu speichern und für die Nachwelt zu erhalten, wie es für uns Menschen im postindustriellen Dienstleistungszeitalter der Fall ist. Erst Mitte des 15. Jahrhunderts wurde durch die Erfindung des Buchdrucks durch den Mainzer Goldschmied Johannes Gutenberg der Weg für die heutige Wissensgesellschaft geebnet. Aus unserem Alltag sind Computer und Bücher nicht mehr wegzudenken und selbstverständlich geworden.

 

Wegen der seinerzeit fehlenden Hilfsmittel war ein gut trainiertes Gedächtnis von fundamentaler Bedeutung.[10]

 

Simonides von Keos verstand es nicht nur, die Götter nicht zu erzürnen, sondern verfügte auch über die einzigartige Gabe, sein Wissen über die Welt dauerhaft und ständig verfügbar in seinem Gedächtnis zu speichern. Dabei griff Simonides auf die Mnemotechnik zurück, bei der neue Informationen so enkodiert[11] werden, dass sie nicht der Vergessenheit anheimfallen. Zu diesem Zweck werden diese Informationen in sog. Gedächtnispalästen, bestehend aus Plätzen und Orten, untergebracht.

 

Begibt man sich dann gedanklich an diese Plätze und Orte des Gedächtnispalastes, kann man Informationen auch Jahre nach ihrer erstmaligen Speicherung zuverlässig abrufen.

 

Mit dieser antiken Methode verblüffen manche selbsternannten Gedächtniskünstler ihr unwissendes Publikum, wenn sie sich in kurzer Zeit endlose Zahlenkolonnen zuverlässig einprägen oder aus auswendig gelernten Telefonbüchern rezitieren.

 

Der amerikanische Krimi- und Thrillerautor Thomas Harris hat übrigens seiner weltberühmten Figur Dr. Hannibal Lecter genau die Fähigkeit der Mnemotechnik zugeschrieben:

 

Dr. Lecter verfügt auch über einen Gedächtnispalast[12]  - vermutlich aber nicht, um Telefonbücher  darin zu speichern.

 

Eine ganz andere Frage ist es, warum wir uns manche Dinge einprägen, andere wiederum nicht. Es lässt sich jetzt schon sagen, dass Erlebnisse umso wahrscheinlicher und zutreffender erinnert werden, je stärker der Affekt war, der sie in ihrer Geburtsstunde begleitet hatte - in positiver wie negativer Hinsicht. Belanglose und neutrale Ereignisse fallen eher der Vergessenheit anheim, weil sie es gar nicht wert waren, gespeichert zu werden.

 

Vor diesem Hintergrund werden folgenden Gerichtsentscheidungen verständlich, in denen u.a. folgendes ausgeführt wird:

 

 „(…) dagegen kann bei einem weit zurückliegenden, für den Zeugen völlig belanglosen Ereignis nach Würdigung aller dafür und dagegen sprechenden Umstände vielfach ausgeschlossen werden, dass es in dessen Gedächtnis geblieben sei, so wenn ein Lastwagen-Fahrer nach fünf Monaten bekunden soll, er sei auf einer Bundesstraße vom Angeklagten nicht überholt worden (BGH NStZ 1993, 295; BayOblGSt 1964, 135) (…)“

 

Monica


 

Am Nachmittag des 17. August 1998 konnte die Grand Jury in der von Sonderermittler Kenneth Starr anberaumten Anhörung im Amtsenthebungsverfahren gegen den seinerzeitigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, William Jefferson „Bill“ Clinton, folgende bemerkenswerte Behauptung des Präsidenten zur Kenntnis nehmen: „Ich hatte keine sexuelle Beziehung zu dieser Frau Lewinsky."

 

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