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Vieles ist auf Erden zu thun

Imaginäre Gespräche mit Ingeborg Bachmann, Ludwig van Beethoven, Franz Kafka, Johann Nestroy, Friedrich Nietzsche, Clara Schumann, Kurt Tucholsky u. a.

AutorJoachim Kaiser
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783492977371
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
»Was berühmte Frauen und Männer einst geschrieben, gereimt, gesagt haben: es ist quicklebendig für uns«. Joachim Kaiser hat 19 »historische« Personen befragt und diese aus ihren Werken antworten lassen. Seine prominenten Gesprächspartner sind: Immanuel Kant, Frau Rat Goethe, Marquis de Sade, Matthias Claudius, Ludwig van Beethoven, Johann Nestroy, Georg Büchner, Clara Schumann, Friedrich Nietzsche, Frank Wedekind, Alfred Kerr, Christian Morgenstern, Franz Kafka, Jean Cocteau, Kurt Tucholsky, Eugen Roth, Ernest Hemingway, Arthur Koestler und Ingeborg Bachmann.

Joachim Kaiser, geboren 1928 in Milken/Ostpreußen, studierte Musikwissenschaften, Germanistik, Philosophie und Soziologie. Er war lange Zeit Kulturkritiker bei der Süddeutschen Zeitung in München und Professor an der Hochschule für Musik und darstellende Künste in Stuttgart. Joachim Kaiser verstarb 2017.

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Leseprobe

»Mit der Vergötterung wils nicht so recht fort.«


Imaginäres Gespräch mit der Frau Rat Goethe

Katharina Elisabeth Goethe, geb. Textor (*1731 in Frankfurt a. M., †1808 in Frankfurt a. M.)


Joachim Kaiser (JK): »Vom Vater hab’ ich die Statur, / Des Lebens ernstes Führen, / Vom Mütterchen die Frohnatur / Und Lust zu fabulieren« – hat Ihr großer Sohn gedichtet. Übertrieb er da, vielleicht des Reimes und seiner Seelenruhe wegen, ein wenig? Mußten Sie nicht, in kriegerischer Zeit, allein Ihr Dasein führen, feindliche und verbündete Soldaten einquartieren, als Ihr körperlich wie seelisch kränkelnder Ehemann nach langem Siechtum gestorben war? Mußten Sie sich nicht, kaum unterstützt vom fernen, weltberühmten Sohn, bemühen, Ihr großes Haus zu verkaufen, um in eine hübsche kleine Mietwohnung ziehen zu können? Sie hatten den Hausrat zur Auktion gegeben. Ja, Sie hatten, was die Goethe-Forscher bis auf den heutigen Tag bejammern, zentnerweise unersetzliche Dokumente auf die Papiermühle gegeben …

Frau Rat Goethe (FRG): Hercules misttete einmahl einen Stall aus, und wurde vergöttert – gemistest habe ich – aber mit der Vergötterung wils noch nicht so recht fort. Drey Centner Papier habe durchsucht – das wenige nützliche … habe beybehaltendas andre auf die Papirmühle verkauft …

JK: Ihr Sohn hat ja auch private Briefe und Dokumente immer wieder abgestoßen, alte Schlangenhäute abgestreift. Gewiß fiel es Ihnen schwer, auf Ihre älteren Tage nun plötzlich …

FRG: Mein Leben fließt still dahin wie ein klahrer Bach – Unruhe und Getümmel war vonjeher meine sache nicht, und ich danke der Vorsehung vor meine Tage – Tausend würde so ein Leben zu einförmig vorkommen mir nicht, so ruhig mein Cörpper ist; so thätig ist das was in mir denkt – da kan ich so einen gantzen geschlagenen Tag gantz alleine zubringen, erstaune daß es Abend ist, und bin vergnügt wie eine Göttin – und mehr als vergnügt und zufrieden seyn braucht man doch wohl in dieser Welt nicht.

JK: Sie liebten, ja vergötterten Ihren berühmten Sohn und schrieben ihm wirklich einmal, aufs alte Testament anspielend: »Jeder Brief der von dir kommt wird aus gebreitet und unter Danck Gott vorgelegt – das habe ich vom König Hiskia gelernt und habe mich 30 jahr schon dabey wohl befunden.«

FRG: Ich weiß aus Erfahrung was das heißt Freude an seinem Kind erleben (…) Ewig werden mir die Worte der Seeligen Klettenbergern im Gedächnüß bleiben …

JK: Das war Susanna Catharina von Klettenberg, deren »Bekenntnisse einer schönen Seele« Goethe in »Wilhelm Meisters Lehrjahre« einfügte …

FRG: … die Worte der Seeligen Klettenbergern im Gedächtnüß bleiben »Wenn dein Wolfgang nach Maintz reißet bringt Er mehr Kenntnüße mit, als andere die von Paris und Londen zurück kommen«.

JK: Sie meinen London?

FRG: Daß das Bustawiren und gerade Schreiben nicht zu meinen sonstigen Talenten gehört – müßt Ihr verzeihen – der Fehler läge am Schulmeister.

JK: Entschuldigung …

FRG: Diese Meße war reich an – Profeßsoren!!! Da … die Menschen sich einbilden ich hätte was zu dem großen Talendt beygetragen; so kommen sie denn um mich zu beschauen – da stelle ich denn mein Licht nicht unter den Scheffel sondern auf den Leuchter versichre zwar die Menschen, daß ich … zum großen Mann und Tichter … nicht das aller mindeste beygetragen hätte /: denn das Lob das mir nicht gebühret nehme ich nie an: / zudem weiß ich gar wohl wem das Lob und der Danck gebührt … Meine Gabe die mir Gott gegeben hast ist die lebendige Darstellung aller Dinge die in mein Wißen einschlagen, großes und kleines, Wahrheit und Mährgen u. s. w. so wie ich in einen Circul komme wird alles heiter und froh weil ich erzähle. Also erzählte ich den Profeßsoren und sie gingen und gehen vergnügt weg – das ist das gantze Kunststück. Doch noch eins gehört dazu – ich mache immer ein freundlich Gesicht, das vergnügt die Leute und kostest kein Geld: sagte der Seelige Merck.

JK: Selbst in den schlimmsten Kriegswirren verließen Sie Frankfurt nur kurz. Sie reisten wohl nicht sehr gern, und Ihr Sohn bedrängte Sie keineswegs, zu ihm nach Weimar zu kommen.

FRG: Wir sehen und hören … Tag-täglich nichts als Bomppen – Kuglen – Pulver Wägen – Blesirte – Krancke – Gefangne u. d. g. Tag und besonders Nachts gehts Canoniren beynahe an einem fort …

JK: Das waren die Truppen des französischen Revolutions-Generals Custine, der ins Rheinland eingefallen war, Mainz besetzt hatte, eine freie rheinische Republik gründen wollte und nun mit einer Allianz aus hessischen, österreichischen und preußischen Truppen in etwas phantastischer Fehde lag … Sie, Frau Rat, nahmen diesen Krieg anscheinend nicht allzu ernst?

FRG: Vor der Zeit sich grämen oder gar verzagen war nie meine Sache – auf Gott vertrauen – den gegenwärtigen Augenblick nutzen – den Kopf nicht verliehren – sein eignes werthes Selbst vor Kranckheit/: denn so was wäre jetzt sehr zur Unzeit:/ zu bewahren – da dieses alles mir von jeher wohlbekommen ist, so will ich dabei bleiben. Da die meisten meiner Freunde Emigriert sind – kein Comedienspiel ist – kein Mensch in den Gärten wohnt; so bin ich meist zu Hauße – da spiele ich Clavier ziehe alle Register paucke drauf loß, daß man es auf der Hauptwache hören kan – leße alles untereinander Musencalender die Welt Geschichte von Voltäre – vergnüge mich an meiner schönen Aussicht – und so geht der gute und mindergute Tag doch vorbey (…) Vor denen Frantzosen und ihrem hereinkommen hatte ich nicht die mindeste Furcht daß sie nicht Plündern würden war ich fest überzeugt – wozu also einpacken? ich ließe alles an ort und stelle und war gantz ruhig … den 12ten gegen Abend fing das Bombardement an wir setzen uns alle in die untere Stube unsers Haußherrn wie es etwas nachließ ging ich schlafen – gegen 2 uhr früh morgens fings wieder an wir wieder aus den Betten – nun fing ich an auszuräumen nicht vor den Frantzosen aber wohl vor dem Feuer – in ein paar Stunden war alles im Keller biß auf die Eißerne Kiste die uns zu schwer war … Biß an diesen periodt war ich noch gantz berugigt – jetzt kamen aber so schreckliche Nachrichten wie der wie jener/: es waren Leute die ich kante:/ der von einer Haupitze Todt geschlagen, dem der Arm dem der Fuß vom Leibe weg u. d. g. nun fing mir an Angst zu werden und ich beschloß fortzugehn freylich nicht weit …

JK: Der Krieg brandete jahrelang hin und her …

FRG: Was ich sage daß die 20 tausend Mann Preußen zurück kommen? nichts anders als was einmahl ein Cardinahl dem Pabst der gantz erstaunt/: weil er in der größten stille in seinem Kloster gelebt hatte: / über die menge Menschen die er am Tage seiner Erhöung vor sich sah antwortete als der Pabst ihn fragte: wovon leben diese alle? Ihro Heiligkeit sie bescheisen einander.

JK: Sie erlebten mit, wie das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zusammenbrach.

FRG: Vor ohngefähr 20 Jahren sang Mefistovles im Docter Faust –: Das liebe heilige Römische Reich – wie hälts nur noch zu sammen?: Jetzt kan man es mit recht fragen. Die Churfürsten-Fürsten-laufen quir und quer-hin undher (…) Gestern wurde zum ersten mahl Kaiser und Reich aus dem Kirchengebet weggelaßen (…) Fröligkeit ist die Mutter aller Tugenden steht im Götz von Berlichingen. Wegen des Krieges wachssen mir auch keine graue Haare … wenn es in Weimar gut mit meinen Lieben geht und steht mich das lincke und rechte Reinufer weder um Schlaf noch appetit bringt …

JK: Bereitete es Ihnen Kummer, daß Goethe Ihre Schwiegertochter Christiane …

FRG: So ein Liebes – herrliches unverdorbenes Gottes Geschöpf findet mann sehr selten …

JK: … erst 1806 auch heiratete, nachdem er im sittenstrengen und klatschsüchtigen Weimar 18 Jahre ohne den Segen der Kirche mit ihr glücklich zusammengelebt?

FRG: Da unter diesem Mond nichts Vollkommenes anzutreffen ist, so tröste ich mich damit, daß mein Häschelhans vergnügt und glücklicher als in einer fatalen Ehe ist (…) Meine Enckelin Louise kommt im März in die Wochen – da werde ich nun Urgroßmutter! Um nun diesem Vorfall noch mehr Raritet zu geben, entschloß ich mich eine Arbeit vor zu nehmen, die/: ich wette mein Hab und Fahrt: / seit der Erschaffung der Welt/: ein starck Stück: / keine Urgroßmutter verfertigt hat: nämlich die Spitzen an das Kindszeug die Häubger und Ermelger zu klöpplen – und nicht etwa so lirum larum, nein, sondern ein Brabanter Muster 3 Finger breit und wohl zu bemercken ohne Brille!

JK: Neben alledem waren Sie auch begeisterte, fachkundige Opern- und Schauspielbesucherin.

FRG: Neues gibts hir nichts, als daß die Zauberflöte 18 mahl ist gegeben worden – und daß das Hauß immer geproft voll war – kein Mensch will von sich sagen laßen – er hätte sie nicht gesehn – alle Handwercker – gärtner – ja gar die Sachsenhäußer – deren ihre Jungen die Affen und Löwen machen gehen hinein so ein Specktackel hat man hir noch nicht erlebt – das Hauß muß jedesmahl schon vor 4 uhr auf seyn – und mit alledem müßen immer einige hunderte wieder zurück die keinen Platz bekommen können – das hat Geld eingetragen! (…) Die Oper Cosa van Tutti – oder so machen sies alle – soll in Weimar so sehr viel durch den verbeßerten Text gewonnen haben – denn den wir hir haben der ist abscheulich (…) Weimar ist der wahre Sitz der Mußen das...

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