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Virtuosität in Musik und Magie: Niccolò Paganini und Johann Nepomuk Hofzinser

AutorVahid Khadem-Missagh
VerlagHollitzer Wissenschaftsverlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783990123058
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Als Sinnbild musikalischer Virtuosität ist Niccolò Paganini eine für den Kult um die makellos ausgeführte, faszinierende Bewegung im beginnenden 19. Jahrhundert zentrale Figur. Und er bediente durch seine Selbstinszenierung als 'Teufelsgeiger' gleichzeitig auch den romantischen Geschmack für das Unheimliche und Übersinnliche. Beide Phänomene, Virtuosität und Geheimnisvolles, bilden ebenfalls die Folie für den zeitgenössischen Ruf Johann Nepomuk Hofzinsers, der neben seiner musikalischen Ausbildung vor allem als Zauberkünstler hervorgetreten ist und auf diesem seinem Feld bis heute eine Referenzfigur geblieben ist - auch das eine Gemeinsamkeit beider Künstler. Der selbst in beiden Bereichen wirkende Autor des Buches beschreibt auf der Grundlage akribischer historischer Dokumentation und persönlicher Erfahrung die strukturellen bzw. bedeutungsrelevanten Gemeinsamkeiten beider Felder und führt damit zu neuen, ungewöhnlichen Einsichten in die künstlerische Praxis ebenso wie in das Musikleben des biedermeierlichen Wien.

Vahid Khadem-Missagh zählt zu den führenden Geigern seiner Generation. Seine internationale Tätigkeit umfasst Konzerte als Solist, Konzertmeister und Kammermusiker in europäischen Musikzentren wie Wiener Musikverein, Konzerthaus Berlin, Palais-des-Beaux-Arts Bruxelles, Cité de la musique Paris, Royal Albert Hall London, Philharmonie Luxembourg, sowie in Asien und auf dem amerikanischen Kontinent. CD-, TV- und Rundfunk-Produktionen für ORF, BBC 3, Schweizer Radio DRS, Zusammenarbeit mit den Dirigenten Mariss Jansons, Seiji Ozawa, Pierre Boulez, Franz Welser-Möst, Ivan Fischer u.a. Weiters wurde er zu Lehrtätigkeit an die Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz berufen. Er studierte an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien und an der Hochschule für Musik und Theater in Bern, und schloss weiterführende wissenschaftliche Studien mit seiner Dissertation in Wien ab.

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Leseprobe

NICCOLÒ PAGANINI IN WIEN


Paganini 1828 in Wien, Begegnung mit Hofzinser?


Die künstlerische Wucht, die das Eintreffen des Genueser ,Wundergeigers‘ in der damaligen Kaiserstadt auslöste, lässt sich heute nur mehr erahnen: Noch nie habe ein Künstler in Wien „so ungeheure Sensation erregt“108 und „einen solchen Taumel von Entzücken und Bewunderung“109 ausgelöst, so die vielzitierten Berichte aus der Zeit. Paganini selbst dürfte sich der Wichtigkeit seiner Konzertreise nach Wien bewusst gewesen sein. Immerhin war es für ihn die erste Reise außerhalb seiner Heimat Italien, die tatsächlich ein Wendepunkt in seiner Karriere und seinem persönlichen Leben werden sollte.110 Nach seinem Zusammentreffen mit Fürst Metternich 1819 in Rom111 vergehen beinahe zehn Jahre, ehe er die sorgsam vorausgeplante Reise in die Kaiserstadt unternimmt.

Am 6. März 1828 bricht Paganini von Mailand aus in Begleitung seiner damaligen Lebensgefährtin, der Sängerin Antonia Bianchi, und des gemeinsamen Sohnes Achille112 nach Wien auf. Sie nehmen die Postroute aus Italien kommend. Im persönlichen Notizbuch des Virtuosen sind die Stationen der Kutsche vermerkt,113 es ist eine beschwerliche und anstrengende Reise mit der Überquerung der Alpen. Paganinis Gesundheit ist längst angeschlagen und das lange Sitzen macht ihm zu schaffen. Der deutsche Schriftsteller Georg Harrys (1780–1838), der den Geigenkünstler bald darauf als Sachwalter einige Wochen begleiten sollte, beschreibt dessen Befinden auf Reisen so:

Das anhaltende Sitzen im Wagen ist peinlicher für Paganini, als vielleicht für jeden andern. Die Unterleibsbeschwerden, woran er fortwährend leidet, vermehren sich, wenn er nur ein paar Stunden im Wagen gesessen hat, und dann wird das blasse Antlitz gewöhnlich noch bleicher, und es malt sich der innere Schmerz sichtlich auf seinem Gesichte.114

Bei den Pausen der jeweiligen Stationen, während des Fütterns oder Auswechselns der Pferde, „kehrt Paganini selten [im Wirtshaus] ein“,115 er bleibt oft im Wagen sitzen. Sein Geigenetui, einen „sehr delabrirten [sic!] und abgeschabten Kasten, der dem großen Künstler auch zugleich als Geld-Chatoulle dient“,116 führt er stets mit der kostbaren Guarneri del Gesù mit sich. Sein sonstiges Gepäck dürfte sehr sparsam gewesen sein: Schenkt man der Beschreibung Harrys’ Glauben, ließe sich die „ganze Garderobe […] bequem in eine Serviette einschlagen“.117 Seine Papiere führt er im bereits erwähnten persönlichen Notizbuch mit, in welchem er Buchhaltung und andere Aufzeichnungen seit seiner Ausreise aus Italien festhält.118

Die Nachricht von seiner Ankunft in Wien stößt auf großes Medieninteresse und die Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur und Mode druckt am 20. März 1828 folgenden Vermerk:

Am 16. März traf in unsrer Kaiserstadt Italiens berühmtester Violinspieler, der Ritter Nicolaus Paganini ein, und wird am 28. dieß [sic!] um die Mittagsstunde im großen k.k Redoutensaale ein Concert geben. Der Ruf, welcher Hrn. Paganini vorangeht, die wirklich seltene Kühnheit und Gewandtheit seines Spiels, welche in Italien zum Sprichwort geworden sind, und die Bewunderung aller Künstler und Kunstfreunde erregten, lassen einen hohen und seltenen Genuß in der Production des Hrn. Paganini erwarten, welchem ein äußerst zahlreicher Zuspruch von Freunden der Tonkunst zu verbürgen seyn dürfte.119

Paganini bezieht zunächst ein Hotel, übersiedelt jedoch nach einer Woche in eine Wohnung im Trattnerhof am Graben.120 Hier bleibt er während seines gesamten Wienaufenthaltes mit Antonia Bianchi und Sohn Achille. Der Trattnerhof befindet sich interessanterweise nur wenige Meter von der damaligen Wohnung Hofzinsers entfernt.121 Es ist also durchaus möglich, dass Hofzinser und Paganini sich zunächst auf ihren täglichen Wegen auf dem Graben begegneten, wobei der junge Zauberkünstler den berühmten Geigenvirtuosen sicherlich erkannt hätte, Paganini aber den später angesehenen Wiener Publikumsliebling zu jener Zeit mit großer Wahrscheinlichkeit noch nicht.

Nach seiner Ankunft in Wien nimmt Paganini Kontakt mit dem Musikverlag Artaria auf, der von zwei Italienern geleitet wird – diese sollen seine geplanten Konzerte organisieren. Zu Werbezwecken wird die berühmt gewordene Lithographie von Kriehuber gedruckt, die sich im Laufe der Tournee ‚hunderttausende‘ Mal verkaufen sollte.122

Dass die von Paganini geplanten Konzerte in Wien überhaupt stattfinden durften, mag wie vorhin angedeutet tatsächlich an der Begegnung mit Metternich knapp zehn Jahre zuvor gelegen haben. Die Zensur zögerte nämlich nicht, Darbietungen mit aufrührerischem Potential sofort zu verbieten. Zuletzt war Grillparzers Stück Ein treuer Diener seines Herrn nach der Uraufführung am 28. Februar 1828123 abgesetzt worden.

Zunächst sind fünf Konzerte Paganinis geplant, schließlich sollten es vierzehn werden. Das erste findet am 29. März 1828 im großen Redoutensaal statt. Der Saal ist nicht gänzlich gefüllt, da das Konzert ursprünglich für den Tag zuvor angekündigt gewesen war und erst am folgenden Tag mit Annonce der Wiener Zeitung auf den 29. März verschoben wurde.124 Franz Schubert hatte kurz davor am 26. März das einzige Konzert ausschließlich mit eigenen Werken gegeben,125 die Pressemeldungen würdigten jenes denkwürdige Ereignis jedoch nur wenig: Die Sensation Paganinis überschattete bereits dieses aus heutiger Sicht historische Ereignis.126

Abb. 5: Niccolò Paganini, Lithographie von J. Kriehuber, Wien 1828 (ÖNB/Wien PORT_00009156_01).

Zahlreiche Musikgrößen der Stadt sind beim ersten Auftritt des italienischen ‚Wundergeigers‘ zugegen und der große Redoutensaal ist „mit dem erlesensten Publicum gefüllt“.127 Beginnzeit ist Sonntag Mittags um 12.30 Uhr, das Tageslicht wird abgeschirmt, und Kerzenlicht durchdringt den Saal. Paganinis Programm besteht nicht ausschließlich aus eigenen Werken, bewusst stellt er ein gemischtes Programm zusammen: Zuerst beginnt das Orchester mit Beethovens Leonoren-Ouvertüre, eine Hommage an den ein Jahr zuvor verstorbenen Komponisten. Danach tritt Paganini auf und spielt sein h-Moll Violinkonzert, gefolgt von einer Arie von Ferdinando Paer, gesungen von Antonia Bianchi. Anschließend gibt er seine Sonata militare für Violine und Orchester zum Besten, ‚die Bianchi‘ singt eine weitere Arie, bevor seine Variationen über Rossinis Thema aus La Cenerentola von Paganini selbst als Abschlusswerk gespielt werden.

Der Erfolg ist groß und die Kritiken überschlagen sich in Lobeshymnen:

und nur eine Stimme herrscht bey Sachverständigen und Layen: Paganini steht in seiner Sphäre einzig und allein, ja unübertroffen von seinen Zeitgenossen da! […] Was wir nun zu hören bekamen, übersteigt allen Glauben und lässt sich nicht mit Worten beschreiben.128

Paganini sei ein „hagerer, fünfzigjähriger Mann, blass, kränklich, fast verwildert aussehend“,129 wird berichtet, und sein Spiel mache selbst Kenner ratlos: Oktaven- und Dezimenpassagen in pfeilschneller Geschwindigkeit ebenso wie virtuose Pizzicato-Passagen, „alles so deutlich und praecis, dass auch nicht die kleinste Nuance dem Gehör entgeht.“130 Dann kommt als bemerkenswerter Zusatz: Paganini schien „[m]it einem Zauberschlage“131 im langsamen Satz umgewandelt – „keine Spur mehr der früheren tours de force; ein seelenvoller Sänger, im edlen, gebundenen Style und in zarter Einfachheit himmlische Klänge entlockend, die vom Herzen kommen und zum Herzen dringen.“132

„Paganini’s Spiel wirkte wie eine Bezauberung“,133 schreibt der Sammler und bringt somit das vielfache Staunen ob der Wirkung des Konzertes zum Ausdruck. Der Österreichische Beobachter bezeichnet Paganini als

eine so merkwürdige Erscheinung im Gebiete der Tonkunst, daß wir nicht um hin können, dem außerordentlichen Genie dieses auf die Seele seiner Zuhörer durch Besiegung der ungeheuersten Schwierigkeiten, und durch einen bis ins Innerste dringenden Ausdruck mit magischem Zauber wirkenden Mannes auch unserer Seits den gerechten Tribut der Bewunderung zu zollen.134

Hervorgehoben von sämtlichen Berichterstattern wird das ,Glöckchenrondo‘, also der letzte Satz aus Paganinis Violinkonzert Nr. 2 in h-Moll op. 7, worin die Solovioline in scheinbar magischen Flageolett-Tönen mit dem Klang des Silberglöckchens wetteifert.135

Dieses erste Konzert Paganinis löst einen Rummel in der Kaiserstadt aus, der in den darauffolgenden Wochen seinesgleichen in der Musikgeschichte sucht. Das ‚Paganini-Fieber‘ greift in sämtlichen Bevölkerungsschichten um sich. Schottky berichtet über die Menschen: „sie riefen Paganini und wieder Paganini!“136 Das Souvenirgeschäft blüht und „ein großer Theil der Wiener Handwerkswelt [erhält] belebende Impulse“:137 Hüte, Handschuhe und andere Kleidungsstücke werden ‚à la Paganini‘ benannt, der Fünfgulden-Schein wird im Volksmund zum Paganinerl138 und in der Gastronomie versteht man Exklusivität neu zu definieren:

[…] da gab es, Paganini-Brot und Paganini-Semmel in Geigengestalt, Paganini-Cotellets, und was sonst Catalani-Schnitzel, Borgondio-Kipfel, Esterhazy-Rostbraten etc. hieß, wurde schnell, wenn auch nur für einige...

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