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Vom Antifaschismus zum Linksfaschismus? Die deutsche Studierenden-Bewegung der 1960er Jahre

AutorDaniel Schuch
VerlagBachelor + Master Publishing
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl43 Seiten
ISBN9783955495893
FormatPDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Im vorliegenden Buch wird die Entwicklung der deutschen Studierenden-Bewegung in Deutschland, welche allgemein als '68er-Bewegung' bekannt ist, nachvollzogen. Die historische Analyse spannt den Bogen von den einsetzenden Debatten über die Kontinuitäten des Nationalsozialismus Ende der 1950er Jahre bis zum Höhepunkt und Niedergang der Studierenden-Bewegung Ende der 1960er Jahre. Den Ausgangspunkt der Protestbewegung, die im Spagat zwischen Kritischer Theorie und internationalistisch, antiimperialistischer Praxis versuchte die unbewältigte deutsche Nazivergangenheit und ihre Kontinuität zu skandalisieren, bildeten verschiedene Aktionen und Kampagnen in der Bonner Republik. Aus Kontroversen um eine Theorie des Faschismus entsponn sich jedoch bald die Praxis gegen ein vermeintlich 'neues 33' und der Faschismusbegriff reduzierte sich auf eine universalisierte Formel des Antikommunismus, welche die antisemitischen Spezifika des Nationalsozialismus völlig missachtete. Nachvollzogen wird folglich der antizionistische Turn der Bewegung bis hin zur militanten Praxis, welche letztlich in einem missglückten Brandanschlag auf die jüdische Gemeinde in Berlin am 9. November 1969 durch linke Aktivisten kulminierte. Das scheinbare Paradox zwischen dem antifaschistischen Anspruch der Protestbewegung und ihrem Niedergang im antisemitischen Wahn wird anhand der Kritik von Theodor W. Adorno, Jean Améry und anderen Zeitgenossen gedeutet und in die Tradition der deutschen Erinnerungskultur, welche mit der sogenannten 'Vergangenheitsbewältigung' bis heute fortlebt, gestellt.

Der Autor Daniel Schuch studierte bis September 2012 an der TU Dresden Geschichte, Politikwissenschaften und Soziologie. Seine Forschungsschwerpunkte in der Zeitgeschichte vertieft er seit dem Wintersemester 2012 im Master „Geschichte und Politik des 20.

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Leseprobe
Textprobe: Kapitel 3.2.2, Debatten um eine Theorie des Faschismus: 3.2.2.1, Nationalsozialismus und Post-Faschismus: Die Zeitschrift Das Argument war eines der wichtigsten studentischen Organe, besonders hinsichtlich einer theoretischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit. Nach der antisemitischen Schmierwelle erschien als Ergebnis einer Tagung unter dem Titel 'Die Überwindung des Antisemitismus' im Mai 1960 eine Argument-Ausgabe unter selbigem Namen. Die darin enthaltene theoretische Analyse des Antisemitismus berief sich explizit auf die Forschung der Kritischen Theorie. Eine Erklärung des Antisemitismus beruhte ihrer Meinung nach auf der unzureichenden Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Hinzu kam allerdings auch die These, dass ein sogenannter 'totalitärer Antikommunismus' vorherrsche, dessen Denkstrukturen an den Antisemitismus anknüpfen würden. Im weiteren Verlauf sprach schließlich Adorno auf Einladung des Berliner SDS im Sommersemester 1962 über die 'Aufarbeitung der Vergangenheit.' Die These von der BRD als einer post-faschistischen Demokratie wurde dabei besonders in dem auch ein Jahr später veröffentlichten Text 'Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit' verdeutlicht. Darin betonte Adorno, dass die sogenannte Aufarbeitung der Geschichte in Deutschland als ein Schlussstrich ziehen zu verstehen war. Eine wirkliche Verarbeitung fände nicht statt. 'Der Nationalsozialismus lebt nach, und bis heute wissen wir nicht, ob bloß das Gespenst dessen, was so ungeheuerlich war, daß es am eigenen Tode noch nicht starb, oder ob es gar nicht erst zum Tode kam; ob die Bereitschaft zum Unsäglichen fortwest in den Menschen wie in den Verhältnissen, die sie umklammern. Ich möchte nicht auf die Frage neonazistischer Organisationen eingehen. Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potenziell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie.' Die Formulierung vom Nachleben des Faschismus in der Demokratie ist dabei der entscheidende Punkt. In der BRD habe sich Demokratie noch nicht vollständig entwickelt und die gesellschaftlichen Voraussetzungen des Faschismus, wobei er neben subjektiven Dispositionen auch die ökonomische Ordnung benennt, würden fortbestehen. Erst wenn diese Ursachen beseitigt wären, könnte die Vergangenheit wirklich aufgearbeitet werden. Die Erkenntnis, dass Auschwitz der Rückfall in die Barbarei innerhalb einer aufgeklärten und zivilisierten Gesellschaft war, führte Adorno schließlich auch zu der für seine Verhältnisse äußerst praktisch orientierten Auseinandersetzung über eine 'Erziehung nach Auschwitz', welches als das Paradigma schlechthin für die Arbeiten der Kritischen Theorie zu verstehen ist. Adorno formulierte dies 1966 in seinem Werk Negative Dialektik sehr prägnant: 'Hitler hat den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen: ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts ähnliches geschehe.' Diese Ausführungen waren der Argument-Redaktion durchaus bekannt und die starke Referenz auf die Kritische Theorie macht deutlich, dass in Teilen der Neuen Linken ein klares Bild von Antisemitismus und Verdrängung von deutscher Schuld vorhanden sein musste. Die theoretischen Auseinandersetzungen waren schließlich für alle zugänglich. Es wird allerdings noch zu zeigen sein, dass Auschwitz und die explizite Rolle des Antisemitismus in der weiteren Analyse des Nationalsozialismus durch die Studierenden-Bewegung kaum mehr eine Rolle spielte. Der von Dan Diner geprägte Begriff 'Zivilisationsbruch' steht heute für die Singularität des Nationalsozialismus. In der Diskussion der Studierenden-Bewegung um eine Theorie des Faschismus wurden die Begriffe Faschismus und Nationalsozialismus damals jedoch schon frühzeitig als Synonyme verwendet. Der Holocaust als Dystopie für die 'Generation Auschwitz', wurde insofern schon frühzeitig als negative Sinnstiftung der Protestbewegung benutzt. Dies wird beispielsweise in Martin Walsers Artikel 'Unser Auschwitz' in Reaktion auf die in Frankfurt am Main stattfindenden Auschwitz-Prozesse aus dem Jahr 1965 deutlich. Die von Gerd Koenen verwendete Bezeichnung Felix Culpa (lat.=glückliche Schuld) passt in dieser Hinsicht perfekt auf den Prozess der linken Vergangenheitsbewältigung der 1960er Jahre. Zahlreiche Beiträge in Das Argument belegen jedoch auch, dass es den ernsthaften Versuch gab eine schlüssige Theorie des Faschismus zu erarbeiten. Ab dem Jahr 1964 erschienen Themenhefte unter dem Titel 'Faschismus-Theorien'. Die Analyse basierte auf Theoretisierungen jenseits der marxitstisch-leninistischen Interpretaion des Ostblocks, welche maßgeblich auf der berühmt gewordenen 'Dimitroff-These' beruhten. Jener hatte 1935 auf dem Plenum der Kommunistischen Internationale referiert und erklärt der Faschismus sei die Diktatur imperialistischer Elemente des Finanzkapitals. Solch einer Interpretation des Faschismus wurde vehement widersprochen, da sie historisch als falsch angesehen wurde und nicht im geringsten berücksichtigte, dass es eine breite Massenunterstützung des NS durch die deutsche Bevölkerung gegeben hatte. Aber auch die im Westen vorherrschende Totalitarismustheorie wurde von der Neuen Linken weitgehend abgelehnt. Die Analysen der Kritischen Theorie, auf welcher die Argumentation der Argument Redaktion im wesentlichen fußte, hätte jedoch eine Analyse des Nationalsozialismus aus antitotalitärer Position nicht zwangsläufig ausgeschlossen. Ein Beispiel aus dem Jahr 1965 zeigt, dass die Ablehnung eines Vergleich von nationalsozialistischer und sowjetischer Herrschaft bisweilen in einer Verklärung des Staatssozialismus enden konnte. In einem Text mit dem Titel 'Rot gleich Braun' wurde der Sowjetunion bescheinigt ihr politisches Programm hätte im Gegensatz zum Faschismus das Telos einer 'Emanzipation der Massen.'
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