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Vom heiligen Gebot, miteinander Tacheles zu reden

Geistlich wachsen mit der Jesusregel

AutorDaniel Plessing
VerlagSCM R.Brockhaus im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2016
ReiheEdition Aufatmen 
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783417228434
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Sagt man sich in Kirchen und Gemeinden noch die Meinung, wenn es um so etwas wie Fehlverhalten geht? Oder gilt dann eine Art 'christlicher Nichtangriffspakt'? Warum schweigen wir lieber, als ein klärendes Gespräch zu führen, aus dem eine persönliche Veränderung und geistliches Wachstum hervorgehen könnte? Daniel Plessing greift dazu auf die sogenannte Jesusregel aus dem Matthäusevangelium (Mt 18,15-20) des Neuen Testaments zurück. Hier geht es um das gegenseitige Ermahnen und die wertvolle Frucht, die daraus erwachsen kann. Plessing beschreibt den heilsamen Umgang, durch den Nächstenliebe, Sozialkompetenz und Mut gelernt werden.

Daniel Plessing, geboren 1978, ist verheiratet mit Dorothea und hat fünf Kinder. Nach einem Auslandsjahr und Zivildienst studierte er Theologie in der Schweiz und Deutschland. Seither arbeitet er als Pastor in seiner Heimatgemeinde am Bodensee. Vielen Lesern ist er durch seine Artikel in der Zeitschrift AufAtmen bekannt.

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2 Die Jesusregel – ein Gemeinschaftsthema

Die Jesusregel ist ein Gemeinschaftsding. Jesus lehrt uns, dass wir unsere Glaubensgeschwister brauchen, um auf dem manchmal steilen Glaubensweg durchhalten zu können. Es ist mein Glaubensbruder, der mich im ‚Zweifelsfall‘ auf den richtigen Weg zurückbringt. Mit ihm bin ich wie in einer Seilschaft verbunden. Überdies zeigt Jesus uns mit seiner Regel, dass sich persönliches und geistliches Wachstum nicht einfach auf mystische Art an uns ereignet, sondern unsere gemeindlichen Weggefährten die entscheidenden Impulse dazu geben. Geistliches Wachstum gibt es nur in und durch eine geistliche Gemeinschaft.

Bevor wir aber tiefer in das Thema einsteigen, kommen hier ein paar Momentaufnahmen aus dem Gemeindeleben im deutschsprachigen Europa am Anfang des dritten Jahrtausends. Sie zeigen die ganze Breite des Themas auf:

Bruder D stinkt erbärmlich. Mangelnde Körperhygiene. Wer schon mal das Pech hatte, neben ihm im Gottesdienst zu sitzen, der weiß, wovon ich rede. Wenn man von der Predigt noch etwas mitbekommen will, hat man nur eine Chance: Kopf runter, Hände flach aufeinander, ein Taschentuch zwischen die Handflächen legen und dann da hindurch atmen. Sieht aus wie beten. Ist es aber nicht.

Immer wieder denke ich, dass jemand Bruder D endlich mal in die Körperpflege einführen sollte. Macht offensichtlich keiner. Ich auch nicht. Ich bin zu feige. Stattdessen checke ich vor dem Gottesdienst erst einmal unauffällig ab, wo er sitzt und suche mir dann einen Platz außerhalb seiner Riechweite. Eigentlich sitzt Bruder D die meiste Zeit allein.

Schon länger fällt mir auf, dass Bruder A, einer unserer ehrenamtlichen Gemeindeleiter, sich sehr gut mit unserer neuen Gemeindepraktikantin versteht. Bruder A ist verheiratet und hat zwei Kinder. Nach einer Leitungssitzung bleiben die beiden zurück, um noch was zu besprechen. Ich verlasse das Gemeindehaus mit einem komischen Gefühl. „Die werden schon wissen, was sie tun“, sage ich mir. Nach der nächsten Sitzung bleiben sie wieder allein zurück. „Geh nur, ich bringe sie dann heim“, ruft Bruder A mir zum Abschied zu. Auf der Heimfahrt denke ich mir: „Ich würde nicht wollen, dass meine Frau spätabends allein mit einem Mann im Gemeindehaus sitzt. Aber vielleicht bin ich einfach zu spießig.“

Drei Monate später platzt die Bombe. Bruder A verlässt Frau und Kinder, um mit unserer ehemaligen Praktikantin zusammenzuziehen. Die Gemeinde ist geschockt.

Wenn ich heute zurückblicke, muss ich sagen: Ich habe es gespürt. Ich habe diese feinen Signale intuitiv richtig gedeutet. Aber ich wollte es nicht wahrhaben! Das war mir unangenehm. Ich habe mich nicht getraut, etwas zu sagen, weil ich nicht als Spießer dastehen wollte.

„Bei euch Frommen geht es doch auch zu wie in der Welt. Ihr seid keinen Deut besser.“ Das war der Kommentar des glaubensfernen Nachbarn von Bruder A zu der ganzen Affäre.

Bruder N moderiert unseren vierwöchigen Gästegottesdienst mit viel Elan. Leider macht er fast in jedem Gottesdienst furchtbare Witze über seine Frau. Mal sind es ihre Haare, dann ihre Hobbies oder ihr Fahrstil. Bruder N findet immer was. Er hält diese Witze wohl für eine Art Markenzeichen. Seine Frau ist sein persönlicher Running Gag. Für mich sind das immer furchtbare Momente, wenn Bruder N wieder vom Leder zieht. Ein paar ganz Unsensible lachen tatsächlich jedes Mal. Wir anderen schauen peinlich berührt auf den Boden und schämen uns für Bruder N. Das geht jetzt schon eine ganze Weile so. Ich frage mich: „Merkt der eigentlich nicht, wie peinlich das ist?“ Und dann denke ich: „Jemand sollte ihm unbedingt sagen, wie verletzend seine Sprüche sind. Und überhaupt, wer möchte in eine Gemeinde kommen, wo man so über seinen Partner redet?“ Ich traue mich nicht, hinzugehen. Wer bin ich? Das sollte der Ressortleiter für den Gottesdienst übernehmen. Die anderen in unserer Gemeinde denken offensichtlich ähnlich. Deshalb endet der Weg der Demütigungen für Frau N wohl erst, wenn wir den Gästegottesdienst abschaffen oder Bruder N vom Blitz getroffen wird.

Schwester I ist eine liebe Frau und eine engagierte Christin aus meinem Hauskreis. Seit einem halben Jahr essen wir regelmäßig gemeinsam zu Abend. Seit wir das tun, weiß ich, dass Schwester I einen Ernährungstick hat. Wenn es ums Essen geht, hat sie schon fast fanatische Züge. Den lieben langen Tag lang dreht sich bei ihr alles um die richtige Ernährung. Im Moment hat sie Weizenprodukte auf dem Kieker. Das geht so weit, dass sie letzte Woche vor dem Abendmahl zuerst klären wollte, was für eine Sorte Brot gereicht wird. Die Stimmung im Hauskreis ist in diesem Moment schlagartig deutlich abgesackt. Ich hätte am liebsten mal ein Machtwort gesprochen. Ich habe mich dann aber nicht getraut, so nah am Tisch des Herrn ausfällig zu werden. Seither ist Ruhe. Aber gut ist das nicht. Weder für sie, noch für uns. Am einfachsten wäre es, wenn wir das gemeinsame Essen wieder abschaffen.

„Ermahmutigend“ miteinander umgehen


Ein befreundeter Pastor aus der Schweiz hat mir vor Kurzem in einer E-Mail geschrieben: Möge Gott durch seinen Geist ermahmutigend unter uns wirken. Hä? Auf meine Nachfrage hin hat er mir erklärt, dass dies für ihn die beste Übersetzung des Wortes Beistand (Parakletos) ist. Der Heilige Geist ermahnt und ermutigt uns. Er ist unser Beistand. Er ermahmutigt uns. Genau das ist es, denke ich mir. So wünsche ich mir das für die Gemeinde. Ich sehne mich danach, dass wir Christen uns gegenseitig helfen, auf dem steilen Jesusweg zu bleiben, indem wir einander anfeuern UND einander korrigieren. Ich wünsche mir eine Kultur der Ermutigung UND der Ermahnung unter Christen. Ich wünsche mir, dass wir lernen, mutig und liebevoll auch schwierige Dinge anzusprechen, anstatt ihnen aus dem Weg zu gehen. Ermahmutigen eben. Wir bewegen uns hierbei auf sicherem biblischen Terrain. Schon in 3. Mose 19,17 ist die Aufforderung zu finden, den Bruder nicht zu hassen, sondern ihn zurechtzuweisen. Wer das nicht tut, lädt Schuld auf sich. Denn echte Liebe scheut sich nicht, auch Unangenehmes auszusprechen. Bereits in den Sprüchen ist zu lesen:

Ein offener Tadel ist besser als verborgene Liebe! Wunden, die ein Freund geschlagen hat, sind besser als Küsse von einem Feind.

SPRÜCHE 27,5-6; NLB

Für die Schreiber der biblischen Sprüche war klar: Der Weise lässt sich gerne zurechtweisen. Nur ein Dummkopf ignoriert die Zurechtweisungen (z.B. Sprüche 12,1). Außerdem werden wir in den Briefen des Neuen Testamentes immer wieder dazu aufgefordert, einander zu ermahmutigen. Schön kommt das zum Beispiel im Hebräerbrief zum Ausdruck:

Spornt euch gegenseitig zu Liebe und zu guten Taten an. Und lasst uns unsere Zusammenkünfte nicht versäumen, wie einige es tun, sondern ermutigt und ermahnt einander, besonders jetzt, da der Tag seiner Wiederkehr näher rückt!

HEBRÄER 10,24; NLB

Doch die Königin aller Bibelstellen zu diesem Thema ist für mich die bereits gepriesene Jesusregel aus Matthäus 18,15-17. Sie stammt unmittelbar aus dem Mund von Jesus und gibt uns eine einfache und bewährte Empfehlung, wie wir als Christen miteinander umgehen sollen.

Sündigt aber dein Bruder (an dir), so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit jede Sache durch den Mund von zwei oder drei Zeugen bestätigt werde. Hört er auf die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner.

MATTHÄUS 18,15-17

Zurück zu unseren gemeindlichen Momentaufnahmen. Wie wäre das, wenn aufgrund der Jesusregel nur einer den Mut finden würde, Stinkebruder D zu besuchen? Wenn nur einer mit ihm liebevoll über seinen Körpergeruch redet? Ganz persönlich, unter vier Augen, sodass es für niemanden peinlich wird. Wie wäre das, wenn Bruder D plötzlich selbst zum Wohlgeruch wird? Das wäre nicht nur ein Nasenglück für die Gottesdienstbesucher, sondern ein tolles Zeugnis für die ganze Stadt. „Seit der dort hingeht, stinkt er nicht mehr!“

Großes Leid für eine Familie hätte vielleicht verhindert werden können, wenn alle, denen diese sonderbare Nähe zwischen Bruder A und der Praktikantin aufgefallen war, auch entsprechend der Jesusregel zu Bruder A gegangen wären. Mich eingeschlossen. Ich hätte doch einfach mal bei einem Weizenbier oder einer Pizza sagen können: „Du, mir ist da was aufgefallen. Ich mache mir Sorgen. Was ist los?“ Vielleicht hätte sich Bruder A geöffnet und so die Chance bekommen, über seine Sehnsüchte zu reden. Das hätte unserer Beziehung große Tiefe gegeben. Ich wünsche mir, dass wir einzelne Mitglieder unserer Gemeinden nicht sehenden Auges ins Unglück laufen lassen, sondern entschlossen und liebevoll das Gespräch mit ihnen suchen. Ich wünsche mir eine Kultur der Ermahmutigung. Die Jesusregel könnte dazu eine riesige Hilfe sein.

Und natürlich möchte ich selbst in einer Gemeinschaft sein, von der ich weiß: Die achten dort wohlwollend auf mich und scheuen sich nicht, mir auch schwierige Dinge zu sagen. Ich will, dass andere gemäß der Jesusregel auf mich achten. Vielleicht bin ich irgendwann selbst Mal der Stinkebruder D, der immer alleine sitzt. Vielleicht werde ich in naher Zukunft zur Sünde verleitet wie Bruder A. Vielleicht bin ich in einigen Jahren ein saupeinlicher Prediger so wie Bruder N, oder ich bekomme einen Gesundheitstick wie...

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