DIE VORBEREITUNG
Am 31. März 2010 ist es dann wirklich und wahrhaftig soweit. Unsere letzten persönlichen Gegenstände sind eingelagert und alles, was wir unterwegs brauchen, ist im Wohnmobil verstaut, mit dem wir vorerst in unsere ungewisse, spannende Zukunft starten wollen.
Fest steht zu diesem Zeitpunkt nur eines, nämlich dass wir Anfang Oktober nach Nepal fliegen werden, um im Himalaya den Annapurna Circuit zu bewältigen. Hierbei handelt es sich um eine der schönsten Trekkingstrecken der Welt, die über einen 5.416 m hohen Pass namens Thorong La führt. Wir wollen dieses Abenteuer ganz allein bewerkstelligen, ohne Gruppe, ohne Porter (Träger) und ohne Guide (Führer). In den vergangenen Monaten haben wir uns intensiv mit dem Trek und den damit verbundenen Gefahren befasst und uns ist durchaus klar, dass es kein Spaziergang werden wird. Zwar haben uns auf dem Jakobsweg auch schon diverse Berge im Weg gestanden, allerdings waren die mit höchstens 1.500 m doch nicht wirklich vergleichbar mit dem, was uns in Nepal erwartet.
Wir leben in Schleswig-Holstein, was bedeutet, dass wir am Mittwoch schon sehen können, wer am Sonntag zu Besuch kommt. Die höchste Erhebung in unserem kleinen Bundesland ist der Bungsberg mit exakt 167,4 Metern, was die Trainingsmöglichkeiten für einen Trek durch den Himalaya doch erheblich einschränkt. Also wollen und müssen wir die verbleibenden sechs Monaten nutzen, um uns vorzubereiten – und zwar intensiv. In dieser Vorbereitungszeit soll unser Wohnmobil seine Daseinsberechtigung beweisen. Der Plan ist, damit Richtung Süden zu fahren, bis wir auf Berge stoßen, die sich für uns als geeignete Trainingspartner erweisen.
Langsam fahren wir durch die verschiedenen Bundesländer und verbringen mal hier, mal dort ein paar Tage, wo es gerade schön ist.
Auf unser erstes Trainingsopfer treffen wir in Sachsen – der Malerweg im Elbsandsteingebirge in der Sächsischen Schweiz soll herhalten. Allerdings gönnen wir ihm noch eine Galgenfrist, denn das Wetter ist extrem schlecht, es regnet Katzen und Hunde und das wollen wir uns nicht antun. Wir nutzen diesen Umstand für einen Besuch bei Christof, einem Pilgerfreund vom Jakobsweg, der in Görlitz wohnt - und danken dem Himmel für das Öffnen seiner Schleusen, denn den Aufenthalt bei Christof und seiner Frau Ingrid hätten wir nicht missen wollen. Aber dann ändert sich das Wetter, es wird sommerlich schön und nun heißt es unwiderruflich: „Malerweg, nimm dich in Acht, wir kommen“!
Der Malerweg ist ein einhundertzwölf Kilometer langer Rundweg, der in acht Etappen aufgeteilt ist. Er beginnt und endet in Pirna bei Dresden.
Dort angekommen, dürfen wir unser Wohnmobil kostenlos auf dem Campingplatz stehen lassen und beginnen, bewaffnet mit verschiedenen Wanderführern, unsere erste Etappe. Von Beginn an erwarten uns die unterschiedlichsten Wege. Mal führen sie uns durch schmale, romantische Schluchten und dann über steile Anstiege durch die Tafelberge, durch das Schrammstein-Massiv, auf den Winterberg und die Festung Königstein. Jeder Tag und jeder Abschnitt stellt unsere Kondition vor neue Herausforderungen. Es gibt Abende, an denen wir es gerade noch schaffen, etwas zu essen und uns ins Bett zu hieven. Meistens bekommen wir den Aufprall gar nicht mehr mit.
Die Aussichten von den Tafelbergen über die Elbe und die fantastische Kalksteinlandschaft sind einfach gigantisch. Kein Wunder, dass es die Maler schon immer hierher gezogen hat, denn diese Landschaft schreit danach, in großen Werken verewigt zu werden.
Eine Woche lang kämpfen wir uns über wildeste Pfade, Stiege, Leitern und gefühlte zigtausend Natursteinstufen bei Sonne, Sturm oder Dauerregen durch diese romantische Idylle.
Wir übernachten in schönen und weniger schönen Gaststätten, einer gruseligen Bergsteigerunterkunft und einem voll belegten Matratzenlager mit zwanzig Schlafplätzen - und jeder einzelne Tag, mag er auch noch so strapaziös sein, ist ein wunderbarer Tag.
Nach dieser anstrengenden, aber super schönen Trainingswoche sind wir der Meinung, eine Erholungspause mehr als verdient zu haben. So beschließen wir, Heiner, einen weiteren Jakobswegfreund, anzurufen, um zu hören, ob er am Wochenende Zeit und Lust hat, sich mit uns zu treffen. Heiner wohnt in Parsberg in der Oberpfalz und freut sich total, als wir uns bei ihm anmelden. Als wir drei Tage später ankommen, werden wir von der ganzen Familie empfangen als würden wir uns schon ewig kennen. Mit den Worten: „Setzt euch, esst und trinkt, ihr gehört jetzt dazu“, beginnen bei Brot, Schinken und zünftigem Bier ein paar schöne Tage in Parsberg.
Mittlerweile sind wir zwei Monate unterwegs und haben in der ganzen Zeit nur eine Woche trainiert. Lorbeeren haben wir uns damit ganz sicher nicht verdient. Wir beschließen, unsere Sightseeingtour etwas abzukürzen und machen uns von Bayern aus über Österreich auf den Weg Richtung Slowenien.
Wir haben gehört und gelesen, dass es dort fantastische Gebirge geben soll, die sich als ideale Trainingsgebiete geradezu aufdrängen. Wir fahren nach Bled und bleiben ein paar Tage dort, weil es einfach so märchenhaft schön ist und fahren dann weiter nach Bohinsko-Bistrica, um von dort auf den Crna Prst zu wandern.
Dort angekommen finden wir einen riesigen Parkplatz, der total verlassen da liegt und sich somit als perfekter Übernachtungsplatz anbietet. Von hieraus können wir am nächsten Morgen direkt zu unserer Crna Prst Eroberung starten. Denken wir. Wie sich herausstellt, soll daraus nichts werden.
Um sieben Uhr morgens klopft es ziemlich unsanft an die Tür unseres Wohnmobils - vor der zwei slowenische Polizeibeamte warten. Höflich aber bestimmt fordern sie uns auf, den Platz unverzüglich zu verlassen. Sie klären uns darüber auf, dass es in Slowenien verboten ist, außerhalb von ausgewiesenen Campingplätzen mit dem Wohnmobil zu übernachten. Na super! Also machen wir uns auf, einen Campingplatz zu suchen der nicht völlig überteuert ist und verschieben unsere Wanderung um einen weiteren Tag. Aber dann geht es wirklich los.
Der Crna Prst ist 1.840 Meter hoch, so hoch waren wir noch nie! Was als leichte Bergtour beschrieben wird, stellt sich für uns allerdings als echte Herausforderung dar. Gleich zu Beginn haben wir einen steilen Anstieg von dreihundert Höhenmetern und die lehmigen Pfade sind nach dem Regen der letzten Tage total glitschig. Hier lernen wir den Begriff „ausgesetzte Pfade“ auch in der Praxis kennen. Die Pfade sind so schmal, dass man gerade mal einen Fuß vor den anderen setzen kann und führen direkt am Abhang entlang. Ab einer Höhe von 1.600 Metern stoßen wir immer wieder auf schneebedeckte Flächen und müssen noch vorsichtiger sein, weil wir nicht wissen, was sich unter dem Schnee befindet. Wir schaffen noch einmal einhundert Höhenmeter und treffen auf ein riesiges Schneefeld, das es sich ausgerechnet auf dem steilsten Abschnitt zwischen uns und dem Gipfel gemütlich macht. Wir sind hin und her gerissen, ob wir es überqueren sollen, aber am Ende siegt die Vernunft. Wir strafen das Feld mit Nichtachtung, kehren nur hundertvierzig Höhenmeter vor unserem Ziel um und erreichen nach neun Stunden völlig erschöpft aber gesund unser Wohnmobil.
So schön Slowenien auch sein mag, so ärgerlich ist es auch, dass man als sich selbstversorgende Wohnmobilisten immer auf die teuren Campingplätze angewiesen ist. Deshalb fällt noch an diesem Abend die Entscheidung, einem anderen Land die Chance zu geben, sich als wohnmobilfreundlicher zu erweisen. Schnell steht der Entschluss fest – dieses Land heißt Italien.
Wir werden nicht enttäuscht, denn sobald wir die italienische Grenze passiert haben, gibt es keinerlei Probleme mehr, gute Stellplätze mit besten Ver- und Entsorgungsmöglichkeiten zu finden – kostenlos.
Nachdem wir uns mit Kartenmaterial versorgt haben, soll Venedig, die Stadt der Liebe, unser Ziel sein. Zugegebenermaßen ist die Chance auf Trainingseinheiten dort verschwindend gering, aber wenn wir denn schon mal da sind…
Venedig ist ein einziges Labyrinth winzig kleiner, schmaler Gassen, unzähliger Brücken und Kanäle, die sich kreuz und quer und völlig planlos durch die Stadt ziehen. Selbst mit Stadtplan ist es fast unmöglich, in den dreitausend Gassen und unzähligen Wasserstraßen nicht verloren zu gehen. Schon bald haben wir keinen Schimmer mehr, wo wir überhaupt sind und lassen uns in unserer Orientierungslosigkeit treiben. Irgendwann liegen dann der breite Canale Grande und die Rialtobrücke vor uns und helfen uns bei der Standortsuche auf unserem Plan.
Wie die meisten Besucher sehen auch wir uns die bekanntesten Sehenswürdigkeiten an. Dogenpalast, Markusplatz und -dom inclusive der geschätzten hunderttausend Tauben, Santa Maria della Salute und natürlich der Lido, das erste Strandbad der Welt mit seinen Luxushotels, begeistern uns genauso wie all die anderen Touristen, die sich durch die Gässchen quetschen. Die Stadt ist voll und wir kommen teilweise kaum voran. Und das bei Temperaturen, die eigentlich absolut nicht zu einem Stadtbummel einladen – wir haben fünfunddreißig...