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E-Book

Vom katholischen Fühlen

AutorMario Perniola
VerlagMatthes & Seitz Berlin Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl183 Seiten
ISBN9783882211221
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Der italienische Philosoph Mario Perniola konstatiert in dieser tiefgreifenden Studie, die nun endlich auf Deutsch erscheint, dass sich das Wesen des Katholizismus nicht in Lehre und Dogma ausdrückt, sondern in einer bestimmten Art zu fühlen. Bezugnehmend u. a. auf Ignatius de Loyola definiert er einen autonomen kulturellen Katholizismus, der geprägt ist von einem objektiven, rituellen, in der antiken römischen Welt wurzelnden äußerlichen Fühlen. Perniola macht dabei auch einen traditionellen Formalismus stark und geht so weit, darin die Möglichkeit zur Rettung einer Welt zu sehen, die sich durch ihren sentimentalen Subjektivismus selbst zersetzt.

Mario Perniola, geboren 1941, studierte u.a. Kunstgeschichte in Rom. Der Philosoph und Kunstkritiker lehrt Ästhetik an der Universität Tor Vergata in Rom und ist Herausgeber der Zeitschrift Agalma. Seine Schriften befassen sich mit Avantgarde, der Situationischen Internationale, der Postmoderne und der kritischen Theorie.

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Leseprobe

II


Ein Glaube ohne Dogma


Wer auf Dogmen und Predigten allergisch reagiert, weil er sie für einen Ausdruck von Unlauterkeit und Heuchelei hält, dem wendet sich dieses Buch ganz besonders zu. Verordnetermaßen an etwas Bestimmtes glauben und sich in einer bestimmten Weise verhalten zu sollen, steht in scharfem Gegensatz zur feierlich hoheitlichen Bedeutsamkeit einer Institution und beleidigt die religiöse Sensibilität zutiefst, die mehr noch als Philosophie und Kunst allein in einem Klima aus Freiheitlichkeit und Großmut gedeiht. Eben diese besonderen Charakterzüge sind es, denen sich die Anziehungskraft der orientalischen Religionen verdankt und die ehemals auch dem Katholizismus angehörten. Bleibt zu verstehen, wie es hat geschehen können, dass sich der Katholizismus im Verlauf eines halben Jahrtausends zu einer ideologisch politischen Apparatur wandelt, die in einem ständig weiter reichenden dogmatischen Fundament gegründet ist, für das der Schlüsselbegriff Glaube steht.

Es gibt bekanntlich zwei verschiedene Arten, den Begriff des Glaubens zu denken:32 er kann als fiducia und als confessione dogmatica aufgefasst werden. Ihnen entsprechen zwei griechische Verben, die trotz ihrer Herkunft aus einer gemeinsamen Wurzel dennoch unterschiedliche Bedeutungen angenommen haben. Der Glaube als Vertrauen wird mit dem Verb péitho verbunden, das »überzeugen« heißt, wovon sich peithó, die Überzeugung [persuasio] herleitet; der Glaube als dogmatisches Bekenntnis wird dagegen in Bezug auf das Verb pisteúo bestimmt, das »glauben« heißt, wovon sich dann pístis, also »Glaube« herleitet.

In dem ersten Begriff heißt »glauben« »vertrauen«, gewiss sein, im Zustand von Gewissheit sein und bleiben, was auch immer geschehen möge. Glaube als Überzeugung hat daher wenig mit dem Versuch zu schaffen, andere von der Richtigkeit des eigenen Standpunkts zu überzeugen, und noch viel weniger mit der absoluten Wahrheit einer Aussage;33 die Betonung liegt hier auf der Bedingung, unter der die Gewissheit »gerecht« ist, die laut Bibel in dem grenzenlosen Vertrauen auf Jahwe ruht.

Bei der zweiten Auffassung ist der »Glaube« an den Proselytismus gebunden und gehört daher zur christlichen Missionarspredigt und ihrer expliziten Aufforderung, einer neuen Doktrin anzuhängen. Das erklärt die Emphase, mit der Paulus in seiner Predigt die Zuhörerschaft zur Annahme seiner Heilsbotschaft ermahnt. Wie sehr also dieser Glaubensbegriff aus einer wesentlich neutestamentarischen Wurzel entstanden ist, kommt es doch erst in der Neuzeit soweit, dass sich in der katholischen Kirche die Verbindung zwischen Glaube und Dogma verfestigt.

Es ist nun gerade diese Verbindung Glaube – Dogma, die die Sensibilität vieler Menschen verletzt. In ihren Augen kommt es einer Verarmung der religiösen Erfahrung gleich, dass die Kirche ein absolutes Wahrheitsstatut für sich beansprucht und daraus folgend eine normative Funktion ausübt. Einer der Gründe für den kulturellen Erfolg des Judentums im 20. Jahrhundert muss, meiner Ansicht nach, in der Tatsache gesucht werden, dass es im Judentum keinen Proselytismus gibt.

In dem Prozess der dogmatischen Verhärtung der katholischen Kirche, der mit dem Konzil von Trient angestoßen wird, lassen sich drei Phasen unterscheiden: ein erster Abschnitt, der von der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des 18. Jahrhunderts reicht, konfrontiert die Kirche mit dem Protestantismus, der Aufklärung und deren beider Entdeckung der subjektiv individuellen Erfahrung; eine zweite Phase, die von der Restauration eröffnet wird und mit dem Ende der 1970er Jahre abschließt, stellt die Kirche der Ideologie, also jener Gesamtheit aus vorgefertigten Meinungen und Doktrinen entgegen, die es auf die Herausbildung und die Erhaltung des gesellschaftlichen Zusammenhangs anlegen; schließlich eine dritte, noch jüngere Zeitspanne, in der der Vergleich diesmal mit der Sensologie und dem von ihr implizierten Nihilismus, also mit jenem affektiven Universum stattfindet, für das ein von den Massenmedien geschaffenes kollektiviertes und verdinglichtes Fühlen charakteristisch ist.34

Die katholische Kirche hat sich in all diesen drei Epochen, in denen letztlich ihr Überleben auf dem Spiel stand, mit einer einzigen Strategie verteidigt, mit dem Prozess der mimetischen Rivalität, den sie gegenüber ihren Feinden in Gang gesetzt hat, um sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Dieser Prozess hat, um dem Subjektivismus die Stirn zu bieten, von Geistlichen wie auch von den Laien ihren persönlichen Einsatz und ihre persönliche Teilnahme bei der Verteidigung von Orthodoxie und Orthopraxis eingefordert; um sich gegen das prêt-à-porter-Denken der Ideologie und das kollektive Handeln der Massen abzusetzen, ist die Doktrin dogmatisiert und die Praxis sozialisiert worden; und schließlich hat er das Bild der Kirche verdinglicht und spektakularisiert, um auf diese Weise zu verhindern, dass Leere und Läpperei den gesamten Bereich der Kommunikation in Beschlag nahmen.

Denken und Erfahrung von Guicciardini und López de Loyola stammen aus einer Zeit, in der sich der Bruch mit dem Protestantismus noch nicht definitiv und unwiderruflich vollzogen hatte; sie stehen daher beide der Verfahrensweise der mimetischen Rivalität, die den Katholizismus zur Denaturierung seiner eigenen Wesenszüge geführt hat, fremd gegenüber. Guicciardini tadelt die Päpste seiner Zeit äußerst herbe und wirft ihnen vor, dass sie »in vielen Dingen ihr Pontifikalamt wenig majestätsbewusst« ausübten, Kriege führten und sich ihr Verhalten oft genug nicht im Einklang mit der Größe und der Universalität der von ihnen personifizierten Institution befände;35 doch mit Luther geht er nicht weniger kritisch ins Gericht36 und zeigt sich ebenso jedem Moralismus abhold, wenn er sich auf Transzendenz oder Innerlichkeit beruft. Íñigo López de Loyola, der häufig als ein Exponent der Controriforma angesehen wird, stand dem Protestantismus in Wirklichkeit eher wohlwollend gegenüber.37 Bevor das Konzil von Trient (1653) zu seinem Abschluss kam, setzten übrigens noch viele, unter ihnen auch Karl V., ihre Hoffnung in eine Reform der Kirche, die imstande wäre, die protestantische Abweichung wieder rückgängig zu machen und so die Einheit der abendländischen christlichen Welt zu retten.38

Der Prozess, der den Glauben aus seiner einstigen Stellung einer freien Gabe Gottes zu einer bloß subjektiven Überzeugung herabmindert, zieht sich durch zwei der vielschichtigsten und bewegtesten Jahrhunderte in der Geschichte des Christentums: Es ist die Zeit der Religionskriege, in der sich tiefreligiöse Erfahrungen oft mit Ängsten und Beunruhigung mischen, die unter der Notwendigkeit entstehen, Proselyten anzuwerben und bereits gewonnene Machtpositionen zu verteidigen. Im Übergang vom Augsburger Religionsfrieden von 1555 und dem mit ihm festgelegten Grundsatz, wonach jeder an das Bekenntnis der Landesreligion (cuius regio eius religio) gehalten ist, zu der im aufgeklärten Bürgertum des 18. Jahrhunderts verbreiteten Vorstellung von der freien Wahl des Glaubens, die dem Einzelnen anheim gestellt sei, vollzieht sich eine radikale Umwälzung, die die Vorstellung vom Glauben selbst zersetzt und ihn auf eine Ebene mit der Ansicht stellt, die man teilt oder ablehnt: Die Anstrengungen, die der Bürger im 18. Jahrhundert unternimmt, um in Moralvorschriften umzuwandeln, was er nicht mehr als einen Ausdruck seines Glaubens fühlen kann, zählen für Groethuysen zu den bezeichnendsten Symptomen für die fortschreitende Ungläubigkeit.39 So wird der Glaube zu einer Frage der bloßen Überzeugung abgewertet; damit ist der Bereich des Fühlens endgültig ins Gebiet des fatal zwischen Relativismus wie Dogmatismus schillernden Wissens oder in den zwischen Subjektivismus und Konformismus hin und her schwankenden Bereich der Ethik hinübergeglitten. Verantwortlich für diese Herabwürdigung des Katholizismus scheinen mir weder die Jansenisten noch die Jesuiten zu sein. Für die Jesuiten kann eine wirkliche Wahl nur unter der Voraussetzung möglich sein, dass sie sich von den ungeordneten seelischen Regungen freimachen, die aus dem Innersten unseres Gemüts aufsteigen; bei den Jansenisten geht der Glaube durch die totale Unterwerfung im Angesicht eines unverständlichen Gottes. Bekanntlich aber gelingt es der Kirche am Ende ohnehin, die einen wie die anderen zu unterdrücken: die Gesellschaft Jesu wird nach jahrzehntelanger Verfolgung schließlich 1773 vom Papst verboten, während die Jansenisten ihre Verurteilung durch die päpstliche Bulle Unigenitus bereits 1713 ereilt.

Doch erst mit der Restauration in den frühen Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zeigt sich dann im Katholizismus die Tendenz, als ein ausgesprochen ideologischer Apparat mit dem Papst in seinem Brennpunkt Gestalt anzunehmen. Eine wesentliche Rolle in dieser Entwicklung spielt der Ultramontanismus, der die Macht des Pontifex über die Bischöfe, die nationalen Kirchen und über die Katholizität in ihrer Gesamtheit auszuweiten sucht. Von...

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