MEIN WEG ZUR ASTROLOGIE
Winfried Noé im Gespräch mit Erich Lejeune
Erich Lejeune: Wer einem Astrologen begegnet, dem liegen fast automatisch ganz viele Fragen auf der Zunge, die das eigene Ich und die Ausdeutung des eigenen Horoskops betreffen. Selbst Menschen, die vorgeben, dass sie ihr Leben sehr rational betrachten und Astrologie „grundsätzlich als unwissenschaftlich und unbeweisbar“ ablehnen, können sich dieser Magie nicht entziehen.
Eine der Fragen, deren Beantwortung auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, brennend interessieren dürfte, war: „Wie wird man zum erfolgreichsten und meist gefragten Astrologen im deutschsprachigen Gebiet?“
Meine Krankheit – der lange Weg zu mir selbst
Erich Lejeune: Herr Noé, was führte Sie zu einer so intensiven Beschäftigung mit der Astrologie, dass Sie diesem Lebensthema seit über einem Vierteljahrhundert Ihr ganzes Denken und Handeln widmen?
Winfried Noé: Dazu gibt es eine ganz lange Geschichte, die seit meiner Kindheit mein ganzes Leben durchzieht, und eine ganz kurze. Die ist mit einem Satz gesagt: Mir fehlt ein Enzym in der Leber. Das ist eine äußerst seltene Stoffwechselkrankheit, die ich von meiner Mutter geerbt habe.
Durch diese Krankheit war ich als 13-jähriger fast so breit wie hoch. Das kann man sich, wenn man mich heute sieht, gar nicht mehr vorstellen. Als Kind wurde ich für dieses Aussehen fürchterlich gehänselt. Einmal sollte gegen Ende des Schuljahrs ein Klassenfoto gemacht werden. Da sagte einer meiner Mitschüler: „Dafür brauchen wir aber einen Hubschrauber, weil der Fotograf sonst den Noé nicht auf die Platte bekommt!“ Da bekam ich eine solche Wut, dass ich ihn richtiggehend verprügelte. Vom Tag dieser schlimmen Demütigung an hatte ich nur noch eines im Sinn: Ich wollte schlank werden! So schlank wie mein Vater! Mein Vater hatte immer eine tolle Figur. Er war sehr sportlich, ging jeden Morgen Joggen, schwamm viel, betrieb insgesamt viel Sport – und so wollte ich auch sein: sportlich und schlank. Nach diesem Schlüsselerlebnis mit dem Hubschrauber nahm ich mit einer geradezu verbissenen Disziplin innerhalb eines Jahres über 18 Kilo ab, während ich 11 cm wuchs.
So bin ich wie ein Besessener stundenlang gejoggt und habe dann, wie ich es bei Karl May im Old Shatterhand gelesen hatte, wenn der weit laufen musste, ein Bein geschont. Erst viel später fiel mir auf, dass ich immer mein linkes Bein geschont habe.
EL: Damals hatten Sie aber noch nicht diese Gehbehinderung wie heute?
WN: Nein, überhaupt nicht. Niemand außer mir ahnte etwas davon. Ich konnte ganz normal laufen. Bereits als Schüler hatte ich angefangen mit größter Hingabe und Begeisterung zu tanzen. Später habe ich sogar Turniere getanzt – mit einer seinerzeit bekannten Tänzerin, die später mit einem anderen Europameisterin und Weltmeisterin im Standardtanz wurde. Wir beide waren richtig gut. Damals verbrachte ich zusammen mit meinen Eltern den Sommer am Wörther See. Da gab es auch große Tanzveranstaltungen. Wenn ich mit meiner Partnerin tanzte, verschwanden die anderen Paare von der Tanzfläche, weil sie nur uns voller Begeisterung zuschauen wollten.
Bei einer dieser Tanzveranstaltungen merkte ich plötzlich, wie mein linkes Beine ganz taub wurde. Zunächst versuchte ich, dieses beunruhigende Gefühl zu überspielen. Mit allergrößter Willenskraft tanzte ich einfach weiter. Bis ich merkte, dass ich die Bewegungen nicht mehr so exakt koordinieren konnte, wie ich das mit meinem Hang zum Perfektionismus jahrelang trainiert hatte. Das war 1978. Einige Zeit später merkte ich, wie nicht nur beim Tanzen, sondern auch beim Autofahren mein linkes Bein einschlief. Das trat immer häufiger auf. Was mich noch mehr verunsicherte, war, dass diese Schwäche auch beim Motorradfahren auftrat, denn da kann sie absolut tödlich sein. Dabei liebte ich es so sehr, in meinem roten Lederanzug auf meiner 500er BMW durch die Gegend zu düsen. Ich liebte die Geschwindigkeit und wollte immer Gas geben, immer auffallen. Von Schwäche wollte ich nichts wissen. Die verabscheute ich.
EL: Aber Herr Noé, das passt doch gar nicht zu Ihnen. Warum wollten Sie auffallen? Wollten Sie etwa Ihre Behinderung überspielen?
WN: Nein, das hatte mit meiner Behinderung nichts zu tun. Damals lebte ich immer in dem Gefühl, dass ich nie beachtet worden war. Das war mein großes Vaterproblem. Mein Vater war ein sehr erfolgreicher Unternehmer. Er war im Schiffbau tätig, d. h. er besaß eine Werft. Als er 1970 ahnte, dass man in Deutschland mit Schiff bau bald kein Geld mehr verdienen konnte, fusionierte er seine Werft mit einer anderen und baute Kräne. Er war einfach in allem, was er anpackte, immer sehr, sehr erfolgreich.
In diesem Konflikt wie auch in meiner Krankheit zeigt sich das Grundproblem meines Lebens: Ich muss in meinem Leben lernen, selbstständig zu werden und zu meinem wahren Ich finden, um glücklich zu werden. Das ist sicherlich das Lebensthema für ganz viele Menschen. Für mich ist das allerdings besonders schwierig, weil ich in meinem jetzigen Zustand mit meiner schweren Krankheit ständig abhängig bin und Hilfe von außen brauche. Trotz dieser schlimmen Symptome kämpfe ich täglich darum, ein selbstständiges Leben zu führen. Nicht nur körperlich, sondern auch geistig und seelisch.
Menschen, die wie ich mit einer körperlichen Behinderung leben müssen, gelangen immer wieder an einen Punkt, an dem sie sich wertlos fühlen. Aber dieser Kampf für ein starkes Selbstwertgefühl begleitet mich schon seit meiner Kindheit. Darin finde ich meine Stärke gegenüber meinem Vaterproblem. In meinen Augen war er immer der Größte und damit verbunden war dieses Gefühl, dass ich mit allem, was ich tue, an ihn sowieso nicht rankomme. Das war damals ein echter Minderwertigkeitskomplex, den ich mit der Kraft der Astrologie und der Motivation überwunden habe.
EL: Wollten Sie denn genauso werden wie Ihr Vater?
WN: Einerseits ja. Andererseits bin ich mit großer Entschlossenheit meinen eigenen Weg gegangen. Mein Vater hätte es zum Beispiel sehr gern gesehen, wenn ich ins Bankgewerbe eingestiegen wäre. Er war 30 Jahre Beirat bei der Deutschen Bank. Darauf hatte ich aber wirklich keine Lust und studierte stattdessen Jura. Zum Studium ging ich weit weg von Bremerhaven – nach München. Das fand mein Vater überhaupt nicht gut.
Von München aus fuhr ich eines Tages mit einem Freund zum Skifahren nach Ischgl. Und ich muss dazu sagen, dass ich ein leidenschaftlicher Skifahrer war. Da passierte etwas, was mich schon seit längerer Zeit verfolgte. Wir gingen mittags zum Essen. Daraufhin wurde mir fürchterlich schlecht. Ich schwankte damals ständig zwischen dem Gefühl: „Ich verspüre Heißhunger“ oder „Mir ist speiübel“. Um dieses Schwächegefühl zu übertönen, schlug ich meinem Freund vor: „Komm, wir fahren runter – um die Wette! Mal sehen wer gewinnt!“ Tempo, Tempo! Egal, ob beim Motorradfahren oder beim Skilaufen – daran hatte ich eine Riesenfreude. Aber diese Wettfahrt endete bei mir mit einem fürchterlichen Sturz. Es trug mich aus einer Kurve und ich fiel mit dem Hinterkopf auf eine Steinplatte. Ich war für einige Zeit bewusstlos, wurde von der Bergrettung abtransportiert und in eine Klinik nach München gebracht. Bei den Untersuchungen dort stellte sich heraus, dass ich nicht nur eine schwere Gehirnerschütterung davongetragen hatte. Ich weiß nicht, aufgrund welcher Anzeichen die Ärzte misstrauisch geworden waren. Jedenfalls wurde eine Rückenmarkspunktion durchgeführt und dabei zeigte sich, dass ich verdächtige neurologische Symptome aufwies, die mit dem Sturz überhaupt nichts zu tun hatten.
Dann folgten unzählige Untersuchungen und dabei stellte sich immer deutlicher die Erkenntnis heraus, woher in den vergangenen Jahren diese physischen Begrenzungen gekommen waren. Aufgrund dieser langwierigen Untersuchungen wusste ich, warum ich als Kind so unförmig dick gewesen war und warum ich so viele Speisen nicht vertragen hatte. Dabei wusste ich trotz aller möglichen Allergietests nie genau welche. Ja, und mit einem Schlag wurde mir auch klar, warum ich letztlich nie die Spitzenleistungen erreichen konnte, die ich in meinem unbändigen Ehrgeiz immer angestrebt hatte. Es war diese unheimliche, lähmende Stoffwechselkrankheit, die meinen Körper immer stärker vergiftete. Ich wollte immer Bester werden und habe es nie geschafft – trotz meines unbändig starken Willens und meiner geballten Energie.
Von diesem Skiunfall an spürte ich, wie langsam ein Leistungsverfall einsetzte und ich körperlich immer schwächer und anfälliger wurde.
EL: Herr Noé, was ging da in Ihnen vor?
WN: Wut! Wut! Und noch mal Wut! Ich dachte immer, ich bin der geborene Gewinner und wurde durch diese Diagnose in einen seelischen Abgrund...