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Wächst die Seuchengefahr?

Globale Epidemien und Armut: Strategien zur Seucheneindämmung in einer vernetzten Welt

AutorStefan H. E. Kaufmann
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783104000480
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
AIDS, Tuberkulose, Influenza, H5N1, SARS - die großen Seuchen versetzen die Welt nicht nur in Angst und Schrecken, sondern ziehen auch ökonomische Auswirkungen und Kosten für die Gesellschaft nach sich. Wo und wie entstehen neue Seuchen? Was haben sie mit Armut, was mit dem Klima zu tun? Welche Möglichkeiten liegen in Impfungen? Dieser Band erklärt, was zur Eindämmung der Seuchen geschehen muss, was der Staat, die Industrie und Stiftungen tun können.

Klaus Wiegandt ist Stifter und Vorstand des »Forums für Verantwortung«. Im Fischer Taschenbuch Verlag hat er bereits zahlreiche Bücher zum Thema Nachhaltigkeit herausgegeben.

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Leseprobe

3.4 Schützenhilfe für die Abwehr: Impfstoffe


Als Louis Pasteur (18221895) im Sommer 1885 dem Tollwut-infizierten Joseph Meister aus dem Elsass Bestandteile des Rückenmarkes tollwutkranker Kaninchen verabreichte, wusste er nur wenig über die Immunologie. Sein Impfversuch jedoch rettete dem Neunjährigen das Leben. Ohne dass Pasteur genau wusste, wie, hatte er die Abwehrkräfte des Jungen wirksam angestachelt. Ein Prinzip, auf das alle aktiven Impfstoffe ausgerichtet sind. So verschieden die heutigen Vakzinen, wie Fachleute Impfstoffe nennen, auch sind, ihnen allen ist eines gemein: Sie gaukeln dem Immunsystem einen Angreifer vor und veranlassen es sozusagen zum Aufwärmen. Sie alle sind nämlich ein mehr oder weniger direktes Abbild des Krankheitskeims oder der krankmachenden Faktoren von Erregern – nur eben selbst weitgehend ungefährlich. Die Abwehr kann zwischen dem Abbild und dem Original – also zwischen dem Impfstoff und dem Krankheitserreger – nicht unterscheiden. Somit tritt eine Impfung im Idealfall eine wirkungsvolle Gegenreaktion los. Die Informationen zur Abwehr bleiben gespeichert – und sind bei einem tatsächlichen Angriff deutlich schneller abrufbar.

Ausbildung eines immunologischen Gedächtnisses. Wenn B-Lymphozyten mit Hilfe ihrer Rezeptoren – dies sind Antikörper, die auf der Oberfläche verankert sind – mit ihrem spezifischen Antigen reagieren, vermehren sie sich und entwickeln sich in zwei Zelltypen. Zum einen die Plasmazellen, die Antikörper produzieren, die die Erreger direkt bekämpfen. Zum anderen Gedächtniszellen, die erst in Aktion treten, wenn derselbe Erreger zum zweiten Mal angreift. Jetzt sind die Gedächtnis-B-Zellen sofort bereit, spezifische Antikörper zu bilden. Dadurch ist die Zweitantwort deutlich besser als die Erstantwort. Ganz Ähnliches passiert auch auf der Ebene der T-Lymphozyten. Die Bildung von Gedächtniszellen ist eine wichtige Voraussetzung der impfinduzierten Immunität.

Die traditionell eingesetzten Impfstoffe lassen sich in folgende Gruppen unterteilen:

Ähnlich wie Pasteurs Impfstoff für Joseph Meister noch echte Tollwut-Viren enthielt, die der Forscher in Kaninchen abgeschwächt hatte, gibt es noch immer sogenannte Lebendimpfstoffe. Vakzinen also, die aus ungefährlich gemachten – attenuierten – Krankheitskeimen bestehen. Diese Lebendimpfstoffe werden zum Beispiel bei der Kleinkind-Impfung gegen Masern / Mumps / Röteln verwendet. Auch der PockenImpfstoff folgt diesem Prinzip, und der Tuberkulose-Impfstoff BCG (die Abkürzung steht für Bacille Calmette Guérin und ist nach den französischen Erfindern benannt) wurde durch Attenuierung aus dem Erreger der Rindertuberkulose entwickelt. Attenuierte Impfstoffe sind häufig sehr wirksam. Es kann aber nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass die lebenden Keime durch Rückmutation wieder krankmachende Eigenschaften erwerben, selbst wenn dies durch strenge Kontrollen praktisch nicht geschehen kann. Zudem enthalten Lebendimpfstoffe zahlreiche Bestandteile, die Nebenwirkungen hervorrufen können.

Die zweite Gruppe sind die inaktivierten Impfstoffe. Hier werden ebenfalls die ganzen Erreger verwendet, zuvor jedoch abgetötet. Ein Beispiel ist der Grippe-Impfstoff. Da die Impfviren tot sind, können sie auch keine Infektionskrankheit hervorrufen. Der Grippe-Impfstoff besteht aus einem Cocktail von Influenzaviren, die Vorhersagen zufolge für die nächste Grippe-Saison verantwortlich sein werden.

Inaktivierte Impfstoffe enthalten noch immer zahlreiche Bestandteile, die nicht selbst zum Schutz beitragen und möglicherweise schädlich sind. Daher arbeitet man vermehrt auf sogenannte Spaltvakzinen hin, die möglichst nur die schützenden Antigene enthalten. Man trennt also die Erreger auf und macht sie selbst dadurch ungefährlich. Jedoch ruft das gereinigte Antigen allein meist keine starke Immunantwort hervor. Deshalb müssen diese Impfstoffe mit Zusatzstoffen versetzt werden, die die Reaktion der Abwehr befeuern. Diese Stoffe heißen auch Adjuvantien. Ein Beispiel für einen Spaltimpfstoff mit Adjuvans ist der Hepatitis B-Impfstoff. Er besteht aus einem künstlich, z.B. in Hefepilzen, hergestellten Oberflächeneiweiß des Hepatitis-Virus plus einem Adjuvans, meist Aluminiumhydroxid.

Eine Untergruppe der Spaltvakzinen sind die Toxoid-Impfstoffe gegen Erreger-Gifte. Hier werden inaktivierte Toxine, also Giftstoffe, die ihre schädliche Wirkung verloren haben, geimpft. Das Immunsystem erkennt diese weiterhin. Die bekanntesten Beispiele sind der Diphtherie- und Tetanus-Impfstoff. Eine weitere Untergruppe der Spaltvakzinen sind die Konjugat-Impfstoffe. Sie werden angewendet bei bakteriellen Erregern, die das Immunsystem über Zuckerbausteine auf der Oberfläche als Eindringlinge erkennt. Dies gilt zum Beispiel für Haemophilus influenzae Typ b, einem häufigen Erreger von Hirnhautentzündungen bei Kleinkindern. Unser Abwehrsystem bildet Antikörper gegen diese Zucker. Aber es merkt sich die Kohlenhydrate nicht, man sagt: es kann kein immunologisches Gedächtnis aufgebaut werden. Als Gedächtnisstütze können aber Eiweißstücke wirken, die man den Zuckern künstlich anhängt. Durch Konjugation solcher Bausteine an das Tetanus- oder Diphtherie-Toxoid können Impfstoffe hergestellt werden, die nicht nur gegen Tetanus und Diphtherie, sondern auch gegen H. influenzae schützen. Auch die Impfstoffe gegen Pneumokokken und Meningokokken, typische Erreger des Hals-, Nasen-, Ohrenbereichs sind Konjugat-Impfstoffe.

Für die verschiedenen Krankheitserreger werden unterschiedliche Impfstofftypen benötigt, die sich in ihrer Reinheit und in ihrer Wirksamkeit unterscheiden. Während Lebendimpfstoffe und inaktivierte Impfstoffe noch zahlreiche Bestandteile enthalten, die möglicherweise schädliche Effekte auslösen, sind Spaltvakzinen und mehr noch Impfstoffe aus einem einzigen Antigen sehr viel reiner und weitgehend frei von schädlichen Bestandteilen. Umgekehrt nimmt bei zunehmender Reinheit häufig die Wirkung ab. Ein Impfstoff aus gereinigten Bestandteilen erzielt auf sich selbst gestellt einen schwächeren Immunschutz als ein Lebendimpfstoff, der im Körper für einige Zeit überleben kann. Um hier Abhilfe zu schaffen, wird versucht, wann immer es geht, reine Antigene mit hochwirksamen Adjuvantien zu kombinieren. Derzeit stehen aber noch wenige dieser Unterstützer-Stoffe zur Verfügung. Die Entwicklung von Adjuvantien hat für die Impfstoff-Forschung der Zukunft einen hohen Stellenwert.

Alle wirksamen Impfstoffe verhindern erst einmal nicht die Infektion, sondern den Krankheitsausbruch. Sie tun dies in der Regel über die Aktivierung von B-Lymphozyten, die in der Folge der Impfung beginnen, Antikörper zu produzieren. Mit anderen Worten: Alle bisher erfolgreichen Impfstoffe verdanken ihre Wirksamkeit hauptsächlich der humoralen Immunität. Damit ist auch die erste Zielrichtung für die Entwicklung neuer Impfstoffe klar: Wir benötigen nun Impfstoffe für jene Krankheiten, bei denen T-Lymphozyten als Träger der Immunität dienen. Dies soll nicht heißen, dass solch ein Impfstoff nur T-Lymphozyten stimulieren soll. Vielmehr sollte er beide Arme – Antikörper und T-Zellen – aktivieren. Leider wissen wir noch immer nicht ausreichend genau, wie wir die zum Schutz benötigten T-Zellen am besten stimulieren.

Ein zweites Problem für die Entwicklung neuer Impfstoffe ist das Erregerspektrum. Einerseits wünschen sich Ärzte und Forscher natürlich, dass die per Impfung angeregte Immunität so effektiv und spezifisch wie möglich gegen einen bestimmten Krankheitserreger wirkt. Andererseits stellen wir fest, dass dies nicht immer ausreicht. Es wäre zum Beispiel besser, einen einzigen Impfstoff gegen alle Pneumokokken zu besitzen, der gegen ein Antigen gerichtet ist, das alle verschiedenen Pneumokokken-Stämme gemeinsam haben. Ähnlich bei der Grippe: Derzeit verlassen wir uns auf spezifische Impfstoffe, die jedes Jahr neu komponiert werden müssen. Wie viel besser wäre doch ein einziger Impfstoff gegen ein solches konserviertes Antigen.

Dies ist durchaus möglich, und wieder wären T-Lymphozyten gefragt, da wir wissen, dass sie es sind, die infizierte Zellen über konservierte Strukturen erkennen, die allen Grippeviren gemeinsam sind. Auch für Erreger wie HIV, die sich im Wirt laufend weiter verändern, wäre ein Impfstoff sehr viel besser geeignet, der gegen Strukturen gerichtet ist, die sich nicht verändern.

Mindestens ebenso wichtig wären Impfstoffe, die nicht den Krankheitsausbruch, sondern bereits die Infektion verhindern. Bei Akutinfektionen mit kurzen Zeiten zwischen Ansteckung und (verhindertem) Krankheitsausbruch mag das nicht so wichtig sein. Aber bei chronischen Infektionen kann die Länge der Inkubationszeit eine entscheidende Rolle spielen: Bei HIV etwa bricht das Immunsystem früher oder später zusammen. In solchen Fällen ist schwer vorstellbar, wie ein per Impfung induzierter Schutz langfristig den Erreger kontrollieren soll. Besser wäre eine Vakzine, die den Erreger gleich am Eindringen und Ansiedeln hindert oder ihn steril eliminiert. Eine Immunität, die HIV lediglich eindämmt, wird bei zunehmender Stärke von AIDS ihre Wirkung verlieren. Solch ein Impfstoff kann also lediglich den Krankheitsausbruch verzögern, aber nicht sicher verhindern.

Eine ähnliche Situation müssen wir heute für die Tuberkulose befürchten. Ein infizierter Mensch kann mitunter zwar die Bakterien über lange Zeit kontrollieren und so den Ausbruch der Tuberkulose verzögern. Ein Impfstoff, der den Krankheitsausbruch verhindert, wäre also...

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