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Waldviertel steinweich

Ein literarischer Reise- und Heimatbegleiter

AutorThomas Sautner
VerlagPicus
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783711751881
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Das Waldviertel ist ein Sehnsuchtsort, mythenumrankt, geheimnisvoll und traumhaft schön. Thomas Sautner, leidenschaftlicher Waldviertler, durchwandert gern seine Heimat: Er streift durch Wälder, klettert auf Restlinge und spürt alten Mythen nach. So ­beobachtet er den einstigen Waldviertel-Reisenden Franz Kafka, lässt den legendären Räuberhauptmann Grasel wiederauferstehen und Gaukler wie einst durchs Land ziehen. Neben all dem gewährt der Autor auch Einblicke in sein ganz persönliches Waldviertel; er erzählt Geschichten aus der Kindheit, verrät seine Lieblingskochrezepte und erläutert Die sieben Elemente der Region mit liebevollen Anekdoten. Eine kurzweilige historische Erkundung rundet das Buch ab, und auch eine praktikable und vor allem sehr persönliche Empfehlungsliste für Waldviertel­reisende darf am Ende nicht fehlen.Eine vielschichtige poetische Landvermessung einer sagenumwo­benen österreichischen Landschaft. Ein ebenso spannendes wie amüsantes Kompendium über Geschichte, Land und Leute.

Thomas Sautner wurde 1970 in Gmünd geboren, heute lebt er als Autor in seiner Heimat, dem nördlichen Waldviertel, sowie in Wien. Neben zahlreichen Essays und Erzählungen erschienen im Picus Verlag seine Romane »Fuchserde«, »Milchblume«, »Die Älteste«, »Das Mädchen an der Grenze«, »Großmutters Haus«, »Die Erfindung der Welt«, »Nur zwei alte Männer« und 2024 »Pavillon 44«. www.thomas-sautner.at

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Leseprobe

»Die sieben Elemente«
des Waldviertels


Aus vier Elementen besteht alles Sein, sagten die alten Griechen: aus Feuer, Wasser, Luft und Erde. Die Buddhisten fügten ein fünftes Element hinzu: Leere. Und die Waldviertler? So bescheiden die für gewöhnlich sind, finden ausgerechnet sie erst mit sieben Elementen das Auskommen: dem Wald, dem Stein, dem Wasser, dem Bier, dem Erpfe (Erdapfel oder Kartoffel), dem Mohn und: dem Karpfen.

Der Wald


Er gibt dem Waldviertel seinen Namen und sein Gesicht. Und in zwei Fällen besteht das Land beinahe aus nichts anderem als aus ihm. Einmal im Südwesten: Dort liegt mit dem Weinsberger Wald Österreichs größtes geschlossenes Forstgebiet. Die zwei weiteren Regionen, in denen es sich gut verloren gehen lässt, liegen nördlich davon: Der Freiwald bei Karlstift und der Forst westlich von Litschau. Hier vereinen sich ausgedehnte Wälder mit dem Böhmischen Wald, der von den Tschechen bezeichnenderweise Šumava, Rauschwald, genannt wird, bläst über ihm doch in erfrischender Heftigkeit der legendäre Böhmische Wind.

Typisch fürs Waldviertel und die Landschaft prägend sind zudem die unzähligen kleinen und kleinsten Wälder, die allerorts verstreuten Waidln und Bicherln, die ihr Dasein oft dem Granit zu verdanken haben, der in Form von Restlingen aus der Erde ragt. Rund um diese unverrückbaren Wächter des Waldes schmiegen sich Wiesen und Äcker. Häufig sind die derart entstandenen Inseln aus Bäumen und Steinen so überschaubar klein, dass sie selbst beim besten Willen nicht Wald genannt werden können. Umso markanter ragen diese zuweilen nur von Himbeer- und Brombeersträuchern sowie vereinzelten Föhren und Birken bewachsenen Schtanahaufn und Schtoaritschn (Steinhaufen) aus der Gegend. Naturbelassene Kleinstbiotope sind es; Charakterköpfe, die der Normalität ringsum Charisma verleihen.

Die Kleinteiligkeit des Waldes hat freilich auch mit seinen Besitzern zu tun. Gehört der Wald andernorts in Österreich oft den Bundesforsten oder Großindustriellen, gebieten hier Grafen1, Äbte, Pröpste und Bauern über Fichten, Buchen, Föhren, Tannen.

Zu den im Waldviertel ansässigen Adelsfamilien zählen etwa Habsburg-Lothringen, Kinsky, Seilern-Aspang, Fürstenberg und Traun.

Den vielen gottesfürchtigen Forstbesitzern ist es auch zu verdanken, dass das Waldviertel die wohl größte Dichte an baumbestandenen Marterln2 aufweist, jenen Kreuzen oder jenen aus Stein gemeißelten Bildstöcken, die von schlichten, gedrungenen Säulen bis zu annähernd kapellengroßen Kunstwerken variieren – je nach Schnittmenge aus religiöser und monetärer Hingebung des Spenders. Dort, wo die Menschen besonders arm waren, segnet meist ein blecherner Herrgott die Gegend (mehr oder weniger talentiert auf ausgeschnittenes Blech gemalt). Fast immer aber stehen ihm oder dem Bildstock zwei Bäume rechts und links zur Seite. Ursprünglich hatte das nicht, wie man glauben könnte, ästhetische oder religiöse Gründe, sondern durch und durch praktische: Die frisch gepflanzten Bäumchen waren eine lebende Finanzvorsorge. Sobald die erste Renovierung des Marterls notwendig sein würde, nach fünfzig bis siebzig Jahren, wären die Bäume groß und mächtig und der Holzverkauf würde ausreichend einbringen, um die Instandsetzung bezahlen zu können. Gesetzt wurden meist hochwertige und (damit das Marterl nicht zerstört würde) gerade wachsende Bäume, etwa Linden und Eichen. Nur Zusatznutzen war die Schattenbildung zum Wohle der Pilger und Andächtigen. Anders freilich bei den Alleen: Deren Hauptzweck war es durchaus, die kutschierenden Herrschaften ebenso wie die einfachen Bauern vor den Sonnenstrahlen zu beschirmen. Zudem verdankte manch ein Fuhrwerker der Allee, dass seine Rösser nicht vom Weg abkamen, während er am Kutschbock seinen gerechten Schlaf schlief nach einem ausgiebigen Wirtshausbesuch, der infolge des Kirchgangs angebracht erschienen war.

Der Brauch ihrer Errichtung geht ins Mittelalter zurück. Dafür gab es Anlässe sonder Zahl, etwa Krankheiten, Unfälle, Todesfälle, wundersame Heilungen und Danksagungen.

Gebetet und besinnlich innegehalten oder zumindest zur Jause eingekehrt wurde auch mitten im Wald. Unzählige Büdlbam (Bildbäume) geben Zeugnis davon. Meistens stehen sie an einer Wegkreuzung. Ihren Namen tragen diese Bäume, weil an ihrem Stamm, meist über Kopfhöhe, ein Heiligen- oder Jägerbild angebracht ist.

Teils von der Natur, teils vom Menschen geschaffen ist insgesamt das uns vertraute Waldbild. Seit dem Jahr 1800 etwa wird Wald nicht nur profan und auf Hauruck geschlägert, sondern systematisch Forstwirtschaft betrieben. Nachhaltiges Wirtschaften: Der Gedanke ist alt und bedeutet schlicht, dass dem Wald nicht mehr Holz entnommen werden soll, als zeitgleich nachwächst. Klingt gut, wurde aber nicht immer allzu klug angewandt. So war und ist es teils immer noch gang und gäbe, ausschließlich Fichten zu setzen. Die profane Überlegung dahinter: Fichten wachsen rasch. Dass die Flachwurzler auch rasch den wiederkehrenden Stürmen nachgeben sowie dem sinkenden Grundwasserspiegel als erste Baumart zum Opfer fallen, wird bei der Kalkulation geflissentlich verdrängt. Letztendlich aber macht die Natur ohnehin was sie will. Der Mensch pflanzt Fichten, der Wind walzt sie um. Und die Natur sät Birken, Buchen, Eichen nach. So nimmt die Schöpfungsgeschichte ihren wundersamen Lauf – und führen auch Monokulturen letztlich zu Mischwäldern und Artenvielfalt.

Vor gut elftausend Jahren war im Waldviertel noch keine Spur von Wald. Das Gebiet war ein frostiges Hochland, eine Steppentundra. Erst vor rund zehntausend Jahren wuchsen hier die ersten anspruchslosen, widerstandsfähigen Bäume: Föhren. Etwa tausend Jahre später bekamen sie Gesellschaft von auskeimenden Birken. Vor siebentausend Jahren dann wuchsen die ersten Eichen und Fichten hier, vor zweitausendvierhundert Jahren schließlich auch Tannen und Buchen.

Heute sind mehr als vierzig Prozent des Waldviertels waldbedeckt. Und obwohl der immerhungrige Borkenkäfer (im Konzert mit häufigen Stürmen) sein Bestes gibt, um das Gegenteil zu bewirken, steigt der Anteil des Forstes weiter an.

Früher galt der Wald als Metapher fürs Ausgesetztsein (Hänsel und Gretel), war Zufluchtsort für Verfolgte und Entrechtete (Räuberhauptmann Grasel, Gföhler Bauernrevolte). Zudem galten Menschen, die aus dem Wald kamen, salopp gesagt, als Idioten. Als hinterwäldlerisch. Die Gebrüder Grimm erzählen, dass es einst obendrein eine unverblümte Verfluchung war, wenn man jemanden in den Wald wünschte. Heute dagegen ist Wald ein Sinnbild ersehnter Beständigkeit und Stille. Zur Ruhe kommen: Mit dem Wald bekommt die Allegorie ihre unmittelbare räumliche Entsprechung. Im Wald ist man nicht in lauter Gesellschaft, im Wald ist man nur: bei sich. Völlig gelassen – in Ruhe gelassen.

Es ist eine lebendige Stille, die einen umflirrt im Wald. Am lebhaftesten und lautesten ist es, wenn der Wald musiziert, wenn er tuschelt und rauscht im Duett mit dem Wind. Danach aber vertieft er sich erneut in sich selbst, ist wieder in seinem Element, der stillen Präsenz. Selbst wenn der Wald wächst, tut er das rundum bedächtig, gemächlich, in Jahresringen. Daran und an seiner Erhabenheit lässt sich gut ein Beispiel nehmen. Nirgends ist besser zu lernen, einfach da zu sein.

Selbst das Gehen durch die Welt, von dem man glauben möchte, es durchaus zu beherrschen, kann der Wald einen lehren. Während die einen kaum aus dem Stolpern kommen vor Wurzeleinhaken und jäh in Mulden Tapsen, nehmen die anderen nichts wahr vom Wald, weil ihr Blick unentwegt auf dem heimtückischen Boden haftet. Der Wald ist ein stiller Meister, lässt seine Schüler mit der Zeit selbst erkennen, wie am verständigsten voranzukommen ist: im einige Meter Vorausblicken und das Terrain Abtasten – um dann erhobenen Blickes den Wald zu genießen, während die Beine derweil wie selbstverständlich ihren sicheren Tritt finden. Und nur für ungeübte Geher mag es wie Zauber anmuten, wenn ein gelehriger Apostel des Waldes mit fließenden Bewegungen und wie im Blindflug über Wurzeln, Äste, Mulden gleitet.

Der Stein


Wenn im Waldviertel vom Stein die Rede ist, sind nähere Definitionen überflüssig. Gemeint ist der Granit. Punkt. Und auch was die Form anbelangt, kommt nicht viel infrage: Die Rede ist entweder vom faust- bis rumpfgroßen Klaubstein3, der beim Ackern des Feldes an die Oberfläche gerutscht ist, oder vom Restling, dem bis zu viele Hundert Tonnen schweren Klassiker unter den Waldviertler Granitbluzern. Restlinge heißen die im Lauf der Jahrmillionen von Wind und Wetter modellierten Riesen, weil sie an die Oberfläche gelangte Reste des Granitmassivs sind, auf dem das Waldviertel ruht. Zu finden sind sie fast im ganzen Land, gehäuft im Westen und im Norden.4

Stein, der vom Feld aufgeklaubt, also aufgehoben wird.

Eine geballte Ladung verschiedenster Steinformationen findet sich etwa in der Blockheide bei Gmünd und bei Kleinpertenschlag südlich von Arbesbach. Es hat aber auch seinen Reiz, einfach durch den Wald zu streifen und mehr oder weniger zufällig seinen ganz persönlichen Restling zu entdecken.

Beinahe in der ganzen Welt verstreut sind die Findlinge. Im Unterschied zu ihren Waldviertler Verwandten sind sie überall zu finden, wo es während der Eiszeit Gletscher gab. Deren gewaltige, sich im Lauf der Jahrtausende bewegenden Eismassen nahmen einzelne Steinkolosse mit auf ihrer Wanderung und platzierten sie schließlich, meist ziemlich einsam und exponiert, irgendwo in der Fremde. Die Waldviertler...

Blick ins Buch

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