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Warte nicht auf schlanke Zeiten

Ein Buch für starke Frauen

AutorRenate Göckel
VerlagKreuz
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783451800283
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Vom 'Warum bin ich so dick?' führt Renate Göckel starke Frauen zum 'Wozu bin ich dick?' Mit einem Selbsttest, vielen Beispielen und Übungen zeigt die Psychologin: Es kann gute Gründe geben, wenn Frauen ihr Übergewicht (noch) behalten. Es hat eine Aufgabe zu erfüllen. Und sie hilft Frauen, sich ihren wirklichen inneren Bedürfnissen zu stellen. So kommen sie auch mit ihrem Körper ins Gleichgewicht.

Renate Göckel ist Psychologin und Verhaltenstherapeutin. Sie arbeitet seit 1980 mit essgestörten Frauen, seit 1991 in einer eigenen Fachpraxis in Karlsruhe, und hat verschiedene erfolgreiche Bücher publiziert, u.a. im Kreuz Verlag 'Jetzt hab ich's satt' und 'Brave Mädchen holt der Wolf'.

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Leseprobe

Kapitel 2
Der große Traum: Dünn, schön, begehrt und geliebt


»Dann wäre in meinem Leben wirklich alles anders ...«


Wenn Sie Ihre Traumfigur haben, wird alles besser? Das Leben – ein einziger Höhenflug? Sie erinnern sich an die Party-Übung. In dickem Zustand ist sie für die meisten Frauen ein Graus. Jetzt dürfen Sie mit Ihrer Traumfigur auf die Party gehen und Ihr dünnes Selbstbild erkunden.

PARTY-ÜBUNG

Stellen Sie sich vor, Sie sind wieder auf der Party. Nun werden Sie immer dünner, bis Sie Ihr Wunschgewicht erreicht haben. Wie sieht Ihre Traumfigur aus? Was haben Sie an? Sind Sie alleine oder in Begleitung (von wem?)? Achten Sie darauf, wie Sie sich jetzt fühlen. Was machen Sie? Machen Sie mit den Leuten, die Sie bereits kennen, Small Talk? Flirten Sie? Sitzen oder stehen Sie? Tanzen Sie? Essen Sie etwas? Gehen Sie auf neue Leute zu? Wie ist Ihre Stimmung? Wie reagieren Männer und wie andere Frauen auf Sie? Und wie geht es Ihnen damit?

Nach einigen Minuten: Nun halten Sie das Bild an, wie man einen Film anhält, und kommen Sie in die Realität zurück. Dabei Arme und Beine kräftig bewegen, tief atmen und Augen auf.

Unsere erste »Versuchsperson« ist wieder Petra S.:

»Meine Traumfigur ist superschlank, so Größe 36. Ich habe lange Beine, wie ich sie in Wirklichkeit leider nie haben werde. Diesmal bin ich alleine auf der Party und fühle mich sehr wohl. Ich trage ein knallrotes, eng anliegendes Kleid mit tiefem Ausschnitt. Ich sehe fantastisch aus, und als ich den Raum betrete, schauen alle zu mir her. Ich weiß nicht, ob mir das in Wirklichkeit so recht wäre, aber in der Übung habe ich es genossen. Ich habe eine unglaubliche Macht. Sofort strebe ich auf die Tanzfläche. Im Nu bin ich von mehreren Männern umringt, die mich antanzen und mit mir flirten. Ich flirte mit allen gleichzeitig. Die Frauen interessieren mich überhaupt nicht. Irgendwann gehen wir alle zusammen an die Bar. Alle wollen mich einladen. Wir haben einen Riesenspaß. Ich stehe im Mittelpunkt und habe volle Aufmerksamkeit. Und ich kann es genießen. Endlich gehöre ich dazu!«

Petra strahlt. Sie sieht auf der Party keinerlei Konflikte. Weder mit rivalisierenden Männern noch mit eifersüchtigen und neidischen Frauen. Petras Variante des dünnen Selbstbildes ist mit Abstand die häufigste.

Fragen wir nun Waltraud, die sich im dicken Zustand eine Geburtstagsfeier im engsten Familienkreis vorgestellt hatte.

»Ich bin nicht rappeldürr, sondern wohlgeformt, mit großem, schönem Busen. Irgendwie fühle ich mich viel jünger [Waltraud ist 48] und sehr lebendig. Ich trage immer noch ein grünes Kleid, aber nicht mehr so bieder, sondern meine Formen und vor allem den Busen betonend. Alle bewundern mich. Die Frauen wollen ganz genau wissen, wie ich es geschafft habe, so viel abzunehmen. Die Männer glotzen mir zu viel auf den Busen. Ich fühle mich etwas unbehaglich. Ich unterhalte mich gut, fühle mich im Mittelpunkt stehend. Irgendwann hätte ich auch gerne wieder meine Ruhe, und ich stelle mir vor, dass ich mit zwei Frauen einen Spaziergang mache. In der Realität würde ich das nie wagen. Da könnten die anderen ja denken, es gefalle mir nicht. Jetzt ist mir aber egal, was die anderen denken. Ich schaffe es besser, mich abzugrenzen, als als dicke Frau. Die anderen Gäste achten mich mehr. Abends gehe ich dann recht bald nach Hause. Mit mir selbst bin ich zufrieden. Ich fühle mich souverän und voller Energie. Ein tolles Gefühl!«

Alle von mir befragten Frauen glauben, dass die anderen auf der Party sie ganz toll finden (Bewunderung von außen), dass sie mehr respektiert werden (mehr Achtung), dass sie mehr gemocht werden (Zugehörigkeitsgefühl) und dass sie sich besser leiden können (höhere Selbstakzeptanz).

Die zweite Übung zur Erforschung des dünnen Selbstbildes ist wieder die Übung zum »Tagesablauf« – dieses Mal die »dünne Version«.

TAGESLAUF-ÜBUNG

Stellen Sie sich vor, Sie liegen morgens im Bett und der Wecker klingelt. Bevor Sie aufstehen, malen Sie sich aus, wie Sie immer dünner werden, bis Sie schließlich Ihre Traumfigur haben. Nun stehen Sie auf. Im Kleiderschrank hängen die Kleidungsstücke, die Sie mit Ihrer schlanken Figur tragen möchten. Sie gehen durch den gleichen Tag wie als dicke Frau. Achten Sie auf Ihr eigenes Verhalten und auf Ihre Gefühle. Achten Sie darauf, wie Ihre Familienmitglieder, wie andere Frauen und wie Männer auf Sie reagieren. Gehen Sie durch einen ganzen Tag, bis Sie nachts einschlafen. Danach kehren Sie wieder in die Realität zurück: Nun Arme und Beine kräftig bewegen, tief atmen und ganz zum Schluss die Augen auf.

Petra S. ist ganz glücklich, als sie die Augen aufschlägt:

»Wow, das war ein Power-Tag«, legt sie los. »Noch im Bett vor dem Aufstehen konnte ich meine Hüftknochen wieder spüren. Gut gelaunt sprang ich aus dem Bett. Mein Mann kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Er war hingerissen. Natürlich hatte ich auch ein sexy Nachthemd an, nicht mein olles Flanellhemd. Leider hatten wir keine Zeit, länger im Bett zu bleiben. Aber egal. Ich zog ein eng anliegendes blaues Jerseykleid an und eine lockere bunte Bluse darüber. Es sah gut aus. Dann machte ich dem Kind Frühstück, ich selbst hatte keinen Hunger.

In der Bahn schauen schon alle Männer auf mich. Ich bin die Prinzessin und fühle mich auch so.

Dann im Büro sind alle ausgesucht nett zu mir. Die Männer balzen um mich, die Frauen bewundern mich. Die Arbeit geht locker voran. Gut gelaunt erfülle ich alle Anforderungen. Meine Energie ist grenzenlos. Ich bin heute allem und jedem gewachsen. Ruckzuck ist es 13 Uhr, und ich fahre wieder nach Hause.

Wieder kaufe ich für das Mittagessen ein. Die Verkäuferinnen machen mir Komplimente. Wie habe ich es nur geschafft, so schlank zu werden? Jeder beneidet mich. Das Kochen geht mir gut von der Hand. Wir essen dann alle zusammen. Mein Mann ist mir ganz ergeben und sehr zuvorkommend. Nach dem Essen erledige ich die Hausarbeit, was mir heute nichts ausmacht. Mein Mann geht nicht mehr in die Kanzlei und hilft mir sogar ein bisschen. Melanie macht ihre Hausaufgaben.

Später kommt dann noch eine Freundin vorbei. Wir haben ein gutes Gespräch. Auch sie bewundert mich. Komisch ist, dass ich so viel Zeit habe ohne das ewige Essen und Fernsehen.

Abends spielen Harald, Melanie und ich zusammen ein Brettspiel. Ich habe das Gefühl, dass wir eine richtige Familie sind. Und als Melanie im Bett ist, haben Harald und ich sogar Sex miteinander. Auch das ist wunderschön. Ich bin einfach glücklich.« Und Petra ergänzt lächelnd: »Schade, dass ich nicht schlank bin. Da wäre in meinem Leben wirklich alles anders!«

Wie Petra denken viele dicke Frauen. Und häufig höre ich die Frage: Was machen denn Menschen, die keine Essstörung haben, mit ihrer Zeit? Was denken denn die Glücklichen, die nicht ständig an Essen, Kalorien und Diäten denken müssen, so? Diese Frauen ahnen bereits, wie sehr die Essstörung ihr Leben aushöhlt.

Isolde, 38 Jahre, 95 Kilo, Mutter von zwei Kindern, steuert den zweiten »dünnen Tagesablauf« bei:

»Ich stehe schnell auf und bin im Gegensatz zu sonst auch gar nicht mehr müde. Da ich als Erste aufstehe, ist im Bad auch kein Gedränge. Ich habe es ganz für mich alleine. Ich habe als dünne Frau ein pinkfarbenes Shirt und eine schwarze Hose an. Dazu einen breiten schwarzen Gürtel. Als ich im Bad fertig bin, wecke ich meine Kinder. Inzwischen ist auch mein Mann aufgestanden. Er gibt mir liebevoll einen Kuss. Die Kinder sind pflegeleichter als sonst. Schnell mache ich Frühstück für uns alle. Mein Mann küsst mich zum Abschied. Später bringe ich meinen Sohn in den Kindergarten. Wieder stelle ich mir vor, dass einige Mütter vor der Türe tratschen. Diesmal beziehen sie mich gleich mit ein. Jetzt fühle ich mich zugehörig. Sie laden mich sogar zum Kindergeburtstag ein. Mein Sohn stürmt durch die Türe. Ich komme dann hinterher, und die Erzieherin kommt auf mich zu und bittet mich wieder, einen Kuchen zu backen. Diesmal macht es mir gar nichts aus. Ich stimme freudig zu. Wieder zu Hause mache ich meine Hausarbeit, und das gerne. War ich im dicken Zustand eher fremdbestimmt, so fühle ich mich jetzt selbstbestimmt. Im Gegensatz zu sonst weiß ich, was ich will. Meine Tochter ist heute nicht so anstrengend, und ich kann sogar noch mit einer Freundin telefonieren. Der Tag verläuft total harmonisch. Abends kommen Freunde, die Kinder sind nicht so wild wie sonst, und ich habe einfach ein stabileres Nervenkostüm. Das kommt natürlich auch daher, dass mein Mann so lieb zu mir ist und mein Selbstwertgefühl dadurch besser ist.«

Auch bei Isolde geht alles »wie von selbst«. Die Kinder sind pflegeleicht, der Mann anhänglich und bemüht. Und: Isolde funktioniert reibungslos. Ohne zu murren.

Dicke Frauen, die sich vorstellten, dünn ihren Tag zu gestalten, hatten gemeinsam, dass sie sich selbstbestimmt fühlten (Souveränität), immer gut gelaunt und willig waren (Unbeschwertheit), ihr Leben »im Griff« hatten (Kontrolle), lebendig, wach und nie lustlos waren (viel Energie).

Es ist nicht alles Gold, was glänzt


Wenn wir einen Kuchen im Ofen haben, müssen wir warten, bis er fertig ist. Warten wir zu kurz, dann ist der Kuchen noch teigig, warten wir zu lange, dann ist er verbrannt. Beim Kuchen warten wir auf einen richtigen Zeitpunkt. Wenn wir aber, wie es viele Menschen tun, darauf warten, dass sich die Zeiten ändern und dass uns etwas »zufliegt«, dann macht uns dieses Warten mürbe und frustriert. Wir leben manchmal...

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