Die zuvor beschriebenen Annahmen der ICT sollen nun auf die vorliegende Studie übertragen werden. Diese spielen dabei besonders für die aufgestellten Hypothesen eine wichtige Rolle. Wenn in diesem Kontext von „konsonanten Nachrichtenartikeln“ die Rede ist, dann sind solche Inhalte gemeint, die zu den politischen Ansichten der Probanden passen. Im Falle rechts-orientierter Probanden etwa ein Artikel zur gestiegenen Kriminalität von Flüchtlingen, im Falle links-orientierter ein dazu gegenläufiger Artikel („Flüchtlinge nicht kriminell“) (siehe Kapitel 4.1). Da sich dieses Kapitel zudem auf die Wirkungsebene bezieht, sollen die erhobenen Konstrukte nicht nur beschrieben und definiert, sondern auch bereits mögliche Wirkungen skizziert werden. „Die Forschung zur Wirkung gezielt verbreiteter Falschmeldungen über das Internet befindet sich [jedoch] […] noch in einem Anfangsstudium“ (Müller & Denner 2017: 11), weshalb an dieser Stelle zum Teil auch allgemeine Erkenntnisse zur Wirkung von Nachrichteninhalten reflektiert werden sollen. Dies scheint zudem vor dem Hintergrund gerechtfertigt, da hier Erkenntnisse aus der Verarbeitung eines (fiktiven) Nachrichteninhalts auf Fake News übertragen werden sollen (siehe Kapitel 4.1). Die Beschreibungen der Konstrukte werden jedoch – wo möglich – durch konkretere Einlassungen zur Wirkung von Fake News ergänzt.
Die Qualität von Nachrichteninhalten ist bereits seit langem Gegenstand kommunikationswissenschaftlicher Forschung (Dohle 2018: 2). Diskutiert wird Nachrichtenqualität besonders aus einer normativen Perspektive heraus, da es gesellschaftlich wünschenswert ist, wenn Menschen ihre Informationen aus einem Pool qualitativ hochwertiger Nachrichteninhalte beziehen können (ebd.). Nachrichtenqualität ist dabei ein komplexes und mehrdimensionales Konstrukt, das über verschiedene Faktoren operationalisiert werden kann. Schweiger und Urban (2013: 2) identifizieren in diesem Zusammenhang fünf Dimensionen: Vielfalt, Relevanz, Unparteilichkeit, Sachgerechtigkeit und Verständlichkeit (siehe auch Jungnickel 2011: 362). Bisherige Forschung konnte zeigen, dass Menschen durchaus in der Lage sind, solche Qualitätsdimensionen von Nachrichteninhalten zu erkennen (u.a. Jungnickel 2011; Schweiger & Urban 2013; Urban & Schweiger 2014). Wie einige Autoren jedoch auch konstatieren, greifen Menschen häufig auf die Heuristik von „Medienimages“ zurück, um die Qualität von Nachrichteninhalten zu evaluieren (u.a. Schweiger & Urban 2013: 3ff.; Urban & Schweiger 2014: 832f.).
In der vorliegenden Studie wurde sich bewusst dafür entschieden, den Einfluss bestimmter Medienmarken und deren Images auszuschließen (siehe Kapitel 4.2). Aus der Unmöglichkeit einer heuristischen Ableitung von Nachrichtenqualität basierend darauf könnte daher die größere Salienz anderer Faktoren resultieren. Sowohl die politische Richtung der Artikel als auch die gewählten Kommunikatoren könnten als alternative Heuristiken dienen und die Salienz der eigenen sozialen Identität stimulieren. Zusammen mit den bereits diskutierten Erkenntnissen der Forschung zur ICT resultiert daraus die folgende Hypothese (H1):
H1: Teilnehmer, die konsonante Nachrichtenartikel rezipiert haben, halten die Nachrichtenqualität des Artikels für höher als Teilnehmer, die nicht-konsonante Nachrichtenartikel rezipiert haben.
Als „perzipierter Wahrheitsgehalt“ wird in der vorliegenden Studie der seitens der Probanden wahrgenommene Grad der Wahrhaftigkeit von bestimmten Aussagen verstanden. Obwohl dieses Konstrukt in den unterschiedlichsten Bereichen eine Rolle spielen dürfte (z.B. in der Werbung), lässt sich kein Forschungsstrang identifizieren, der sich explizit damit befasst. Zwar existiert verwandte Forschung zu sog. „Truth-Effekten“ (u.a. Schwartz 1982; Koch & Zerback 2013), diese zielt jedoch hauptsächlich auf das Phänomen ab, dass Nachrichten bereits durch ihre reine Wiederholung glaubhafter werden. Dennoch spielt der Wahrheitsgehalt im Rahmen der Fake News-Forschung eine wichtige Rolle und wird relativ häufig erhoben (u.a. Allcott & Gentzkow 2017: 20, 26; siehe auch Arendt, Haim & Beck 2018). Dem liegt die Prämisse zugrunde, dass eine Nachricht nur wirken kann, wenn sie auf Seiten des Empfängers als „wahr“ aufgefasst wurde. „Unwahre“ Nachrichten dürften dagegen zu Reaktanz führen. Dies wäre zwar auch eine Wirkung, dennoch würden etwa Fake News dann nicht in die intendierte Richtung wirken.
In Bezug auf die strukturelle Verbindung von Gruppenidentität und perzipiertem Wahrheitsgehalt liegen bislang nur vereinzelt Studien vor. So kommt eine aktuelle Untersuchung am Beispiel der Wahrnehmung von Überschriften zu dem Ergebnis, dass Demokraten und Republikaner diese besonders dann als wahr empfinden, wenn sie den persönlichen ideologischen Ansichten entsprechen (Edgerly, Thorson, Tham & Mourao 2018: 21). Dies wird durch vorherige Befunde bestätigt, die zeigen konnten, dass Demokraten 17,2 und Republikaner 14,7 Prozent wahrscheinlicher Fake News glauben, die konsonant zu ihren ideologischen und politischen Ansichten sind (Allcott & Gentzkow 2017: 230). Dies spricht für ein „motivated reasoning“ im Sinne der ICT. Basierend auf der bisherigen Literatur und den erläuterten Zusammenhängen im vorherigen Kapitel lässt sich daher folgende Hypothese (H2) aufstellen:
H2: Teilnehmer, die konsonante Nachrichtenartikel rezipiert haben, halten den Wahrheitsgehalt des Artikels für höher als Teilnehmer, die nicht-konsonante Nachrichtenartikel rezipiert haben.
Spätestens seit den vielzitierten Studien von Hovland und Kollegen aus den 1950er-Jahren (u.a. Hovland et al. 1953) wird Glaubwürdigkeit als ein zentrales kommunikationswissenschaftliches Konstrukt angesehen, wenn es um die Wirkung von Medieninhalten geht. „Glaubwürdigkeit [Hervorhebung im Original; d. Verf.] kann als eine Eigenschaft bestimmt werden, die Menschen, Institutionen oder deren kommunikativen Produkten von jemandem (Rezipienten) in Bezug auf etwas (Ereignisse, Sachverhalte etc.) zugeschrieben wird“ (Bentele & Seidenglanz 2015: 412). Bislang wurde die Glaubwürdigkeit von Medieninhalten – etwa im Rahmen der Persuasionsforschung – hauptsächlich in Bezug auf die Quelle bzw. den Kommunikator („source credibility“) einer Information untersucht (Appelman & Sundar 2016: 59f.). Weitere Forschungsstränge fokussieren jedoch zudem die Glaubwürdigkeit des Kanals bzw. Mediums („medium credibility“) sowie die Botschaftsglaubwürdigkeit („message credibility“) (Metzger, Flanagin, Eyal, Lemus & McCann 2003).
Da die Fülle an Informationen stetig wächst und heute prinzipiell jeder Informationen erstellen und verbreiten kann, wird die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Informationen für Rezipienten zunehmend schwieriger (Metzger 2007: 2078) Daher bedienen diese sich häufig einfacher Faustregeln (Heuristiken), um zu schnellen Einschätzungen bezüglich der Glaubwürdigkeit eines Inhalts zu gelangen (Lucassen & Schraagen 2012: 566). Diese basieren dabei hauptsächlich auf der Zuschreibung von Vertrauen (ebd.: 567ff.). Wie Wood (2000: 558) ausführt, kann auch die eigene Gruppenidentität als Heuristik dienen. Basierend auf einer a priori angenommenen Validität von Ingroup-Positionen erscheinen Informationen von Gruppenmitgliedern dann glaubwürdiger (ebd.). Überträgt man zudem die Annahmen der ICT auf die Wahrnehmung von Nachrichteninhalten, so muss davon ausgegangen werden, dass die Charakteristika eines konsonanten Inhalts auf- und jene eines nicht-konsonanten abgewertet werden (Edgerly et al. 2018: 5f.).
Die vorliegende Studie konzentriert sich diesbezüglich ausschließlich auf die Botschafts- und Kommunikatorglaubwürdigkeit. Botschaftsglaubwürdigkeit bezieht sich in dieser Studie jedoch nicht auf den Artikel als Ganzes, sondern auf die fiktive Studie und ihre Zahlen (siehe Kapitel 4.1–4.3). Die Hypothesen zum Kommunikator werden hingegen zweigeteilt, da sowohl der die Studie präsentierende Politiker als auch das Forschungsinstitut, das diese angeblich durchgeführt hat, prinzipiell als Kommunikatoren gelten können. Aus den vorherigen Betrachtungen sowie den bereits erläuterten Erkenntnissen zur ICT ergeben sich folgende Hypothesen (H3a–H3c):
H3a: Teilnehmer, die konsonante Nachrichtenartikel rezipiert haben, halten die Studie („Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“) für glaubwürdiger als Teilnehmer, die nicht-konsonante Nachrichtenartikel rezipiert haben.
H3b: Teilnehmer, die konsonante Nachrichtenartikel rezipiert haben, halten den Kommunikator (Seehofer / Hofreiter) für glaubwürdiger als Teilnehmer, die nicht-konsonante Nachrichtenartikel rezipiert haben.
H3c: Teilnehmer, die konsonante Nachrichtenartikel rezipiert haben, halten das Forschungsinstitut („Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen“) für glaubwürdiger als Teilnehmer, die nicht-konsonante Nachrichtenartikel rezipiert haben.
Eine weitere wichtige abhängige Variable in Bezug auf etwaige Wirkungen von Fake News stellt das...