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E-Book

Warum Stress glücklich macht

Oder: Wieso wir aufhören sollten zu entspannen.

AutorHelen Heinemann
Verlagadeo
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783863347468
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Wer fühlt sich nicht gestresst? Der Alltag ist oft eine einzige Aufholjagd. Und wie, bitte schön, soll Stress glücklich machen? Helen Heinemann deckt einen Selbstbetrug auf: Nicht der aktive Stress ist das Problem. Sondern unser unbändiger Wunsch nach Entspannung, der uns treffsicher ins Abseits führt. Und sie offenbart, dass die Angst vor Stress nicht nur den Einzelnen schwächt, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene jede Entwicklung verhindert. Eine lebendig geschriebene Streitschrift - die Lust auf Stress macht.

Die Pädagogin mit einer psychotherapeutischen Ausbildung arbeitet seit mehr als 20 Jahren in der Gesundheitsförderung und gründete 2005 das 'Institut für Burnout-Prävention' in Hamburg. Sie ist eine inzwischen vielfach gefragte Expertin zum Thema Stress, Erschöpfung und Burnout. Ihr Buch 'Warum Burnout nicht vom Job kommt' wurde zum Bestseller.

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Leseprobe

Kapitel 1

Ja, es ist ernst

Einfach mal die Seele baumeln lassen.

Gönnen Sie sich eine Auszeit.

Für ein Wochenende dem Alltag entfliehen.

Zurück zur Balance finden.

Was zählt ist das Hier und Jetzt.

Vollkommene Ruhe.

Entspannung finden in der Rushhour des Lebens.

In die Welt der Entspannung eintauchen.

Genussmomente in Wohlfühlatmosphäre.

Auszeit für Seele, Körper und Geist.

Ganz neue Energie tanken.

Die Oase für tiefe Ruhe.

Bingo!

Keine Sorge, ich will hier nicht mit den üblichen Phrasen und Satzschablonen starten und Ihnen damit das Blaue vom Himmel, schon gar nicht azurblaue Wellnessoasen versprechen. Dafür sorgen schon die Werbeblöcke im Fernsehen, großformatige Anzeigen zu Kosmetikprodukten und die Banner, die links und rechts auf den Nachrichtenseiten im Internet den Besucher zu Urlaubsangeboten locken wollen. Den Rest geben einem ohnehin die Plakatwände, neben denen man geduldig im Berufsverkehr steht. Überall tauchen die Wortketten mit den Entspannung-Ruhe-Wohlfühl-Wellnessoasen-Vokabeln auf.

Die obige Liste habe ich beim Blättern von zwei Ausgaben des stern-Magazins, dem Überfliegen von Brigitte Woman sowie jeweils einem Werbeblock im Radio und im Fernsehen erstellt. Und wenn Sie möchten – spielen Sie damit doch mal Bingo: Wenn Ihnen mindestens fünf der genannten Formulierungen an einem Tag begegnen, haben Sie gewonnen. Ich wette: Sie sind dabei immer auf der Gewinnerseite.

Dasselbe Spiel können Sie auch mit ganz anderen Wendungen spielen. Nämlich mit sämtlichen Formulierungen wie Stress, Burnout, Arbeitsbelastung, Druck, ständige Erreichbarkeit, Hektik. Das Durchblättern einer Ausgabe von Spiegel, Focus oder Stern, das Stöbern auf drei Internet-Nachrichtenseiten und vielleicht eine Radiosendung, die während des Feierabendverkehrs läuft, reichen aus, damit sie jedem der genannten Begriffe mindestens einmal begegnen. Auch hier brauchen wir eigentlich nicht wetten – ich gebe Ihnen die Garantie: Sie werden gewinnen!

„Was hat Sie hierher geführt?“

Seit mehr als zehn Jahren begleite ich Menschen, die unter Stress leiden. Für spezielle Vorträge und Workshops komme ich in Unternehmen und Betriebe und arbeite mit den Menschen zum Thema Burnout-Prävention. Manchmal mehrere Tage verbringe ich dann – je nach Betrieb oder Einrichtung – mit Abteilungsleitern von Banken, Controllern, Betriebswirten, Industriemanagern, Pflegekräften aus Krankenhäusern, Finanzbeamten, Versicherungsangestellten oder Pädagogen aus sozialen Einrichtungen.

Alles Menschen, die unter Stress leiden. Und die zwei Dinge gemeinsam haben: eine akute Burnout-Gefahr durch ihre Belastung – und der Wunsch nach Gelassenheit und Entspannung.

Wer schon sehr erschöpft ist, kommt für fünf Tage in unsere individuell zugeschnittenen Intensivseminare, um außerhalb seiner Firma mit größerem Abstand Lösungen für seinen belasteten Alltag zu finden.

Die Statistiken der Krankenkassen zeigen: die Gruppe der Erschöpften, die mit einem sogenannten Burnout-Syndrom für längere Zeit „ausfällt“, wächst.

Warum fühlen wir uns so ohnmächtig, wenn es um den Umgang mit Stress geht? Was passiert da eigentlich, wenn wir unter Stress leiden? Und warum hilft uns Entspannung in solchen Momenten nicht? Davon handelt dieses Buch.

„Was hat Sie hierher geführt?“ Die Frage zu Beginn der Seminare fordert viele heraus – Schwächen beim Namen zu nennen ist nicht leicht. Schnell fällt als Antwort: „Ich bin erschöpft“ oder „Ich bin in letzter Zeit einfach nah am Wasser gebaut“. Ich frage dann immer nach, was das bedeutet und woran das für sie im Alltag sichtbar wird. Konkret beschreiben dies die Teilnehmenden dann meist so: chronische Erschöpfung und Müdigkeit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen und eine körperliche und geistige Schwäche. Eine Schwäche, die ans Eingemachte geht. Der Abteilungsleiter eines mittelständischen Betriebs berichtete von einem Streit mit seiner Partnerin. Der Grund: Sie hatte am Abend zuvor den Familienwagen vor dem Haus abgestellt und den Rückwärtsgang eingelegt gelassen. Er stellt das Auto immer so ab, dass der Vorwärtsgang drin ist. Eigentlich wollten sie an diesem Tag auf den Markt fahren, alle Zutaten für ein leckeres Chili einkaufen und mit der ganzen Familie kochen. Stattdessen gab es am Mittag Spiegelei und Brot. Denn nach dem hektischen Starten des Wagens beim Aufbruch endete die Fahrt nach fünfzig Zentimetern mit einem heftigen Krachen an der Motorhaube des Nachbarn, der hinter ihnen parkte. Der Samstag war geliefert. Rückwartsgang oder Vorwärtsgang. Nicht mehr – und nicht weniger. Als er die Geschichte erzählt hatte, konnte er kaum mehr aufhören: Es ist quasi alles im Argen. Den Kindern gegenüber sei er mehr und mehr verschlossen und teilnahmslos – sein fünfjähriger Sohn zeigt ihm voller Freude ein selbst gemaltes Bild und er kann nur nüchtern „toll“ sagen und wendet sich teilnahmslos ab. Vor seinem Haus steht ein Audi A6 – sein Dienstwagen. Lange erhofft und hart erkämpft. Doch der Stolz und die Zufriedenheit im Beruf, aus der er früher so viel Kraft geschöpft hat, sind schon länger verflogen. Es sind die Fehler, die sich häufen und ihm heftig zu schaffen machen. In letzter Zeit sind ihm immer öfter richtige Aussetzer unterlaufen: eine E-Mail mit vertraulichen Informationen, die er an einen falschen Empfänger geschickt hat. An jemanden, der zwar ähnlich heißt wie sein eigentlicher Ansprechpartner beim Kunden – aber für die Konkurrenz arbeitet. Oder die außerordentliche Besprechung mit den anderen Abteilungsleitern, die er in der letzten Woche einfach im Kalender übersehen hat. Als der Chef ihn auf dem Handy erreichte, war er schon auf dem Heimweg. Und dann all die Kalkulationen und Abrechnungen voller Fehler, Zahlendreher und falscher Ergebnisse.

Er erkannte sich selbst nicht mehr wieder.

Leistungsfähige und selbstbewusste Menschen sind auf einmal mit Antriebslosigkeit und Wirkungslosigkeit konfrontiert. Sonst so souveräne Persönlichkeiten sind jetzt von Kleinigkeiten reizbar. Wo vorher Leidenschaft und Selbstbewusstsein den Takt angegeben haben, spüren die Menschen nun Schwäche und Fehlerhäufigkeit. Dinge, die sie so von sich überhaupt nicht kennen. Ich sage bewusst: Sie stehen neben sich. Denn das Selbstbild, mit dem sie bislang ihr Leben bestritten haben, ist ein völlig anderes. Sie möchten weiterhin etwas leisten und sich verwirklichen – und schaffen es nicht mehr. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander. Stress zermürbt Menschen. Zerreißt sie förmlich.

Aber es gibt ja für alles eine Lösung …

Jacuzzi-Spa-Wellness-Erholungsoase

Lichtanlagen für Schwimmbäder, CDs mit Urwaldgeräuschen, Klangschalen, die bis in die Tiefen meiner Zellen schwingen. Salzkristalltäfelungen, Regenwaldduschen, Wasserbetten, Duftbäder, Spezialmassagen. Dämpfe, Heilgrotten, Eisräume. Überhaupt alles, was man mit Wasser anstellen kann. Dazu kommen Hot-Stone- und Klangschalen-Massagen sowie Infrarotlampen in jeglicher Form.

Ich schlendere über die Messe interbad. Im Rahmen eines Kongresses habe ich einen Vortrag zum Thema Burnout-Prävention gehalten. Und mir den Nachmittag für einen Bummel zu den Ständen der Aussteller reserviert. Alle zwei Jahre verwandelt sich diese Messe Stuttgart in einen einzigen großen Wellness-Tempel. Im Jahr 2014 haben 444 Aussteller den 15 000 Besuchern aus 64 Ländern ihre Produkte und Ideen gezeigt, wie Entspannung möglich ist. Und welche Geschäftsmodelle daraus erwachsen. Die Messe vernetzt die Branche – und verleiht Preise. Mit einem selbst ernannten „Oscar der Spa-Branche“ kürten die Veranstalter alle zwei Jahre wegweisende Ideen und Produkte, selbstverständlich in einzelnen Kategorien wie etwa Beauty/Wellness, Kulinarik/Wellness oder Super-Spa-Destination.

Wenn Sie sich jetzt wundern: Das ist kein Witz. Und Sie können sich selbst überzeugen: Für 55 Euro erhalten Sie eine Dauerkarte. Was ein Stand auf der Messe kostet, können Sie sich ausmalen. Aber es scheint sich für Aussteller und Fachbesucher zu lohnen.

Die Sehnsucht nach Wellness und das dazugehörige Entspannungsversprechen haben eine eigene Branche hervorgebracht. Der Wirtschaftsbereich Wellness hat es im Jahr 2005 bereits auf stolze 85 Milliarden Euro Umsatz gebracht. Im Jahr 2012 waren es 105 Milliarden Euro. Das ist eine Steigerung von knapp 20 Prozent innerhalb von sieben Jahren.

Früher war ein Schwimmbad ein Schwimmbad: ein Becken für Schwimmer, ein Becken für Nichtschwimmer. Und vielleicht noch ein Bereich für Eltern mit Kleinkindern. Meine Kinder haben noch in einem 25-Meter-Becken Schwimmen gelernt, in dem eine Kordel mit weiß-roten Schwimmkörpern Nichtschwimmer und Schwimmer getrennt hat. Das Geschäftsmodell hat über Jahrzehnte erfolgreich funktioniert und jede Kommune konnte ein Freibad oder Hallenbad betreiben. Heute wäre ein einfaches Schwimmbad eine Bankrottgarantie.

Jacuzzi, Spa, Hot Stone. Das sind Wörter, die der Duden gerade in seiner neuesten Auflage aufnehmen musste. Und Angebote, die jedes neu gebaute oder renovierte Schwimmbad und Hotel heute in seinem Portfolio vorweisen muss. Whirlpools mit verschiedenen...

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