Erster Teil.
Auf der Suche
Ich habe über kein anderes Problem länger nachgedacht und mein Urteil langsamer gebildet als über das Problem psychischer Forschungen und Erscheinungen. Ab und zu wird man auf seiner Lebensbahn durch einen kleinen Zwischenfall unliebsam daran erinnert, daß die Zeit dahinschwindet mit Jugend und gereiftem Mannesalter.
Solch ein Ereignis trug sich kürzlich zu. In der vortrefflichen kleinen Zeitschrift »Light« wird eine besondere Spalte der Erinnerung an die Geschehnisse vor einem Menschenalter – etwa dreißig Jahren – gewidmet. Da las ich kürzlich zu meiner Überraschung meinen eigenen Namen unter einem Brief aus dem Jahre 1887, in welchem ich über ein interessantes Erlebnis in einer spiritistischen Sitzung berichtet hatte. Mein Interesse an diesem Problem ist somit ein altes, und mein Urteil ist kein hastig gebildetes. Erst während der letzten zwei Jahre habe ich die endgültige Erklärung abgegeben, die Beweiskraft des mir gebotenen Materials als zufriedenstellend und überzeugend anzuerkennen.
Wenn ich einige meiner persönlichen Erfahrungen und Schwierigkeiten schildere, so hoffe ich, werden mir meine Leser nicht egoistische Motive unterschieben. Auf dem eingeschlagenen Weg lassen sich vielmehr die Punkte, die auch jedem anderen Sucher begegnen werden, am klarsten und schärfsten in ihren Umrissen skizzieren. Haben wir diesen Weg zusammen zurückgelegt, so werden wir zu Dingen fortschreiten können, die weniger persönlichen und allgemeineren Charakter tragen.
Nachdem ich im Jahre 1882 mein medizinisches Studium beendet hatte, vertrat ich, wie viele andere junge Mediziner, in der Frage unserer persönlichen Bestimmung eine durchaus materialistische Auffassung. Doch hatte ich nie aufgehört, ein ernster Geist zu sein, denn mir schien es, als ob die Frage Napoleons niemals beantwortet worden sei – damals, als er in der sternklaren Nacht Ägyptens die atheistischen Gelehrten frug: »Und meine Herren, wer hat diese Sterne gemacht?« Behauptet man, das Universum sei das Werk unwandelbarer Gesetze, so schiebt man die Antwort nur zurück, ursächlich und zeitlich. Denn wer hat diese Gesetze gemacht? Natürlich glaubte ich nicht an einen anthropomorphen Gott, aber dennoch besaß ich damals schon meine heutige Überzeugung, daß sich hinter all den Erscheinungen der Natur eine intelligente Kraft verbirgt, unendlich komplex und erhaben, und daß mein endlicher Verstand gerade bis zur Feststellung der Existenz dieser Kraft vordringen kann. Recht und Unrecht erschienen mir ebenfalls schon damals als große, klare Tatsachen, die keiner göttlichen Offenbarung bedürfen. Aber in der Frage des Fortlebens unserer kleinen Persönlichkeit nach dem Tode, schien mir die ganze Analogie der Natur als verneinender Beweis. Sobald das Licht zu Ende gebrannt, ist es verschwunden. Zerbricht die elektrische Batterie, so hört der Strom auf. Mit der Auflösung des Körpers kommt das Ende. Jeder einzelne von uns mag in seiner Selbstsucht annehmen, daß er eigentlich verdiene weiterzuleben. Aber würde irgendjemand die Behauptung wagen, daß ein vernünftiger Grund vorhanden sei, den durchschnittlichen Müßiggänger und Tunichtgut hoher oder tiefer Gesellschaftsschichten mit seiner Persönlichkeit fortleben zu lassen nach seinem natürlichen Tode? Derlei Annahme schien mir Verblendung. So war ich denn überzeugt, daß der Tod tatsächlich das Ende bringe – wenn ich auch in solcher Tatsache keinen Grund erblickte, unsere Pflichten gegen die Menschheit während unseres vorübergehenden Daseins schmälernd zu beeinflussen.
In dieser Gemütsverfassung kam ich zum ersten Male mit dem spiritistischen Phänomen in Berührung. Bis dahin hatte ich die ganze Sache als den größten Unsinn auf Erden betrachtet. Ich hatte von der Entlarvung betrügerischer Medien gehört und wunderte mich, wie irgendein vernünftiger Mensch solche Dinge glauben könne. Da traf ich mit einigen Freunden zusammen, die sich für die Frage interessierten, und ich beteiligte mich mit ihnen an Sitzungen, verbunden mit »Tischrücken«. Wir erhielten zusammenhängende Botschaften. Aber als einziges Resultat dieser Erlebnisse hatten wir, fürchte ich, die Tatsache zu verzeichnen, daß ich meine Freunde mit Argwohn betrachtete. Sehr oft waren es lange, sich ruckweise einstellende Botschaften. Der Zufall konnte sie unmöglich hervorbringen. Also war's irgendjemand, der den Tisch bewegte. Ich hatte meine Freunde in Verdacht, sie wahrscheinlich mich. Jedenfalls stand ich vor einem Rätsel und fühlte mich bedrückt, denn ich konnte mich doch nicht zu der Annahme entschließen, daß meine Freunde fähig waren, einen Betrug zu verüben. Und dennoch konnte ich mir diese Botschaften ohne bewusst auf den Tisch ausgeübten Druck nicht erklären.
Ungefähr um diese Zeit – es war im Jahre 1886 – fiel mir ein Buch in die Hand: »Die Erinnerungen des Richters Edmunds.« Der Verfasser war Richter der Vereinigten Staaten High Courts, ein Mann in hoher gesellschaftlicher Stellung. Seine Gattin war gestorben, so schreibt er, und jahrelang war er imstande gewesen, mit ihr in Verbindung zu bleiben. Alle Einzelheiten waren geschildert. Ich las das Buch mit Interesse, doch mit völligem Skeptizismus. Mir schien es ein Beweis dafür zu sein, daß ein im harten, praktischen, nüchternen Leben stehender Mann eine schwache Stelle in seinem Gehirn haben könne, gewissermaßen als Reaktion gegen die nüchternen Tatsachen seiner täglichen Arbeitsleistung. Wo befand sich denn der Geist, von dem dieser Mann faselte? Man bedenke einmal: irgendjemand verletzt sich den Schädel während eines Unglückfalls, so kann sein ganzer Charakter in Mitleidenschaft gezogen werden, aus einer hoch angelegten Natur kann plötzlich eine tiefstehende werden. Alkohol, Opium und viele andere Agentien können offenbar das Seelenleben des Menschen gänzlich verändern. Also hängt der Geist von der Materie ab. In diesen Bahnen bewegten sich meine damaligen Argumente, weil ich mich nicht zu der Erkenntnis aufgeschwungen hatte, daß sich in solchen Fällen nicht der Geist verändert, sondern der Körper, durch dessen Vermittlung der Geist arbeitet, ebenso wie man kein Recht hätte, die Existenz des Musikers wegzuleugnen, wenn man das Instrument desselben untauglich macht, so daß nur Mißtöne entstehen können.
Aber trotz alledem war ich genügend interessiert, um die Literatur zu lesen, die mir gerade in die Quere kam. Da war ich denn erstaunt über die Zahl großer Männer, – Männer im Vordergrunde der Wissenschaft – welche durchdrungen waren von der Überzeugung, daß Geist von Materie unabhängig sei und daß Geist die Materie überleben könne. Solange ich den Spiritismus als vulgäre Delusion ungebildeter Leute betrachten durfte, konnte ich vornehm auf denselben herabblicken. Sobald aber der Spiritismus Fürsprecher fand in Leuten wie Crookes (den ich als einen der am meisten versprechenden, aufstrebenden britischen Chemiker kannte), wie Wallace (der mit Darwin um die Palme rang) wie Flammarion (einem der hervorragendsten Astronomen) – ja, dann allerdings ließ sich die Sache nicht so einfach ad acta legen. Gewiß ist's kein Kunststück, die Schriften nichtachtend beiseite zu schleudern, in welchen diese Männer ihre sorgfältigen Untersuchungen und gereiften Schlußfolgerungen niedergelegt haben. Kein Kunststück zu sagen: »Naja, er hat eben eine wunde Stelle in seinem Gehirn!« Man muss schon in hohem Maße mit sich selbst zufrieden sein, wenn man nicht eines Tages dazu kommt, sich selbst die Frage zu stellen, ob nicht vielleicht solch wunder Punkt im eigenen Hirn vorhanden sei. Mein Skeptizismus fand einige Zeit lang in der Tatsache Nahrung, daß viele berühmte Männer wie Darwin, Huxley, Tyndall und Herbert Spencer diesen neuen Zweig des Wissens verlacht haben. Sobald ich aber erfuhr, daß ihre Abneigung so weit ging, daß sie nicht einmal die Sachlage untersuchen wollten, – so weit, daß Spencer erklärte, er habe sein Urteil aus a priori Gründen gefällt – so weit, daß Huxley sagte, die Sache interessiere ihn überhaupt nicht, – ja, dann mußte ich gestehen, daß diese Männer, so groß sie auch in ihren Wissenschaften waren, in dieser Frage wenigstens höchst unwissenschaftlich und dogmatisch gehandelt hatten. Im Gegensatz zu ihnen folgen diejenigen, welche das Phänomen studieren und seine Gesetze aufsuchen, dem wahren Weg, der allein uns zu aller wissenschaftlichen Erkenntnis und fortschrittlichen Entwicklung geführt hat. Jetzt stand mein Skeptizismus nicht mehr auf so sicherer Grundlage wie vorher. Allerdings wurde er durch meine eigenen Experimente einigermaßen bestärkt. Da ich aber ohne ein Medium arbeitete, glich ich einem Astronomen, dem kein Teleskop zur Verfügung steht. Ich selbst besitze keinerlei eigene psychische Kräfte, und meine Mitarbeiter waren ungefähr in derselben Lage. Zusammen konnten wir gerade genug von der magnetischen Kraft aufbringen – oder wie man dieselbe nun benennen soll – um Bewegungen des Tisches hervorzurufen und verdächtige, oft recht dumme Botschaften zu übermitteln. Noch heute bewahre ich meine Aufzeichnungen betreffs dieser Sitzungen und Kundgebungen. Sie waren aber nicht immer so ganz töricht. Als ich einmal eine Probefrage stellen und wissen wollte, wie viele Geldstücke sich in meiner Tasche befanden, kam die Antwort: »Wir sind hier versammelt, um uns zu erziehen und zu erheben, nicht um Rätsel zu raten.« ... Und dann: »Nicht die kritische, sondern die religiöse Verfassung des Gemütes wollen wir pflegen!«
Das war sicherlich keine kindische Äußerung. Mich verfolgte aber immer noch die Furcht, daß durch die an der Sitzung Teilnehmenden unwillkürlicher Druck ausgeübt werden könne. Um diese Zeit stellte sich ein Ereignis ein,...