WUNDERWAFFE PROBIOTIKA – ODER: JOGHURT AUF REZEPT?
Der Begriff Probiotika kommt aus dem Griechischen: pro bios heißt übersetzt so viel wie „für das Leben“. Gemeint sind damit lebende Mikroorganismen, die in ausreichender Menge in aktiver Form in den Verdauungstrakt gelangen und dort einen gesundheitsfördernden Einfluss auf den Körper haben können. Probiotika sind zwar lebende, aber auch apathogene (das heißt keine Krankheit verursachenden) Bakterien oder Hefen, die für den Körper nicht gefährlich sind. Am häufigsten werden dabei Vertreter der Bakteriengattung Lactobacillus oder Bifidobakterien verwendet. Probiotika können in Arzneimitteln oder in Lebensmitteln enthalten sein – beispielsweise in Form von probiotischen Joghurts oder Getränken, Müsli, Brot und Backwaren, Käse und Brotaufstrich bis hin zur probiotischen Salami.
Die Idee, Probiotika zur Förderung der Gesundheit einzusetzen, ist dabei nicht neu. Schon im Alten Testament finden sich Textstellen, in denen das biblisch hohe Lebensalter von Abraham dem häufigen Konsum von „saurer Milch“ zugeschrieben wird. In vielen Kulturen ist die Anwendung von fermentierten Milchprodukten zur Stärkung der Abwehr bereits seit Jahrhunderten Tradition – lange bevor sich die medizinische Wissenschaft damit beschäftigt hat. In Europa begann 1907 der Wissenschaftler und spätere Nobelpreisträger Ilja Metschnikow (1845–1916), sich näher mit dem Phänomen der Probiotika zu beschäftigen. Er stellte die Hypothese auf, dass die ungewöhnlich hohe Lebenserwartung der bulgarischen Landbevölkerung auf den hohen Konsum an angesäuerter Milch in Form von Kefir oder Kwas (vergorener Brottrunk) zurückzuführen sei.
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Woher kommt der Name Probiotika?
Der Name Probiotika bedeutet übersetzt aus dem Griechischen „für das Leben“. Während Antibiotika „gegen Leben“ wirken und bakterielle Krankheitserreger abtöten, sollen Probiotika das Wachstum von nützlichen Darmbakterien und unsere Gesundheit fördern.
Die Wissenschaft heute interessiert sich ebenso intensiv für die Wirkung von Probiotika auf unsere Gesundheit – insbesondere auf die Wechselwirkungen mit dem menschlichen Immunsystem und die Entwicklung von Allergien. Die Forschung der letzten Jahre konnte dabei interessante Erkenntnisse über den Einfluss von Probiotika auf verschiedene Erkrankungen gewinnen. Doch leider lässt sich nicht alles, was auf dem Joghurtdeckel versprochen wird, heute schon durch Studien definitiv beweisen. Viele der beworbenen Effekte haben sich bislang nur im Labor oder in Tierversuchen, nicht aber in Studien am Menschen nachweisen lassen. Probiotika sind zudem nicht gleich Probiotika: die positiven Effekte, die in den wissenschaftlichen Studien nachgewiesen wurden, sind spezifisch für den jeweils untersuchten Bakterienstamm und nicht einfach auf andere Produkte übertragbar. Vielmehr gibt es hinsichtlich Effekt und Sicherheit große Unterschiede zwischen den einzelnen Bakterienstämmen. Und längst nicht alle Stämme, die heute in der Lebensmittelindustrie Verwendung finden, haben auch einen wissenschaftlich belegten Wirkungsnachweis. Zu den am besten analysierten probiotischen Bakterienstämmen, die in der Medizin derzeit als Arzneimittel eingesetzt werden, gehören beispielsweise Lactobacillus rhamnosus GG (LGG), Escherichia-coli-Stamm Nissle 1917 (EcN), VSL#3 (Gemisch aus vier Lactobacillus-Stämmen: L. casei, L. plantarum, L. acidophilus, L. delbrueckii subsp., drei Bifidobakterien-Stämmen: B. longum, B. breve, B. infantis, und einem Stamm von Streptococcus salivarius subsp. thermophilus) sowie die Hefe Saccharomyces boulardii (SAB). Gut belegt ist beispielsweise die Wirkung von Probiotika bei Durchfall nach einer Antibiotikatherapie, bei Virusinfektionen (zum Beispiel Rotaviren bei Kindern) oder auch bei milderen Formen von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Hier können probiotische Bakterien und Hefen helfen, die Darmflora wiederherzustellen und den Heilungsprozess zu beschleunigen. Auch beim Reizdarmsyndrom zeigen Studien positive Effekte durch die Gabe von Probiotika – Untersuchungen mit dem Bakterienstamm E. coli Nissle konnten beispielsweise eine deutliche Besserung der Symptome wie Bauchschmerzen oder Blähungen belegen. Hinsichtlich allergischer Erkrankungen wurde eine interessante Studie an der Universitätsklinik Turku in Finnland durchgeführt: Dort erhielten schwangere Frauen, in deren Familien sich gehäuft allergische Erkrankungen wie Neurodermitis oder Heuschnupfen fanden, vor der Geburt sowie während der Stillzeit Kapseln mit speziellen Milchsäurebakterien (Lactobacillus GG) oder Kapseln ohne Wirkstoff (Placebo). Dabei konnte gezeigt werden, dass das Allergierisiko der Kinder, deren Mütter Milchsäurebakterien erhalten hatten, auf weniger als die Hälfte im Vergleich zu der Kontrollgruppe sinkt. Dieses sehr eindrucksvolle Ergebnis wird durch den Verdrängungseffekt der Milchsäurebakterien erklärt: Durch die zugefügten Kapseln mit Milchsäurebakterien erfolgt eine sehr rasche Besiedelung des kindlichen Darmes mit „guten“ Bakterien, die gleichzeitig die Ansiedelung von potenziell schädlichen Bakterien verringert und damit das Immunsystem des Darms auf positive Weise fördert. Weitere Studien, die sich mit der Stärkung des körpereigenen Abwehrsystems durch Probiotika auseinandergesetzt haben, konnten zudem zeigen, dass sich durch die regelmäßige Einnahme probiotischer Präparate zwar nicht die Häufigkeit, aber die Schwere und Dauer von Erkältungskrankheiten etwas reduzieren lassen.
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Darmreinigung und Colon-Hydro-Therapie
In der naturheilkundlich ausgerichteten Medizin spielt die Darmreinigung im Rahmen einer Darmsanierung eine wichtige Rolle. Grundidee ist es, den Darm durch Einläufe mit warmem Wasser von Giftstoffen und Abfällen (in der Naturheilkunde auch „Schlacken“ genannt) zu befreien. Dies kann in Form von Einläufen mithilfe eines Klistiers oder einem Irrigator erfolgen, beide spülen lauwarmes Wasser über den After in den Darm. Dies führt nach wenigen Minuten zu starkem Stuhldrang und die Spülflüssigkeit wird mit den Schlacken ausgeschieden. Eine weiterentwickelte und maschinell gesteuerte Methode ist dabei die sogenannte Colon-Hydro-Therapie (lat. colon = Dickdarm, lat. hydro = Wasser), die einen speziellen Apparat zur Darmreinigung verwendet. Dabei werden pro Sitzung etwa 10 Liter Wasser mit unterschiedlicher Temperatur ohne Druck über ein Einflussrohr in den Darm eingeleitet. Über ein Abflussrohr wird die Spülflüssigkeit mit den gelösten Abfallstoffen wieder aus dem Darm herausgeleitet. Diese Methode soll zur Reinigung des Darmes und Entgiftung des Körpers dienen. Da es sich um keine schulmedizinisch anerkannte Methode handelt, werden die Kosten dafür auch nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Schulmediziner dagegen halten die Theorie der Schlackenbildung im Darm nicht für nachvollziehbar, da sich die Schleimhautzellen des Darmes alle fünf Tage rundum erneuern und der Darm Abfallprodukte komplett entsorgt. Vielmehr sehen sie in häufigen Darmspülungen die Gefahr, dass die Zusammensetzung der Darmflora erst recht gestört wird. Zudem ist die Colon-Hydro-Therapie nicht ohne Risiken und kann bei falscher Anwendung zu Verletzungen der Darmwand führen. Die Methode darf keinesfalls bei Blutungen oder Entzündungen im Verdauungstrakt, nach Darmoperationen, bei Hämorrhoiden und Divertikeln, während der Schwangerschaft sowie bei bekannten Herz- und Kreislaufbeschwerden angewandt werden.
Um eine nachweisbare Wirkung im Darm erzielen zu können, muss in einem probiotischen Lebensmittel jedoch eine ausreichende Anzahl von lebenden Mikroorganismen (circa 108 Keime pro Gramm Lebensmittel = in Zahlen: 100.000.000) enthalten sein. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass je nach Bakterienstamm etwa 60 bis 70 Prozent der eingenommenen Bakterien die Reise durch den Magen mit seiner aggressiven Säure und den Kontakt mit Gallensäuren im Dünndarm normalerweise nicht überleben. Moderne probiotische Nahrungsmittel müssen daher so entwickelt sein, dass der Großteil der darin enthaltenen Bakterien auch wirklich im Darm ankommt. Und: Produkte wie Joghurt beispielsweise säuern während der Lagerung nach, wodurch die Anzahl der darin enthaltenen Mikroorganismen stetig abnimmt. Je mehr sich das Produkt also dem Verfallsdatum nähert, desto weniger probiotische Wirkung hat es. Weiteres Problem: Die Besiedelung des Darms mit probiotischen Keimen ist nicht dauerhaft. Probiotische Mikroorganismen verweilen nur wenige Stunden bis Tage im Darm, werden aber dort nicht sesshaft. Dennoch können diese „Besucher“ vor Ort in den Stoffwechsel und die Regulation des Immunsystems eingreifen. Wer die gewünschte Wirkung erzielen möchte, muss Probiotika also regelmäßig – meist täglich – und in ausreichend hoher Keimzahl zu sich nehmen.
Milchprodukte: natürliche Probiotika
FAZIT: Probiotika sind keine Wunderwaffe gegen alle möglichen Erkrankungen. Die Einnahme probiotischer Arzneimittel sollte daher nicht ohne medizinischen Grund und Beratung geschehen. Bei bestimmten Krankheitsbildern wie zum Beispiel bei Durchfällen durch Antibiotikagabe oder viralen Infekten können Probiotika – wenn sie gezielt und richtig eingesetzt werden – eine positive therapeutische Wirkung haben.
Und: Wer seine Darmflora dauerhaft unterstützen möchte, ist dabei nicht unbedingt auf probiotische Arzneimittel oder speziell angereicherte Lebensmittel angewiesen. Altbekannte Nahrungsmittel wie beispielsweise...