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Entscheidung im Lukasevangelium
Der Evangelist Lukas schreibt sein Evangelium auf dem Hintergrund der griechischen Philosophie und Mythologie. Für die Griechen war das Thema »Entscheidung« ein zentrales Thema. Die griechische Heraklessage kennt zum Beispiel »Herakles am Scheideweg«. Herakles muss sich in dieser Erzählung zwischen der Sinnlichkeit und dem Vergnügen auf der einen und der Tugend (»arete«) auf der anderen Seite entscheiden.
Mit dieser Sage drücken die Griechen aus, dass jeder von uns vor die Entscheidung gestellt ist, sich für den leichten oder schweren Weg, für den Weg des oberflächlichen Vergnügens oder für den Weg der Tugend, für den Weg gelingenden Lebens zu entscheiden. Ob das Leben gelingt oder nicht, liegt in unserer Hand. Doch wir müssen zwischen dem Weg, der in den Abgrund führt, und dem Weg, der wahres Leben verheißt, wählen.
Für die Griechen ist der gute Weg der Weg der Tugend, der Weg, der dem Willen der Götter entspricht. Die Frau, die die Tugend verkörpert, verheißt dem Herakles kein leichtes Leben: »Wisse also, dass von allem, was gut und wünschenswert ist, die Götter den Menschen nichts ohne Arbeit und Mühe gewähren.« (Zitiert bei: Wickert 65)
Lukas hat den griechischen Gedanken der Entscheidung und des Wählens aufgegriffen und an vielen Stellen seines Evangeliums thematisiert. Auch die anderen Evangelisten schildern uns, dass Jesus die Menschen vor die Entscheidung zwischen Leben und Tod, zwischen Glauben und Unglauben gestellt hat. Doch im Lukasevangelium rückt das Thema »Entscheidung« ganz in den Mittelpunkt. So möchte ich mich hier auf das Lukasevangelium beschränken, um von der Bibel her Antworten auf die Frage nach gelingenden Entscheidungen zu bekommen.
Schon zu Beginn seines Evangeliums zeigt uns Lukas die beiden Möglichkeiten auf, wie wir auf die Botschaft des Engels reagieren können: Wir können wie Zacharias zweifeln oder wie Maria vertrauen. Wir können uns wie Zacharias mit rationalen Argumenten vor der Entscheidung drücken oder wir können uns wie Maria auf die inneren Impulse einlassen, die uns ein Engel eingibt.
Wenn wir uns mit Maria dafür entscheiden, uns auf diese inneren Impulse, die Botschaft Gottes, einzulassen, dann wird auch in uns Gott geboren und dann kommen wir mit unserem ursprünglichen und unverfälschten Bild in Berührung, das Gott sich von uns gemacht hat.
Der greise Simeon verheißt dem Kind Jesus, dass er zum Zeichen wird, das die Menschen zur Entscheidung zwingt: »Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird.« (Lukas 2,34) An Jesus scheiden sich die Geister. Diesem Jesus kann man nicht unentschieden begegnen. Er fordert immer Entscheidung. Man kann Jesus nicht bequem vom Sessel aus betrachten und einfach so in seinem Leben weitermachen. Wenn wir Jesu Worte lesen, dann fordern sie uns heraus, aus dem unbewussten Dahinleben auszubrechen und bewusst und entschieden zu leben, uns für das Leben und für die Liebe zu entscheiden. Entscheidung hat hier mit Aufwachen aus dem Schlaf zu tun, in den wir uns eingelullt haben.
Jesus selbst wird in der Versuchung vom Satan vor die Entscheidung gestellt, entweder sich selbst und seinen Ruhm oder aber Gottes Willen zu wählen. (Vgl. Lukas 4,1–13) Wie Jesus sind auch wir ständig versucht, uns selbst in den Mittelpunkt zu stellen und alles nur für uns auszunutzen. Da braucht es in jedem Augenblick die Entscheidung, Gott und nicht dem eigenen Ego zu dienen.
In seiner ersten Predigt in der Synagoge von Nazaret stellt er die Hörer vor die Entscheidung, seiner Botschaft zu folgen oder ihn abzulehnen. (Vgl. Lukas 4,16–30) Die erste Reaktion der Hörer war Begeisterung. Doch als Jesus sie vor die Entscheidung stellt, schlägt die Begeisterung in Ablehnung um. Ich kenne diese Versuchung: Ich möchte mich im Licht eines großen und bekannten Menschen sonnen. Aber sobald der mich vor eine Entscheidung stellt, weiche ich aus. Jesus stellt mich vor diese Entscheidung. Ich kann nicht einfach nur fromm über ihn meditieren. Ich muss mich entscheiden, ihm nachzufolgen oder meinen eigenen Weg zu gehen.
Das Thema Entscheidung zeigt sich vor allem in den Seligpreisungen und Weherufen. (Vgl. Lukas 6,20–26) Matthäus hat die acht Seligpreisungen als einen Weg der Weisheit beschrieben: Jesus zeigt acht Wege auf, wie das Leben gelingen kann.
Bei Lukas stellt Jesus keine Weisheitslehre auf, sondern spricht die Hörer direkt an. Dort heißt es nicht: »Selig, die arm sind im Geist«, sondern: »Selig, ihr Armen«. Er spricht die Armen, die Hungernden, die Weinenden und die von der Gemeinschaft Ausgeschlossenen an und verheißt ihnen Heil. Er sagt ihnen zu: Dein Leben kann sich ändern. Auch für dich ist Glück möglich. Es liegt an dir, wie du mit deiner Armut, deinem Weinen und deinem Hunger umgehst. Jesus macht den Ausgeschlossenen Mut, dass Gott auf sie schaut und dass sie im Vertrauen auf Gott mitten im Gehasstwerden durch die Menschen Seligkeit erfahren.
Man könnte diese Seligpreisungen Jesu auch noch anders verstehen. Man könnte sagen: Jesus sagt den verschiedenen Gruppen von Menschen zu, dass sie sich für das Leben entscheiden sollen. Ganz gleich, in welcher Situation sie sich befinden, können sie sich für die Seligkeit, für das Glück – oder aber für das Unglück, für das Weh und Ach – entscheiden.
Die Armen können nichts dazu, dass sie in Armut geraten sind. Aber sie können entweder jammern und klagen oder aber sich für das Reich Gottes entscheiden. Sie können auf die Armut reagieren, indem sie sie annehmen und sich von ihr auf Gott verweisen lassen. Wenn Gott in ihnen herrscht, dann wandelt sich ihre äußere Armut in inneren Reichtum.
Leider werden die Worte Jesu heute in manchen christlichen Kreisen anders gebraucht. Gerade von amerikanischen Pfingstlern werden die Armen beschuldigt, sie würden sich von einem Armutsdämon bestimmen lassen. Der Glaube solle dann den Armutsdämon vertreiben. Dann würden die Armen an Geld und Gütern reich werden. Der Glaube ist in diesem Verständnis ein Weg zu äußerem Reichtum. Jesus hat das anders verstanden. Der Arme kann seine äußere Armut oft nicht ändern. Aber er kann sich trotzdem dafür entscheiden, Gott in seinem Herzen zu suchen. Gott ist der wahre Schatz. Wenn Gott in mir herrscht, dann habe ich genug. Dann ist es nicht mehr so wichtig, wie viel Geld ich habe.
Zu denen, die hungern, sagt Jesus: »Ihr werdet satt werden.« Dies ist nicht nur eine äußere Verheißung. Jesus fordert die Hungernden auf, nach dem zu suchen, was sie wirklich sättigt. Auch wenn ich körperlich hungere, kann ich seelisch gesättigt werden. Ich bin nicht nur von äußeren Umständen abhängig. Viele bleiben heute in einer Erwartungshaltung stecken: Die anderen sollten sie doch sättigen. Doch das, was andere uns geben, kann nie unsere innere Leere füllen.
Wir brauchen eine andere Nahrung, die uns wirklich sättigt. Jesus spricht vom Wort, das aus dem Munde Gottes kommt und das uns mehr sättigt als Brot. Wenn wir das Wort Gottes in unser Herz fallen lassen, dann wird unsere Seele satt. Unsere tiefste Sehnsucht wird vom Wort Gottes angesprochen und erfüllt. Der wahre Hunger ist der Hunger nach Liebe und Zuwendung, nach Angenommensein und innerem Frieden. Diesen Hunger stillt nicht das Brot, sondern jenes Wort, das mir verheißt, dass ich bedingungslos geliebt bin.
Ähnlich ist es mit den Weinenden. Wenn Jesus ihnen zusagt, dass sie lachen werden, dann ist das nicht nur ein Versprechen, sondern zugleich eine Aufforderung: Du kannst dich auch für das Lachen entscheiden. Du kannst im Weinen steckenbleiben oder versuchen, das, was dich zum Weinen bringt, anders zu sehen. Manchmal ist das Weinen auch Ausdruck, dass wir es nicht ertragen können, wenn unsere Wünsche nicht erfüllt werden. Jesus ruft die Weinenden daher auf, sich über ihre Maßstäbe, Wünsche und Illusionen Gedanken zu machen.
Wenn uns jemand verletzt und kränkt, sind wir nicht nur Opfer. Wir können das Verletzende auch beim anderen lassen. Dann lachen wir über den, der uns mit Worten kränkt. Wir lachen ihn nicht aus, aber wir distanzieren uns im Lachen von seinem verletzenden Tun.
In gewisser Weise gilt der Grundsatz, dass wir uns in jeder Situation für die Freude entscheiden können. Wir sollen die negativen Gefühle dabei nicht verdrängen. Aber wir sollen sie relativieren.
Manche Menschen haben sich für das Jammern entschieden. Sie kreisen im Selbstmitleid immer um sich selbst. Und sie meinen, die anderen seien schuld daran, dass es ihnen so schlecht geht. Jesus schaut diese Menschen an und traut ihnen zu, dass sie sich für einen anderen Weg, für den Weg der Freude, entscheiden. Wenn ich mich von den kränkenden Worten löse, die mich zum Weinen bringen, und wenn ich dann in mein Herz zurückkehre, werde ich dort eine Quelle von Freude finden.
Meine Stimmung ist nicht nur von anderen abhängig. Ich bin selbst verantwortlich, von welchen Gefühlen ich mich prägen lasse. Dabei soll ich mich nicht unter Druck setzen und die negativen Gefühle verdrängen, als ob ich immer gut gelaunt sein müsste. Aber ich soll meine Traurigkeit und mein Weinen analysieren und fragen, ob dafür nicht infantile Bedürfnisse oder Illusionen, die ich mir von meinem Leben mache, letztlich die Ursache sind.
Die vierte Gruppe, die Jesus anspricht, sind diejenigen, die von den Menschen gehasst und beschimpft werden, die von der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Wir könnten sagen, das sind die, die gemobbt werden, die von anderen verachtet werden. Jesus fordert sie auf, sich zu...