Vom Wesen der Magie
Wer der Genese der Magie, ihrer Entwicklung und vielfältigen Ausformung nachspüren möchte, um letztlich Einsicht in ihr Wesen zu gewinnen, erschließt sich ein labyrinthisches Gebilde lichter und dunkler metaphysischer Weltensicht, das ihn über unsere Geschichte hinaus zurückführt in die graue Vorzeit unserer Menschwerdung. Hier erschließt sich dem Unerschrockenen eine Sphäre urgestaltlicher Ahnung, durch die er abtauchen kann in die dunklen Maare seiner Seele. Dort, im nachtkalten Schrund seiner Innenwelt, ergründet sich ihm ein vulkanisches Feuer, das ihn, wieder auftauchend, zum Wissenden über urmächtige seelische Kräfte erhebt.
In solch tiefem, schauendem Wandel in und durch unseren Seelengrund erspüren wir auch die Scheidelinie zwischen schwarzer und weißer Magie. Oberflächlich muten diese beiden Ausformungen der Magie gemeinhin als zwei Seiten derselben Medaille an. Dem in die Tiefe Schauenden hingegen erscheinen diese magischen Aspekte als zwei sich nicht wechselseitig bedingende seelische Mächte. Schwarze und weiße Magie ist für ihn somit nicht etwas aufeinander bezogenes Gegensätzliches, sondern vom Grunde her Andersartiges. Richtig verstandene weiße Magie steht deshalb in keiner Wechselbeziehung zur schwarzen Magie, sie ist vielmehr ein eigenständiges und lauteres Element seelischer Urgewalt. – Dieser Kraft nachzuspüren, um sie sich als wirkendes Phänomen zu erschließen, dienen die nachfolgenden einleitenden Betrachtungen. Und solchermaßen praktizierte weiße Magie bietet die beste Gewähr, sich gegen verzehrende schwarzmagische Kräfte und faustische Pakte zu wappnen.
Entwicklung der Magie
Magie und Zauberei sind einander wesensverwandt, wobei Zauberei als grundlegende Erscheinung der Magie aufgefaßt werden kann. Zauberisches Handeln, gleich zu welchem Zweck, dürfte demnach auch anfänglicher Ausdruck magischer Weltauffassung gewesen sein. Zugleich sind die ursächlichen Anschauungen der Zauberei auch zu grundsätzlichen Anschauungen magischen Verständnisses geworden. Am Anfang mag dies ein unbestimmter Glaube an Beseelung gewesen sein, der sich erst ganz allmählich im Verlauf menschlicher Entwicklung hin zu einer geistigen, fein differenzierten Weltsicht ausformte. Der Animismus, also der Glaube an den Menschen gleichende seelische Mächte und Geister, dürfte dabei Urquell zauberischen Tuns gewesen sein. Dieser erst begründet die Annahme, daß in den Fährnissen der Natur nicht unverständliche Willkür, sondern Wesenhaftes, dem Menschen willfährig Dienliches beziehungsweise ihm widersätzlich Schädliches, gesehen wurde. Solch anthropomorphe Auffassung von der Wesenhaftigkeit natürlichen Geschicks aber forderte geradezu zauberisches Handeln heraus, um in den Lauf der Natur für sich günstig einzuwirken. Hier freilich liegen auch die tiefsten Wurzeln des Schadenszaubers. Denn was einerseits zum eigenen Nutzen beschworen worden sein mochte, mochte andererseits auch dem anderen zum Schaden sein; was nicht zuletzt wiederum dem Eigennutz dienlich war.
Die animistische Auffassung von Beseelung fand ihre selbstverständliche Weiterung im Manismus, dem Ahnen- und Totenkult. Hier kommt neben dem Gedanken der fortwährenden Seele auch die Vorstellung von Zwischenwelten und Welten des Übergangs zum Tragen. Die ins Gebet aufgenommenen Ahnen wurden als Mittler und Fürbitter verstanden. Sie schienen in einen Kodex eingebunden zu sein, der dem fein ausgewogenen soziokulturellen Ritual von Geben, Nehmen und Fordern entsprach. Heikel war diese Kommunikation allerdings wegen der furchteinflößenden überirdischen Macht der Ahnen. Indes stand deren Macht auf irdischer Seite das Wissen um die translatorische Wirkung animistischen Zauberns gegenüber. Das bedeutete, daß letzten Endes alles Beseelte im Bann der Seelenmacht des Zaubernden stand.
Diese Grundidee des Zauberglaubens, nämlich sich durch Magie und Zauberkunst über die Natur und die Wirklichkeit der Dinge erheben zu können, mag zwar anfänglich Allgemeingut gewesen sein. In ihrer Inszenierung und Ritualisierung aber mußte dieser Anschauung und Weltauffassung beinahe zwangsläufig auch der Stand der Priester zuwachsen. Mit der Einsetzung von Priestern wandelte sich indes auch der Zauberglaube und mit ihm die angewandte Magie. Hier blieb das abergläubische Zaubern, fußend auf einem diffusen Geisterglauben, für das gemeine Volk; da erstand das rituelle Zaubern unter einem sich entwickelnden theurgischen Weltbild. Es waren also nunmehr nicht mehr die Ahnen oder menschengleiche Naturmächte, die ins menschliche Geschick eingriffen, sondern direkt handelnde und wirkende Götter. Freilich waren diese Götter – und das ist der Kern jeder Theurgie – trotz ihrer Allmacht der Beschwörung durch die Priesterschaft unterworfen und durch den eingeweihten Magus lenkbar. In letzterem verkörperte sich das, was dem Wortsinne nach Magie ist, nämlich Vermögen im Sinne von Können. So durchschaute der Magus das seelenmächtige Zusammenspiel zwischen göttlichen Aspekten, natürlichen Regelmäßigkeiten und steuernden und harmonisierenden beziehungsweise disharmonisierenden Impulsen auf der feinstofflichen Ebene.
Dem uneingeweihten schlichten Menschen wurde die unterstützende Rolle des Zutragenden oder, aus energetischer Sicht, die des Akkumulators zugewiesen. Infolgedessen wurde das Ritual, als Bindeglied und Katalysator magischer Potentiale, immer bedeutender. Wir können diesen Vorgang durch alle Zeiten hindurch beobachten. So liegen die Parallelen zwischen den Opfergaben, den Mysterien-und Initiationsfeiern der Antike einerseits und dem Kult wie auch der Liturgie der Kirche heute andererseits auf der Hand. Auch in der Symbolik finden sich mannigfache Übereinstimmungen bezüglich ihrer gewollten magischen Wirksamkeit. Man vergleiche nur antike apotropäische, also abwehrzauberische Dämonendarstellungen, und die dämonenabwehrenden Bildnisse an und in christlichen Kirchen.
Will man die erwähnte Einbindung der Zauberei und ihre Wandlung hin zur Magie und weiter bis zu deren Trennung in Recht- und Aberglauben historisch reflektieren, so muß man sich für einen solchen anthropologischen Exkurs viel Zeit und Raum nehmen. Die Fülle des verfügbaren Materials ist dank moderner Archäologie jedenfalls schier übermächtig. Es zu sichten und in seinen zeitlichen und regionalen Zusammenhängen und Querbezügen zu anderen kultischen Ausprägungen zu katalogisieren und zu beurteilen, ließe sich daher stets nur unter einschränkenden Gesichtspunkten verwirklichen. Und insbesondere was frühgeschichtliche magisch-kultische Entwicklungen anbelangt, gründet die Deutung eher auf assoziativen Näherungen statt auf belegtem Wissen. Nicht umsonst führen daher nur wenige Betrachtungen zum Kult des Magischen weiter zurück als bis zu dem verbrieften magisch-mystischen Weltbild der Assyrer und der, dieses Wissen konservierenden, neubabylonischen Priesterkaste der Chaldäer.
Um allerdings die Rezeption der in unserer Kultur verankerten heutigen Vorstellungen von Magie zu ergründen, genügt es, die Weltsicht der Neuplatoniker und Gnostiker zu Beginn der Zeitenwende zu betrachten. Diese religiösen Ausrichtungen verknüpften hellenistische, ägyptische und jüdisch-christliche Elemente zu einer Weltdeutung; wobei sich die späteren Gnostiker vor allem auf die Offenbarung des Johannes beriefen. Die Grundvorstellung dieser religiösen Sammelbewegungen war die eines dualistischen Schöpfungsaktes. Bei den Neuplatonikern erstand die materielle Welt aus der stufenweisen Einengung der urgöttlichen Kraft über mehrere himmlische Sphären hinweg bis hin zur Menschenseele und der Erscheinungswelt. Ähnliche Auffassungen vertraten auch die Gnostiker, wobei sie die materielle Welt als eine prinzipiell böse und sündhafte Schöpfung erkannten. Lediglich in der Menschenseele sahen sie neben dem vergänglichen, der irdischen Welt verbundenen Seelenaspekt, auch einen göttlichen Kern, die Pneuma. Wobei der Mensch, gebunden an die materielle Welt, zunächst seiner ureigensten Natur selbstvergessen wäre. Erst der Wissende, der seine wahre Natur erkenne, strebe danach, seine Pneuma wieder in ihren göttlichen Urgrund zurückzuführen und dabei die materielle Welt zu überwinden. Und nur dies allein sei die ureigenste Aufgabe des Menschen. Allerdings erachtete man die Distanz der Menschenseele zum göttlichen Urgrund als derart gewaltig, daß eine direkte Kommunikation mit ihm vollkommen außer Betracht stand. Statt dessen standen dem Menschen zahlreiche Geistwesen beziehungsweise Mittler, die allesamt göttliche Aspekte verkörperten, zur Seite, um ihn durch die verschiedenen Himmelssphären, bestenfalls 365 Himmel, zurück zu geleiten.
Für die Überwindung der materiellen Welt und die Anrufung der Mittler bedurfte es freilich einer abgeklärten Natursichtigkeit, die den Geist hinter den Dingen erkennen konnte. Den Zugang zu dieser Erkenntnis erschloß man sich mit Hilfe der Magie. Der Philosoph Plotin (ca. 205–270 n.Chr.), der als der eigentliche Begründer des Neuplatonismus gilt, meinte dazu: „Da alles im Universum in einem natürlichen Zusammenhang steht, und das Ganze eine Mannigfaltigkeit von Kräften ist, welche einander auf vielfältige Weise anziehen und abstoßen, und mittels Wahlverwandtschaft (Sympathie) durch Eine Kraft zu Einem Leben vereinigt werden: so folgt daraus, daß es eine natürliche Magie, Theurgie und Mantik geben muß.“ Und weiter stellte Plotin fest: „Das Übersinnliche ist der Grund des Sinnlichen. Und das Übersinnliche wird unmittelbar durch eine intellektuelle Anschauung, welche noch vor dem Denken hergeht, erkannt.“
Mit diesen Feststellungen folgert Plotin zum einen aus der hermetischen Grundthese „Wie oben, so unten“ auf...