EINFÜHRUNG
Was will dieses Buch?
Während der Begleitung von Eltern in und nach Schwangerschaften mit pränataldiagnostischem Befund haben wir festgestellt, dass mehrheitlich ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen wird. Das entspricht auch der gesellschaftlichen Erwartungshaltung. Nur selten wird konstruktiv über die Alternativen diskutiert: Austragen und Leben mit einem behinderten Kind, palliative Entbindung, Möglichkeit zur Adoptionsfreigabe – Weitertragen.
Diese Lücke möchten wir mit unserem Buch schließen. Nicht als Anti-Abtreibungsbuch: Ganz im Gegenteil vertreten wir die Meinung, dass diese Entscheidung nur jede Familie für sich selbst treffen kann, von außen unbeeinflusst und dabei möglichst wertfrei begleitet. Diese lebensverändernden Entscheidungen können von werdenden Eltern aber nur durch profunde Aufklärung und intensive Betreuung kompetent getroffen werden. Unser Buch ist also vor allem ein Plädoyer für eine solche Aufklärung, die alle Alternativen miteinschließt.
Außerdem sind wir der Auffassung, dass eine Schwangerschaft auch nach pränataler Diagnose trotz allem immer noch und vor allem eine Schwangerschaft ist. Deshalb braucht es einen angepassten Schwangerschaftsratgeber für diese besonderen und doch ganz normalen Familien, da es werdenden Eltern oftmals schwerfällt, in handelsüblichen Ratgebern zu blättern, die begleitet werden von Fotos lachender Eltern und gesunder Kinder. In diesen Büchern können sich Familien nach einer pränatalen Diagnose ganz offensichtlich nicht wiederfinden. In unserem Buch stehen aber genau diese Familien im Mittelpunkt.
Wir hoffen, dass diese Informationen und Ideen ihren Weg in die Welt finden und von Familie zu Familie weitergetragen werden. Und auch, dass sie viele Eltern in dieser schweren Zeit in ihrem Leben ein kleines Stück Wegstrecke weitertragen können. Vor allem hoffen wir, mit diesem Buch einen offenen und in diesen Zeiten so wichtig gewordenen gesellschaftlichen Diskurs im Bereich der Pränataldiagnostik zu unterstützen.
Diese Seiten möchten somit nicht nur möglicher Leitfaden für Betroffene sein, sondern auch für Angehörige, Fachpersonal, Ausbildungsstätten, Beratungsstellen und Politik.
Kathrin Fezer Schadt
Carolin Erhardt-Seidl
Hinweise
Der erste und wichtigste Hinweis für den Umgang mit diesem Buch ist, dass jedes Krankheitsbild, jedes Kind und jede Familie einzigartig und somit die Wege schwer miteinander zu vergleichen sind. Deshalb muss jede Situation immer neu betrachtet und eingeschätzt werden. Was die Eltern, die in diesem Buch zu Wort kommen, erlebt haben, muss nicht automatisch für die jeweiligen Leser gelten, obwohl sie vielleicht die gleiche Diagnose erhalten haben. In diesem Buch beziehen wir uns auch nur auf Erkrankungen und Behinderungen, die im Rahmen der Pränataldiagnostik üblicherweise festgestellt werden.
Die Informationen zu den rechtlichen Grundlagen sowie zu den Unterstützungsmöglichkeiten beziehen sich ausschließlich auf Deutschland. Wir nehmen aber an, dass zahlreiche gesetzliche Rahmenbedingungen zum Beispiel in Österreich oder der Schweiz ähnlich sind.
Wir möchten werdende Eltern so wertfrei wie möglich an unseren Erfahrungen mit Familien teilhaben lassen und ihnen somit die Gelegenheit geben, die Informationen, die ihnen auf ihrem Weg helfen könnten, für sich herauszufiltern. Wir unternehmen hier den Versuch, so umfassend wie möglich alle relevanten Themen aufzubereiten, damit dann kompetent und gestärkt eigene Entscheidungen getroffen werden können. Wir wünschen allen an dieser Stelle den Mut, diesen individuellen Weg zu finden und auf ihre Entscheidungsprozesse zu vertrauen.
In den letzten Jahren haben wir die Erfahrung gemacht, dass manchen werdenden Eltern die Auseinandersetzung mit ähnlichen Familiengeschichten hilft, sich in ihrer eigenen Situation besser zurechtzufinden. Deshalb werden in diesem Buch ausführlich Betroffene und auch Fachpersonal zu Wort kommen.
Andere wiederum empfinden diese Berichte als zusätzliche Belastung. Wir schlagen diesen zweiten Lesern vor, die gekennzeichneten Interviewauszüge zu überblättern, sollten sie dazu beitragen, das eigene Trauma zu vergrößern.
| Die Betroffenenberichte sind mit dem Icon „Babybauch“ gekennzeichnet. |
| Die Fachpersonalberichte sind mit dem Icon „Lupe“ gekennzeichnet. |
Abkürzungen und Begriffsverwendungen
Auf den folgenden Seiten werden wir dazu übergehen, die Begriffe „Pränataldiagnostik“ sowie „pränatale Diagnose“ mit „PND“ abzukürzen. Alle Wochenangaben sind immer ab dem ersten Tag der letzten Menstruation gerechnet, die geläufige Abkürzung „SSW“ bedeutet vollendete Schwangerschaftswoche plus x Tage. Erklärungen von Fachbegriffen finden sich darüber hinaus im Glossar und über das Stichwortverzeichnis.
Die Entwicklungsschritte des Kindes im Ratgeberteil können von Kind zu Kind verschieden sein, deshalb fügen wir stets ein „je nach PND“ (je nach pränataler Diagnose) oder „in der Regel“ ein, um diesen Unterschieden Rechnung zu tragen. Uns war es dennoch wichtig, einige von diesen normalen Prozessen zu benennen, um ein gewisses Grundwissen zu schaffen, an dem sich die Leser „entlanghangeln“ können.
In diesem Buch verwenden wir außerdem Begriffe wie „krank“, „behindert“, „gesund“ und „normal“. Dies allerdings nur, um bei Begrifflichkeiten zu bleiben, die der Mehrheit der Leserschaft bekannt und verständlich sind. Und in dem Bewusstsein, dass mit ihnen komplexe Eigenschaften der menschlichen Natur nur oberflächlich beschrieben werden können und somit andere, ebenfalls wichtige Facetten und Begabungen eines Menschen, die vielleicht allgemein als „besonders“ oder „außerordentlich“ bezeichnet werden könnten, zu kurz kommen. Hierfür müssten gegebenenfalls neue Begriffe in unsere Sprache Einzug finden. Sehr gefallen hat uns Birte Müllers Beschreibung ihrer beiden Kinder: Willi, 9 (Down-Syndrom), und Olivia, 7 (Normal-Syndrom). Dieses Normal-Syndrom werden wir an der ein oder anderen Stelle aufgreifen (Müller 2015). Sowie die Idee, manche „Störungen“ vielmehr für uns als „Varianten“ der menschlichen Spezies einzuordnen.
Außerdem halten wir uns häufig im Text an den Begriff „Betroffene“, wissentlich, dass dieser von manchen nicht sonderlich gemocht wird, da er meist in einem negativen Kontext gelesen wird und Betroffene sich selbst oft gar nicht in eine solche „Trauerkloßecke“ stellen wollen. Für diese neutrale Bezeichnung haben wir uns deshalb entschieden, um alle Leser mit einschließen zu können: werdende Eltern, Familienmitglieder und auch Fachpersonal, die alle gleichermaßen von so einer Situation „betroffen“ sind. Wir denken hierbei vielmehr an ein „dies betrifft auch mich“.
Gerne würden wir diesen Begriff an dieser Stelle also etwas aus seiner allzu negativen Ecke herausholen: In erster Linie verwenden wir ihn im Sinne von „die Auswirkungen von etwas an sich selbst erfahren“, ohne dabei diesem Wort einen unangenehmen Beigeschmack oder das Bedauern darüber, betroffen zu sein, mitzuliefern.
Da sich dieses Buch an (werdende) Eltern, Angehörige und Fachpersonal gleichermaßen richtet, sind die Formulierungen und die Sprache insgesamt bewusst allgemeinverständlich gewählt und Fachbegriffe grundsätzlich erklärt.
Er, Sie, Es
Statt der geschlechterspezifischen Bezeichnung „Vater“ werden wir den geschlechtsneutraleren Begriff „Partner“ verwenden, um somit alle möglichen Familienmodelle mitzudenken. Wir möchten uns vorab dafür entschuldigen, nicht allen Aspekten der Genderdebatte sprachlich gerecht zu werden. Zugegebenermaßen haben wir diesem Punkt weniger Aufmerksamkeit geschenkt, als er es verdient hätte.
Darüber hinaus haben wir uns in den meisten Fällen für den Begriff „Kind“ statt „Fötus“ entschieden, aus Respekt vor den Betroffenen, die im Kreise ihrer Familien in der Regel ebenfalls von ihrem Kind, und nicht vom medizinisch geprägten (und damit für sie entfremdenden) Begriff Fötus oder Embryo, sprechen. Wir versuchen damit unseren eigenen Erfahrungen und denen vieler Familien gerecht zu werden.
Gesprächspartner
Alle Gesprächspartner sind im folgenden Personenverzeichnis mit vollständiger Beschreibung aufgelistet. Im Verlauf des Buches sind diese Bezeichnungen im Sinne eines angenehmen Leseflusses und einheitlichen Schriftbildes abgekürzt dargestellt.
Aus diesem Grund verzichten wir darauf, immer alle Kinder einer Familie innerhalb des Buches vor den Interviews zu nennen. Sie sind nur einmal im Personenverzeichnis aufgelistet, dazu weitere Details zu Diagnose, Zeitpunkten und Entscheidung.
Bei der Auswahl der Gesprächspartner haben wir bewusst darauf geachtet, mit möglichst...