1
Winzig klein, aber von sagenhafter Aktivität
Es ist der größte Traum einer Bakterienzelle, zwei Bakterienzellen zu werden.
nach François Jacob
Hoher Besuch hatte sich im Göttinger Institut für Mikrobiologie angesagt, der Minister, wie ihn beeindrucken? Zunächst wollten wir ihm die Kleinheit der Bakterien verdeutlichen. Üblicherweise sagt man, dass die meisten etwa einen Mikrometer lang sind, dass tausend Bakterienzellen aneinandergereiht gerade einmal eine Kette von 1 mm Länge ergeben.
Wir versuchten es anders: „Sehr geehrter Herr Minister, in diesem Reagenzglas befinden sich in ungefähr 6 ml Wasser etwa 6,5 Milliarden Bakterienzellen, also genau so viele Bakterienindividuen wie es Menschen auf der Erde gibt.“ Der Minister nahm das Reagenzglas in die Hand, hielt es gegen das Licht, er sah fast nichts, nur eine leichte Trübung. Denn eine Milliarde Bakterienzellen in 1 ml (1 cm3) oder 1000 Milliarden Zellen in 1 l kann man praktisch nicht sehen! Ich zog ein DIN A3-Blatt hervor und sagte: „Hier sind zwei dieser Zellen!“ Auf dem Bild waren zwei Bakterienzellen zu sehen (Abb. 1), jede etwa 20 cm lang. Der Minister war beeindruckt, einerseits die Kleinheit der Bakterienzellen, die sie auch in großer Zahl beinahe unsichtbar macht, andererseits aber die enorme Leistungsfähigkeit der zur Verfügung stehenden Methoden zur Untersuchung der Bakterien, hier beispielhaft die Elektronenmikroskopie.
Abb. 1 6,5 Milliarden Bakterien in einem Reagenzglas, zwei davon im elektronenmikroskopischen Bild. Bei einer Zelle ist die Teilung in zwei bereits weit fortgeschritten. Geißeln (die langen Fäden) sind erkennbar; sie dienen der Fortbewegung (Aufnahme: Frank Mayer und Anne Kemmling, Göttingen).
Elektronenmikroskopie? Ich kenne Lichtmikroskope aus meiner Schulzeit, aber wie funktioniert ein Elektronenmikroskop?
Lassen wir dazu Professor Frank Mayer zu Wort kommen, der viele Jahre lang hier am Institut tätig war:
Das zur Abbildung nötige ,Licht‘ im Elektronenmikroskop ist der Elektronenstrahl. Er ist für das Auge unsichtbar, doch können die damit erzeugten Bilder fotografiert werden. Wegen der im Vergleich mit Licht viel kürzeren Wellenlänge können mit Elektronenstrahlen sehr viel kleinere Objektdetails – bis hinunter zu einzelnen Enzymmolekülen – abgebildet werden als mit Licht. Elektronen haben den Nachteil, dass sie sich nur im Hochvakuum ausbreiten. Biologische Objekte dürfen deshalb bei Einsatz konventioneller elektronenmikroskopischer Verfahren kein Wasser enthalten; es würde im Elektronenmikroskop sofort verdampfen und jede Abbildung unmöglich machen. Entzug von Wasser aus biologischen Objekten birgt jedoch ohne entsprechende Gegenmaßnahmen die Gefahr der Schädigung der Objektstrukturen. Moderne Verfahren erlauben allerdings die Vermeidung von Schäden durch Wasserentzug, und zwar dadurch, dass die Objekte vor der Untersuchung eiskristallfrei (,amorph‘) gefroren und im gefrorenen Zustand unter verschiedenen Betrachtungswinkeln im Elektronenmikroskop abgebildet werden.
Ist es nicht faszinierend, dass mithilfe der Elektronenmikroskopie Objekte bis zu 100 000-fach vergrößert werden können? Selbst die Lichtmikroskopie mit ihren etwa 1000-fachen Vergrößerungsmöglichkeiten ist erstaunlich. Man braucht nur den wunderbaren Text des Breslauer Pflanzenphysiologen Ferdinand Cohn (1828–1898) zu lesen:
Könnte man einen Menschen unter einem solchen Linsensystem ganz überschauen, er würde so groß erscheinen wie der Mont Blanc oder gar Chimborasso. Aber selbst unter diesen kolossalen Vergrößerungen sehen die kleinsten Bakterien nicht viel größer aus als die Punkte und Kommas eines guten Drucks; von ihren inneren Theilen ist wenig oder gar nichts zu unterscheiden, und selbst die Existenz würde von den meisten verborgen bleiben, wenn sie nicht in unendlichen Mengen gesellig lebten. (Ferdinand Cohn, 1872)
Ferdinand Cohn hat ein wenig übertrieben, aber das kann jeder leicht nachrechnen; ein Zwei-Meter-Mensch wäre bei 1000-facher Vergrößerung 2000m groß, also noch ein Stück kleiner als die Zugspitze. Vielleicht ahnte Ferdinand Cohn aber auch, dass es mit der Lichtmikroskopie weitergehen würde. Durch die Erfindungen von Ernst Abbe (1840–1905) war die Lichtmikroskopie praktisch ausgereizt. Die Wellenlänge des sichtbaren Lichts bringt es mit sich, dass zwei Linien, die enger als 0,2 μm beieinander liegen, verschwimmen und in eine Linie übergehen. Dieses Gesetz hat Professor Stefan Hell (MPI für Biophysikalische Chemie Göttingen) mit einer genialen Idee überwunden; er entwickelte die STED-Mikroskopie (STED für Stimulated Emission Depletion, also stimulierte Emissions-Löschung). Sehr einfach ausgedrückt brennt er mit einem Laser die diffusen Randbereiche, die das Verschwimmen des Bildes hervorrufen, weg. Aus einem Tintenklecks auf Löschpapier wird ein scharfer Punkt. Stefan Hell berichtet über die erreichbare Auflösung und über die Bedeutung seiner Entdeckung:
Mit dem Elektronenmikroskop kann man zwar 10-, 100- oder sogar 1000-mal stärker vergrößern als mit einem Lichtmikroskop, aber man kann damit nicht das Innere von Bakterien dreidimensional darstellen – und lebende Bakterien schon gar nicht. Dafür sind die Elektronenstrahlen dann doch zu energetisch. Lebende Bakterien oder ganz allgemein lebende Zellen zu betrachten, geht nur mit Licht. Die STED-Mikroskopie erlaubt nun feine Objektdetails, wie z. B. Eiweißstoffe zu sehen, die bis zu 10-mal dichter gepackt sind, als das was bisher ein Lichtmikroskop noch handhaben konnte. Lange Zeit hat man gedacht, dass es ein Lichtmikroskop dieser Schärfe nicht geben könnte, da die Wellennatur des Lichts eine unüberwindbare Grenze zu setzen schien. Die STED-Mikroskopie macht sich aber zunutze, dass man heutzutage Zellbausteine mit sehr kleinen fluoreszierenden (leuchtenden) Markern markiert. Und die kann man an- und ausknipsen. Im STED-Mikroskop knipst man die leuchtenden Marker so geschickt an und aus, dass (zu) eng benachbarte Details getrennt erscheinen. In Zukunft wird man mit diesem und verwandten Verfahren fast so scharf auflösen können, wie mit einem Elektronenmikroskop und das in einer lebenden Zelle. Wir werden die Welt des Lebens auf kleinstem Raum besser verstehen und damit auch unseren eigenen Organismus.
Den Unterschied zwischen STED- und Lichtmikroskopie verdeutlicht Abb. 2. Mit dieser Technik werden atemberaubende Einblicke in die Welt der Bakterien möglich. Trotzdem macht die Vorstellung immer wieder Schwierigkeiten, dass klar aussehendes Wasser verseucht sein kann, dass in einem Kubikmeter Luft häufig 1000 Keime enthalten sind, Luft aber trotzdem zu den eher dünn besiedelten Lebensräumen gehört, dass unsere Haut dicht von Bakterienzellen besetzt ist und sich in einer Bakterienzelle, also auf kleinstem Raum, Lebensprozesse von erstaunlicher Vielfalt abspielen. Und diese laufen mit atemberaubender Geschwindigkeit ab. So können sich manche Bakterienarten, wie etwa unser Darmbakterium Escherichia coli (abgekürzt E. coli), alle 20 min teilen. Um es salopp auszudrücken, wenn 1 Billion Bakterienzellen in meinem Darm mit mir ins Kino geht und dort unter optimalen Bedingungen wächst und sich teilt, dann kommen nach 80 min mit mir 16 Billionen wieder aus dem Kino heraus.
Abb. 2 Eine Escherichia coli-Zelle im Licht des MreB-Proteins, das mit dem fluoreszierenden Protein rsEGFP verknüpft ist. MreB gibt E. coli die Stäbchenform; (a) konfokale Lichtmikroskopie; (b) eindrucksvoller Gewinn an Schärfe durch Aufnahme mit RESOLFT, einer Weiterentwicklung der STED-Mikroskopie (Grotjohann, T. et al. (2011) Nature, 478, 204, Aufnahmen von den Autoren zur Verfügung gestellt).
Gutes Beispiel, aber was ist die Ursache für diese schnelle Vermehrung?
Eine Ursache für die Befähigung der Bakterien zu solch einer hohen Stoffwechselaktivität ist das hohe Oberflächen-Volumen-Verhältnis. Ich versuche, das an einem Beispiel klar zu machen. Geben wir ein Stück Würfelzucker in eine Tasse Tee und parallel dazu die gleiche Menge Kristallzucker in eine zweite Tasse, dann beobachten wir, dass sich der Kristallzucker schneller auflöst. Denn das Oberflächen-Volumen-Verhältnis ist größer. Ein Stück Würfelzucker mit einer Kantenlänge von einem Zentimeter hat ein Oberflächen-Volumen-Verhältnis von 6 : 1, sechs Flächen à 1cm2 zu einem Volumen von 1cm3. Würde dieser Würfel nun zerlegt werden in Bakterienwürfel mit einer Kantenlänge von 1 μm, so entstünden aus dem Würfel 100 Millionen Kubikmikrometerwürfel mit einer Gesamtoberfläche von 60 000 cm2. Das Volumen bleibt ja konstant, das Oberflächen-Volumen-Verhältnis hat sich aber verzehntausendfacht.
Das hat Konsequenzen. Im Vergleich zu den Zellen höherer Organismen steht den Bakterien eine weit größere Zelloberfläche zur Verfügung, über die die Zufuhr der Nährstoffe, die Abgabe von Abfallstoffen erfolgt. Deshalb können Zellbestandteile schnell synthetisiert und die Voraussetzungen für schnelle...