2 Überraschende Perspektiven im Umgang mit Krisen
„Perspektive“ heißt laut Duden „Ausblick“, „Zukunftsaussicht“ und „Blickwinkel“. Abgeleitet wurde das Wort vom lateinischen „perspicere“, was so viel bedeutet wie „durchblickend“. Und wer etwas durchschaut und mit dem Blick durchdringt, sieht die Dinge ganz deutlich, wie durch ein Vergrößerungsglas.
Zauberer und Magier arbeiten mit Täuschungen und Illusionen. Wenn wir einen Trick durchschauen, nehmen wir die Täuschung buchstäblich weg, sprechen also von einer Ent-täuschung. Krisen und Schicksalsschläge ent-täuschen uns oft im Leben, was aber nichts anderes bedeutet, als dass wir die Dinge dann wirklich so sehen, wie sie sind und nicht, was wir glaubten zu sehen. Somit helfen uns Enttäuschungen, uns im Leben einfacher und deutlicher zurechtzufinden. Wenn wir also hinter die Kulisse des Zauberers blicken, sind wir zunächst ent-täuscht und sagen uns: „Ach, so geht das, das ist ja einfach, das kann ich auch.“ Wenn wir einen Magier entzaubern, verstehen wir die Illusion, die er uns zuvor vermittelt hat. Auch unser Leben verläuft manchmal wie eine magische Zauberschau. Wir haben Wünsche, Träume und Illusionen, um unser oft anstrengendes und stressiges Leben erträglicher und leichter zu machen. Es sind die Krisen und Schicksalsschläge, die uns enttäuschen und mit der harten Realität konfrontieren. Diese Enttäuschungen können aber auch etwas sehr Heilsames haben, wenn wir in uns kehren und den Dingen wirklich auf den Grund gehen.
Merke
Leben ist Täuschung – Vertraue deinem Unbewussten.
Das kann einerseits schmerzvoll und traurig sein, bietet aber gleichzeitig auch die Möglichkeit, über eine Änderung der Perspektive unsere Lebenssituation positiv zu verändern. Die Perspektive ist in gewisser Weise nichts anderes als ein Abbild der Wirklichkeit. Was wir aber von der Wirklichkeit sehen, liegt im Auge des Betrachters. Die traditionelle Lehre von der Perspektive fand so schon früh Einzug in die Malerei und später auch in die Fotografie. Albrecht Dürer war einer der ersten, der die „Technik des zweiten Blicks“ in seinen Bildern systematisch einsetzte, was dazu führte, dass man bei längerer Betrachtung seiner Bilder und auf den buchstäblich „zweiten Blick“ plötzlich ganz andere und neue Dinge in seinen Bildern erkannte. Dieses Prinzip wollen wir in unseren Fotos und auch in unseren Texten aufgreifen, um Ihnen so die Möglichkeit zu geben, Ihre Krisen wie in einem Spiegel zu betrachten. Durch das Verändern Ihres Blickwinkels zu Lebenskrisen können Sie plötzlich überraschende und neue Dinge darin erkennen, die Ihnen Kraft und Zuversicht vermitteln. Wer immer nur auf den Teller schaut, sieht immer nur auf das, was im Teller ist. Wer aber über den Tellerrand hinausschaut, entdeckt plötzlich vollkommen neue Dinge. Manchmal können wir dann auch vollkommen neue Wege entdecken, von denen wir zuvor glaubten, dass es sie nicht geben kann.
Wer über den Tellerrand hinausschaut, entdeckt plötzlich vollkommen neue Dinge!
© Liane Metzler
Praxistipp
Schauen Sie einmal in den Spiegel und stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn sich Ihr Spiegelbild genau nach Ihren Vorstellungen verändern würde, wie es wäre, den idealen Körper zu haben…
…vielleicht stellen Sie sich aber vor, wie es ist, ganz ruhig und gelassen durch Ihr Leben zu gehen oder wie es wäre, wenn Ihr Leben genauso verlaufen würde, wie Sie es sich ausmalen und dann beobachten Sie in Ihrer Fantasie, wie sich Ihr Spiegelbild genau nach Ihren Wünschen und Vorstellungen verändert. Was Sie sich vorstellen können, können Sie in vielen Fällen dann auch tun.
Oft sind es gar nicht mal die Ereignisse selbst, die wir als so schlimm empfinden, sondern vielmehr die Art und Weise, wie wir darüber denken und fühlen und wie andere Menschen darauf reagieren. Vor Jahren beobachtete ich einmal eine Mutter, die mit ihrem Kind durch die Fußgängerzone vor mir herging. Plötzlich stolperte das Kind, fiel hin, schlug sich beide Knie auf und weinte vor Schmerzen – die Hosenbeine waren zudem auch noch kaputt. Die Mutter sah das, aber anstatt das Kind zu trösten, ohrfeigte sie es mit den Worten: „Ich habe dir doch gesagt, du sollst aufpassen, wo du hintrittst!“ Besser kann man nicht beschreiben, wie aus einem Drama ein Trauma wird. Das Kind war durch die Schmerzen schon gestraft genug. Wirklich schlimm wurde das Erlebnis für das Kind aber erst durch die Reaktion und das Verhalten der Mutter. Und so erleben wir in unserem Leben immer wieder mehr oder weniger emotional belastende Situationen, die für sich genommen schon schlimm genug sind, die wir jedoch aus eigener Kraft überstehen und verarbeiten. Wirklich traumatisierend werden die Erlebnisse oft erst durch die unmittelbaren Reaktionen der Menschen, die uns umgeben. Wir alle haben früh gelernt, auf 1000-fache Elternbotschaften zu reagieren: „Sitz nicht so da“, „Trödel nicht rum“, „Sei nicht so laut“, „Was sollen die Nachbarn denken?“ „Iss deinen Teller auf“, „Zieh dir die Schuhe aus“, „Mach dich nicht schmutzig“ usw.
Oft tragen wir mehr dieser negativen Leitsätze in uns, als positive Glaubenssätze wie: „Ich bin gut“, „Ich kann das“, „Ich bin liebenswert“, „Ich schaffe das“ usw. Bei allen schmerzvollen Erfahrungen und Erlebnissen gab es in unserem Leben aber hoffentlich auch wenigstens einen Menschen, der an uns geglaubt hat, der zu uns gehalten hat, egal was passiert ist. Und wenn nicht ein einziger Mensch für uns da ist, reichen wir alleine aus, wenn wir den Glauben an uns selbst nicht verlieren. Ich frage meine Patienten oft: „Was ist das Gute im Schlechten?“, und bin erstaunt über ihre Antworten. Selbst Menschen, die schmerzhafteste Erlebnisse durchgestanden haben, finden darin oft noch etwas sehr Positives, das ihren Lebensmut aufrechterhalten hat, was ihnen Kraft gegeben hat und was sie am Ende sogar persönlich hat reifen und stärker werden lassen.
Der Mensch ist nur ein Netz von Beziehungen, und nur auf sie kommt es an.
Antoine de Saint-Exupéry
Manchmal nimmt das Leben eine andere Richtung, als wir es wollen. Manchmal wird unser ganzes Leben auf den Kopf gestellt und wir stürzen in ein völliges, körperliches, emotionales und soziales Chaos. Nichts ist mehr so, wie es vorher war. Und dennoch können wir auch schlimmste und leidvollste Erlebnisse ganz alleine und aus eigener Kraft überstehen. Therapeuten und Mediziner nennen das Selbstheilung oder Selbstrettung. Dazu müssen aber bestimmte Voraussetzungen gegeben sein: Zum einen muss eine innere Überzeugung, dass alles gut wird, vorhanden sein und zum anderen braucht man die Fähigkeit, im richtigen Augenblick loszulassen. Was das bedeutet, lesen Sie in diesem Buch. Den wichtigsten Tipp möchte ich Ihnen aber jetzt schon geben: Vertrauen Sie Ihrer eigenen Kraft mehr als Ihrem Glück! Sie haben dann beste Aussichten, sich auch nach einem belastenden Ereignis wieder vollständig zu erholen und sich gesund und munter wie ein Fisch im Wasser zu fühlen und nicht wie jemand, dem das Wasser permanent bis zum Hals steht.
Wenn Menschen einschneidende Ereignisse erleben, trifft es sie oftmals wie der Eisberg die Titanic. Manche fühlen sich fast wie taub, „laufen auf Grund“ und haben das Gefühl, ihr Leben gleicht einem seelischen Polarmeer mit null Grad. Probleme und Schwierigkeiten tauchen als riesige Eisberge auf, die in dem seelischen Polarmeer umherschwimmen. So fühlt sich das Leben eiskalt und freudlos an. Manche suchen den Weg zu einem Therapeuten. Manche haben Glück und finden einen guten Therapeuten, der noch die alte Hebammenkunst der Psychotherapie beherrscht, der die Kraftquellen des Patienten und seine Ressourcen sucht und zutage fördert.
Viele landen leider auch bei fragwürdigen Psychotherapeuten, die versuchen, die Eisberge der Patienten jahrelang zu analysieren und deren molekulare Zusammensetzung herauszufinden, oder schlimmer noch, die versuchen, die Eisberge zu zertrümmern. Die Folge ist, dass immer mehr fiese, kleine und scharfe Eisbrocken in dem Lebens-Eismeer schwimmen, die einen stören und letztendlich eine wesentliche Verbesserung der Gemütslage verhindern. Gute Therapeuten schaffen es, dass Patienten selbst ihr Lebens-Eismeer um ein Grad erwärmen können: Dann schmelzen alle Eisberge und Trümmer mit der Zeit von selbst und auf Dauer.
Tipp
Machen Sie aus Ihrem gefühlten, seelischen Polarmeer mit antarktischen Problemgletschern ein badewannenwarmes, karibisches Meer mit Traumstränden und Sonne ohne Ende. Dann werden sich Ihre Lebensfreude-Akkus ruckzuck wieder aufladen. Wenn Ihr Leben diesem seelischen Polarmeer mit null Grad gleicht, in dem viele Eisblöcke umherschwimmen, die Ihr Leben einfrieren, dann lassen Sie diese Eisblöcke nicht von den „Eisberg-Experten“ zerschlagen.
Es geht viel einfacher: Stellen Sie sich vor, Sie würden Ihr seelisches Polarmeer nur um ein Grad erwärmen. Mit der Zeit werden dann alle Problemeisberge von ganz alleine schmelzen und Sie tauen auf und tauchen wieder ein in ein warmes und glückliches Leben. Der Glaube kann Berge versetzen – und Eisberge zum Schmelzen bringen!
Manchmal brauchen wir einen Schuss vor den Bug oder einen Schicksalsschlag, um aufzuwachen und mit dem Leben zu beginnen. Die Lösung liegt im Inneren des Menschen/Patienten.
Heilung, Besserung und Verarbeitung treten dann auf, wenn man nicht mehr...