EINLEITUNG
Wenn Sie gern vertrauen möchten, aber das Leben Sie nicht lässt
„Ich möchte ja glauben, dass Gott sich für mich interessiert und sich um mich kümmert“, sagte sie mir und wischte sich die dunklen, geröteten Augen. Im kalten Neonlicht des Krankenhauskorridors hatte Marci kaum noch Ähnlichkeit mit dem lebhaften Teenager, den ich damals in der Jugendgruppe meiner Gemeinde hatte aufwachsen sehen. Damals war Marci kontaktfreudig, offen und lebendig gewesen und für jeden Spaß zu haben, auch dann noch, als es ihr mit dem Glauben immer ernster wurde. Sie war immer als eine der Ersten da und gehörte zu den Letzten, die nach Hause gingen. Kaum jemand in der Gemeindejugend liebte den Lobpreis und Gespräche über Gott und den Glauben so sehr wie Marci.
Mit Anfang zwanzig lernte sie dann Mark kennen, einen großartigen Christen mit ganz viel Ausstrahlung. Sie verliebten sich Hals über Kopf ineinander und heirateten genau ein Jahr später. Aufgrund seiner dynamischen Persönlichkeit bekam Mark recht schnell einen guten Vertriebsjob, und es dauerte nicht lange, da verdiente er mehr als die meisten anderen Vertriebsleute in seinem Alter. Mark und Marci kauften ihr Traumhaus, arbeiteten beide in der Gemeinde mit und waren sicher, dass das Leben nicht mehr besser werden konnte.
Aber dann wurde es doch noch besser.
Nachdem sie es nur zwei Monate lang versucht hatten, war Marci mit ihrem ersten Kind schwanger, und als die süße kleine Chloé dann geboren war, besuchten meine Frau Amy und ich Marci und Mark im Krankenhaus, um Gott für all seinen Segen zu danken. Es war einfach herrlich, mit ihnen zusammen zu feiern, und wir dankten Gott für die Familie, die da in seiner Gegenwart heranwuchs.
Damals konnte noch keiner von uns die bereits vorhandenen Risse im Fundament ihres Lebens erkennen. Mit der Zeit war Mark dann für seinen Job immer häufiger unterwegs, aber Marci fiel trotzdem aus allen Wolken, als er eines Tages nach Hause kam und ihr mitteilte, dass er sie verlassen werde – wegen einer ihrer besten Freundinnen. Völlig am Boden zerstört musste Marci nun an zwei Fronten kämpfen. An der einen musste sie mit Marks Untreue fertig werden, und an der anderen versuchte sie, als alleinerziehende Mutter für sich und Chloé ein neues Leben aufzubauen.
Dabei war es ihr nur ein schwacher Trost, dass es wahrscheinlich nicht mehr schlimmer kommen konnte.
Doch das konnte es.
Chloé, die mittlerweile in der fünften Klasse war, nahm plötzlich rapide ab und war ständig müde. Als dann auch noch Schwindel und Kopfschmerzen dazukamen, ergaben Untersuchungen das Unfassbare: Chloé hatte Krebs. Innerhalb weniger Monate wurde aus der gesunden, überall beliebten Chloé eine blasse, bettlägerige Patientin, die an der Sauerstoffzufuhr hing. Der Krebs wütete erbarmungslos ich ihrem ohnehin schon geschwächten Körper, und die Chemo schlug nicht an. Die Ärzte entschieden daraufhin, ihr die noch verbleibende kurze Zeit so angenehm und schmerzfrei wie möglich zu machen.
Als ich dann mit Marci auf dem trostlosen Krankenhauskorridor stand, war von der vor Energie sprühenden jungen Frau, die ich einmal gekannt hatte, nichts mehr übrig, sondern ich hatte eine völlig erschöpfte und besiegte Frau vor mir.
Sie griff verzweifelt nach allem, was auch nur entfernt Ähnlichkeit mit dem unverwüstlichen Glauben hatte, der ihr früher einfach so zugeflogen war. Doch ihr unerschütterliches Vertrauen in Gott war inzwischen nur noch eine ferne Erinnerung. Und als sie jetzt tief Luft holte, ein Schluchzen unterdrückte und mich mit völlig verlorenem Blick ansah, musste ich meine ganze Beherrschung zusammenraffen, damit ich um ihretwillen stark bleiben konnte.
Sie seufzte und sagte: „Ich möchte wirklich glauben, dass Gott jetzt bei mir ist. Ich möchte doch erfahren, dass er gut ist und sich kümmert. Ich möchte es so sehr, aber …“ Ihre Stimme erstarb und jetzt waren die Tränen nicht mehr aufzuhalten.
„… aber wenn ich sehe, wie meine Kleine da drinnen immer weniger wird und solche Schmerzen hat, wie soll ich mich denn da einem Gott anvertrauen, der so etwas zulässt? Und das auch noch zusätzlich zu all dem, was wir schon durchgemacht haben. Ich möchte ja vertrauen, aber ich weiß einfach nicht mehr, wie.“
Ÿ
Dieser eine kleine Satz „Ich möchte ja vertrauen“ blieb bei mir haften. Wohin ich auch schaue, sehe ich Menschen, die genau wissen und nachfühlen können, wie sich Marci dort auf dem kahlen, sterilen Krankenhausgang gefühlt hat. Es gibt so viele Menschen, die an Gottes Gegenwart und Güte glauben möchten, aber einfach zu viele unbeantwortete Fragen haben. Etwas in ihnen sehnt sich danach, Gott zu vertrauen – möchte ihn kennen, seine Gegenwart spüren, sich in seinen Frieden versenken, glauben, dass er für sie da ist und ihnen hilft, ihre Lasten zu tragen. Sie möchten beten und erfahren, dass er sie hört. Sie wünschen sich Trost und möchten wissen, dass er bei ihnen ist, dass er sie nicht nur beschützen kann, sondern es auch tut. Ganz tief in ihrem Inneren hoffen sie, dass Gott mehr ist als eine erfundene kosmische Figur, der gutgläubige Menschen aus Naivität ihr Vertrauen schenken. Sie möchten, dass er mehr zu bieten hat als runderneuerte Floskeln, mit denen Politiker, Aktivisten und Jesus Freaks um sich werfen.
Ich glaube, es gibt viele Menschen wie Marci, Menschen, die einmal geglaubt haben, dass Gott ein aktives Interesse an ihrem Leben hat, die sich dessen aber mittlerweile nicht mehr so sicher sind. Vielleicht gibt es ihn, vielleicht ist er auch allmächtig, aber liegt ihm wirklich etwas an uns Menschen und speziell an mir? Für solche Menschen – ich selbst habe auch einmal zu ihnen gehört (mehr dazu später) – fühlt es sich jedenfalls nicht so an. Vielleicht gehören Sie ja auch dazu. Fragen Sie sich manchmal:
„Wo war Gott, als ich missbraucht wurde? Hat es ihn überhaupt interessiert, und wenn ja, warum hat er dann nicht eingegriffen?“
„Warum bekommen wir kein Baby? Es gibt so viele unerwünschte Schwangerschaften, und allem Anschein nach gibt es viele Menschen, die Kinder haben, sich aber nicht um sie kümmern. Wir sind Christen, gehören zu einer Gemeinde und engagieren uns dort. Wir sind gute Menschen. Seit Jahren beten wir nun schon um ein Kind. Warum schenkt Gott uns keins?“
„Was ist nur aus meiner Ehe geworden? Ich habe mir mehr als alles andere gewünscht, dass sie harmonisch ist und hält, und wie haben wir uns damals geliebt … Ich habe wirklich getan, was ich konnte. Ich habe Gott vertraut, habe jeden Tag gebetet, aber trotzdem ist meine Ehe ein einziger Scherbenhaufen. Warum lässt Gott das zu?“
„Warum ist mein Kind mit einer Behinderung geboren worden?“
„Warum habe ich meinen Job verloren?“
„Warum ist so ziemlich jeder, den ich kenne, verheiratet und ich bin immer noch allein?“
„Wieso komme ich im Leben einfach nicht voran?“
„Warum ist der Krebs zurückgekehrt?“
„Warum wollen meine Kinder nichts mit Gott und Gemeinde zu tun haben?“
Möchten Sie gerne sicher sein, dass Gott da ist, wenn Sie ihn am dringendsten brauchen, haben aber – aus welchem Grund auch immer – Zweifel daran?
Da sind Sie nicht allein. Die gesamte Bibel hindurch ist immer wieder von Menschen die Rede, die zweifeln, dass Gott bei ihnen ist und etwas mit ihrem Leben zu tun hat. Auch Jesus hatte es ganz unmittelbar mit Zweiflern zu tun. Einer von ihnen gehörte sogar zu seinen Jüngern, der ur-„ungläubige Thomas“.
Ich möchte aber in diesem Zusammenhang besonders auf einen Wortwechsel eingehen, den Jesus mit einem konkreten Zweifler hatte. Genau wie Marci war es ein Elternteil, der es nicht mehr ertragen konnte, sein Kind derart leiden zu sehen.
„Wie lange leidet er schon darunter?“, fragte Jesus den Vater.
Der antwortete: „Von Kindheit an. Schon oft hat ihn der böse Geist in ein Feuer oder ins Wasser geworfen, um ihn umzubringen. Hab doch Mitleid mit uns! Hilf uns, wenn du kannst.“
„Wenn ich kann?“, fragte Jesus zurück. „Alles ist möglich, wenn du mir vertraust.“
Verzweifelt rief der Mann: „Ich vertraue dir ja – hilf mir doch, meinen Unglauben zu überwinden!“
Markus 9,21–24
Können Sie sich den Schmerz dieses Vaters vorstellen? Immer wieder muss er hilflos dabeistehen und zusehen, wie sein Sohn von Krämpfen geschüttelt mit dem bösen Geist ringt, der ihn seit Jahren beherrscht und tyrannisiert. Dieser liebende Vater hat sicher alles getan, um das Leid seines Sohnes zu lindern. Doch was er auch versucht hat, sein Sohn leidet immer noch Qualen.
Als Vater von sechs Kindern möchte ich mir gar nicht vorstellen, wie es wohl gewesen sein muss, wenn ein mächtiger böser Geist den Sohn dieses Mannes wie eine Stoffpuppe ins Wasser oder ins Feuer schleuderte. Hätte der Vater seinen Sohn nicht geschützt, hätte der böse Geist den Jungen wahrscheinlich längst umgebracht.
Kein Wunder, dass es dem belasteten und zutiefst verzweifelten Vater schwerfällt zu glauben. Nachdem er alles nur Denkbare versucht hat, was ihm eingefallen ist, sagt er zu Jesus genau das, was ich in dieser Situation wahrscheinlich auch gesagt hätte: „Hab doch Mitleid mit uns! Hilf uns“ (V.22, Hervorhebungen des Autors).
Manche Christen mögen ihn vielleicht für seine Frage kritisieren. Aber dieser Vater ist einfach am Ende. Nachdem er alles versucht hat, ist er...