Vorwort
Flash brauchte einen Kumpel an seiner Seite.
Er war seit sieben Jahren bei mir und meinem Mann Tom zu Hause und in seiner typisch gleichmütigen Eselart hatte er sich nie ausdrücklich über sein einsames Dasein auf unserer Weide beschwert. Doch ich konnte an seiner Körperhaltung, seinem herabhängenden Kopf und dem Schlurfen seiner Hufe erkennen, dass er hier draußen und so ganz auf sich gestellt einsam war. Offenbar brauchte er einen Eselfreund.
Es würde nicht leicht werden, Tom von diesem Gedanken zu überzeugen. Meistens stimmte er meinen Ideen zu. Doch einen zweiten Esel anschaffen, um das Wohlbefinden des ersten Esels zu verbessern? Das dürfte selbst für ihn ein Stückchen zu weit gehen. In unserer mehr als dreißigjährigen Ehe hatten wir die Kunst des Verhandelns ständig verfeinert. Ich wusste, dass es mehrere zeitlich geschickt platzierte Gespräche erfordern würde, um die Richtung anzupeilen, bevor es dann richtig zur Sache ging. Sorgfältig überlegte ich, wie ich das Ganze angehen sollte.
„Schau mal, irgendwie sieht Flash traurig aus“, erwähnte ich beiläufig, während ich meinen Morgenkaffee schlürfte.
Schritt Nummer eins.
Tom blickte flüchtig durch das Fenster auf den großen zotteligen Esel, der nahe beim Gatter der Weide hinter unserem Garten stand. Mit dem warmen Frühling begann sein braungraues Fell Haare zu verlieren, sodass er besonders zerzaust aussah. Wie aufs Stichwort ließ er seinen Kopf hängen und schob die Unterlippe vor.
Brav, Flash.
„Nein, wir werden keinen zweiten Esel anschaffen.“ Tom nahm keine Rücksicht auf meinen sorgfältig ausgearbeiteten Plan und preschte direkt zur Ziellinie vor.
Mist! Er hat mich durchschaut. Schade, dass Lauren, Meghan und Grayson nicht hier sind.
Unsere drei Kinder hätten mich nach Kräften unterstützt, und wir hätten gemeinsam überzeugend für einen weiteren Esel argumentiert. Doch die drei waren erwachsen und aus dem Haus: Lauren und Meghan waren beide verheiratet, und Grayson war vor Kurzem ausgezogen, um zu studieren.
Als Flash damals in unserer Auffahrt aufgetaucht war, hatten wir unser Bestes gegeben, um Tom dazu zu bringen, den Streuner aufzunehmen, der offenbar von niemandem vermisst wurde. Letztendlich musste Tom gar nicht überzeugt werden, denn er war dem Charme des Esels selbst erlegen. Flashs flauschige Ohren, seine sanften braunen Augen und seine liebenswerte Art hatten uns die Entscheidung leicht gemacht, und wir hatten es nie bereut, ihn in unsere Familie aufgenommen zu haben.
Nun ja, vielleicht hatten wir einmal, höchstens zweimal leise Zweifel gehabt. Flash war nun mal neugierig und eigensinnig – und er wog rund zweihundertfünfzig Kilo. Es war einfach so, dass diese Eigenschaften ihn manchmal in Schwierigkeiten brachten.
Tom sah mich an und grinste. „Weißt du noch, wie Flash einmal in die Sattelkammer eingebrochen ist und einen ganzen Eimer Getreide verputzt hat? Er hat eine unglaubliche Schweinerei in der Scheune angerichtet, und es hat ihn überhaupt nicht interessiert, dass seine schlammigen Hufabdrücke als Beweise am Tatort zurückblieben.“
„Ich dachte damals, er würde bestimmt krank werden!“, erwiderte ich.
Heute konnte ich darüber lachen, aber als Flash kurz nach diesem Vorfall über einen Baumstumpf gestolpert war, hatte ich befürchtet, seine Schlemmerei hätte zu Futterrehe geführt, einer Krankheit, die zu Lähmungen und sogar zum Tod führen kann. Doch glücklicherweise hatte Flash offenbar einen sehr resistenten Magen – abgesehen von Blähungen war er gesund geblieben.
Im Grunde genommen war Flash zwar offiziell „mein“ Esel, doch Tom war derjenige, den er anhimmelte. Tom hatte anfangs viel Zeit mit Flash verbracht, um ihm dabei zu helfen, seine Angst vor Menschen zu überwinden und uns zu vertrauen. Tag für Tag, oft vier Stunden am Stück, hatte Tom neben Flash auf der Weide gesessen. Zwischen den beiden bestand ein ganz besonderes Band, das Toms vollem Terminkalender und Flashs Neigung, in Schwierigkeiten zu geraten, standhielt.
Doch ganz abgesehen von den Verhandlungstricks – ich machte mir wirklich Sorgen um Flash. Esel sind von Natur aus sehr gesellig. Ohne die Gesellschaft eines anderen Tieres, vorzugsweise eines Esels oder Pferdes, gedeihen sie nicht so, wie sie sollten. Sie können deprimiert werden (tatsächlich ein Begriff aus der Tiermedizin), ihren Appetit oder das Interesse an ihrer Umgebung verlieren und krank werden. Einsame Esel können gelangweilt sein, sich destruktiv verhalten und an Zäunen, Scheunen und allem Möglichen knabbern. Flash hatte begonnen, all diese Symptome zu zeigen.
„Wir müssen unbedingt darüber reden“, sagte ich. „Ich glaube, Flash vermisst noch immer –“
„Ja, es wird schlimmer mit ihm“, unterbrach mich Tom. Er wollte es mir nicht schwer machen. „Er kann einfach nicht widerstehen und versucht, meine Seile und Verlängerungskabel kaputt zu machen. Er stellt sich mit den Hufen darauf und zieht dann mit seinen Zähnen daran. Ich kann nichts mehr draußen liegen lassen.“
Er sah mich an und zwinkerte mir zu. „Vielleicht sollten wir uns von ihm trennen.“
Schwätzer. Ich kniff ihm in den Arm (er gab keinen Laut von sich) und begann, mich über Eselgefährten schlauzumachen.
• • •
„Ich glaube, ich habe einen Kumpel für Flash gefunden“, schrieb mir Doc Darlin in einer privaten Facebook-Nachricht. Er hieß eigentlich David C. Duncan, aber im Concho Valley in Westtexas war er als „Doc Darlin“ bekannt. Der Name passte zu ihm. Er war ein Eselhirte, der in einer Auffangstation für Esel in San Angelo, Texas, arbeitete, wo ich ihn ein Jahr zuvor kennengelernt hatte, als ich auf der Suche nach Informationen zur Eselhaltung auf diese Ranch gestoßen war. Es handelt sich dabei um den Hauptsitz der „Peaceful Valley Donkey Rescue“, der größten Organisation dieser Art in den Vereinigten Staaten, die sich um die Pflege, Erziehung und Vermittlung von Tausenden Eseln kümmert.
Als ich an jenem Tag mein Auto geparkt hatte, war Doc gerade auf der Weide mit einem zotteligen braunen Esel beschäftigt gewesen. Offenbar versuchte er, ihm beizubringen, am Führstrick zu gehen. Der Esel wollte davon nichts wissen. Seine Hufe waren in den Boden gestemmt, und sein Kopf hing herunter. Er bewegte sich keinen Zentimeter. Doc ließ das Seil lockerer und beugte sich zu den Ohren des Esels. Er flüsterte ihm etwas zu, das ich nicht verstand. Der Esel hielt den Kopf hoch, schien einen Moment zu überlegen und ging dann wie von Doc verzaubert los. Ich war beeindruckt.
Mark, der Gründer der Organisation, stellte uns einander vor. „Doc ist unsere öffentliche Kontaktperson, Sie werden also in Zukunft mit ihm zu tun haben.“ Doc tippte kurz an die Krempe seines Cowboyhutes und lächelte unter seinem Schnurrbart. Ich mochte ihn sofort und begann, ihm Flashs Geschichte zu erzählen.
Doc war fasziniert davon, wie Flash scheinbar aus dem Nichts in mein Leben getreten war. Als ich ihm erzählte, unser Bezirkssheriff habe uns gesagt, Flash werde bei einer Versteigerung keine fünf Dollar erzielen, zog Doc eine Grimasse. Solche Geschichten hatte er schon Hunderte Male gehört.
„Flashs Abenteuer auf unserer kleinen Farm in Texas haben mich zu einem Buch inspiriert“, hatte ich schließlich erklärt.
„Na so was“, hatte Doc erfreut mit dem Kopf schüttelnd gesagt. „Das ist ja unglaublich!“
Nun starrte mich Docs Nachricht vom Computerbildschirm an. Es war die Antwort auf eine Anfrage, die ich einige Wochen zuvor an ihn geschickt hatte. In meiner E-Mail hatte ich ihn an Flash erinnert und erklärt, dass ich nach einem Gefährten für ihn suchte, vorzugsweise einen Zwergesel, der an andere Esel gewöhnt war. Ich brauchte einen Esel, der sich tagsüber mit Flash auf der Weide herumtreiben und ihn bei öffentlichen Events begleiten würde, damit er nicht zu nervös wäre. Zwar war Flash bisher noch nicht zu öffentlichen Events eingeladen worden, aber ich wollte mich auf diese Möglichkeit vorbereiten.
Den Hauptgrund, warum Flash einen Gefährten brauchte, verschwieg ich Doc allerdings. Ich konnte ihm nichts von Flashs Kummer – und von meinem eigenen – sagen, jedenfalls jetzt noch nicht.
Docs Nachricht ging so weiter: „Es ist ein Zwergesel, der mit einer Gruppe von zwanzig Streunern in Henderson County zusammengetrieben wurde. Der Sheriff hat ihn als ‚Nummer zehn‘ eingeloggt. Ich habe ein Foto beigefügt.“
Ein Blick auf den Streuner Henderson Nummer zehn mit dem süßen Babygesicht reichte: Ich war verloren. Er stand neben einem klassischen Esel und wirkte so winzig! Mit seiner Schulterhöhe von rund neunzig Zentimetern sah er klein genug aus, um in eine Reisetasche zu passen. Seine steife Mähne stand senkrecht in die Höhe, und seine dunklen Augen blickten direkt in mein Herz. Er war einfach perfekt!
Mit einigen weiteren Überredungsversuchen gelang es mir schließlich, Tom für die Sache zu erwärmen, und gemeinsam kümmerten wir uns darum, einen Pferdeanhänger vom Freund eines Freundes auszuborgen. Tom würde fahren; wir hofften, die zehnstündige Hin- und Rückfahrt an einem einzigen Tag zu bewältigen, und ohne ihn würde ich das nie schaffen. Der Anhänger war gigantisch – groß genug für zwei Zugpferde mitsamt Sattel- und Zaumzeug –, doch als der Tag kam, machten wir ihn an unserem Suburban mit einem Schulterzucken nach dem Motto „In der Not schmeckt jedes Brot“ fest.
Als wir in der Morgendämmerung über den Highway rumpelten, drehte ich den Kopf zu Tom und sagte: „Ich wünsche mir so sehr, dass dieser...