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E-Book

Wenn Kinder den Kontakt abbrechen

Hilfestellung und Strategien einer verlassenen Mutter

AutorAngelika Kindt
VerlagSüdwest
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783641053802
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Verlassen werden ohne Vorwarnung - ein tabuisiertes Thema
Angelika Kindt wurde von ihrer Tochter ohne Vorwarnung verlassen - warum, weiß sie bis heute nicht. Auf der Suche nach Antworten und Hilfe stellte sie fest, dass sie damit nicht allein ist. Das Phänomen 'Verlassene Eltern' zieht sich durch alle sozialen Schichten, wird von der Gesellschaft jedoch tabuisiert. Neben der Bewältigung ihrer Schuldgefühle, Ratlosigkeit und Trauer sehen sich die Betroffenen auch noch mit der Ablehnung und Ächtung durch die Umgebung konfrontiert. Anhand ihrer eigenen Geschichte sowie der Erfahrung anderer Betroffener schildert die Autorin den Prozess des 'Verlassenwerdens', die Warnhinweise und Abläufe. In Zusammenarbeit mit einer Psychologin werden Strategien und Handlungsvorschläge genannt, die betroffenen Eltern den Umgang mit ihrer schwierigen Situation erleichtern.

Angelika Kindt ist Coach und Dozentin und seit zwanzig Jahren als selbständige Beraterin für Unternehmen in der Wirtschaft sowie im Politikbereich tätig. Die Diplom-Politologin hat eine eigene Coaching-Praxis in München mit dem Schwerpunkt 'Frauen und Selbstmanagement'.

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Leseprobe

Meine Geschichte


Wir waren einmal eine Familie. Heute scheint mir diese Aussage nicht mehr stimmig, eigentlich müsste es heißen: Ich hatte einmal eine Familie. Und von einer großen Familie habe ich immer geträumt. Doch manche Träume lassen sich offenbar nicht erfüllen …

Meine Geschichte beginnt in einer kleinen Stadt in Niedersachsen. Schon früh verlor ich meinen Vater und übernahm alsbald Verantwortung für mein eigenes Leben. Ich machte nach der Mittleren Reife eine Ausbildung und mit 19 Jahren war ich verheiratet und hatte ein Kind, meinen Sohn Max.

Doch das konnte es noch nicht gewesen sein: Meine Ziele waren hoch, meine Träume bunt, mein Wille unendlich stark. Allen Widrigkeiten zum Trotz holte ich mein Abitur auf dem dritten Bildungsweg nach und hatte schließlich 1977 meine Hochschulzulassung in der Tasche – und meinen damals neunjährigen Sohn Max an der Hand. Ich war 28 Jahre alt.

Anders als die meisten meines Abiturjahrgangs wollte ich ein ordentliches Studium absolvieren und nicht »nur« Lehrerin werden. Wiederum mit Glück und Hartnäckigkeit bekam ich die Zulassung für die Freie Universität Berlin, um politische Wissenschaften am Otto-Suhr-Institut zu studieren. Für uns machte ich das Unmögliche möglich. Wir packten die Koffer und zogen um.

Berlin, Berlin


Damals gab es noch die DDR und die Transitautobahn nach Berlin. Damals war Berlin noch nicht Hauptstadt, sondern durch die Mauer geteilt. Diese Stadt war für mich etwas Besonderes, vor allem, wenn man – wie ich – politische Wissenschaften studieren wollte. In Berlin brodelte es, die Studenten waren aktiv. Da wollte ich hin, da wollte ich dabei sein. Zumal ich zuvor meine politischen Ambitionen in der Emanzipationsbewegung ausgelebt hatte. Die Freie Universität war Bestandteil von Westberlin und das Otto-Suhr-Institut, an dem ich studierte, wiederum Bestandteil der Freien Universität Berlin.

Eine kleine Wohnung in Berlin-Schöneberg wurde unser erstes Zuhause. Wir hatten nicht viel, aber wir hatten uns. Beim Umzug halfen uns Freunde, alles passte in einen kleinen Transporter. Ich ließ die Stadt meiner Kindheit hinter mir, wollte einen Schnitt machen mit der Vergangenheit – aber nicht mit meiner Familie. Mein Sohn und ich waren ein tolles Team, wir konnten uns immer aufeinander verlassen. Das war wichtig, denn in Berlin hatten wir ja niemanden, der uns hätte unterstützen können.

Um nach Berlin zu kommen, mussten wir immer durch die »Zone«. Das war sehr aufregend und zum Teil unangenehm, weil es nicht nur strenge Grenzkontrollen gab, sondern auch sehr rigide Geschwindigkeitsbegrenzungen. Man lief unterwegs immer Gefahr, angehalten und kontrolliert zu werden. Irgendwie hatte ich stets ein mulmiges Gefühl. Ach ja, unsere Katze zog natürlich auch mit in die Großstadt. Es kostete mich immer eine gewisse Überwindung, mit meinen Kindern durch diese Zone zu fahren, aber während ich in Berlin lebte und ab und zu Freunde oder Verwandte besuchen wollte, war es nun mal so.

1977


Unser Start in Berlin war gut und schlecht zugleich: Max war ein sehr selbstbewusster Junge. Auf alle meine Fragen hatte er eine Antwort, all meine Bedenken räumte er aus dem Weg.

An unserem dritten Tag in Berlin überraschte er mich mit seinem Wunsch, eislaufen zu gehen. Er schaute sich den U-Bahn-Plan an und fuhr los. Ich machte mir keine allzu großen Sorgen, doch als es schon bald darauf wieder an der Tür klingelte, war mir sofort klar, dass etwas passiert sein musste. Max kam zurück, weil er heftig gestürzt war und es ihm deswegen nicht gut ging. Ich suchte sofort eine Kinderärztin, die ihn untersuchte und versorgte. Die Ärztin stellte eine Gehirnerschütterung fest und ich erfuhr, dass die Ärztin eine Putzstelle zu vergeben hatte. Glück im Unglück, denn ich hatte überhaupt noch keine Zeit gehabt, mich um einen Job zu kümmern. Ich bekam ja nur BAföG und keinen Unterhalt für meinen Sohn.

Ich brauchte dringend Geld – also ging ich putzen. Jeden Morgen von fünf bis sieben Uhr eine Arztpraxis von 200 Quadratmetern. Das war anstrengend, aber gut, um Geld zu verdienen. Jeden Morgen, wenn ich von der Arbeit heimkam, brachte ich uns frische Brötchen mit, wir frühstückten gemeinsam, dann ging mein Sohn in die Schule und ich bald darauf zur Uni.

DAS STUDIUM BEGINNT


Mein Studium begann im Wintersemester. Für mich war das eine Riesenumstellung und in den ersten beiden Semestern wusste ich eigentlich gar nicht, worüber dort geredet wurde. Ich fand alles unglaublich aufregend. Doch ich kam mir wie ein Fremdkörper vor. Mittags nach den Seminaren oder Vorlesungen konnte ich ja nicht wie die anderen in die Mensa gehen und stundenlang diskutieren, hatte weder Zeit noch Geld, mir die Nächte um die Ohren zu schlagen oder irgendwo wilde Partys zu feiern. Ich hatte ja auch meine Mutterpflichten.

In dieser Zeit fühlte ich mich oft zerrissen und isoliert. Morgens putzen, dann nach Hause, Frühstück machen, dann in die Uni und schon wieder die Uhr im Blick: Wann kommt Max heute aus der Schule? Ich war ja immer hin- und hergerissen.

Max‘ Grundschule war zum Glück nicht so weit von unserer Wohnung entfernt, das machte es leichter. Doch wie schwierig es auch oft war, ich habe es hinbekommen, Studium und Muttersein unter einen Hut zu kriegen, sonst hätte ich ja heute nicht mein Diplom.

Von 1976 bis 1980 wurde an den Unis einiges geboten, es wurde viel diskutiert und protestiert. Klar war ich da auch mit dabei, zu den Protesten habe ich meinen Sohn einfach mitgenommen, vor allem wenn es um Themen ging, die mir wichtig waren. So etwas gehört zum Studium der Politikwissenschaften einfach mit dazu.

Es war die Ära von Bundeskanzler Helmut Schmidt. Die Angst vor der Atombombe ging um und die Anti-Atomkraft-Bewegung formierte sich. Das politische Klima war hart, der Kalte Krieg noch allgegenwärtig. Wir trugen lila Latzhosen und hörten Musik der Neuen Deutschen Welle. Wenn man schon politische Wissenschaften studierte, dann musste man auch an gesellschaftspolitischen Themen interessiert sein und Anteil nehmen. Wir diskutierten über die Einsparungen im Bildungssektor, aber auch über das Buch Das Drama des begabten Kindes.

Mit der Zeit lernte ich trotz der relativ wenigen Zeit, die ich mit anderen verbrachte, doch ein paar Leute kennen. Unter anderem eine jüngere Kommilitonin, die sich auch gut mit Max verstand. Und so waren wir ein sehr witziges Dreier-Team.

STEFAN


Ich studierte also fröhlich vor mich hin und hatte sogar mit meinen ersten Studienarbeiten, die ich abgeben musste, guten Erfolg. Ich fühlte mich nicht mehr so fremd und kannte immer mehr Leute, sodass ich mich entschloss, nochmals umzuziehen. Diesmal in eine Wohngemeinschaft in der Innenstadt, nur zehn Minuten vom Kaufhaus des Westens entfernt.

Das sparte Geld und Zeit. Ich wohnte näher bei der Arztpraxis, die ich putzte, und die zwei WG-Zimmer kosteten weniger als eine Wohnung für uns beide allein. Und es war natürlich auch besser, um unter Leute zu kommen. Unser neues Zuhause war eine wunderschöne Altbauwohnung, die sich von nun an vier Frauen und ein kleiner Junge teilten. Es war eine sehr schöne Zeit und in der WG lernte ich natürlich zwangsläufig viele Menschen kennen. Auch Stefan bin ich dort zum ersten Mal begegnet.

DER REVOLUTIONÄR ERHÖRT MICH


Anfang 1978 fiel er mir auf. Er sah aus wie Che Guevara, dunkelhaarig und ein bisschen verwegen. Stefan war ein flammender Redner und beeindruckte mich auch, weil er so mutig seine politische Position vertrat. Ein Superheld – aber einige Jahre jünger als ich. Nie hätte ich mir auch nur die leiseste Chance bei ihm ausgerechnet, aber dann führte uns der Zufall zueinander.

Im Sommersemester 1978 saß ich in einem Seminar neben ihm und konnte es gar nicht fassen, dass er mich anschaute, mich zur Kenntnis nahm. Ja, mehr noch: Er ließ sich zu mir herab, sprach mit mir, wir verabredeten uns und unternahmen auch etwas zusammen. Wir verliebten uns. Die folgenden Monate waren unglaublich schön – und auch der große Altersunterschied spielte keine Rolle.

Und wir sprachen über gemeinsame Kinder. Ich ging ja nun schon auf die 30 zu, da galt es keine Zeit zu verlieren. Wie sich doch alles in den letzten 30 Jahren verändert hat: Damals galt es schon fast als ungehörig, wenn man mit 30 noch ein Kind haben wollte, heute sind nur Mütter über 50 noch eine echte Ausnahme. Wir hatten jedenfalls diesen Kinderwunsch im Kopf. Das hat mich sehr gefreut – und glücklich gemacht.

Prompt wurde ich schwanger.

WIR BEKOMMEN EIN KIND


Kurz vor Weihnachten 1978 war es offiziell: Wir bekommen ein Kind! Und wir freuten uns sehr.

Natürlich waren nicht alle so begeistert davon: Als Erstes flogen Max und ich aus der Frauen-WG raus. Gemeinsam mit Stefan ging es dann auf Wohnungssuche. Eine neue, gemeinsame Wohnung fanden wir im Berliner Süden. Max ging damals bereits auf eine Ganztagsschule, deswegen war der Umzug für ihn keine so große Umstellung. Er war den ganzen Tag in der Schule und mit seinen Freunden zusammen. An das neue Familienleben allerdings mussten sich »meine Männer« erst einmal gewöhnen. Stefan und Max waren ständig in irgendwelche Kleinkriege verwickelt. Das war anstrengend für mich, auch wenn ich zugeben muss, dass Stefan sich als »Ersatz-Papa« ganz gut machte. Max bekam schließlich noch eine zweite Katze und damit kehrte erst einmal Frieden ein.

Stefan war vom ersten Tag der Schwangerschaft an sehr besorgt um mich. Er hatte ja keine Erfahrungen mit dem Vaterwerden und war dementsprechend unsicher....

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