Vorwort von Ralf Giesen
Das vorliegende Buch ist ein Lesebuch der ganz besonderen Art. Es versteht sich weder als Sachbuch oder Ratgeber noch als Anleitung für die Methode The Work , durch die die Autorin Byron Katie weltweit bekannt wurde. Vielmehr versammelt es Aussagen, Kommentare und Reflexionen, die vor allem eines gemeinsam haben: Sie werfen ein warmes, helles und manchmal sogar grelles Licht auf den menschlichen Verstand und unsere Denkgewohnheiten.
Mit entwaffnender Klarheit spricht Byron Katie über all die Bereiche, die wir gern als die großen Themen des Lebens bezeichnen: Liebe, Beziehungen, Familie, Beruf, Krankheit, Tod, Geld und den Wunsch nach Selbstverwirklichung. Die hier zusammengestellten kurzen Sequenzen stammen größtenteils aus Veranstaltungen, bei denen Byron Katie Teilnehmerinnen und Teilnehmer in ihren The-Work -Prozessen begleitet hat. Für mich sind sie Inspirationen und Denkanstöße, die die eigenen Erfahrungen mit The Work unterstützen und bereichern können. Schon oft hat die Beschäftigung mit einzelnen Zitaten meine Sicht auf die Welt grundlegend verändert oder erweitert.
Byron Katie ermutigt uns mit The Work , etwas Heilendes ans Licht kommen zu lassen, von dessen Existenz wir zwar tief in unserem Inneren wissen, zu dem wir manchmal jedoch (noch) keinen Zugang haben. Zum Beispiel, dass uns niemand auf der Welt verletzen kann – außer wir selbst. Dass wir weder Angst noch Druck brauchen, um unserem Leben eine Richtung oder ein Ziel zu geben. Dass niemand außer uns selbst uns dazu zwingt, etwas zu tun, was wir nicht tun möchten – sei es zur Arbeit zu gehen, in einer destruktiven Beziehung zu bleiben, an einem bestimmten Ort zu leben oder auch nur etwas zu essen, was uns eigentlich nicht schmeckt. The Work macht uns in unendlich vielen Varianten klar, dass das Einzige, was uns davon abhält, glücklich zu sein, ein Gedanke ist, der im Widerspruch zur Wirklichkeit steht.
Nicht immer erschließt sich die tiefere Bedeutung der Aussagen in diesem Buch beim ersten Lesen. Und manchmal mögen sie sogar so radikal erscheinen, dass sie großen inneren Widerstand wecken. Wie kann Byron Katie behaupten, die Realität sei perfekt, wenn es gleichzeitig Gewalt, Kriege und Umweltzerstörung gibt? – So lautet eine häufig gestellte Frage von Menschen, die The Work zum ersten Mal begegnen. Wenn es darum geht, zu »lieben, was ist«, wie Byron Katie es formuliert, bedeutet das dann: Hungersnöte, Kriege oder Ungerechtigkeit sind mir egal?
Tatsächlich geht es Byron Katie keineswegs um eine Haltung der Gleichgültigkeit gegenüber anderen. The Work ist eine Einladung, unseren inneren Widerständen so tief wie möglich auf den Grund zu gehen und uns (wieder) mit den Menschen zu verbinden, gegenüber denen wir Ärger, Trauer, Groll oder Verachtung gespürt haben. The Work lädt uns ein, bei uns selbst anzufangen, wenn wir uns eine friedlichere Welt wünschen.
Es gehört zu den intensivsten Momenten meines Lebens, meine eigenen Glaubenssätze zu Ungerechtigkeit, Gewalt, Krieg und Tod zu hinterfragen oder andere dabei zu begleiten. Und diese Prozesse (mit) zu erleben, ist in meinen Augen so viel interessanter und fruchtbarer als darüber zu diskutieren. Solltest du in diesem Buch also auf Aussagen stoßen, die Empörung, Ärger, Unverständnis oder andere stressvolle Gefühle in dir auslösen, kann ich dir aus eigener Erfahrung empfehlen, deine Gedanken dazu gleich aufs Papier zu bringen. Sie bilden großartiges Material, mit dem du deine eigenen Erfahrungen machen kannst.
Der oben beschriebene Einwand streift noch eine weitere Befürchtung, die Menschen hegen, wenn sie The Work kennen lernen: nämlich, dass sie passiv werden und keinen Antrieb mehr haben, etwas zu bewegen, wenn sie mit allem einverstanden sind, was in der Welt passiert. Hinter dieser Befürchtung steht die Überzeugung, dass stressvolle Gedanken uns dabei unterstützen, aktiv zu werden. Deshalb halten wir es manchmal für richtig, an ihnen festzuhalten.
Meine eigene Erfahrung und die vieler anderer Anwender von The Work ist vielmehr, dass Menschen handlungsfähiger werden, je weniger Stress sie innerlich erleben. Innerer Frieden eröffnet aus meiner Sicht neue Möglichkeiten und führt dazu, dass wir unsere Kraft und Energie ganz selbstverständlich dort einsetzen, wo es uns sinnvoll und hilfreich erscheint. Das beste Beispiel für dieses Phänomen ist Byron Katie selbst. Sie bezeichnet sich nicht als »Erfinderin« der Methode, sondern betrachtet The Work als Geschenk, das sie empfangen hat. Durch dieses Geschenk hat sie ihre eigene Selbstliebe und Lebensfreude wiedergefunden. Anstatt nun mit friedlichem Geist zu Hause auf dem Sofa zu sitzen, gibt sie das Geschenk unermüdlich weiter und hilft anderen Menschen dabei, »zur Realität zu erwachen« und ihre eigene innere Wahrheit kennenzulernen. Sie scheut seit nunmehr 25 Jahren keine noch so weite Reise, wenn sich irgendwo auf der Welt einige Menschen zusammengefunden haben, die mehr über The Work erfahren möchten.
Wir brauchen also keinen inneren Widerstand, um aktiv zu werden oder empathisch zu sein. Nützlich sind stressvolle Überzeugungen aber insofern, als sie Teil eines natürlichen, »selbstregulierenden« Systems sind: Ein stressvoller Gedanke, den ich für wahr halte, löst unangenehme Gefühle aus. Diese Gefühle machen mich darauf aufmerksam, dass ich etwas übersehe, dass ich einen Teil des großen Bildes ausblende. Unsere innere Weisheit ist in der Lage, das große Bild zu sehen, aber der Verstand, der Recht behalten möchte, fokussiert sich auf einen kleinen Ausschnitt der Realität. Sobald wir feststellen, dass wir – wieder einmal – in einer solchen Situation angekommen sind (die sich nicht gut anfühlt), haben wir mit The Work die Möglichkeit, hinter die Kulissen unserer Denkgewohnheiten zu schauen. Indem wir die Stress auslösende Überzeugung genauer untersuchen, wird der Lichtkegel größer und erlaubt uns, Aspekte der Realität zu erkennen, die wir vorher nicht gesehen haben. Und je klarer wir sehen können, was ist, desto weiter wird meist auch unser Handlungsspielraum.
Vor diesem Hintergrund ist The Work also keineswegs eine Bremse für soziales, ökologisches oder politisches Engagement, sondern sogar selbst ein Beitrag zu einer friedlicheren Welt. Krieg entsteht, weil Menschen ihren stressvollen Überzeugungen glauben. Frieden ist die Folge eines klaren, weisen Verstandes. Wie sollte ich nach außen friedlich leben, wenn ich innen im Kriegszustand bin? Und andersherum: Wie könnte ich nach außen Krieg führen wollen, wenn ich innerlich friedlich bin? In dem Moment, in dem ich verstanden habe, dass jeder Krieg, den ich nach außen führe – sei es mit Nachbarn, Kollegen, Kindern, Eltern, der Partnerin oder dem Partner –, immer ein Krieg gegen mich selbst ist, den ich zwangsläufig verlieren werde, hat das Kriegführen jeden Sinn verloren.
Durch The Work wurde mir klar, dass mein Beitrag zum Frieden in der Welt darin besteht, mich um meinen eigenen inneren Frieden zu kümmern. In einem friedlichen Zustand sehe ich meinen eigenen Einflussbereich viel deutlicher als in einem Zustand innerer Verwirrung. Und sobald ich meine Aufgabe darin erkannt habe, kann ich sie aus vollem Herzen und mit ganzer Kraft angehen.
Für die meisten Menschen steht diese große Idee vom Weltfrieden aber gar nicht im Vordergrund, wenn sie erste Erfahrungen mit The Work machen, und das ist auch nicht wichtig. Sie finden ihren Zugang meist über ein Problem, das sie gerade belastet, und sie stellen dann oft fest, wie viel besser es ihnen geht, nachdem sie ihre stressvollen Gedanken über einen anderen Menschen in einer bestimmten Situation zu Papier gebracht und auf ihren Wahrheitsgehalt hin untersucht haben.
Bei mir war das ähnlich: Die Kraft von The Work erlebte ich das erste Mal auf Ibiza am Strand. Ich hatte mir mit meinen stressvollen Gedanken über meinen damaligen Partner schon einen Großteil meines Urlaubs verdorben. Ein Trainer-Kollege, der gerade von einem Seminar mit Byron Katie kam, ließ mich zunächst das Arbeitsblatt »Urteile über deinen Nächsten« ausfüllen und begleitete mich anschließend bei der Untersuchung der Aussagen auf dem Arbeitsblatt. Dieser Prozess war wie eine Offenbarung für mich. Die Sicht auf meine Probleme mit meinem Partner änderte sich schlagartig, das »Problem« hatte sich in kürzester Zeit in Luft aufgelöst und ward nicht mehr gesehen. Kein Wunder, dass ich sofort mehr über The Work wissen und lernen wollte.
Als ich dann mehr Übung darin bekam, meine stressvollen Gedanken zu identifizieren, und sie mit The...