1 Auf Schmusekurs
Vorurteil über Bord!
Weronikas und Tobis Geschichte hat mich umgehauen. Sie zeigt, wie unbeschwert und romantisch deutsch-polnische Flirts heute ablaufen können. Das ist ja meilenweit entfernt vom uralten Bauer-sucht-Frau-Klischee, das vielerorts noch durch die Köpfe spukt!
Doch Klischees sind zäh, und nach wie vor gilt, dass die Deutschen über kein anderes Land so fiese Witzchen erzählen wie über Polen. Auch die Polen ersparen den Deutschen kaum eine deftige Pointe. Und trotzdem gibt es Hunderttausende deutsch-polnischer Ehen und Partnerschaften.[2] Polnische Frauen waren lange Zeit die beliebtesten ausländischen Ehepartnerinnen deutscher Männer und wurden erst vor wenigen Jahren von Türkinnen auf Platz zwei verdrängt.
Was zieht gewisse Menschen hüben und drüben so stark zueinander hin, dass sie alle Vorurteile über Bord werfen und sich nicht einmal von der politischen Konjunktur abschrecken lassen, die derzeit schlecht ist? Und wie viele dieser Ehen und Partnerschaften scheitern? Ach ja – und warum sind es weit mehr Verbindungen polnischer Frauen mit deutschen Männern als deutscher Frauen mit polnischen Männern?
Das sind komplizierte Fragen, und deshalb möchte ich doch wenigstens kurz erklären, mit welcher Methode ich mich, trotz Ermangelung eines Doktortitels und ohne eigenen Think Tank, an sie herantasten will.
Zum einen kann ich, wie gesagt, auf die Erfahrungen aus zwei langjährigen Beziehungen mit polnischen Frauen zurückgreifen.
Zum anderen hatte ich zeitgleich noch drei andere Ehefrauen, nämlich während meiner fünfjährigen TV-Karriere als Kartoffelbauer Stefan Müller. In der polnischen Fernsehserie »M jak Miłość« (L wie Liebe), die bis zum heutigen Tag läuft, war ich zwar alles andere als ein Frauenversteher, eher ein schwer gehemmter Pechvogel, doch irgendwie gelang es meinem Alter Ego, sich trotz hartem deutschem Akzent in die Herzen von gleich drei TV-Dorfbewohnerinnen (hintereinander) zu daddeln. Ja, es kam so weit, dass der arme Stefan Müller die höchsten Beliebtheitswerte von allen Schauspielern der Serie erzielte und reale Schwiegermütter mir bunte Bonbonkartons, beklebte Streichholzschachteln und Fotos ihrer ledigen Töchter schickten. Von diesen strahlenden Erfolgen werde ich, im Unterschied zu meinem uninteressanten Privatleben, gerne und ausführlich berichten. Waren die Erfolge ausschließlich auf mein überragendes Schauspieltalent zurückzuführen? Nein, sie hatten wohl auch ein bisschen mit den Tricks der Drehbuchautoren zu tun. Diese trieben ein im positiven Sinn abgekartetes Spiel mit den Klischees, die sich in Polen um Deutsche ranken. Hier verbirgt sich eine kluge Strategie, der ich selbst erst ganz allmählich auf die Spur gekommen bin.
Das harte Los der Ehemänner
2006 brachte ich in Polen ein Buch heraus, das sich um die Kulturschocks eines Deutschen in Polen drehte. Anderthalb Jahre später erschien die deutsche Ausgabe unter dem Titel »Viva Polonia« und verkaufte sich wesentlich besser als die polnische. Woran lag das? Ich wusste es nicht, nahm aber gerne die zahlreichen Einladungen an, die aus Deutschland eintrudelten. Nach vierzehn Jahren polnischer Emigration kehrte ich teilzeitmäßig ins Vaterland zurück und mietete mir sogar eine kleine Wohnung in Berlin, um all die Auftritte zwischen Kiel und Memmingen zu bewältigen. Und irgendwann entdeckte ich die Ursachen für den Verkaufserfolg: Deutschland wimmelte von deutsch-polnischen Paaren, die nach Ratschlägen bezüglich gegenseitiger Kulturschocks suchten! Sie hatten sich während eines Erasmus-Stipendiums, auf einem digitalen Partnerportal oder auch einfach bei C & A in Sindelfingen kennengelernt und saßen nun vor mir, Hand in Hand oder auch mit verschränkten Armen. Häufig kamen sie nach den Veranstaltungen zu mir, um sich ihr Buchexemplar signieren zu lassen. Manchmal passierte es allerdings auch, dass nur eine Polin erschien, während ihr deutscher Gefährte sich fünf, sechs Meter abseits hielt. Warum mied er mich? Regelrecht peinlich wurde die Sache, wenn seine Frau zu ihm hinüberrief: »Uwek, kannst du mal kommen und ein Foto von uns machen?« So mancher Uwe grummelte dann »kein Speicherplatz mehr« und verließ das Theater. Eines Tages begriff ich endlich, was da los war. Ein gewisser Axel, seit Jahren mit einer Polin verheiratet, schrieb mir:
»Das erste Mal habe ich Sie im polnischen Fernsehen so um 2002 gesehen. Mit weitreichenden Folgen, wie zum Beispiel der gefühlten Herabsetzung meiner Person in den Augen meiner Schwiegermutter um 75 Prozent (weil Sie so gut Polnisch sprachen und ich nicht ganz so gut). Ich war so down, dass ich mich mit der Frage zu beschäftigen begann: Braucht man fürs kanadische Nord-West-Territorium ein Einreisevisum?«
Ach so, jetzt wurde mir einiges klarer. Deswegen an dieser Stelle eine herzliche Entschuldigung an alle Ehemänner, denen ich als Vorbild vorgehalten wurde! Es handelt sich durchweg um sympathische, gutaussehende Landsleute, die vor ihrer Eheschließung mit einer Polin schlichtweg nicht wussten, worauf sie sich einlassen. Seither müssen sie Polnisch lernen und ihre Gattin zweimal pro Jahr nach Polen begleiten, an Weihnachten und Ostern. Dort sitzen sie dann, mit einer schweren Kette an den Küchentisch gefesselt, und verstehen kein Wort, wenn die Schwiegermutter alle dreißig Minuten fragt: »No co, kochanie, jesteś jeszcze głodny?« Sie nicken nur höflich – und bekommen prompt die sechste Kelle Bigos auf den Teller geklatscht. Drei Tage lang geht das so, jeder Tag bedeutet ein zusätzliches Kilo auf der Waage. Und wehe, sie versuchen irgendwelche Tricks: »Äh, sorry, ich muss mal kurz eine rauchen.« Sofort sagt die Schwiegermutter in scharfem Ton zu ihrer Tochter: »Was ist denn mit deinem Mann los? Seit wann raucht der denn? Mag er uns nicht? Hat er was gegen Polen?« Die Tochter übersetzt es ihrem Mann – und der sinkt seufzend wieder hinter den Tisch zurück. Schon der Opa war ja damals in Polen, und da möchte der Enkel wirklich nicht noch einmal Ärger machen!
Doch nicht nur langjährige Ehemänner schrieben mir, sondern auch solche, die es erst noch werden wollen. Ein anonymes Beispiel:
»Hallo, zunächst zu meiner Person: Ich komme aus Saarbrücken, bin 42 Jahre alt, und mit Polen verbindet mich rein gar nichts. Ich bin in Göttingen zufällig in Ihre Show gestolpert, weil ich im Hotel neben dem Theater übernachtet habe. Ich war beeindruckt von den Fotos Ihrer drei TV-Ehefrauen. Wo lerne ich solche Frauen kennen? Eine würde mir schon genügen.«
Komischerweise brachten mich solche Anfragen aber noch nicht auf die Idee, ein Buch über die Liebe zwischen Deutschen und Polen zu machen. Stattdessen schrieb ich zunächst einige andere Bücher, zuletzt über meine Warschauer Wahlheimat. Erst als ich eine überraschende Mail meiner alten Freundin Kasia erhielt, dämmerte mir langsam, dass da irgendwo in der Welt eine riesige Marktlücke klaffte. Kasia teilte mir mit, dass sie inzwischen einen Deutschen geheiratet habe, von Warschau nach München gezogen sei und dort ein Internet-Partnerportal betreibe. Als ich sie nach interessanten Fällen fragte, schlug sie mir kurzerhand vor, ein Treffen mit einigen polnischen Freundinnen zu organisieren, die mit deutschen Männern liiert sind. Ich stimmte begeistert zu, und einige Zeit später fand dieses Treffen in einer Münchner Kneipe statt, die natürlich auch einer Polin gehörte. Es erschienen mehr als vierzig Frauen. Ich war der einzige Mann im Saal, abgesehen vom deutschen Ehemann der Wirtin, der mir gelegentlich aus der Küche zuwinkte. Die Diskussion war umwerfend offen, kein Thema wurde ausgespart, das Protokoll umfasst acht Seiten, und ich werde im weiteren Verlauf des Buches immer wieder daraus zitieren.
Vier Wochen später kam es, wiederum dank Kasia, zum umgekehrten Treffen. Diesmal erschienen zwar nur acht deutsche Ehemänner polnischer Frauen, aber das Protokoll des Treffens wurde sogar noch länger. Die Herren erwiesen sich als mindestens genauso mitteilungsbedürftig wie ihre Partnerinnen, sodass ich nach vier Stunden erschöpft abbrechen musste und den Vorschlag machte, eine Münchner Selbsthilfegruppe zu gründen. Ob sie wirklich ins Leben gerufen wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Falls weitere Ortsgruppen in Planung sind, komme ich gerne zur Gründungsversammlung.
Am Ende eines langen Diskussionsabends – 42 Polinnen und ich
(im Bild sind 35 von ihnen zu sehen)
Faktenhunger
Nun hätte eigentlich die Arbeit beginnen können. Ich besaß bereits ziemlich viel Material. Doch in einem Anfall von empirischem Faktenhunger postete ich noch eine Umfrage auf meiner Facebook-Seite. Sie enthielt fünf Fragen, in denen ich deutsche und polnische Partner um ihre Erfahrungen bat. Das Echo war überwältigend. Es hagelte Antworten. Zunächst waren sie noch in einem äußerst handzahmen Stil gehalten, geradezu streberhaft brav. Da konnte man um ein Haar den Eindruck gewinnen, dass alle deutsch-polnischen Partnerschaften in Glückshormonen baden und von magischer Liebe erfüllt unaufhaltsam auf die Goldene Hochzeit zusteuern. Doch ich hatte keineswegs vor, eine reine Wohlfühlbroschüre zu verfassen. Deshalb postete ich auf Facebook gleich noch eine Mahnung: Man solle mir bitte schön kritischere Berichte schicken, denn das Publikum lese nun mal lieber über Hass, Mord und Drama.
Am Ende eines noch längeren Diskussionsabends – acht deutsche Ehemänner und ich
Von nun an wurden die Zuschriften interessanter. Einige streiften die Tragödie. Bei der Lektüre musste ich manches Mal heftig...