Einleitung
Dieses Buch ist zu einem sehr spezifischen Zeitpunkt entstanden. Große Teile habe ich in den Monaten geschrieben, die dem verheerenden Tsunami vom 26. Dezember 2004 voraus- und nachgingen. Und einiges davon in Sri Lanka, einem der am meisten vom Tsunami betroffenen Länder. Dies blieb nicht ohne Folgen. Jahrelang hatte ich mich wissenschaftlich und praktisch mit Fragen der Kommunikation und der Ökologie beschäftigt. Doch ich hatte geplant, ein Buch zu schreiben, das sich ausschließlich auf den kommunikativen Aspekt von Wertschätzung konzentrieren sollte. Ich wollte die Erfahrungen aus vielen Seminaren, Vorträgen und Einzelgesprächen mit Klienten und Klientinnen aus der Wirtschaft und dem Bereich des Sozialen weitergeben. Mein Ziel war es herauszuarbeiten, dass Wertschätzung uns selbst und unseren Mitmenschen gegenüber eine heilende Kraft besitzt, die wir heute mehr denn je benötigen.
Die Flutkatastrophe vom Dezember 2004 brachte mir jedoch drastisch in Erinnerung, dass es nicht allein um die Kommunikation mit uns selbst und mit unserer sozialen Mitwelt geht. Die Kommunikation mit der natürlichen Mitwelt fordert die gleiche Aufmerksamkeit. Auch ihr gegenüber geht es um eine Haltung der Wertschätzung, die wir bislang – trotz mancher Bemühungen – vernachlässigen. Ich sah mich daher gezwungen, den ökologischen Aspekt meines Themas mit einzubinden.
So entstand nicht nur ein Buch, sondern noch ein zweites. Das erste halten Sie in Händen, es trägt den Titel Wertschätzung. Eine Kultur der Begegnung. Das zweite, das im Herbst 2006 folgen wird, trägt den Titel Wertschätzung in der Praxis. Beide Bücher spiegeln den Wechsel meiner Perspektive wider. In beiden geht es um die Erkenntnis, dass sich Wertschätzung nicht einfach beschränken lässt. Wertschätzung ist letztlich eine Kraft des Herzens, die den Frieden mit der inneren und äußeren Natur stärkt. Frieden mit unserer inneren Natur heißt, zu akzeptieren, dass wir Bürger zweier Welten sind, der geistigen und der materiellen.1 Als Geist haben wir uns verkörpert und entwickeln ein Bewusstsein unserer selbst, woher wir kommen, wer wir sind und wohin wir gehen. Als Körper stehen wir im Leben, erproben uns, machen Erfahrungen, gehen durch Freud und Leid, schaffen uns Organisationen und Institutionen. Wir sind Materie und wir schaffen uns Materie.
Frieden mit der inneren Natur schließen heißt, sich darauf zu besinnen, dass ein erfülltes Leben nicht durch materiellen Reichtum, Ausbeutung der Natur und Anhäufung von Besitz möglich wird. Frieden mit der inneren Natur schließen heißt, Ja zu sagen zu meiner geistigen Existenz: Ich weiß um die Endlichkeit meines Körpers und darum, dass ich mich vor dem zu verantworten habe, was mich geschaffen hat. Frieden mit der inneren Natur schließen heißt auch, sich der inneren Weisheit und Führung unterzuordnen, dem ›Gott in mir‹, und aus dieser Kraft Orientierung zu finden. Eine Wertschätzung dessen, wer ich bin, macht mich frei, auch anderen wertschätzend zu begegnen.
Doch diese anderen sind nicht nur Menschen in all ihrer Fremdheit und Unverständlichkeit. Es ist auch die Natur, die uns trägt, nährt und von der wir ein Teil sind. »Macht euch die Erde untertan« ist die Botschaft der Bibel an das Christentum. Die Schattenseiten dieses Projektes können wir heute erleben. Die Natur ist schöpferisch, sie ist eigenmächtig. Doch sie wurde vom Menschen zum Objekt degradiert, mit dem man meint, beliebig umgehen zu können. Atombombentests unter Wasser und unter der Erde, Verschmutzung der Meere und der Atmosphäre, Belastung der Wasserkreisläufe, Versteppung und Verödung sind menschengemacht und fügen der Erde Leid zu. In früheren Zeiten war es auch in unseren Breitengraden noch üblich, die Erde als ein lebendes Wesen anzusehen, als Gaia. In anderen Kulturen hat sich diese Vorstellung bis heute erhalten. Das Lebewesen Erde, Gaia, ist das Opfer unserer Handlungen. Doch es ist ein Irrtum anzunehmen, sie sei schwach. Ganz im Gegenteil. Sie ist machtvoll, doch duldsam. Wenn der Mensch wider die Ordnung der Natur handelt, reagiert sie jedoch. Sie reagiert so, ›wie es ihre Natur ist‹.
Genauso ist es mit unserem Körper. Wenn wir unseren Körper missachten, misshandeln, ihn ausbeuten und schinden, dann ist er, der unser bester Freund ist, lange Zeit geduldig. Doch irgendwann wehrt er sich, zeigt, dass er nicht alles mit sich machen lässt: er wird krank, seine Leistungsfähigkeit nimmt ab. Die Art, wie wir mit unserem Körper umgehen, schlägt auf die Stimmung und das Gemüt. Die Lebensplanung und der Lebensvollzug geraten aus dem Takt und aus der Balance. Ganz ähnlich ist es mit dem Körper Erde, der uns alle trägt und nährt: Er hält viel aus, doch irgendwann ist der Punkt gekommen, wo dieser Körper, der für unser Überleben verantwortlich ist, uns zeigt, dass wir die göttliche Ordnung, ohne die im Kosmos nichts existieren kann, missachtet haben und es einer grundlegenden Korrektur in unserer Einstellung und in unserem Verhalten bedarf.
Wie wir mit dem Körper Erde umgehen, ist nicht mehr als ein Spiegel dessen, wie wir mit dem menschlichen Körper umgehen: Statt ihn in seinem natürlichen Wirken zu unterstützen, greift die Schulmedizin immer stärker in das Gewebe des Lebens ein – mit Pillen aller Art, mit dem chirurgischen Messer, das viel zu schnell eingesetzt wird. Der Körper wird zurechtgebogen, zurechtgestutzt, schönheitschirurgisch zurechtgeschnitten. In den reichen Ländern werden Menschen angehalten, ihren Körperrhythmen keine Beachtung zu schenken. Die wissenschaftliche Betriebsführung sorgt hier für eine beispiellose Intensivierung der Arbeit. Einige der direkten oder indirekten Folgen auf der Körperebene sind unübersehbar: Stress, Magersucht und Fettleibigkeit greifen um sich, grundlegende Weisen der körperlich-seelisch-geistigen Selbstregulierung werden außer Kraft gesetzt. In den armen Ländern hingegen herrschen Unterbeschäftigung (weit stärker als bei uns), Hunger, miserable hygienische Verhältnisse, und es gibt eine dramatische Verschmutzung der Ressourcen von Wasser, Boden und Luft dort, wo sich die Menschen in den urbanen Zentren ballen. Statt die Schönheit der Natur zu würdigen und mit ihr zu kooperieren, herrscht tiefster Unfrieden zwischen Mensch und Natur.
Und noch einen dritten Körper gilt es zu erwähnen: den sozialen Körper. So wenig wertschätzend, wie wir mit uns selbst und unserer natürlichen Mitwelt umgehen, so wenig wertschätzend verhalten wir uns vom Grundsatz her gegenüber unserer sozialen Mitwelt. Auch dies ist ein Körper. Es ist der Beziehungskörper, der durch die Art und Weise entsteht, wie wir unseren Mitmenschen begegnen. Ein solcher Beziehungskörper lässt sich beschädigen. Wenn ein Paar beginnt, negativ übereinander zu reden, so wird der Beziehungskörper beschädigt; es ist fraglich, wie lange dies gut gehen kann. Wenn soziale Gruppen, Organisationen und Institutionen, Länder und Kulturen entwertend übereinander kommunizieren, leidet der Beziehungskörper. Unfrieden wird befördert. Kampf der Kulturen, Terrorismus, Angst sind die Folgen.
Es gibt das Gesetz des Spiegels. Auf der materiellen Ebene zeigt sich, was sich auf der geistigen Ebene abspielt. Unsere Körper drücken aus, wie wir mit uns umgehen: Unser eigener Körper drückt aus, wie wir mit uns selbst umgehen, unser sozialer Beziehungskörper drückt aus, wie wir mit unserer sozialen Mitwelt umgehen, und der Körper Erde drückt aus, wie wir mit der Natur und ihrer Schöpferkraft umgehen.
Sorgfalt gegenüber Körper und Materie war in allen alten Kulturen Aufgabe der Frauen. Mit der Fähigkeit zu gebären, Menschen großzuziehen und sie im Sterben zu begleiten, haben Frauen die Sorgfalt gelebt, die wir der Materie entgegenbringen müssen. Dieses weibliche Wissen um den achtsamen Umgang mit dem Körper, der wir sind, ist seit Jahrhunderten immer stärker marginalisiert worden. Materie wird in unseren industrialisierten Ländern nicht mehr als beseelt erlebt. Der Leib, wie es früher hieß, ist der beseelte Körper. Er wurde in unserer Vorstellung auf den Körper reduziert. Doch der lateinische Begriff Corpus meint letztlich den toten Körper.2 Ebenso wurde in unserer Vorstellung Gaia, die beseelte Erde, auf tote Materie reduziert, die man beliebig ausbeuten kann. Dasselbe Denken erstreckt sich inzwischen auf die Welt der Tiere, die ihrer Seele beraubt, als Stück Vieh für den Fleischkonsum gezählt und vermarktet werden. Tote Materie ist gefügig. Sie lässt sich instrumentell für menschliche Ziele und Zwecke gebrauchen und missbrauchen. Auch die Welt der Pflanzen, die uns unermüdlich Sauerstoff, Schatten, Schönheit und Nahrung schenken, verwandelt sich im Zuge der industrialisierten Nahrungsverarbeitung und der Genmanipulation unversehens. Ihr Nährwert nimmt dramatisch ab, Lebensmittel werden zum Teil zu Krankheitserregern. Frieden schafft all dies nicht. Man kann es auch als einen Krieg bezeichnen, den wir auf vielen Ebenen führen. Er ist Ausdruck tiefsten Unfriedens im Verhältnis des Menschen zu sich, seiner menschlichen und seiner natürlichen Mitwelt.
Was uns heute zu fehlen scheint, sind Fähigkeiten und Haltungen, die traditionell stärker in der Psyche der Frau verankert sind als in der des Mannes. Männer erlernen eher einen instrumentellen Umgang mit sich und anderen. Sie sind ausgerichtet auf ›Tun‹ und ›Machen‹. Frauen sind demgegenüber durch ihre natürliche Ausstattung und Sozialisation stärker auf andere Fähigkeiten hin angelegt: das Gewähren, Zulassen, Annehmen und die Begleitung von Werden, Wachsen und Vergehen. Diese Fähigkeiten sind nicht...