Trotz der Tatsache, dass der Würdigung einer unlauteren Handlung immer eine Einzelfallbetrachtung unterliegt, entwickelten sich im Lauf der Rechtsprechung doch konkrete Fallgruppen, welche die Abwerbung materiell inhaltsreicher konkretisieren, jedoch noch abstrakt genug sind, um für die Wettbewerbsausübung geeignete Verhaltensregeln zur Verfügung zu stellen. Dabei wird differenziert zwischen den Fällen des „Verleitens zum Vertragsbruch“, „des Ausnutzens eines fremden Vertragsbruchs“ und „des Verleitens zur ordnungsgemäßen Vertragsbeendigung“.[68]
Allerdings wird die Beurteilung einer Abwerbung anhand der Modalitäten der Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses im jüngeren Schrifttum als obsolet angesehen.[69]
Nicht immer lässt sich der Personalbedarf durch vertraglich ungebundene Arbeitnehmer decken. Dies könnte Unternehmen veranlassen, den Arbeitnehmer zum vertragswidrigen Wechsel zu veranlassen. Zu prüfen wäre somit in diesen Fällen, wann objektiv ein Vertragsbruch gegeben ist und ob dieser durch ein Verleiten des Abwerbenden zu Stande kam.
Gleichwohl der „Vertragsbruch“ ein gängiger Begriff im juristischen Sprachgebrauch ist, so gibt es doch keine gesetzliche Legaldefinition. Im Arbeitsrecht stellt er jedoch einen Sammelbegriff für mannigfaltige Verletzungen des Arbeitsvertrages dar.[70] Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht wird die unter Verletzung der Vertragstreue erfolgte Weigerung bezüglich der Erfüllung vertraglich übernommener Pflichten verstanden.[71]
Diese Definition soll auch im Folgenden zugrunde liegen.
Um einen Vertragsbruch begehen zu können, bedarf es eines wirksamen Vertragsverhältnisses, bei welchem eine wesentliche Vertragspflicht verletzt wurde.[72]
Dabei ist nach Ansicht des BGH eine wettbewerbsrechtlich wesentliche Vertragspflicht regelmäßig die Hauptpflicht des Schuldners im Sinn des Vertragsrechts, nicht jedoch die Verletzung bloßer vertraglicher Nebenpflichten.[73] Die Hauptpflicht des Arbeitnehmers ist seine Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung und ein Vertragsbruch daher gegeben, wenn dieser seine Tätigkeit grundlos einstellt oder gar nicht erst beginnt. Die bloße Schlechtleistung ist hingegen per se nicht als Vertragsbruch zu werten.[74] Da der BGH in seiner Entscheidung[75] die Nebenpflichten „in der Regel“ als wettbewerbsrechtlich unwesentliche Vertragspflichten angesehen hat, bleibt die Frage, wann eine solche Nebenpflicht ausnahmsweise als wesentlich angesehen werden und somit ebenfalls zum Vertragsbruch führen kann. Diese Frage gewinnt gerade in Hinsicht auf die aus der arbeitsrechtlichen Rücksichtspflicht[76] herzuleitenden Pflichten, wie z. B. die Verschwiegenheitspflicht oder das Verbot unzulässiger Konkurrenztätigkeit, Relevanz.[77] Zwar obliegt es den Vertragsparteien im Sinne der Vertragsfreiheit die wesentlichen Hauptpflichten im Vertrag selbst zu bestimmen und somit eine eigentliche Nebenpflicht, wie z. B. ein nachvertragliches Wettbewerbsverbotes oder eine Geheimhaltungsverpflichtung, bei Nichteinhaltung zum Vertragsbruch führen kann,[78] fehlt eine solche ausdrückliche Vereinbarung jedoch, wird es häufig schwer festzustellen, welche Bedeutung die verletzende Pflicht für das Schuldverhältnis hat. Demnach könnte ein und dieselbe Wettbewerbshandlung in einem Fall das Verleiten zu einem Vertragsbruch und im andern Fall die bloße Verletzung einer unwesentlichen Vertragsverletzung darstellen.
Eine solche Differenzierung der Haupt- und Nebenpflichten widerspricht jedoch dem Gedanken des Leistungswettbewerbs, da sich ein Dritter durch die Verleitung zur Verletzung einer unwesentlichen Nebenpflicht ungestraft Vorteile verschaffen könnte.[79]
Wirkt sich die Intervention Dritter auf den Wettbewerb eines vertragstreu agierenden Marktteilnehmers aus und werden dessen Interessen wettbewerbsrelevant beeinträchtigt, so ist diese Verletzung von vertraglichen Verpflichtungen als wettbewerbsrechtlich wesentlich anzusehen. Eine Beschränkung auf die bloße, endgültige Arbeitsverweigerung besteht nicht zwangsläufig. Sofern eine wesentliche Verletzung der Arbeitgeberinteressen vorliegt, kann auch, wie z. B. bei der Weitergabe betriebsinterner Daten, die Missachtung vertraglicher Nebenpflichten als gleichermaßen relevant betrachtet werden.
Nach höchstrichterlichen Entscheidungen[80] ist ein Verleiten zum Vertragsbruch anzunehmen, „wenn der Täter bewusst darauf hinwirkt, dass der andere einen Vertragsbruch begeht, wenn auch der Widerstand, den er dabei findet, noch so gering sein mag.“ Demnach kommt es auch nicht auf einen Erfolg an, sondern lediglich auf das bewusste Hinwirken zu einem Vertragsbruch.[81]
Unersichtlich ist jedoch die Gewichtung des Grades der Einflussnahme. So könnte eine Einflussnahme von einer einfachen Aufforderung über das Unterbreiten lukrativer Vertragsbedingungen bis hin zur intensiven Überredung durch systematische Maßnahmen der Willensbeeinflussung reichen.[82] Die herrschende Meinung wertet die Aufforderung zum Vertragsschluss auch dann nicht als Verleiten, wenn der Auffordernde weiß, dass der von ihm gewünschte Vertragsinhalt mit der vertraglichen Bindung des Umworbenen unvereinbar ist[83] oder dieser günstigere Vertragsbedingungen und attraktivere Arbeitsbedingungen anbietet.[84] Dieser Wertung wird lediglich dann abgedungen, wenn das Angebot so verlockend gestaltet wird, dass dem Umworbenen sogar ein Vertragsbruch trotz der dadurch zu erwartenden Nachteile als lohnend erscheinen muss.[85]
Teilweise wird im Schrifttum aber auch die Ansicht vertreten, dass ein bewusstes Hinwirken bereits in jedem begünstigenden, mitbestimmenden, über die bloße Passivität hinausgehenden Einfluss auf den umworbenen Arbeitnehmer des Mitbewerbers zu sehen ist.[86] Damit wäre nicht nur das bloße Vertragsangebot, sondern auch die Bereitschaft zur Einstellung eines aus eigener Initiative vertragsbrüchig gewordenen Arbeitnehmers als Verleiten anzusehen.[87]
Die Bestimmung der Unlauterkeit hängt jedoch nicht allein von objektiven Kriterien ab. Gerade bezüglich der Mitwirkung an einem fremden Vertragsbruch sind subjektive Elemente in Form der Kenntnis bestimmter Umstände für die Abgrenzung unlauteren Verhaltens unentbehrlich.[88] Dies greift z. B., sofern der Abwerbende mit der Möglichkeit rechnen muss, dass sein Handeln den Umworbenen zum Vertragsbruch verleiten könnte und dies wissendlich in Kauf nimmt.[89] Dabei reicht der bedingte Vorsatz schon aus, grob fahrlässige Unkenntnis genügt hingegen nicht.[90]
Drängt sich die Kenntnis eines Umstands dem zum Vertragsbruch Verleitenden auf und verschließt er sich dieser bewusst, so ist eine Berufung auf Unkenntnis ausgeschlossen. [91] Andererseits ist dieser nicht verpflichtet sich Klarheit über die Vertragsbedingungen eines Dritten zu verschaffen.[92]
Letztlich ist das Verleiten zum Vertragsbruch nach Ansicht der heutigen Rechtsprechung und der herrschenden Literatur schlechthin als Wettbewerbswidrig zu sehen.[93] Die durch das Hinwirken auf einen Vertragsbruch bedingte Beeinträchtigung der wettbewerblichen Tätigkeit der Mitbewerber ist als unmittelbarer Eingriff in fremde Vertragsbeziehungen anzusehen und widerspricht dem Sinn des Wettbewerbs an sich.[94]
Zu differenzieren ist zunächst zwischen der bloßen Ausnutzung des durch den Arbeitnehmer begangenen Vertragsbruchs und der Ausnutzung nach einer Verleitung des Arbeitnehmers zum Vertragsbruch. Da der Abwerbende den Vertragsbruch nach einem Verleiten regelmäßig auch ausnutzt, kommt der Ausnutzung in diesen Fällen keine eigenständige Bedeutung zu und demnach bildet die passive Ausnutzung eines Vertragsbruches den Gegenstand der folgenden Darstellung.
Entgegen dem Sprachgebrauch, welcher darauf schließen lässt, dass das Ausnutzen eines Vertragsbruches generell einen bereits gebrochenen Vertrag voraussetzt, genügt es nach verbreiteter Ansicht, wenn die Handlung des Ausnutzens mit dem Vertragsbruch temporär zusammenfällt.[95] Allerdings ist es möglich, sich mittels Arbeitsvertrag mehrfach zur Leistung zu...