WOLFERL, FRANZL, SCHANI
Musikland Österreich
Ein Volk, das seine Komponisten beim Vornamen nennt, muss wohl eine sehr innige Beziehung zur Musik haben. Und das hat es auch, die Österreicher holten sich aus der Fülle ihrer Begabungen ein paar ganz spezielle heraus und erklärten Wolferl, Franzl und Schani zu ihren Lieblingen. An Genies gibt’s keinen Mangel.
Mozart ist die oberste Instanz. Und das, obwohl er nie Österreicher war. Als er am 27. Jänner 1756 in Salzburg zur Welt kam, gehörte die Stadt nicht zu Österreich, sie war vielmehr ein souveränes Erzbistum und war davor noch im Herzogtum Bayern gelegen. Als Salzburg österreichisch wurde, war Mozart schon tot.
Sein Leben zeigt, wie sehr die Menschheitsgeschichte von schicksalhaften Fügungen abhängt: Mozarts Mutter brachte sieben Kinder zur Welt, von denen fünf im Säuglingsalter starben. Eines der beiden, die überlebten, war Wolfgang Amadeus. Er lebte nur 35 Jahre, aber wäre er ein Jahr früher gestorben – wir hätten »Die Zauberflöte« nicht. Andererseits: Welche Melodien wären noch entstanden, hätte er länger gelebt.
Schon die frühen Kompositionen zeigen das Genie des kleinen Wolfgang, der das Klavierspiel in Vollendung beherrschte, wie sein Vater bescheinigte: »Diesen Menuett und Trio hat der Wolfgangerl den 26ten January 1761 einen Tag vor seinem 5ten Geburtstag um halb 10 Uhr nachts in einer halben Stund gelernet.« Ein Jahr später wurde das Wunderkind bereits auf Konzertreisen gefeiert.
Mozarts Vater begleitete die ersten Tourneen seines Sohnes und seiner Tochter Maria Anna, genannt Nannerl. Im Alter von sieben Jahren spielte Wolfgang Amadé, wie er sich nun nannte, vor Maria Theresia in Schönbrunn. Oft zitiert wird, wie er der leutseligen Kaiserin »auf den Schoß sprang, sie um den Hals nahm und ihr Gesicht mit Küssen bedeckte«. Weniger bekannt ist, dass Maria Theresia später ihrem Sohn Ferdinand brieflich mitteilte, Mozart gehörte »dem unnützen Volk an, das Kunst nicht als noble Freizeitpassion, sondern zum Profit betreibt«.
Mozart fühlte sich in der späteren Mozartstadt beengt und ging nach Wien, wo er als freier Komponist arbeitete und Constanze Weber, die Schwester seiner Jugendliebe Aloysia, heiratete. Sie schenkte ihm sechs Kinder, von denen wieder nur zwei den Vater überleben sollten. In dieser Zeit entstanden einige der gewaltigsten Werke der Musikgeschichte: »Die Entführung aus dem Serail«, »Die Hochzeit des Figaro«, »Don Giovanni«, »Cosi fan tutte« … Zwar musste er die ersten Jahre seines Wien-Aufenthalts durch Klavierunterricht »an meist unbegabten Schülern« finanzieren, aber sein überragendes Talent war – zumindest in den musikinteressierten Kreisen – in der Stadt Gesprächsthema.
Josef II., der Mozart eine Stelle als k. k. Kammerkompositeur gab, wusste, was er an ihm hatte. Als sich ein General während einer Hoftafel beim Kaiser beklagte, dass Mozart sich nicht gehörig benehme, erwiderte Josef gelassen: »Lass Er mir den Mozart in Ruhe. Einen General kann ich mir alle Tage machen, aber einen Mozart nie wieder!«
Das Genie war nicht arm, es verdiente, selbst in weniger guten Zeiten, mehr als ein Arzt oder Universitätsprofessor. Neben seinem Gehalt als Kammerkompositeur brachten ihm die Aufführungen seiner Opern Einnahmen, die ihm ein zumindest gutbürgerliches Leben hätten sichern können. Allein als Klaviervirtuose verdiente er rund 10 000 Gulden pro Jahr*.
Und doch war er stets in Geldnöten und oft sogar verschuldet. Mozart lebte auf großem Fuß, hatte meist geräumige Wohnungen mit Personal, besaß ein Reitpferd und andere Luxusartikel. Doch der wahre Grund der Finanznot lag in seiner krankhaften Leidenschaft fürs Glücksspiel. »Er spielte hoch, ganze Nächte hindurch, er war sehr leichtsinnig«, vermerkte sein Zeitgenosse, der Kapellmeister Destouches. Karten und Billard wären ihm wichtiger gewesen als das Klavierspiel: »Wenn ein berühmter Billardspieler in Wien ankam, hat’s ihn mehr interessiert als ein berühmter Musiker.« Mozart dürfte den größten Teil seines Vermögens verspielt haben.
Aber er war ein treu sorgender Familienvater, seine Ehe mit Constanze galt als glücklich, von den vielen Liebschaften, die ihm unterstellt werden, ist keine nachweisbar.
Zeitgenossen beschrieben ihn als aufbrausend, ungestüm und im Umgang mit Musikerkollegen alles andere als diplomatisch. Er hat seine Meinung immer offen ausgesprochen und sich damit Gegner und Neider geschaffen. In seiner Arbeit hektisch, aber diszipliniert, hielt Mozart bestimmte Tageszeiten ein, in denen er komponierte.
Im Jahre 1790 ging es dem sonst eher fröhlichen Gemüt psychisch schlecht. Österreich steckte in einer Krise, die zur Folge hatte, dass der Besuch seiner Konzerte nachließ. Von den vielen Spekulationen, die seine Person betreffen, lässt sich die um seinen Tod am wenigsten aus der Welt schaffen. Da die wirkliche Ursache für sein Ableben nie nachgewiesen werden konnte, gelangten Medizinhistoriker, die Mozarts Krankheiten beschrieben, zu widersprüchlichen Ergebnissen.
Die absurde Version, sein Rivale Antonio Salieri hätte ihn ermordet, hält keiner Überprüfung stand. Salieri empfand Mozart nicht als Konkurrenz, er war als Hofkapellmeister in einer wesentlich besseren Position als er. Abgesehen davon, standen die beiden in Mozarts letzten Lebensjahren in gutem Verhältnis zueinander.
Mozart wurde am 7. Dezember 1791 in einem der damals üblichen »Schachtgräber« am St. Marxer Friedhof beerdigt. Diese waren auf Initiative Josefs II. entstanden, der die Meinung vertrat, dass »bei Toten der einzige Zweck die Verwesung ist«. Deshalb wurden die sterblichen Überreste der meisten Menschen würdelos in ein für mehrere Personen bestimmtes Erdloch geworfen. Die Wiener protestierten dagegen, weil man ihnen mit dieser neuen Bestimmung ihre »schöne Leich« nahm, sodass die Einführung der Schachtgräber zu jenen Maßnahmen Josefs zählte, die wieder zurückgenommen wurden.
Sie ist jedenfalls der Grund dafür, dass Mozarts Gebeine für alle Zeiten verschwunden sind.
Mozart war ein in gebildeten Kreisen bekannter Mann, aber keineswegs so populär, dass ihn jeder auf der Straße erkannt hätte. Wirklich berühmt wurde er nach seinem Tod, als der Erfolg der »Zauberflöte« seinen Namen in alle Welt trug.
Erst als er tot war, wusste jeder, wer Mozart gewesen ist.
Dass Österreich weltweit als das Musikland schlechthin gilt, hat viel mit Mozart zu tun – aber nicht nur. Erste Hinweise für musikalisches Treiben im Gebiet der heutigen Alpenrepublik finden sich in Instrumenten aus der Altsteinzeit. Im Frühmittelalter zugewanderte Völker übten Einfluss auf die musikalische Entwicklung aus, und ab dem Hochmittelalter kann von einem eigenständigen österreichischen Musikleben gesprochen werden.
Den »komponierenden Barockkaisern« Ferdinand III., Leopold I., Joseph I. und Karl VI. ist es zu danken, dass die Wiener Hofkapelle im 17. und 18. Jahrhundert zu einem Ensemble von Weltruf wurde. Später begründete die »Wiener Klassik« Wiens Ruf als Weltstadt der Musik, von der sich große Komponisten angezogen fühlten.
Der bedeutendste neben Mozart war Beethoven. Dessen Vater, selbst Musiker, war vom kleinen Amadeus dermaßen beeindruckt, dass er es sich zum Ziel setzte, auch aus seinem Sohn ein »Wunderkind« zu machen. Ludwig begann in seiner Geburtsstadt Bonn früh zu musizieren, er wurde Bratschist in der Bonner Hofkapelle, ehe er sich als 17-Jähriger entschloss, nach Wien zu reisen, um bei Mozart studieren zu können. 1787 kam es zur ersten und einzigen Begegnung der beiden Giganten. Mozart war von dem um 14 Jahre Jüngeren angetan, lehnte es jedoch ab, ihm Unterricht zu erteilen, da er gerade am »Don Giovanni« arbeitete.
Beethoven kehrte enttäuscht nach Bonn zurück, um fünf Jahre später neuerlich nach Wien zu kommen. Mozart war inzwischen verstorben, also wandte er sich jetzt an Haydn und Salieri, die ihn beide als Schüler aufnahmen. Von dieser, seiner zweiten Studienreise, kehrte Beethoven nie wieder zurück, er blieb für den Rest seines Lebens in Wien.
Beethoven erregte schon durch seine ersten Auftritte in der österreichischen Residenzstadt als Komponist wie als Virtuose Aufsehen. Besonders beeindruckten seine Improvisationen am Klavier, deren Höhepunkt er erreichte, als er den berühmten Abbé Gelinek bei einem Wettspiel besiegte. Angeblich stellte Beethoven kurz vor Beginn eines Konzerts fest, dass der Flügel einen Halbton zu tief gestimmt war, worauf er – da die Zeit nicht mehr reichte, um das Instrument neu zu stimmen – sein Erstes Klavierkonzert in C-Dur kurzerhand in Cis-Dur spielte.
Um das Jahr 1795 bemerkte er, dass sein Gehör stetig nachließ –...