Bei uns Menschen hat sich über dem limbischen System, unserem »Gefühlsgehirn«, die Großhirnrinde mit ihren beiden großen Hirnhälften entwickelt. Sie ermöglicht uns komplexere Denkprozesse und ist Sitz des bewussten Verstandes. Doch auch hier wird uns nur ein kleiner Teil der Aktivitäten bewusst. In der Großhirnrinde findet auch das Wiedererkennen bereits erlebter Situationen statt, indem bestimmte Empfindungen und Gefühle mit Erinnerungen und Bildern assoziativ in Verbindung gebracht werden.
Wenn wir mit unseren Sinnen etwas wahrnehmen, sei es außerhalb oder auch innerhalb des Körpers, dann versucht unser Gehirn sofort zu verstehen, worum es sich handelt und welche Bedeutung dies für uns hat. Schon während wir ein Gefühl erleben, analysiert der Verstand, um welches Gefühl es sich handelt und worauf es sich bezieht. Automatisch vergleicht der Verstand mit früheren Erlebnissen und früher erworbenem Wissen und versucht, das Gefühl zu kategorisieren. Nachdem der Verstand selbst nicht zu fühlen in der Lage ist, geht er unweigerlich in Distanz zum Gefühl. Er betrachtet es sozusagen von oben und fühlt sich in der Regel darüber erhaben. Das Gefühl kann diese Distanz nicht selbst herstellen, es ist stets eins mit sich selbst.
Wie die Verknüpfung von Empfindung, Gefühl und Verstand geschieht
Wie unser entwicklungsgeschichtliches Erbe bei uns wirkt, wird erkennbar, wenn Sie zum Beispiel ein kleines Kind beobachten, das zum ersten Mal eine Herdplatte berührt. Bei Hitzeempfindung zieht es instinktiv und reflexartig die Hand zurück. Möglicherweise ist es furchtbar erschrocken und im ersten Moment wie gebannt. Dann empfindet es den Schmerz und eine Fülle von Emotionen, die sich in lautem Schreien und Weinen entladen. Es fühlt sich in seiner Integrität, also Unversehrtheit, angegriffen und weiß noch nicht, wie gefährlich das Erlebte wirklich ist. Es sieht sich hilfesuchend nach der Mutter um. Die Mutter nimmt es in den Arm und die Tränen kullern. Die Mutter gibt Geborgenheit und liebevolles Verständnis und zugleich die Versicherung, dass nichts wirklich Schlimmes geschehen ist. Sie hält mit dem Kind die Hand unter kaltes Wasser und zeigt ihm, wie es mit einer solchen Situation umgehen kann. Jeder dieser Augenblicke ist für das kleine Kind mit vielen Gefühlsbewegungen verbunden. Insbesondere durch das Verhalten der Mutter wird es sich der Situation bewusst und lernt nicht nur, dass es mit Herdplatten vorsichtig sein muss. Es lernt auch, dass seine Empfindungen und Gefühle richtig und wichtig sind und wie es mit ihnen umgehen kann.
Ein Reiz löst also über die Sinnesempfindung bestimmte Reflexreaktionen aus. Erst danach führt die dadurch ausgelöste innere Bewegung zu emotionaler Reaktion. Und erst einen Schritt später erfolgt die Bewertung durch den Verstand und das Bewusstwerden über sich und die Umwelt. Durch eine Vielzahl von Erlebnissen werden auf allen drei Ebenen – der Empfindungsebene, der Gefühlsebene und der Verstandesebene – verschiedenste Nervenverknüpfungen angelegt, sogenannte Synapsen. Diese ermöglichen uns zu lernen und uns den jeweiligen Umweltbedingungen anzupassen. Diese Mechanismen prägen entscheidend, wie stark wir unser Körperbewusstsein entwickeln, wie wir mit Gefühlen umgehen und welches Verständnis wir von der Welt haben. Jede Erfahrung prägt uns lebenslang. Andererseits hört dieser Lernprozess niemals auf, so dass eingefahrene Reiz-Reaktions-Muster auch wieder überschrieben werden können und neue Nervenverbindungen geknüpft werden.
Unterschiedliche Betonung von Gefühl, Verstand und Handlung
Ob wir eher ein Verstandesmensch oder ein Gefühlsmensch sind, hat wesentlichen Einfluss darauf, wie wir die Dinge wahrnehmen, Entscheidungen treffen und uns in verschiedenen Situationen verhalten. Gerade in Beziehungen wird deutlich, wie viele Paare über Missverständnisse in Streit geraten, weil der eine auf Verstandesebene und der andere auf Gefühlsebene argumentiert.
Der Mensch hat die einzigartige Fähigkeit, seine Umwelt und sogar sich selbst zu betrachten, sich ein eigenes Bild von der Welt zu schaffen und seine Umwelt danach zu bewerten und zu gestalten. Der Verstandesbetonte versucht eine vermeintlich objektive Sicht auf die Dinge einzunehmen, bei der er nicht in, sondern außerhalb einer Situation steht. Auf Verstandesebene geht es darum, Sachverhalte festzustellen und möglichst klar und rasch Lösungen zu formulieren.
Ganz anders der Gefühlsmensch, der sich mehr von seinen Stimmungen und Gefühlen leiten lässt. Unsere Gefühle sind subjektiv und sie setzen uns unmittelbar, aber auf sehr individuelle Weise mit unserer Umwelt und mit anderen Menschen in Beziehung. Mit ihrer Hilfe versetzen wir uns in andere hinein und versuchen deren Bedürfnisse zu verstehen. Gefühle schaffen eine persönliche Beziehung und Betroffenheit. Gehen wir bewusst mit unseren Gefühlen um, dann erhalten wir wichtige Informationen über uns selbst, unsere Mitmenschen und unsere Beziehungen zu ihnen, die unserem Verstand möglicherweise ganz verborgen blieben. Mit unserer Fähigkeit zu fühlen können wir uns in bestimmte Situationen oder in andere Menschen so hineinversetzen, dass wir Komplexität besser erfassen. Handeln wir gefühlsbetont, dann suchen wir zuallererst den Kontakt zu und den Austausch mit anderen Menschen und wir verstehen, dass sich in Menschen subjektive Perspektiven begegnen.
Während unsere Gedanken größtenteils linear aufeinanderfolgen und mehr oder weniger kausal miteinander verknüpft sind, erleben wir im Gefühl viele Aspekte und Wechselbeziehungen auf einmal. In Gefühlen drückt sich oft auch Mehrdeutigkeit aus, wenn wir zum Beispiel gegenüber einer Person gleichzeitig Ärger und Liebe fühlen.
Auch wenn der Verstand mehr für die Sachebene und das Gefühl mehr für die Beziehungsebene zuständig ist, arbeiten Verstand und Gefühl letztlich doch aufs engste zusammen. Sie ergänzen sich gegenseitig und schließen einander nicht aus. So einfach das zu sein scheint, so ist es doch genau die Koordination dieser beiden Ebenen in uns selbst, die uns tagtäglich vor die größten Herausforderungen stellt!
Neben den gefühlsbetonten und den verstandesbetonten Menschen gibt es übrigens noch einen dritten, den vorwiegend handlungsbezogenen Typus. Er ist stärker körperbetont und probiert alles gerne spontan aus – meist im Alleingang. So findet er heraus, was funktioniert und was nicht. Weder möchte er lange überlegen und diskutieren, noch gibt er sich Gefühlen hin. Handlungsbezogene nehmen die Dinge, wie sie im Augenblick sind, und handeln – am besten unmittelbar.
Das Dreieck zwischen Gefühlen, Verstand und Handlung
Natürlich trägt jeder Mensch alle drei Pole in sich. Dennoch haben wir alle bestimmte Neigungen, die sich in unserem Verhalten zeigen. Wie jemand mit einer Situation umgeht, hängt nicht zuletzt davon ab, wie er sich momentan im Spannungsfeld zwischen Körperlichkeit, Gefühlslage und Verstandestätigkeit bewusst oder unbewusst positioniert. Dieses Verständnis hilft uns im täglichen Miteinander. Wenn wir zum Beispiel erkennen, dass wir selbst eher verstandesorientiert sind, unser Partner jedoch gefühlsbezogen und der Chef überwiegend handlungsbetont, dann verstehen und akzeptieren wir uns und die anderen in der jeweiligen Motivation besser. Und wenn jeder so sein darf, wie er von seinem Wesen her ist, können wir uns einfacher annähern und einigen.
Sobald wir unsere persönlichen Erfahrungen zu einem allgemeingültigen Prinzip erklären, gewöhnen wir uns so an diese eine Sichtweise, dass wir für eine andere oft gar nicht mehr zugänglich sind. Dann verstehen wir nicht, dass die erlebte Wirklichkeit eines anderen mit...