Vorwort
Frauen sind heute überall präsent, wo Filme erdacht, geplant, geschaffen, verliehen, gefeiert und vermittelt werden. Sie sind Regisseurinnen, Autorinnen, Produzentinnen, Kamerafrauen und arbeiten als professionelle Spezialistinnen in vielen Departments der Filmherstellung.
Frauen entscheiden in Fördergremien und Fernsehredaktionen über viel Geld und künftige Karrieren mit. Sie leiten Festivals und Schlüsselinstitutionen, lehren an Filmhochschulen und Universitäten, nehmen Stellung in Filmkritiken, kämpfen um die Zukunft des Kinos oder lotsen das Publikum als PR-Agentinnen in neue Filme. Eine Staatsministerin gibt derzeit die filmpolitischen Leitlinien vor, in einem Kanzlerinnen-Kabinett, dessen Frauenanteil die umstrittene Quote exemplarisch übererfüllt. Rund 40 Prozent Frauen studieren inzwischen an den Filmhochschulen. Groß ist der Pool der Festivals, in dem sie ebenso Preise gewinnen wie ihre Kollegen.
Rund 50 Jahre, nachdem die erste Generation an den Filmhochschulen ihren Platz in der Film- und Medienkultur zu reklamieren begann, scheint viel erreicht. Vorbei also die Zeit der Männerdomänen? Vergangen die abgestandenen Rollenklischees? Hat sich die Frauenfrage in der Mediengesellschaft erledigt? Haben Männer und Frauen dieselben Chancen bei gleicher Bezahlung?
Das vorliegende Buch Wie haben Sie das gemacht? Aufzeichnungen zu Frauen und Filmen stellt die Fragen neu: Wo stehen wir heute tatsächlich? Welche Forderungen der Aufbruchsgeneration haben sich erfüllt? Sind Frauen in Filmberufen gleichberechtigt? Spielt das Geschlecht beim Filmemachen überhaupt noch eine Rolle?
In einem Patchwork aus Erfahrungsberichten, Essays, Statements und Reflexionen verbindet dieses Buch den Blick zurück mit der Gegenwart. Was wurde erreicht, was ging verloren? Welche Wünsche und Ambitionen motivierten die erste Generation, welche sind es heute? Wie finden Frauen zu ihren Stoffen und Erzählformen? Was tun, wenn sie damit auf „Frauenfilme“ festgelegt werden? Wie haben sich die Filme, die Arbeitsweisen und Selbstverständnisse angesichts der technologischen, ökonomischen und kulturellen Umbrüche verändert? Was erzählen die Lebensentwürfe über ihre Zeit und ihr gesellschaftliches Umfeld?
Den Anstoß zu unserem Buch gab ein Treffen mit Tee und Törtchen im Frühjahr 2010, bei dem wir uns kennenlernten – Bettina Schoeller-Bouju als Regisseurin und Produzentin gut vernetzt mit jüngeren Filmfrauen, Claudia Lenssen als Filmkritikerin und ehemaliges Redaktionsmitglied der von Helke Sander herausgegebenen Zeitschrift Frauen und Film in Kontakt zu vielen älteren Filmemacherinnen. Im Gespräch mit der Kuratorin und ehemaligen Festivalleiterin Angela Haardt, der Experimentalfilmerin Ute Aurand und der Regisseurin Helke Sander, bei der Bettina Schoeller studierte, kam die Rede auf das merkwürdige Phänomen, dass um einige Regisseure des Neuen Deutschen Films eine Art Geniekult entstanden ist, während ihre Kolleginnen weitgehend „unsichtbar“ werden. Bei näherem Hinsehen zeigte sich, dass die meisten Regisseurinnen der Filmgeschichte dieses Schicksal ereilt. Weder Agnès Varda noch Mai Zetterling oder Vera Chytilová finden sich beispielsweise in dem Filmkanon, den die Bundeszentrale für politische Bildung seit 2003 als repräsentative Liste der Filmgeschichte empfiehlt. Jutta Brückner beklagte in einem Nachruf auf die im Mai 2014 verstorbene Regisseurin Helma Sanders-Brahms denselben Mechanismus des Vergessens. Mit diesem Buch möchten wir den Anteil der Frauen am deutschen Film der letzten 50 Jahre würdigen und zu einer anderen Betrachtung der Filmgeschichte einladen.
Wir griffen Helke Sanders Anregung auf, die verdrängte Geschichte der Initiativen einzubeziehen, die Bewegung, die die Filme der Aufbruchs-Generation schneeballartig verbreiten half. Ein Buch über die etwas andere Leidenschaft für Filme, die Frauen unter Frauen weiter trugen, schien uns ein spannendes Element alternativer Kinokultur, das bislang nicht auf dem Schirm der Filmhistoriker erschienen war. Wie haben Sie das gemacht? Aufzeichnungen zu Frauen und Filmen ist auch die Darstellung dieser Erfolgsgeschichte. Doch woran zeichneten sich die Brüche ab? Wie veränderte sich das Kino, das Fernsehen, die Öffentlichkeit? Wie stehen Frauen heute zu den feministischen Filmen? Zu ihrer Suche nach neuen Filmsprachen? Wie kam es dazu, dass der Begriff Feminismus sich zum Schimpfwort entwickelte? Was wissen sie über die einstigen Ausbrüche aus herkömmlichen Frauenrollen, über die Innenansichten alternativer Lebensentwürfe, was über die Dringlichkeit, mit der um Gleichberechtigung in den Verteilungskämpfen der Filmkultur, um Zugänge zu eingefleischten Männerdomänen, um gute Kinderbetreuung gerungen wurde?
In einer losen Chronologie macht unsere Textsammlung den Wandel sichtbar. Einundachtzig Beiträge fügen sich zu einer Geschichte in Fragmenten und Facetten. Wir waren neugierig auf ein genaueres Bild der Bruchlinien zwischen den Generationen und fanden wechselseitige Unkenntnis vor. Mit Feminismus wollen Frauen in der Öffentlichkeit heute meist reflexartig nicht in Verbindung gebracht werden, dennoch zeigte sich für uns – oft nur in den Hintergrundgesprächen -, dass trotz Karrieren und Erfolg die alten geschlechterspezifischen Probleme fortbestehen.
Niemand kann erklären, warum von den 40 Prozent talentierten und gut ausgebildeten Filmhochschulabsolventinnen nur 12 bis 18 Prozent später in ihrem Beruf Fuß fassen. Wissenschaftliche Studien zum „Verschwinden“ der Frauen respektive ihre Festlegung auf Low-Budget-Produktionen im zunehmend kleineren Bereich kultureller Filmförderung gibt es nicht – Statistiken, die in diesem Buch zitiert werden, beruhen auf Recherchen, die Ellen Wietstock in ihrem Informationsdienst black box, die Schauspielerin Ruth Belinde Stieve in dem Blog out-takes.de, der deutsche Kulturrat und das Frauenkulturbüro NRW (siehe Silke J. Räbiger S. 468) unternommen haben. Mit diesem Buch, das sich auf die Suche nach den Chancen, Bedingungen und Problemen für Frauen in Filmberufen macht, ergänzen wir die neue Aufmerksamkeit um eine Vielzahl von Erfahrungsberichten, aus denen sich auf den zweiten Blick durchaus Lebens- und Schaffensmuster ablesen lassen.
Wir stellen fest, dass die Idee der Selbstverwirklichung, die die Frauenbewegung beflügelt hatte, heute ein Zwang zur Selbstbehauptung geworden ist. Die Filmemacherinnen der 1970er-Jahre entdeckten einerseits ihr Ego und pochten auf ihre persönliche Kreativität und Autorität, um sich als Autorenfilmerinnen im Team durchzusetzen, fühlten sich andererseits aber von einer starken Welle „kollektiver Wunscherfüllung“ (Helke Sander) getragen. Heute identifizieren jüngere Frauen Feminismus mit Selbststigmatisierung; als Mangelwesen und „Opfer“ zu erscheinen, gilt als Defekt, der ihre Funktionstüchtigkeit auf dem Dienstleistungsmarkt in Zweifel zieht. Im Spannungsfeld zwischen formaler Gleichberechtigung und Marktökonomie ist jeder und jede vorgeblich für das eigene Schicksal selbst verantwortlich. Individualisierung und Konkurrenzdruck ersticken gesellschaftliche Bewegungen im Keim.
Wir wurden auch mit tiefsitzenden Missverständnissen zwischen Frauen westdeutscher und ostdeutscher Sozialisation konfrontiert, die seit der Hälfte der von uns beobachteten historischen Periode gemeinsam, oft rivalisierend um ihre Chance im komplexen Filmbereich kämpfen. Obwohl die westdeutsche Frauenbewegung tatsächlich vielstimmig, bunt und kontrovers war, wurde sie von unseren Gesprächspartnerinnen mit ostdeutschen Wurzeln zumeist reflexartig mit der dominanten Medienfigur Alice Schwarzer und dem Reizwort Männerfeindlichkeit gleichgesetzt. Umgekehrt lässt sich rekapitulieren, dass westdeutsche Feministinnen verständnislos auf die Mentalität der Ost-Frauen reagierten, die sich unter der staatlich verordneten Gleichberechtigung und Frauenförderung der DDR entwickelte. Empörten sich Feministinnen dagegen, in den politischen Auseinandersetzungen der Linken um 1968 in der sich rasant verändernden BRD bloß als „Nebenwiderspruch“ wahrgenommen zu werden, empfanden viele Frauen im Osten ihre charakteristische Doppelbelastung zwischen Familie und Beruf als das kleinere Übel. Im Gespräch betonten sie, dass es ihnen vielmehr darum gegangen sei, mit Freunden und Partnern gemeinsam der Gängelung und Freiheitsbeschneidung der geschlossenen Gesellschaft DDR zu entkommen. War das Motto der West-Feministinnen „Das Private ist politisch“, um Macht- und Gewaltverhältnisse in den Nahbeziehungen dingfest zu machen, verstanden Frauen in der DDR den Gedanken anders: das Private sollte möglichst dem Diktat des Politischen und dem Zugriff durch die Staatspartei entzogen werden. Für westdeutsche Frauen war revolutionär, trotz ihrer Kinder einer erfüllenden Arbeit nachzugehen bzw. im Zeitalter der Verhütungspille auf Kinder zu verzichten, ostdeutsche Frauen wagten den Widerstand und riskierten die Kriminalisierung, wenn sie sich dem Zwang zur Arbeit verweigerten, in die Subkultur gingen und sich „nur“ ihren Kindern...