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Wie handelt Gott in der Welt?

Reflexionen im Spannungsfeld von Theologie und Naturwissenschaft

AutorChristoph Böttigheimer
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783451800634
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Die christliche Religion gründet auf Gottes Handeln in der Welt, das für viele Menschen heute unwahrscheinlich, ja mit wissenschaftlichen Erkenntnissen unvereinbar ist. Der Autor beantwortet die zentralen Fragen: Wie kann angesichts neuerer biologischer und kosmologischer Erkenntnisse dennoch an Gottes Handeln in der Welt verantwortet geglaubt werden? Was heißt 'Gott handelt'? Gibt es Wunder? Ist es sinnvoll, Gott um ein besonderes Eingreifen zu bitten?

Christoph Böttigheimer, geb. 1960 in Schwäbisch Gmünd, Theologiestudium in Innsbruck und Tübingen, 1993 Promotion zum Dr. theol. und 1996 Habilitation an der Universität München (LMU), seit 2002 Professor für Fundamentaltheologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt; zahlreiche Publikationen zu fundamentaltheologischen, ökumenischen und kirchenpolitischen Fragestellungen.

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Leseprobe

2. Naturwissenschaft und Theologie


Häufig liegt der kirchlichen Verkündigung noch immer ein sehr undifferenzierter, mythisch geprägter Schöpfungs- und Vorhersehungsglaube zugrunde, so wie er sich in der biblisch-christlichen Tradition über Jahrhunderte hinweg durchgetragen hat und heute noch in manchen liturgischen Texten und Kirchenliedern zum Ausdruck kommt.

Der Herr, »der alles so herrlich regieret […] hast du nicht dieses verspüret?«53 Manch einer möchte auf diese in einem bekannten Kirchenlied aufgeworfene Frage wohl spontan mit Nein antworten. Viele empfinden »diese Art, von Gott zu reden, einfach als ungedeckt von ihrer Alltagserfahrung«.54 Ihre Sicht der Welt ist intellektualistisch geprägt und darum weithin entzaubert. »Die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung bedeutet […] nicht eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen man steht. Sondern sie bedeutet etwas anderes: das Wissen davon oder den Glauben daran: daß man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, daß es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, daß man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt. Nicht mehr, wie der Wilde, für den es solche Mächte gab, muss man zu magischen Mitteln greifen, um die Geister zu beherrschen oder zu erbitten. Sondern technische Mittel und Berechnung leisten das. Dies vor allem bedeutet die Intellektualisierung als solche.«55

Ein Weiteres kommt hinzu: Seit Auschwitz und Hiroshima hat die Bestürzung über unvorstellbares Unheil die Gewissheit vom persönlichen Handeln Gottes in der Zeit grundlegend erschüttert und den Glauben an einen geschichtsmächtigen Gott der Liebe ins Wanken gebracht. »Das vielfach beklagte ›Grundgefühl‹ der Abwesenheit Gottes, das längst der Phase der Trauer über sich selbst entwachsen ist, scheint das Reden vom aktuellen Handeln Gottes jeder Aussicht auf Evidenz beraubt zu haben.«56 Nicht von ungefähr dichtete einst Bertolt Brecht in seinem parodistischen ›Großen Dankchoral‹ mit beißender Ironie: »Lobet die Nacht und die Finsternis, die Euch umfangen. Kommet zuhauf, schaut in den Himmel hinauf: Schon ist der Dank Euch vergangen!«57

Wahrlich, der Blick zum gestirnten Himmel mag in Staunen versetzen, aber ebenso zum Zweifeln anregen und die Tragik des Menschen vor Augen führen: Was heißt es, an einen personalen Gott zu glauben, angesichts der komplexen Organisation der Materie? »Im Universum aus Wasserstoff und Helium, hinter den Kernreaktionen der Sonnen, den sich aufblähenden Roten Riesen, abkühlenden Weißen Zwergen, Supernova-Explosionen, rotierenden Neutronensternen, interstellaren Staub- und Gaswolken, den Fluchtbewegungen der Galaxien sowie dem evolutionären Wechselspiel zufällig streuender Mutationen mit dem Kampf ums Dasein wollen die Versuche und Bemühungen, die Fürsorge eines alles tragenden und lenkenden Schöpfers zu erblicken, nicht mehr so recht überzeugen.«58 Hinzu kommt die Einsicht, dass innerhalb der ca. 15 Milliarden Jahren währenden Geschichte des Kosmos der Mensch erst seit ca. 200.000 Jahren existiert und es eine Zeit geben wird, da der Kosmos noch sein wird, nicht aber der Mensch, der doch die Krone der Schöpfung sein soll. Vor diesem Hintergrund ist es nur schwer einzusehen, »[w]ie mit Bezug auf einen solchen Weltverlauf heute noch überzeugend davon die Rede sein kann, dass er von Anfang an auf Verklärung und Vollendung hingeordnet ist, in der die Herrlichkeit Gottes offenbar wird«.59

Die Materie ordnet sich im expandierenden Universum zu Galaxien zusammen, die jeweils viele Milliarden Sterne enthalten und durch riesige intergalaktische Entfernungen voneinander getrennt sind. Innerhalb des der menschlichen Beobachtung zugänglichen Universums gibt es Hunderte von Millionen Galaxien, die sich ihrerseits zu Galaxienhaufen zusammenordnen. Angesichts dieser kosmischen Ausdehnung bemerkte der USamerikanische Physiker Steven Weinberg (* 1933): »Je begreiflicher uns das Universum wird, um so sinnloser erscheint es auch.«60 Was hat diese unfassbare kosmische Struktur, die Häufung von Materie und Energie zu Galaxien, und was haben das unvorstellbare Ausmaß des Weltalls und die in ihm wirkenden Kräfte mit einem personalen, frei handelnden Gott zu tun? »Wenn man die Bilder fernster Galaxien sieht, deren Licht Milliarden von Jahre unterwegs war bis zu unseren Riesenteleskopen, oder die Bilder gigantischer, leuchtender kosmischer Nebel, dann rückt auch jene Gottheit, die alles dieses geschaffen haben soll, für uns in unendliche Fernen, wir sollen uns nicht nur kein Bild von ihr machen – wir können es gar nicht.«61

Nimmt man die Einsichten der Kosmologie und Evolutionsbiologie zur Kenntnis und lässt sie auf sich wirken, erscheinen manche christlichen Glaubensaussagen in einem neuen Licht; sie verlieren angesichts der Kälte des Kosmos ihre schiere Selbstverständlichkeit und sehen sich plötzlich einer enormen Verunsicherung und Erschütterung ausgesetzt. In einer durch die Naturwissenschaften entzauberten Welt fällt der Glaube an einen fürsorglichen, alles ordnenden Schöpfergott immer schwerer. Selbstkritisch müsse deshalb nach Ansicht von Karl Rahner darüber nachgedacht werden, »ob man heute noch in rechtschaffener Redlichkeit des Geistes behaupten könne, der unbegreifliche Gott, der auch Tausende von Lichtjahren von unserem kleinen Planeten entfernt den Kosmos auseinanderstieben läßt, sei Mensch geworden, und […] ob man im Ernst sich vorstellen könne, daß dieser Jesus wiederkomme, um eine Menschheitsgeschichte von ein paar Millionen Jahren und vielleicht sogar eine kosmische Geschichte vom Urknall her und von ein paar Milliarden Jahren abzuschließen.«62 Wie vertragen sich christliche Glaubensaussagen und kosmologische Erkenntnisse, Theologie und Naturwissenschaft?

Dialog statt Trennung


Der US-amerikanische Jesuit und Astronom George Coyne (* 1933), der bis 2006 Direktor der Vatikanischen Sternwarte war, machte unmissverständlich deutlich, dass sich das aufgeklärte Bild von einem evolvierenden Universum mit der traditionellen, scholastischen Gotteslehre nicht vereinbaren ließe: »Wenn wir die Ergebnisse der modernen Wissenschaft ernst nehmen, fällt es schwer zu glauben, daß Gott allmächtig und allwissend ist im Sinne der scholastischen Philosophen. Die Wissenschaft erzählt uns von einem Gott, der sehr anders sein muß als der Gott, den mittelalterliche Philosophen und Theologen sahen. Könnte Gott zum Beispiel nach einer Milliarde Jahre eines fünfzehn Milliarden Jahre alten Universums vorhergesagt haben, daß menschliches Leben entstehen würde? Gehen wir davon aus, daß Gott im Besitz der ›Universaltheorie‹ wäre, alle Gesetze der Physik, alle Elementarkräfte kennen würde. Selbst dann: Könnte Gott mit Sicherheit wissen, daß der Mensch entstehen würde? Wenn wir wirklich die wissenschaftliche Sichtweise akzeptieren, daß es neben den deterministischen Vorgängen auch Zufallsprozesse gibt, denen das Universum ungeheure Gelegenheiten bietet, dann sieht es so aus, als könnte selbst Gott das Endergebnis nicht mit Sicherheit kennen. Gott kann nicht wissen, was nicht gewußt werden kann. Dies ist keine Einschränkung Gottes. Ganz im Gegenteil. Es offenbart uns einen Gott, der ein Universum erschaffen hat, dem eine gewisse Dynamik innewohnt und das somit am Schöpfungsakt Gottes teilnimmt. Sofern sie die Ergebnisse der modernen Wissenschaft respektieren, müssen Gläubige Abstand von der Vorstellung eines diktatorischen Gottes nehmen, eines Newtonschen Gottes, der das Universum als Uhrwerk erschaffen hat, das regelmäßig weitertickt. Theologen haben den Begriff von Gottes fortwährender Schöpfung geprägt. […] Ich glaube, es wäre eine sehr bereichernde Erfahrung für Theologen und Gläubige, die moderne Wissenschaft unter diesem Begriff der fortwährenden Schöpfung näher zu erkunden. Gott arbeitet mit dem Universum.«63

Wie allmächtig und allwissend ist Gott, wenn seiner Schöpfung eine unvorhersehbare Dynamik innewohnt? Ist Gott selbst im Werden, solange seine Schöpfung nicht fertig ist, sondern noch in Geburtswehen liegt (Röm 8,22)? Hat es etwas zu bedeuten, wenn Milliarden von Jahren vergingen, ohne dass sich im Kosmos Leben regte? Was bedeutet die biblische, einige hundert Jahre umspannende Offenbarungsgeschichte angesichts des kosmischen Zeitalters von ca. 14 Milliarden Jahren? »Warum kam Gottes Sohn als Homo sapiens erst vor 2000 Jahren in die Welt, wo es da doch schon mindestens 100 000 Jahre lang den Homo sapiens sapiens gab, ausgestattet mit komplexem Gehirn und modern-kognitiver Erkenntnisfähigkeit, in der sich der weise Mensch sogar schon Offenbarungen auslegte?«64 Kann man angesichts solcher unvorstellbarer evolutiver Zeiträume noch davon ausgehen, dass Gott »mit starker Hand und ausgestrecktem Arm« (Dtn 5,15) direkt in die menschliche Lebensgeschichte eingreift? Ist es naiv zu glauben, dass das ganz Leben unter der fürsorglichen Hand Gottes steht, dass er sich um jeden einzelnen kümmert und er dem, der inständig bittet, auch tatsächlich gibt (Lk 11,9)? Verbirgt sich hinter dem evolutiven Prozess der Wirklichkeit überhaupt ein sinnvoller Plan?

Statt solche Fragen und die daraus entstehenden inneren Konflikte der Gläubigen bewusst aufzugreifen und um eine zeitgemäße Verhältnisbestimmung von Welt und Gott zu ringen, wird oft noch viel zu häufig und teils unüberlegt die biblische Weltanschauung übernommen und somit ein voraufgeklärtes, mythisches Weltbild rezipiert. »In unseren Gottesdiensten preisen wir Gottes Zuwendung in...

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