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Wie Schafe mitten unter die Wölfe. Die Bekennende Kirche in Ostpreußen und Dietrich Bonhoeffers Visitationsreisen 1940

AutorUlrich Schoenborn
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl263 Seiten
ISBN9783656260974
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Forschungsarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Theologie - Historische Theologie, Kirchengeschichte, , Sprache: Deutsch, Abstract: Eine Beschäftigung mit der historischen Phase des sog. 'Kirchenkampfes' mehr als 60 Jahre nach Kriegsende und nachdem sich lebensweltliche wie globale Bedingungen mehrfach verändert haben, versteht sich nicht von selbst. Mit einigen Vorbemerkungen soll daher der Weg skizziert werden, auf dem sich mir das Thema erschlossen hat. Zunächst möchte ich den Horizont beschreiben, in dem ich das Thema angesiedelt sehe. Dabei wird auf das heuristische Moment der 'protestantischen Widersetzlichkeit' (Günther van Norden) abgehoben. Sodann soll plausibel gemacht werden, warum die Darstellung Ostpreußen fokussiert. Schließlich möchte ich, auch mit persönlichem Akzent, darlegen, inwiefern Dietrich Bonhoeffer und Ostpreußen zum Gegenstand einer historischen und theologischen Untersuchung haben werden können. Der Hinweis im Buchtitel auf das Wort aus Matthäus 10, 16 ist als Richtungsangabe zu verstehen, die das Selbstverständnis der Glaubenden in der Nachfolge Jesu kennzeichnet.

ULRICH SCHOENBORN (Jhg. 1942); Dr. theol. habil. (Marburg); Pfarrdienst in Kurhessen-Waldeck; Lehrtätigkeit in Deutschland, Brasilien, Argentinien, Litauen, Kirgistan; exegetische und religionsgeschichtliche Forschungen ( Neues Testament, Gnosis); Veröffentlichungen zur Kirchen- und Kulturgeschichte in Lateinamerika und Ostmitteleuropa; u.a. Hermeneutik und Theologie der Befreiung; Kirchenkampf in Ostpreußen; Reformation und Aufklärung in Kurland; Integration der poetischen, künstlerischen und religiösen Dimension im theologischen Diskurs.

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Immer noch Beschäftigung mit dem „Kirchenkampf“?


 

Eine Beschäftigung mit der historischen Phase des sog. „Kirchenkampfes“ mehr als 60 Jahre nach Kriegsende und nachdem sich lebensweltliche wie globale Be­dingungen mehrfach verändert haben, ver­steht sich nicht von selbst. Mit einigen Vorbemerkungen soll daher der Weg skizziert werden, auf dem sich mir das Thema erschlossen hat. Zunächst möchte ich den Horizont beschreiben, in dem ich das Thema angesiedelt sehe. Dabei wird auf das heuristische Moment der „pro­testantischen Widersetzlichkeit“ (Günther van Norden) abgehoben. So­dann soll plausibel gemacht werden, warum die Darstellung „Ostpreußen“ fo­kus­siert. Schließlich möchte ich, auch mit persönlichem Akzent, darlegen, in­wiefern Die­trich Bonhoeffer und Ostpreußen zum Gegenstand einer histo­rischen und theo­logischen Untersuchung haben werden können. Der Hinweis im Buch­titel auf das Wort aus Matthäus 10, 16 ist als Richtungsangabe zu ver­­­­­stehen, die das Selbstverständnis der Glaubenden in der Nachfolge Jesu kennzeichnet.

 

(1.) Wie der politische bzw. militärische Widerstand gegen das NS-Regime zu den Gründungsmythen Nachkriegsdeutschlands gehörte, so wird auch der sog. Kirchenkampf, d.h., der Widerstand protestantischer Kreise gegen den Na­tio­nal­sozialismus und seine kirchlichen Hilfstruppen zu den kon­stitutiven Faktoren beim Aufbau der Evange­lischen Kir­che nach 1945 ge­zählt. Gründungs­er­zäh­lungen und Gründungs­mythen kommt hohe Plau­sibilität zu. Sie halten ihre bloße Wie­der­holung aber nur be­grenz­te Zeit aus. Wird ihnen jedoch ein heiliger Status beigelegt, der Nachfragen (wenn Widersprüche entdeckt wurden) und Diskussion (wenn neue Erkenntnisse es nahe legen) ver­bietet, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die un­historische Monumentalisierung einstürzt.

 

Der Begriff „Kirchenkampf“ bezieht sich, allgemein verstanden, auf die Jahre zwischen 1933 und 1945, in denen das Verhältnis zwischen Evangelischer Kirche in Deutschland und dem Nationalsozialismus von Konflikten bestimmt war. Zugleich steht der Begriff für die innerkirchlichen Kontroversen, wobei das Ausmaß der theo­lo­gischen Auseinandersetzungen nicht ohne den Einfluss der geschichtlichen und politischen Entwicklungen zu denken ist. In jener Zeit stand die Evan­ge­lische Kirche dem Staat keineswegs als homogener Block gegen­über. Aus Sach­gründen muss eine Beschäftigung mit dieser Phase auch auf die Zeit vor 1933 re­kurrieren und an­satz­weise über das Jahr 1945 hinausblicken.

 

Gegenwärtig ist die Erforschung des Kirchenkampfes nach 1945 selbst zum Gegen­stand der Forschung geworden. U. a. wird dafür plädiert, auf den Begriff als Epo­­chenbezeichnung zu verzich­ten[1], weil der historische Prozess viel kom­plexer, als gemeinhin voraus­gesetzt, verlaufen ist oder ihn nur in einem präzis ein­gegrenzten Sinne zu gebrauchen[2]. Diese Vorschläge sind nicht von der Hand zu weisen. Der Blick auf den Verlauf jener Beziehungsgeschichte zeigt, dass das Freund-Feind-Schema wenig beiträgt zur Beschreibung des Front­ver­laufs oder zur Darstellung der theolo­gischen Kontroversen. Im Verhältnis von NS-Staat und deutschem Protestantismus ver­schränkten sich Linien des Neben­einander, des Miteinander und des Gegen­ein­ander. Auch hat sich, von wenigen Aus­nah­men abgesehen, in der biographischen Entwicklung vieler pro­te­stan­ti­scher Protagonisten eine Wandlung in der Einstellung zum National­so­zia­lis­mus vollzogen, so dass Differenzierung nottut.

 

Der Rückblick auf die Forschung[3] zeigt ein ambivalentes Ergebnis. In mehreren Etappen wurde mit hoher existentieller Beteiligung und wissen­schaft­lichem Ethos ge­ar­beitet: Sammlung und Archivierung von Dokumenten und Mate­ria­lien; mono­graphische und bio­graphische Darstellungen; Befragung von Zeit­zeugen; Selbst­vergewisserung und Selbstkritik der Betei­ligten; inter­na­tio­nale und interdisziplinäre Zusam­menarbeit wurde aufgebaut. Diesen Bemü­hungen lag eine konstruktive Motivation zu­grunde. Es ging nicht um Archi­vie­rung in musealer Inten­tion, sondern um Aktualisierung. M.a.W., das Interesse an der Geschichte des Kirchen­kampfes war verbunden mit dem Ziel, eine Wer­te­per­spektive in den Demokra­tisie­rungsprozess nach 1945 einzubringen. Denn die Beteiligten stimmten in dem Wunsch überein, weder dem Nationalsozialismus noch einer Diktatur Möglichkeiten zur Rückkehr zu geben.

 

Andererseits ist zu beobachten, dass der konstruktiv-kritische Forschungs­diskurs zunehmend von „neuen Autoritäten“ unterlaufen wurde. Das versteht sich nicht von selbst, wird aber durch mehrere Aspekte aus dem Geschichts­ver­lauf evident. In Westdeutschland war die „Bekennende Kirche“ (= BK) von meh­reren Lan­des­gerichten als „antifaschistische Widerstands­organisation“ aner­kannt worden, ob­wohl in ihren Kreisen nie in direkter Form „politischer Wi­der­stand“ the­matisiert worden ist[4]. Dieses „Pauschalurteil“ galt fast zwei Jahr­zehn­te. So waren es in erster Linie ihre Repräsentanten, also die „Opfer“ bzw. die Gegner des National­sozialismus und seiner kirchlichen Handlanger, die das Feld mit ihrem „Binnen­diskurs“ be­herrschten. Dass die „Täter“ sich kaum zu Wort gemeldet haben, bedarf keiner Er­klärung. Man wollte, und das ist der zweite Aspekt, bei den Ver­hältnissen wieder anfangen, wo man 1933 gezwungen war auf­zuhören, um ein Wort von Otto Dibelius[5] aufzugreifen. Auch hatte der zuvor­kommende Umgang der Westalliierten mit den Kirchen deren Selbst­bewusstsein und öffent­liches Auftreten gestärkt. Den Kirchen wurde sogar die Arbeit der „Entna­zifizierung“ in den eigenen Reihen überlassen. Ein Auftrag, der mit Wider­­willen, viel Nach­sicht und Kompromissbereitschaft[6] realisiert wurde. Denn Ziel der Kirchenführer war, das ist der dritte Aspekt, „Einheit“ und nicht „theo­logische Kon­troversen“[7] oder gar Schuldzuweisung und Verurtei­lung. Darum stand bei der Be­schäftigung mit der eigenen Geschichte der Auftrag zu kritischer Aufarbeitung nicht unbedingt an erster Stelle. Der Wille zur Ver­klärung motivierte stärker als der Wille zur Auf­klärung. Die Beo­bach­tung von Ernst Wolf, dass in den Kirchen weitgehend ein “Widerstand wider Willen“ praktiziert worden sei, hätte eine „entmythologisie­rende“ Linie in die Forschung einführen können. Das ist aber unterblieben. Kein Wunder, dass schon bald Mythen und Legenden die Kirchenkampf-Über­lie­ferungen durch­zogen. Ein Freund Karl Barths, Arthur Frey, meldete 1949 von der Schweiz her Bedenken an: „Es ist um den deutschen Kirchenkampf ein der­artiger Mythos ent­standen, dass eine Entmytho­logi­sierung des deutschen Kir­chenkampfes zu einer dring­lichen Aufgabe ge­worden ist, denn dieser Mythus muss zum Fluch der Kirche werden. Er rächt sich schon heute furchtbar, indem der Mythos die guten An­fänge, die im deutschen Kirchenkampf immerhin sicht­bar wurden, verdeckt und erstickt. Warum braucht es eine Erneuerung der Kir­che, wenn sie sich in der gewaltigen Katastrophe, die der Nationalsozialismus für das deutsche Volk be­deutete, im Ganzen bewährt hat?“[8]

 

Angesichts der komplexen Semantik, die dem Begriff „Kirchenkampf“ inne­­wohnt, liegt es nahe, eine Alternative zu wählen, um dem eigenen Interesse und der Darstellung einen „cantus firmus“ zu geben. M.E. bietet der Begriff „Be­kennende Kirche“ diese Möglichkeit, weil sich in ihm theologische wie poli­tische, individuelle wie communitäre Faktoren verschränken. Zugleich wird man hier mit einem „ideologischen clash“ konfrontiert, der die Epoche prägte, der sich aber in der Nachkriegszeit in veränderter Gestalt wiederholte.

 

„Bekennende Kirche“ sollte aber nicht als „Zauberschlüssel“ miss­ver­stan­den werden, selbst wenn die Annäherung an die zu erforschende Phase sich ein­deutiger, weil nach Landeskirchen, Regionen, Per­sonen, Sachfragen und exem­plarischen Schwerpunkten differenziert, vollzogen werden kann. Auch hier muss zuvor Definitions- und Abgren­zungsarbeit geleistet werden. Denn die Beken­nende Kirche ist nie ein homogener Block gewesen und hat erst in der Reaktion auf bestimmte kirchenpolitische Schritte und theologische Provokationen wäh­rend der NS-Zeit ihr Selbstverständnis gewonnen. Günther van Norden hat für die Jahre 1933-35 als Signatur „Konsens im Patriotismus – Dissens im Be­kenntnis“ und für die Zeit danach „Konsens im Bekenntnis – Dissens im Patrio­tis­mus“ vorge­schla­gen[9]. Gleichwohl bleiben bei dieser Systematisierung offene Fragen. Wer hat die Kri­terien in der Bekenntnis­frage bestimmt? Wie sollte das im Bekenntnis Implizierte mit dem vom Patriotismus Geforderten zusammen­gehen? In welches Dilemma wurden Glaube und Gewissen gebracht, wenn mensch­liches Wort Unmenschliches von ihnen verlangte? Gerade in na­tionalen Fragen wollte niemand abseits stehen, wobei die Unterscheidung zwischen Regime-Loyalität und Staatsloyalität für die individuelle Einstellung eine nicht un­wesentliche Rolle spielte. In vielen Gemeinden herrschte zudem ein kon­fes­sionell geprägtes Bewusstsein, das...

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